Herr Präsident, meine Damen und Herren, die letzten Wochen haben uns gezeigt, dass ethische Fragen die Gesellschaft bewegen und dass die Politik Entscheidungen treffen muss. Die rasante Entwicklung der Wissenschaft und der Forschung zwingt uns immer mehr, Antworten auf ethische Grundfragen zu finden. Dazu gehören solche existenziellen Fragen wie: Was darf der Mensch? Wann beginnt das Leben? Auch hier im baden-württembergischen Landtag haben wir sehr ernste Debatten über diese Themen geführt.
Der Schock des 11. September letzten Jahres und seine Folgen haben uns darin bestärkt, dass der Auseinandersetzung mit Werten und dem Dialog der Kulturen künftig eine größere Rolle zukommen müssen.
Junge Menschen sind Teil unserer Gesellschaft und stellen Fragen an die Welt, in der sie aufwachsen. Kinder und Jugendliche müssen in ihrer Suche nach ethischer Orientierung und Urteilsfindung ernst genommen werden und brauchen dabei unsere Unterstützung.
Wir Grünen haben daher erneut einen Gesetzentwurf zur Änderung des Schulgesetzes in den Landtag eingebracht, mit dem Ziel, die Fächer Ethik und Religion gleichzustellen und gleichzeitig zu stärken.
Das Fach Ethik soll dabei von einem Ersatzfach für den Religionsunterricht zu einem Wahlpflichtfach werden. Ethik und Religion sollen künftig eine gemeinsame Fächergruppe bilden und eng miteinander kooperieren.
Unser Gesetzentwurf, der Ihnen heute vorliegt, beinhaltet den Ausbau des Ethikunterrichts über alle Klassenstufen hinweg und an allen Schularten. Es macht Sinn, meine Damen und Herren, in der ersten Klasse der Grundschule und gleichzeitig in der fünften Klasse der Hauptschule mit der Einführung des Ethikunterrichts bald und zwar im kommenden Schuljahr zu beginnen, weil dort der größte Handlungsbedarf für die Einführung des Ethikunterrichts besteht.
Wir brauchen natürlich gleichzeitig den Beginn der Ausarbeitung der Lehrpläne und die Einführung eines eigenständigen Studiengangs Ethik für Grund- und Hauptschullehrkräfte an den Pädagogischen Hochschulen des Landes. Ich
halte es für ein Armutszeugnis, dass es diesen eigenständigen Studiengang zwar für Realschullehrer und für Gymnasiallehrer gibt, nicht aber für Hauptschullehrer, die an ihren Schulen mit den größten Problemen konfrontiert sind.
Bei der von uns vorgeschlagenen Umwandlung des Ersatzfachs Ethik in ein Wahlpflichtfach geht es uns aber nicht um ein Konkurrenzangebot oder gar einen Verdrängungswettbewerb zwischen Ethik und Religion, sondern es geht um die gemeinsame Aufgabe des Ethikunterrichts und des Religionsunterrichts: eine verantwortungsbewusste Erziehung und Bildung unserer Kinder und Hilfestellung zur Bildung ihrer ethischen Urteilskraft.
Der Religionsunterricht wird gestärkt, weil der Stellenwert der ethischen Erziehung insgesamt gestärkt wird.
Vor wenigen Wochen fand eine eindrucksvolle Tagung zu Ethik und Religion an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe statt. Der Tübinger Religionspädagoge Professor Nipkow, den Sie sicher kennen,
hat bei dieser Gelegenheit gesagt: Wir brauchen die Wahlpflichtfächer Ethik und Religion, und die Zukunft des Religionsunterrichts liegt in der engen Kooperation der Fächer Ethik und Religion.
Selbstverständlich, meine Damen und Herren, bleibt der grundlegende Unterschied zwischen den Fächern Ethik und Religion bestehen. Die Einzigartigkeit des Faches Religion liegt ja gerade darin, dass es kein weltanschaulich neutrales Fach ist, sondern dass der Religionsunterricht ein bekenntnisgebundenes Fach ist,
dessen Kern religiöse Werte und der Gottesglaube ausmachen. Der Ethikunterricht dagegen als weltanschaulich neutrales Fach orientiert sich an Werten und Normen, wie sie das Grundgesetz vorgibt und wie sie in der Menschenrechtskonvention enthalten sind. Dazu kommen das halten wir für sehr wichtig religionskundliche Inhalte, interkulturelle Inhalte, ethische, lebenskundliche und philosophische Fragen. Diese werden im Ethikunterricht vertieft behandelt. Insofern geht der Ethikunterricht weit über das hinaus, was fächerintegrativ an Werteerziehung in allen Fächern geleistet werden kann. Denn selbstverständlich, meine Damen und Herren, bedeutet ein eigenständiges
Fach Ethik nicht, dass die Werteerziehung, wie sie in allen Fächern an der Schule einbezogen werden muss und auch einbezogen ist, dort nicht mehr stattfinden soll.
Meine Damen und Herren, gehen Sie an die Schulen dieses Landes, gehen Sie vor allem an die Grundschulen und die Hauptschulen. Sie werden dort von den Lehrkräften hören, dass der Ethikunterricht dringend notwendig ist. Wir haben die Situation, dass in vielen Hauptschulklassen, aber auch zunehmend an Grundschulklassen bis zu 50 %, an einigen über 50 % der Schüler und Schülerinnen keinen Religionsunterricht mehr haben, weil sie muslimischen Glaubens sind, weil sie keiner Konfession angehören oder von ihren Eltern abgemeldet wurden.
Diese Kinder brauchen auch ein werteerziehendes Fach. Das ist auch eine Forderung nach mehr Gerechtigkeit, und es ist eine wichtige Forderung insbesondere für die Integration muslimischer Schüler und Schülerinnen in unsere Gesellschaft.
Wir wollen selbstverständlich trotzdem islamischen Religionsunterricht und haben dazu Pilotprojekte beantragt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend eines sagen: Die Gesellschaft verändert sich. Die Kirchen öffnen sich zur Kooperation. Der Landeselternbeirat fordert Ethik ab der ersten Klasse. Der Städtetag begrüßt in seiner Stellungnahme unseren Gesetzentwurf. Nur das Kultusministerium, die Ministerin, die ausgerechnet bei dieser Debatte nicht da ist, lehnt dies in ihrer Antwort auf den Antrag meiner Fraktion ab.
(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Das Ministerium ver- harrt in Altersstarre! Gegenruf des Abg. Seimetz CDU: Ruhe, Herr Salomon!)
Die Kultusministerin dieses Landes muss aufpassen, dass sie in dieser wichtigen Frage nicht bald zu den Ewiggestrigen gehört.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetzentwurf der Grünen sprechen wir heute über etwas ganz Wesentliches in unseren Schulen. Es geht um die religiöse Erziehung und um die Werteerziehung unserer Kinder und Jugendlichen. Insofern begrüße ich die Debatte heute an dieser Stelle.
Für die CDU-Landtagsfraktion hat der Religionsunterricht ab Klasse 1 sehr hohe Priorität. Sie haben richtig gehört. Ich sage: Der Religionsunterricht hat für uns sehr hohe Priorität. Das Grundgesetz und die Landesverfassung von Baden-Württemberg geben uns den Auftrag zur christlichen Wertevermittlung an den Schulen. Aus diesem Grund ist in allen Lehrplänen unserer Schulen der Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach ausgewiesen.
Gerade weil wir in einer zunehmend pluralistischen Gesellschaft leben und die Säkularisierung weiter voranschreitet, ist dieser konfessionsbetonte Unterricht so wichtig. In einer Zeit des Wohlstands und der weltpolitischen Herausforderungen ist das Ergründen von Pfaden nach der Sinnfrage des Lebens und die Vermittlung von christlich geprägten Werten in der Schule für uns von größter Bedeutung. Dies soll nicht nur in den Räumen der Kirche geschehen. Da die Schule neben dem Elternhaus Lebensmittelpunkt der Kinder und Jugendlichen ist, muss über diese wichtigsten Fragen des Lebens im Lernort und Lebensmittelpunkt Schule gesprochen werden.