Protocol of the Session on July 17, 2002

Abschließend zitiere ich einen hoch geschätzten Sozialdemokraten, Dr. Henning Scherf, Bürgermeister von Bremen, wörtlich. Henning Scherf sagte vor einigen Tagen:

ist seit dem Jahr 1947 verantwortlich für die Bildungspolitik in Bremen. PISA

ist die Quittung dafür. Wir

er, die Sozialdemokraten

müssen erkennen, dass wir nicht bewirkt haben, was wir bewirken wollten. Nun muss die SPD

die Kraft haben, aus ihren Fehlern zu lernen. Die SPDRechthaberei bringt nichts.

(Lebhafter Beifall bei der CDU Beifall bei Abge- ordneten der FDP/DVP)

Herr Kollege Drexler, ich lade Sie als einen lernfähigen Sozialdemokraten ausdrücklich ein: Folgen Sie hier Henning Scherf! Sie liegen dann nicht falsch.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ich möchte zunächst noch diejenigen Kolleginnen und Kollegen begrüßen, die nachträglich eingetroffen sind, weil ihr Bus im Stau stand.

Bitte schön, Herr Kollege Drexler, Sie haben das Wort.

(Abg. Herrmann CDU: Jetzt wird es schwer!)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Oettinger, SPD-Rechthaberei bringt nach PISA nichts, aber CDU-Rechthaberei erst recht nicht!

(Beifall bei der SPD)

Man soll aus PISA nichts herauslesen, was die Ergebnisse nicht zulassen.

Lassen Sie mich ganz am Anfang sagen: Die SPD-Landtagsfraktion freut sich, dass wir in Baden-Württemberg innerhalb der Bundesrepublik im Standardbereich bei PISA auf Platz 2 liegen. Ich will Ihnen auch sagen, dass sich Professor Jürgen Baumert in der „Zeit“ lobend über BadenWürttemberg ausgesprochen hat. Ich sage Ihnen nachher aber auch, was er aufgrund dieses Leistungsvergleichs gefordert hat. Er hat gesagt:

Kennzeichnend für Baden-Württemberg sind zwei Merkmale: eine moderne, praktisch orientierte Hauptschule

obwohl wir ja die Schwierigkeiten unserer Hauptschule kennen

und eine große Zahl beruflicher Gymnasien, die kluge und erfolgreiche Realschüler aufnehmen. Damit erreicht das Land einen hohen Leistungsstand, relativ „kleine“ Risikogruppen und zugleich Abiturientenquoten wie in Nordrhein-Westfalen. In dieser Hinsicht ist Baden-Württemberg vielleicht das modernste Land der Bundesrepublik.

Das ist ein großes Lob, und wir freuen uns darüber.

Auf der anderen Seite, liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir zwar in der Regionalliga Platz 2 ein, in der Champions League aber Platz 17. Herr Kollege Oettinger, Platz 17 stellt unter 31 Plätzen nun wirklich nicht einen Platz im vorderen Mittelfeld dar.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen Zuruf von der SPD: Unterhaching!)

Das erinnert mich immer an folgenden Witz, Herr Kollege Oettinger: Ein Lehrer kommt in eine Klasse, legt eine Klas

senarbeit auf den Tisch und sagt: „Wenn ihr so weiterarbeitet, fallen 70 % durch.“ Daraufhin meldet sich ein Schüler und sagt: „So viele sind wir gar nicht.“

(Vereinzelt Beifall bei der SPD Heiterkeit)

Das war Ihr Vergleich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wichtigste nach PISA ist doch eigentlich die Frage lassen wir einmal den parteipolitischen Weihrauch weg : Was soll Baden-Württemberg aus den Ergebnissen der PISA-Studie jetzt in der Bildungspolitik machen? Das ist die heutige Frage, das ist die Debatte, die wir heute führen. Ich hoffe, dass wir sie dann auch in den zuständigen Ausschüssen führen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Platz 17 ist nicht der Platz, den wir uns für unser Bundesland in der Bildung vorstellen, nachdem wir in der Industrie und bei unseren Wirtschaftsgütern an der Weltspitze rangieren und dort auch mitmachen müssen. Wir brauchen ein Bildungssystem, mit dem wir unter die ersten acht der Champions League kommen. Dort wollen wir hinkommen.

(Beifall bei der SPD)

Lassen Sie mich noch einmal Professor Baumert zitieren. Ich brauche das gar nicht zu interpretieren, sondern ich lese das einfach vor:

In deutschen Schulen gibt es ein großes Leistungsgefälle zwischen den besten und den schwächsten Schülerinnen und Schülern. Dann: Die Herkunft der Schüler spielt für den Schulerfolg eine große Rolle. Und: Die Förderung der schwächsten Schüler gelingt nur sehr, sehr unbefriedigend. Diese Probleme teilen alle Länder der Bundesrepublik wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Das heißt auch: Die Vorbilder für unsere Schulen sind nicht innerhalb Deutschlands zu suchen, sondern im Ausland, in Skandinavien oder den angelsächsischen Staaten.

Jetzt fragt die „Zeit“ nach: „Gilt das auch für Bayern und Baden-Württemberg?“ Baumert:

Gerade für diese Länder, weil sie trotz ihres guten Abschneidens im innerdeutschen Vergleich von der internationalen Spitze noch weit entfernt sind.

Das sagt Baumert, der Leiter der PISA-Studie.

(Zurufe von der CDU)

Nein, verstehen Sie: Wenn Sie sein Lob einheimsen, dann würde ich Sie bitten, auch das andere, was er sagt, in die Debatte einzubeziehen.

(Beifall bei der SPD)

Das hielten wir für eine faire Debatte.

Es ist doch kein Grund zum Feiern, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU,

(Lebhafte Zurufe von der CDU, u. a.: Wer feiert denn?)

wenn jeder fünfte 15-jährige Baden-Württemberger beim Lesen nicht über die Kompetenzstufe 1 hinauskommt.

(Zurufe bei der CDU)

Da kann man doch nicht zufrieden sein.

(Beifall bei der SPD)

Das heißt: 20 % der 15-jährigen Baden-Württemberger verfügen nicht über das notwendige Werkzeug, um sich Wissen anzueignen, Wissen zu organisieren oder Wissen anzuwenden. Dieses Ergebnis aus der PISA-Studie muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. Das heißt im Übrigen auch, dass sie in der heutigen Gesellschaft überhaupt keine Chance haben, weder im Beruf noch im Privatleben.

Wir müssen uns also Gedanken darüber machen, wie wir dies schleunigst verändern können. Dazu werden wir Ihnen nachher einige Vorschläge machen. Herr Kollege Oettinger hat einige Vorschläge gemacht; auch wir werden einige Vorschläge machen. Ich hoffe, dass wir dann recht schnell zu politischen Entscheidungen kommen.

Es gibt auch keinen Grund zum Feiern, wenn 34 % unserer Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg angeben, dass sie nicht zum Vergnügen lesen. Da liegen wir weit hinter anderen Staaten. Es ist auch kein Grund zum Feiern, dass der Unterschied zwischen guten und schlechten Schülern nirgendwo so groß ist wie in Deutschland bei uns ist es ein bisschen besser, aber das gilt auch für Baden-Württemberg und dass Bildung auch in Baden-Württemberg stark vom Geldbeutel der Eltern abhängt ich sage „auch“ , manchmal nicht so stark wie in anderen Ländern, aber auch in Baden-Württemberg.

Es ist doch kein Grund zum Feiern, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn 48,5 % der Schulleitungen in Baden-Württemberg angeben, dass die 15-Jährigen an ihren Schulen beim Lernen beeinträchtigt seien, weil Lehrer fachfremd unterrichteten oder Lehrer fehlten. Da sind wir an der Spitze, aber nur, wenn Sie die Leistungsskala umdrehen. Wir sind da an der Spitze der Bundesrepublik Deutschland; viele Schulleitungen geben das an.