Protocol of the Session on February 21, 2006

(Heiterkeit des Abg. Hillebrand CDU)

Diese Eingriffe galten dem öffentlichen Personennahverkehr. Die Stichworte sind genannt worden: Revision 2002,

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

das Haushaltsbegleitgesetz 2004 mit Kürzungen bei den Regionalisierungsmitteln, bei den GVFG-Mitteln und bei den Ausgleichsansprüchen im Ausbildungsverkehr.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Koch/Steinbrück! Al- les CDU und SPD! Seien Sie doch mal ehrlich! Al- les in Ihrer Verantwortung!)

Mir ist in dieser Zeit kein grüner Politiker in Berlin begegnet, der diese Kürzungsmaßnahmen bekämpft hätte.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Wann waren Sie denn dort?)

Ich war im Unterschied zu Ihnen mit dabei,

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Haben Sie nur geves- pert und mit niemandem geschwätzt? – Gegenruf von der CDU)

nicht nur im Bundesrat, sondern auch im Vermittlungsausschuss. Ich konnte sehr wohl feststellen, wer welche Position zu welchen Kürzungsvorschlägen einnahm.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Ich könnte Ihnen 10 oder 20 Leute nennen, die dagegen gekämpft ha- ben! Das ist die Unwahrheit von A bis Z! Unerträg- lich! – Weitere Zurufe und Unruhe)

Herr Palmer, für Sie ist hier manches unerträglich, aber Tatsache ist – –

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Alles verlogen!)

Wenn Sie es widerlegen können, so haben Sie dazu im Rahmen Ihrer Redezeit anschließend noch Gelegenheit. Sagen Sie, wer von der grünen Seite gegen diese Kürzungen gekämpft hat in der Bundesregierung, im Bundestag oder im Bundesrat. Denn diese Gesetze müssen ja alle Gremien durchlaufen.

Zweiter Punkt – auch der ist angesprochen worden –: Nicht erst seit ein paar Wochen oder Monaten, also seit der Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung, sondern bereits seit Jahren wird über die angekündigte und sicher sinnvolle Revision im Jahr 2007 gesprochen, aber im Zusammenhang mit dieser Revision war von Anfang an immer auch von einer möglichen Kürzung um eine Milliarde im

(Staatssekretär Köberle)

Jahr die Rede. Ich habe in der Zeit, als über diese drohende Kürzung um eine Milliarde gesprochen wurde, nie eine Aktuelle Debatte, angeregt etwa von Ihnen, lieber Herr Palmer, hier im Landtag erlebt.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Gab es da ein Haus- haltsbegleitgesetz? Gab es einen Kabinettsbe- schluss?)

Es gab einen Kabinettsbeschluss dazu vom 4. Oktober letzten Jahres, als wir – nicht in Reaktion auf die neue Koalitionsvereinbarung; die gab es zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht – auf eine mögliche Kürzung infolge der Revision 2007/2008 reagiert haben. Da haben wir für uns festgelegt, welche neuen Projekte im Land wir angehen können und welche nicht. Und Sie selber haben sich außerordentlich engagiert für ein Projekt eingesetzt.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Da hatten Sie die Bundestagswahl schon gewonnen und wussten, dass Sie im Oktober kürzen werden!)

Das stand im Zusammenhang mit unserer Vorbereitung der möglichen Revision.

Herr Palmer, wenn ausgerechnet Sie und die Grünen sich berufen fühlen, als Retter des baden-württembergischen Nahverkehrs aufzutreten, können Sie das tun, aber ich hätte dann natürlich in den vergangenen Jahren in dieser Frage auch mehr Engagement erwartet.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die baden-württembergische Landesregierung hat den öffentlichen Personennahverkehr in unserem Land zu einem anerkannten, zu einem erfolgreichen Qualitätsprodukt gemacht. Die baden-württembergische Landesregierung wird auch dafür Sorge tragen, dass dieses Qualitätsprodukt eine Zukunft hat.

Beim öffentlichen Personennahverkehr geht es um vieles. Es geht um die Gewährleistung der Mobilität unserer Bürgerinnen und Bürger. Es geht um den Schutz der Umwelt, um die Lebensqualität in unseren Städten, in den Wohngebieten, und es geht nicht zuletzt auch um die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg.

Man muss sich die erfolgreiche Entwicklung beim ÖPNV in den vergangenen zehn Jahren immer wieder vor Augen halten. Schnell wird vergessen, in welchem Zustand, von welcher Qualität der öffentliche Personennahverkehr war, bevor er im Jahr 1996 in die Zuständigkeit des Landes kam. Seither sind 1,6 Milliarden € an Zuschüssen für die Infrastruktur geflossen, 1,1 Milliarden € für die Beschaffung neuer Fahrzeuge für Schiene und Straße. Wir haben ein fast flächendeckendes Netz von bürgernahen Verkehrsverbünden und vor allem ein Nahverkehrsangebot der Eisenbahnen, das aus dem Schatten der jahrzehntelangen Abwärtsspirale herausgetreten ist. Landesweit gilt weitgehend der Integrale Taktfahrplan. Wir haben moderne, komfortablere, schnellere und wesentlich häufiger verkehrende Züge und vor allem – das ist die Erfolgsbilanz dieser zehn Jahre – 50 % mehr Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr. Bundesweit haben wir eine Zunahme um knapp 35 %; bei uns im Land beträgt die Zunahme etwa 50 %.

Das Ergebnis: Der öffentliche Personennahverkehr ist aus dem Aschenputteldasein herausgetreten und ist zu einem Vorzeigeprodukt verändert worden, und zwar in der Zuständigkeit des Landes. Das ist für mich ein Beleg nicht nur dafür, dass Konnexität zwischen Bund und Land funktionieren kann, sondern vor allem auch dafür, dass das Subsidiaritätsprinzip ein guter Ratgeber für die Politik ist. Wenn Probleme bürgernah gelöst werden können, entsteht auch für die Bürger ein besseres Ergebnis.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat dies alles seinen Preis. Erhebliche Beträge fließen Jahr für Jahr aus dem Landeshaushalt in den ÖPNV. Einen wesentlichen und entscheidenden Anteil daran haben die Regionalisierungsmittel. Baden-Württemberg erhält derzeit rund 750 Millionen € pro Jahr. Diese Regionalisierungsmittel dienen der Gewährleistung des Schienenpersonennahverkehrs und der Weiterentwicklung und Verbesserung des gesamten öffentlichen Personennahverkehrs. Dafür und nur dafür – und ich bin Ihnen, lieber Herr Kollege Göschel, auch dankbar dafür, dass Sie als Vertreter einer Oppositionsfraktion das hier so offen zugeben – werden diese Regionalisierungsmittel bei uns in Baden-Württemberg verwendet.

Allerdings ist es auch so – und auch da können wir uns mit anderen deutschen Ländern vergleichen lassen –, dass wir nicht nur jeden Euro, der für Regionalisierungsaufgaben im Land eingeht, auch dafür einsetzen, sondern noch 400 Millionen € Landesmittel vor allem für den Schüler- und Ausbildungsverkehr ergänzend und stärkend für den öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung stellen.

Wir alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, kennen die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte, auch des Landeshaushalts. Dieser Landeshaushalt zwingt zu neuen Einsparungsrunden. Alle Politikbereiche müssen ihren Beitrag dazu leisten. Das hat zur Folge, dass wir beim weiteren Ausbau des ÖPNV an Grenzen gestoßen sind.

Nachvollziehbar ist auch, dass die Bundesregierung bei ihrer Finanzplanung vor viel dramatischeren Problemen steht als wir im Land. Deshalb kann es überhaupt nicht überraschen, dass die Regionalisierungsmittel in den Blickpunkt der Haushälter und des Bundesfinanzministers geraten sind.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Warum nicht die Straßenbaumittel?)

Wenn der Bund jährlich 7 Milliarden € für einen bestimmten Zweck zur Verfügung stellt, ist es – vor allem dann, wenn es Vermutungen gibt, dass die Regionalisierungsmittel nicht überall zweckgebunden eingesetzt werden – auch legitim, die Verwendung dieser Mittel zu überprüfen. Dazu gibt es im Regionalisierungsgesetz das Instrument der Revision. Die Überprüfung war für das Jahr 2007 vorgesehen, mit möglichen Veränderungen ab dem Jahr 2008. Dieses Regionalisierungsgesetz ist noch immer aktuell. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hat im Namen aller Ministerpräsidenten in einem Brief vom 3. Februar genau darauf hingewiesen und eingefordert, das Datum 2007/2008 im Auge zu behalten und dann die Karten auf den Tisch zu legen. Wir haben in Baden-Württemberg überhaupt kein

(Staatssekretär Köberle)

Problem, unsere Karten und die Fakten zu unserem öffentlichen Personennahverkehr auf den Tisch zu legen.

Aber – das will ich hier auch in aller Deutlichkeit sagen; da haben wir, glaube ich, zumindest in der Marschrichtung dann doch wieder fraktionsübergreifend weitgehend Einigkeit – wir können keine Kürzungen gutheißen, die allein haushaltspolitisch begründet werden und dabei verkehrspolitische Konsequenzen außen vor lassen. Wir können auch keine Kürzungen gutheißen, die uns so kurzfristig treffen, dass wir nicht mehr angemessen – das heißt mit Augenmaß und mit verkehrspolitischer Vernunft – darauf reagieren können.

Lieber Herr Palmer, Sie sind ja seit einiger Zeit unterwegs, um uns Wahltäuschung vorzuwerfen – schauen Sie in Ihre Presseerklärungen – und vor allem um Stimmung zu machen. Jetzt will ich noch einmal in aller Kürze auf die Tatsachen hinweisen, die, Stand heute, bestehen. Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung enthält keine konkreten Festlegungen zur Kürzung der Regionalisierungsmittel.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Das habe ich Ihnen doch vorgelesen!)

In der Summe gibt es drei Bereiche; es gibt aber keine Angaben über den Zeitpunkt und die Aufteilung sowie über eventuelle Steigerungen. Das ist sehr wohl klar.

(Zuruf des Abg. Boris Palmer GRÜNE)

Die Koalitionsvereinbarung beziffert lediglich die Gesamtsumme der geplanten Einsparungen bei den Regionalisierungsmitteln, der regionalen Wirtschaftsförderung und im Bereich der Landwirtschaft.

Inzwischen ist ja klarer geworden – wenn dies auch nicht auf die gesamte Bundesregierung zutrifft –, dass der Bundesfinanzminister die Absicht hat, bei den Regionalisierungsmitteln 2,3 Milliarden € einzusparen. Hierüber wird bei der morgigen Kabinettssitzung beraten und wahrscheinlich auch entschieden. Wir wissen jetzt auch, wie durch den Bundesfinanzminister der Einstieg geplant ist und wie sich die einzelnen Kürzungsraten dann aufbauen. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind richtig; so sind sie vom Bundesfinanzminister vorgelegt worden. In der Summe bedeutet das für Baden-Württemberg bis zum Jahr 2009 ein Minus von 240 Millionen €.

Erst nach dieser Kabinettsentscheidung wissen wir ganz konkret, wie viele Regionalisierungsmittel wir künftig zur Verfügung haben – nein, nicht unmittelbar nach der Kabinettsentscheidung, sondern dann, wenn der parlamentarische Prozess abgeschlossen ist und wenn die Beratung im Bundesrat und eventuell im Vermittlungsausschuss erfolgt ist. Ich könnte mir vorstellen, dass ein derart komplexes und schwieriges Thema geradezu geboren ist für eine Beratung im Vermittlungsausschuss.

(Abg. Oelmayer GRÜNE: Wer vermittelt denn da wem?)

Zweitens zu der Streichliste, mit der Sie, Herr Palmer, ständig arbeiten. Bevor die Landesregierung reagiert, muss sie natürlich wissen, worauf sie reagieren soll. Man kann den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun.

Es gibt bei uns keine geheimen Kürzungspläne. Es gibt aber sehr wohl Überlegungen, welche Auswirkungen unterschiedliche Kürzungsszenarien bei den Regionalisierungsmitteln auf Baden-Württemberg hätten

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Was ist da jetzt der Unterschied?)

und welche Möglichkeiten es dabei gibt, auf Kürzungen zu reagieren. Würden wir diese Überlegungen nicht anstellen – wir haben sie angestellt, als eine Milliarde im Raum stand, nicht erst heute, aufbauend auf neuen Zahlen, sondern schon vor Monaten –, würden wir unserer Verantwortung nicht gerecht werden.

(Abg. Boris Palmer GRÜNE: Machen Sie doch mal öffentlich, was Sie da überlegen!)

Eines ist klar: Würden am Ende des nun beginnenden politischen Prozesses die geplanten Kürzungen wirklich kommen, hätte dies wahrlich gravierende Auswirkungen auf den öffentlichen Personennahverkehr in Baden-Württemberg. Sowohl bei der Förderung von Investitionen als auch bei der Bestellung von Schienenpersonennahverkehr wären dann deutliche Kürzungen notwendig. Verkehrspolitisch wäre das – ich sage es nochmals – nicht zu rechtfertigen.

Ziel muss es sein, ein Ergebnis zu erreichen, das sowohl verkehrspolitisch als auch haushaltspolitisch – aber nicht allein haushaltspolitisch – zu vertreten ist. Wir brauchen Steinbrück und Tiefensee. Es ist doch nicht nur Steinbrück allein, der vorgibt, was in der Verkehrspolitik der Bundesrepublik Deutschland zu geschehen hat.