Protocol of the Session on March 6, 2002

Frau Abg. Berroth, was, glauben Sie, wird der Flughafen Stuttgart tun, wenn ihm unmissverständlich bedeutet wird, dass keine zweite Startund Landebahn gebaut wird und dass die Zahl der Slots begrenzt ist? Wird er weiterhin mit 30 Passagieren in einem Flugzeug starten, oder wird er versuchen, möglichst viele Passagiere in ein Flugzeug zu packen und möglichst große Flugzeuge pro Slot einzusetzen?

Sehr geehrter Herr Palmer, wenn Sie ein bisschen kapieren, wie Flugverkehr läuft, wissen Sie, dass das nicht der Flughafen entscheidet, sondern dass das die Fluggesellschaften entscheiden.

(Beifall des Abg. Theurer FDP/DVP)

Wenn Sie meinen, denen das vorschreiben zu können, dann fangen Sie einmal damit an, und probieren Sie, ob Sie das hinkriegen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP und der CDU)

Aber ich wollte die andere Frage beantworten. Wir haben eine ausführliche Große Anfrage gestellt. Die SPD hat darauf spekuliert, dass sie uns reinlegen kann, wenn sie das Thema drei Wochen später aufgreift. Wir brauchen Zeit für eine ordentliche Vorbereitung,

(Abg. Schmiedel SPD: Wie lange denn noch?)

weil es sich um eine umfassende Problematik handelt. Wir wollen das Ganze solide erarbeiten. Die Zeit dafür nehmen wir uns.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP Abg. Fi- scher SPD: Da kann man die Fachleute alle dazu- nehmen! Abg. Capezzuto SPD: Nächste Land- tagswahl!)

Das Wort erhält Herr Minister für Umwelt und Verkehr Müller.

(Abg. Schmiedel SPD: Was sagt der Herr Minister zum Herrn Fundel? Heiterkeit)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Berroth hat schon darauf hingewiesen, dass wir im Rahmen der Behandlung der Großen Anfrage der FDP/ DVP in einiger Zeit noch einmal die Gelegenheit haben werden, über die Luftverkehrspolitik des Landes zu sprechen. Deswegen will ich mich heute auf die beiden Teilthemen beschränken, die durch die Drucksache der SPD ausgelöst worden sind.

Im Prinzip haben Sie nach Zahlen gefragt. Das war das eine. Zum Zweiten haben Sie unter dem Stichwort Luftverkehrskonzept sozusagen nach der politischen Strategie gefragt. Genau zu diesen beiden Punkten möchte ich etwas sagen.

Bezüglich der Zahlen verweise ich zunächst einmal auf das, was wir seinerzeit im August auf den Tisch des Hauses gelegt haben. Aber wenn ich das Wort „August“ in den Mund nehme, wird zur gleichen Zeit klar, wie sehr sich die Dinge ändern können und wie eben das hat Frau Kollegin Berroth gerade schon gesagt die schlichte lineare Fortschreibung nicht unbedingt die Wirklichkeit wiedergibt, mit der wir es später zu tun haben.

Ich will das einmal konkret machen am Beispiel des Flughafens Stuttgart. Wir konzentrieren uns ja in der Debatte im Wesentlichen auf den Flughafen Stuttgart. Prognostiziert für das Jahr 2001 war eine Steigerung, wie schon seit Jahren, in der Größenordnung zwischen 4 und 5 %. Real haben wir ein Minus von 6 %. Auch in diesem Jahr 2002 hätten wir eine Steigerung in derselben Größenordnung zu vermuten gehabt. Vermutlich das ist jetzt auch eine Prognose, aber die Zahlen bis zum heutigen Tag bestätigen diese Vermutung werden wir ein Minus von 3 % haben. Wenn ich gegenüber einer Pluserwartung eine Minuszahl habe, ist das eine Schere, die sich logischerweise nach zwei Seiten hin öffnet. Das heißt, alle Zahlen verschieben sich zunächst einmal um mehrere Jahre. Ich will damit nicht sagen, dass der langfristige Trend darauf komme ich gleich noch zu sprechen letztlich nicht

(Abg. Schmiedel SPD: Es geht doch um die Flug- bewegungen, nicht um die Passagiere!)

Ja, natürlich, aber schauen Sie sich die Statistik an.

(Abg. Schmiedel SPD: Sagen Sie es doch!)

Dann stellen Sie fest, dass es sich sehr wohl auch in der Zahl der Flugbewegungen niederschlägt,

(Abg. Schmiedel SPD: Aber längst nicht so gewal- tig!)

übrigens auch in diesem Jahr wieder.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aber das verschiebt sich doch nur!)

Das ist richtig. Es verschiebt sich, aber für die politische Entscheidungsfindung ist es ein Unterschied, ob ich es mit einem aktuellen Problem oder mit einem langfristigen zu tun habe. Das ist aber nur die unmittelbare Auswirkung. Diese unmittelbare Auswirkung hat zunächst einmal etwas mit der Flugangst, mit dem Verhalten der Flugpassagiere

zu tun. Man weiß, dass sich ein solcher Faktor natürlich im Laufe der Zeit wieder aufhebt und dass dann andere Dinge bei der Frage eine Rolle spielen, ob wir mehr oder weniger Wachstum haben.

Jetzt kommt ein zweiter Effekt dazu, der durch den 11. September ausgelöst worden ist. Der hält an. Es ist bei dieser Gelegenheit ein Dilemma des ganzen Luftverkehrsmarkts offen gelegt worden. Dieses Dilemma kann man ganz einfach umschreiben: Wir hatten von Jahr zu Jahr ein riesiges Wachstum. Nichtsdestoweniger haben die Airlines, die Luftverkehrsgesellschaften nichts verdient. Das ist eine ganz ungewöhnliche Konstellation. Normalerweise kann man sagen: Bei einem Wachstum verdienen alle, alle steigen ein, sie befördern das Wachstum, sie profitieren vom Wachstum. Hier war es anders.

Jetzt hat die Krise des 11. September dazu geführt, dass wir mittlerweile eine Erschütterung in der gesamten Luftfahrtbranche haben. Wir haben das ja gesehen. Das gilt für die Airbus-Industrie und für andere Hersteller im Bereich der Luftfahrt. Das gilt für die Gewinnerwartungen. Das gilt für den Wegfall von Fluggesellschaften, also die Konkurse. Das gilt für eine ganze Reihe von geschäftspolitischen Maßnahmen: Einstellungsstopps und dergleichen mehr. Es hat Turbulenzen gegeben, die vom 11. September ausgelöst worden sind, die aber die Strukturprobleme offenkundig gemacht haben.

Die Frage ist, wie jetzt mittelfristig darauf reagiert wird. Im Moment sehen wir eine Reduktion des Angebots, und im Moment ist aus heutiger Sicht auch zu vermuten, dass Fliegen teurer wird. Wenn Fliegen teurer wird und wenn wir weniger Wettbewerb haben und wenn es insgesamt zu einer Ausdünnung des Angebots kommt, damit die vorhandenen Flugzeuge besser ausgelastet werden, bedeutet das möglicherweise, dass sich die Wachstumszahlen auch langfristig, also nicht nur vorübergehend, nicht in den Größenordnungen bewegen, wie das bislang formuliert worden ist.

Im Übrigen wird die ganze Luftverkehrspolitik ganz wesentlich von den Airlines gemacht, also von den Luftverkehrsgesellschaften. Wir hingegen arbeiten an der Infrastruktur. Wir können mit dem, was wir am Boden machen, also mit dem Bauen von Flughäfen, in der Luftverkehrspolitik nur auf das Verhalten der Luftverkehrsgesellschaften reagieren. Nichtsdestoweniger gibt es zunächst einmal kurzfristig ein klares Minus und mittelfristig wahrscheinlich eine Dämpfung der Zuwachszahlen. Langfristig bleibt es natürlich dabei, dass der Luftverkehr eine Wachstumsbranche, ein Wachstumsmarkt ist. Das ist in den letzten Jahrzehnten so gewesen, und von den Faktoren, die ich jetzt gerade angesprochen habe, abgesehen, muss man davon ausgehen, dass es auch langfristig so sein wird, sodass wir uns natürlich nach wie vor mit den Wachstumsproblemen, allerdings deutlich zeitlich versetzt, zu beschäftigen haben.

Jetzt will ich den Zahlenteil schon abschließen und etwas zu der politisch-konzeptionellen Seite sagen. Ich fange einmal mit einer fast philosophischen Bemerkung, einer Verkehrsphilosophie an, die heißt: Mobilität ist im Prinzip unendlich; sie wird nur durch zwei Faktoren limitiert, nämlich durch Zeit und Geld.

(Minister Müller)

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Und den Raum! Abg. Kretschmann GRÜNE: Und durch die Um- welt, Herr Minister!)

Es sei denn, die Politik interveniert. Ich sage zunächst einmal aus der Sicht des Verkehrsteilnehmers, dass Zeit und Geld limitierende Faktoren sind. Es kann natürlich bei einer bestimmten Politik Begleitkomponenten schaffen. Ich wäre darauf gleich zu sprechen gekommen

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

jawohl , weil ich das natürlich auch so sehe, dass sich die richtige Verkehrspolitik nicht unbedingt von alleine einstellt. Weil im Luftverkehr in kurzer Zeit riesige Entfernungen überwunden werden können, aber gleichzeitig das Fliegen immer billiger geworden ist, ist es nicht verwunderlich, sondern eine relativ normale Entwicklung, dass der Luftverkehr explodiert ist. Das ist geschehen, weil genau die beiden limitierenden Faktoren eine geringere Rolle spielen.

Jetzt kommt das, was Herr Kretschmann angesprochen hat: Mit der Explosion dieses Verkehrssektors gehen auch Schattenseiten einher. Darüber nicht zu sprechen, das wäre Unsinn. Das sind Schattenseiten auf dem Boden, Schattenseiten, was die Kapazitäten anbelangt, auch die Luftkapazität mittlerweile wird ja der Himmel langsam eng , und auch Schattenseiten, was die Emissionen anbelangt die lokalen und die weltweiten, also Lärmemissionen und Luftemissionen.

Daraus ziehe ich eine ganz einfache Schlussfolgerung: Luftverkehrspolitik muss differenziert sein. Sie kann nicht nur auf das Wachstum setzen.

(Zuruf des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Sie ist nicht eine Politik, bei der einfach gesagt wird: Wir bilden ab, was an Nachfrage vorhanden ist. Auch in der Straßenverkehrspolitik und in der Eisenbahnpolitik ist es so, dass ich das, was es sozusagen an urwüchsiger Entwicklung, an ungesteuerter Entwicklung gäbe, in das einkleiden muss, was ich politisch für richtig halte.

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)

Das heißt, es geht um die Fragen: Wie viel Wachstum, wo und unter welchen Konditionen? Da empfehle ich eine differenzierte Politik.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Ganz genau! Wir auch!)

Okay; dann sind wir uns schon einmal einig.

Jetzt mache ich es einmal eine Stufe konkreter: Für mich kann Luftverkehrspolitik in Baden-Württemberg nicht einfach heißen, dass wir alles tun, was der Markt, was die Nachfrage gerade ergeben würde.

(Zurufe der Abg. Schmiedel und Dr. Caroli SPD)

Nicht automatisch. Wir wollen an dem Wachstum teilhaben. Aber wir wollen kein Wachstum um jeden Preis. Das ist ein Satz, auf den wir uns vielleicht in diesem Hause verständigen könnten.

(Beifall bei Abgeordneten aller Fraktionen)

Das gilt übrigens erst recht für Flughäfen, die besonders nahe an großen Bevölkerungsansammlungen liegen. Das gilt beispielsweise für die Filder und in anderen Städten genauso wie in meinem Wahlkreis Friedrichshafen.

Zweitens: Es kann in diesem Bereich damit auch Staus geben. Es gibt Staus auf der Straße, manchmal auf der Schiene dort wären mir manche zusätzlichen Staus noch lieber, denn das wäre ein Zeichen von guter Auslastung , und es kann auch einen politisch gewollten Stau in der Luft geben. Das muss möglich sein;

(Zuruf des Abg. Schmiedel SPD)