Protocol of the Session on July 17, 2002

(Beifall bei der CDU)

Wenn man am Beispiel einer Großstadt in Baden-Württemberg erfährt, dass von einer Klasse mit 28 Kindern an einer Hauptschule, rechnerisch also mit 56 Elternteilen, im Herbst zu einem Elternabend nur ganze sieben Väter oder Mütter kamen, dann zeigt das, dass etwas nicht stimmt. Da nehmen einige Eltern ihre Pflichten, ihre Verantwortung, die sie eingehen, indem sie ein Kind zeugen, nicht genügend ernst. Daran zu appellieren mag unpopulär sein, ich halte es aber für dringlich und notwendig, weil die Schule nicht allein reparieren kann, was in der Gesellschaft schief läuft.

(Beifall bei der CDU)

Noch ein Gedanke dazu. Wenn sich die Parteien im Bundestagswahlkampf und in der Umsetzung von Gerichtsurteilen aus Karlsruhe einig sind, dass man Familiengeld

oder Kindergeld, Erziehungsgeld, das heißt die Stärkung der Familie auch finanziell und materiell, in den nächsten Jahren in Stufen anstreben muss, kann ich mir vorstellen, dass ein erhöhtes und eingeführtes Familiengeld aus Bargeld und aus Gutscheinen besteht und der Anreiz, eine Familienbildungsstätte zu besuchen, wenn man ein Kind bekommt, der Anreiz, sich selbst in der Elternverantwortung durch kostenlose Inanspruchnahme von Bildungsangeboten zu schulen, indem man einen Gutschein einlöst und sich damit fortbildet, realisiert werden kann. Ich glaube, dass in Zukunft Familienförderung Bargeld und mehr, Bargeld und inhaltliches Angebot umfassen muss.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Ergebnisse der PISA-Studie haben der Gesamtschule eine eindeutige Absage erteilt. Es war richtig, dass BadenWürttemberg dieser Versuchung in den Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahren widerstanden hat. Wir halten in Baden-Württemberg ausdrücklich am gegliederten Schulwesen, bei dem in den nächsten Jahren besonders die Hauptschule und die Berufsschule gestärkt und gehalten werden müssen, aus Gründen der Begabtenförderung, der besten gegliederten Förderung der Kinder fest.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

PISA hat auch neuen Schwung in die Frage der Betreuung gebracht. Die Punkte 2 und 3 der heutigen Tagesordnung zeigen dies auf. PISA hat deutlich gezeigt, dass die Ganztagsschule, das heißt Ganztagsunterricht, gegenüber Halbtagsunterricht keine verbesserten Chancen bringt.

(Zurufe von der SPD, u. a. Abg. Drexler: Was? Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Sie mögen ja nachher widersprechen, meine Herren Kollegen.

(Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)

Gestatten Sie mir trotzdem eine Bewertung unsererseits.

(Zurufe von der SPD)

PISA hat deutlich gezeigt, dass der Schulerfolg, der Bildungserfolg

(Zuruf des Abg. Zeller SPD)

nicht von Ganztags- oder von Halbtagsunterricht abhängt. Trotzdem wird in den nächsten Jahren um die Schule herum für die Eltern in Partnerschaft mehr Betreuung notwendig sein.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Deswegen: Gemeinsam mit den Kommunen bauen wir in Baden-Württemberg entsprechend den Möglichkeiten des Landeshaushalts das heißt, über unsere Steuereinnahmen und nicht über Schulden finanziert die Ganztagsbetreuung, die Ganztagsangebote in der Schule und um die Schule herum auf.

Ich glaube, dass die Bereitschaft der jungen Frau, Ja zu sagen zu Kind und Familie und dies mit einer Berufstätigkeit zu vereinbaren,

(Abg. Ursula Haußmann SPD: Und des jungen Mannes?)

Familie und Beruf in den nächsten Jahren auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann. Wir sind ausdrücklich zu einer ergebnisoffenen Beratung über die Weiterentwicklung der Betreuung in unserem Land bereit zu einer Ganztagsbetreuung nach Bedarf, nicht nach Zwang, freiwillig, je nach dem Interesse von Mutter und Vater.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Vielleicht mag dabei folgender Maßstab, folgender Indikator zielführend sein. In der Zeit, bevor ein Kind in die Schule kommt Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz , gehen von 100 Kindern vormittags 95 in einen Kindergarten. Nachmittags kommen 40 wieder oder sind über den Vormittag hinweg dort geblieben 40 %. Wenn nun ein Kind mit sechseinhalb Jahren im Juli den Kindergarten verlässt, dort ganztags betreut und gebildet wurde nach sechs Wochen Schulferien ist die Interessenlage, der Bedarf nicht anders , mag es dann nicht richtig sein, dass die Betreuung ganztags, das Ganztagsangebot, dass die Betreuung der Siebenjährigen in der Schule mittelfristig im gleichen prozentualen Verhältnis, im gleichen Umfang wie bei den Sechsjährigen im Kindergarten stattfinden muss? Entsprechend den finanziellen Möglichkeiten schlage ich dies in Stufen für die nächsten Jahre ausdrücklich vor.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Schule ist mehr als Unterricht im Dreivierteltakt. Deswegen muss Schule auch mehr als nur Lehrerverantwortung sein. Deswegen führt die Ganztagsbetreuung automatisch zu dem Ziel, die Vereinsarbeit, die Jugendarbeit, die soziale Arbeit, die Arbeit der Sport-, Musik- und Kulturvereine, die Arbeit der Kirchen nicht mehr nur nach der Schule und abends stattfinden zu lassen, sondern sie auch in der Schule und nach dem Unterricht sowie zwischen den Unterrichtsstunden aufzubauen. Ich setze beim Aufbau von Betreuungsangeboten um die Schule herum ausdrücklich auf das Ehrenamt, auf die Verbandsstruktur, auf die Kirchenarbeit in unserem Land.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Die Elternarbeit muss hinzukommen. Ich schlage ausdrücklich vor, dass Eltern ihre Kinder nicht nur in der Schule abgeben und an der Pforte wieder abholen, sondern dass Eltern unter der Verantwortung der Lehrer mehr tun und in den nächsten Jahren für die Betreuung innerhalb der Schule nach ihrem Interesse und ihren Freizeitmöglichkeiten mit in die Verantwortung einbezogen werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wenn dem aber so ist Ganztagsangebot, Schule mehr als nur Unterricht im Dreivierteltakt , dann kommen wir not

wendigerweise auch zu einer Neubewertung von Lehrerarbeitszeit. Damit klar ist: Die 40 Wochenstunden werden von der großen Mehrzahl der Lehrer erbracht, und manche arbeiten mehr. Aber wir können, glaube ich, mit gutem Grund vorschlagen, dass ein Teil der Arbeitszeit, die Lehrer und Lehrerinnen jenseits des Unterrichts erbringen, indem sie Arbeiten korrigieren und den Unterricht für den nächsten Tag vorbereiten, im Zuge des Ausbaus von Lehrerarbeitsräumen verstärkt in der Schule, im Schulgebäude erbracht werden kann. Von daher wird das Netzwerk Schule pädagogisch gestärkt und kann in den nächsten Jahren der Dialog zwischen Kindern, Eltern und Lehrern durch mehr Präsenz von Lehrern im schulischen Bereich jenseits ihres Deputats gestärkt werden.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Wenn man weiß, dass die Mittel für Bildung Schule, Betreuung, Hochschule nicht beliebig steigerbar sind und Baden-Württemberg für Bildung prozentual schon jetzt mehr ausgibt als irgendein anderes Bundesland, dann muss man

(Abg. Zeller SPD: Das stimmt doch gar nicht!)

Gleich, Herr Kollege Zeller. In der zweiten Runde dürfen auch Sie sprechen. Zuerst kommt Herr Drexler zu Wort.

(Abg. Zeller SPD: Falsch ist es trotzdem! Zuruf der Abg. Carla Bregenzer SPD)

Baden-Württemberg setzt ein hohes Maß an Haushaltsmitteln für Bildung ein. Das ist nicht beliebig steigerbar und kann auch nicht durch neue Schulden dargestellt werden. Also muss die Frage erlaubt sein, ob nicht gewisse Umschichtungen und Aktivierungen angebracht sind.

Ich mache zwei Vorschläge, die vielleicht provokant sind. Nach meiner Vermutung geben wir für die 3- bis 14-Jährigen eher weniger öffentliche Mittel aus als die besten Länder im PISA-Vergleich und für die 14- bis 25-Jährigen in der Oberstufe und im Studium eher mehr. Deswegen ist bei aller Vorsicht und ohne Kahlschlag in den nächsten Jahren ein Umbau, bei den 3- bis 14-Jährigen eine Verstärkung von Landes- und von kommunalen Mitteln und bei den 14- bis 25-Jährigen eine Abflachung, eine Deckelung angesagt.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP sowie des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Zwei Stichworte ergänzend dazu: Ist es nicht eigenartig, dass man in Deutschland für den Kindergarten Beiträge erhebt, während das Studium kostenfrei ist? Wäre nicht eine sozial gestaffelte, nachlaufende Studiengebühr angesagt, damit in Deutschland für Bildung und Betreuung von 3- bis 14-Jährigen durch Umschichtung mehr Mittel bereitgestellt werden können?

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP Abg. Schmiedel SPD: 0 bis 3!)

0 bis 3 ebenso. Darüber gibt es keinen Streit.

(Abg. Schmiedel SPD: Aha! Im Protokoll festhal- ten!)

Ich bin Ihnen dankbar. Jede parlamentarische Beratung, die gut ist, nehmen wir auf.

Ein weiterer Punkt, der provokant sein mag.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Baden-Württemberg ist stärker als jedes andere Bundesland, Deutschland ist im globalen Vergleich stärker als andere an der PISA-Studie beteiligte Länder. Wir haben auf der Grundlage unserer Verfassung eine Lernmittelfreiheit, die im Grunde genommen am weitesten geht. Da ich weiß, dass die Verfassung nicht durch die Regierungsmehrheit einer kleinen Koalition änderbar ist Herr Kollege Drexler, vielleicht gehen Sie darauf ein, gerade nachdem wir hier an einem historischen Ort tagen , frage ich: Wäre es nicht überlegenswert, einmal gemeinsam eine Verfassungsänderung zu prüfen, die eine schmale, sozial gestaffelte Beteiligung der Eltern an den Kosten für die Lernmittel zulässt und es ermöglicht, dass dieses Geld für Schule und Betreuung verwendet wird und nicht dem Kämmerer zugute kommt? Ich glaube, dass hier weiträumiges Handeln auch mit der Opposition denkbar und angesagt ist.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Ein letzter Punkt: Baden-Württemberg steht im Wettbewerb gut da, auch weil es in Baden-Württemberg intern einen Ideenwettbewerb gibt. Uns tun die Privatschulen in Baden-Württemberg gut. Das duale System hat sich bewährt. Ich bin dankbar, dass dies im Jahr 1953 von unseren Vorgängern, von unseren Kollegen aus der CDU hartnäckig in die Verfassung durchgeboxt worden ist. Ich glaube, dass diese Partnerschaft bei 110 000 Kindern, die in Baden-Württemberg auf private Schulen gehen, auch in Zukunft bestehen muss. Ich kann mir sogar vorstellen, dass der prozentuale Anteil von Kindern, die auf private Schulen gehen, in unserem Land in den nächsten Jahren noch etwas steigt.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Abschließend zitiere ich einen hoch geschätzten Sozialdemokraten, Dr. Henning Scherf, Bürgermeister von Bremen, wörtlich. Henning Scherf sagte vor einigen Tagen: