Protocol of the Session on February 1, 2006

In vielen Ländern, jede Menge. Es werden zurzeit 60 Kernkraftwerke rund um den Erdball gebaut.

(Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Wo werden denn neue gebaut?)

Auch in Frankreich, auch in Finnland beispielsweise.

(Abg. Schmiedel SPD: Im Iran! – Abg. Dr. Witzel GRÜNE: Das ist ein Beispiel, das Sie haben! Nur eines wird echt gebaut! – Abg. Knapp SPD: Das andere sind echte Hirngespinste! – Abg. Walter GRÜNE: Stimmen Sie zu, dass diese Kästen hoch subventioniert sind?)

Nein, es sind 60. Ich weiß, dass das ein Thema ist, bei dem Sie emotional besonders berührt sind. Aber hören Sie sich das halt einmal an.

Wir haben jede Menge Zubau rund um den Erdball,

(Abg. Walter GRÜNE: Wo denn? Beispiele nen- nen!)

und wir haben in anderen Ländern nicht nur diese Diskussion; sondern auch die Diskussion über die Verlängerung von Laufzeiten. Das heißt, was wir hier tun, entspricht nicht dem generellen Trend, sondern wir sind energiepolitisch im Weltmaßstab eigentlich eher der Geisterfahrer als der Trendsetter.

Zweitens: Die Energiepreise sind in der Zwischenzeit gestiegen.

Drittens: Das Thema Versorgungssicherheit ist ein massives Thema geworden. Das, was wir mit Gazprom erlebt haben, ist ja nur ein kleiner Mosaikstein in einem Markt, der immer mehr dadurch gekennzeichnet ist, dass der Weltenergiebedarf ständig steigt und die Auseinandersetzungen um die Energiequellen zunehmen. Uran gehört zu den verlässlichen Energiequellen.

Viertens: Wir haben einen liberalisierten Markt und einen Markt, der zu gleicher Zeit die EnBW besonders berührt. Denken wir beispielsweise an die Benachteiligung der EnBW beim Zertifikatehandel.

Fünftens: Wir müssen auch einmal sehen, wie die Energieversorgungsunternehmen mit dem Thema Ausstieg bislang umgegangen sind. Was ist die Reaktion der Energieversorgungsunternehmen? Sie schildern hier politisch etwas, was Sie gern hätten, was aber numerisch, also quantitativ nicht stimmt und finanziell – nämlich was die Kosten anbelangt – gleichfalls nicht stimmt.

Was die Energieversorgungsunternehmen wirklich tun, sind zwei Dinge: Erstens wollen sie sich stärker auf fossile Energieträger konzentrieren und entsprechende Kraftwerke bauen, und zweitens wollen sie mehr Strom importieren. Das sind die tatsächlichen Reaktionen der EVUs, nicht das, was wir hier im Parlament diskutieren. Zu den Kraftwerken für fossile Rohstoffe zählen übrigens unter anderem gerade auch die Gaskraftwerke – Sie haben das ja selbst erwähnt –, und deshalb sollten Sie nicht mit dem heutigen geringen Gasanteil operieren. Sie wollen ja auch, dass in der Zukunft mehr Gas verwandt wird. Das bedeutet aber auch einen zusätzlichen CO2-Ausstoß – wenn auch weniger als bei Kohle; das räume ich ein – und setzt genau an dem Punkt an, der besonders heikel ist, nämlich der Versorgungssicherheit.

Und schließlich: Die volkswirtschaftliche Situation hat sich geändert, und auch die Situation im Klimaschutz hat sich geändert.

Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen muss man die Entscheidung des Jahres 2002 kritisch auf den Prüfstand stellen.

(Dem Redner wird das Ende seiner Redezeit ange- zeigt.)

Jetzt sind, scheint es, meine ersten fünf Minuten herum. Den Rest werde ich in meinen zweiten fünf Minuten vortragen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Kretsch- mann GRÜNE)

Das Wort erhält Herr Abg. Drexler.

Herr Müller, wenn wir von ungeklärten Fragen sprechen, muss ich sagen, dass Sie jetzt eine ganze Reihe ungeklärter Fragen aufgeworfen haben. Sie wissen doch genau, dass die Internationale Energieagentur die Verfügbarkeit von Natururan auf gerade einmal 40 bis 60 Jahre schätzt.

(Abg. Müller CDU: Das stimmt nicht!)

Natürlich! Diese offizielle Mitteilung gibt es und wird im Übrigen auch von der Bundesregierung verbreitet, von der von unseren beiden Parteien gemeinsam gestellten Bundesregierung.

Wenn Sie nicht in die Schnelle-Brüter-Technologie einsteigen wollen – ich gehe nicht davon aus, dass Sie das wollen; in Kalkar gibt es davon eine 10-Milliarden-DM-Ruine –, dann bleibt überhaupt nichts anderes übrig, muss ich Ihnen sagen, als aus dieser Technologie auszusteigen.

Öl ist noch rund 80 Jahre lang billig förderbar, wobei wir unter „billig förderbar“ einen Preis von rund 60 Dollar pro Barrel verstehen. Aus der Ölnutzung müssen wir langfristig auch aussteigen. Das müssten doch auch Sie sehen. Da ist doch nichts mehr drin. Also müssen wir uns doch gemeinsam auf eine Alternative verständigen.

Uran ist keine Alternative; jedes weitere Kraftwerk wird uns Schwierigkeiten machen – selbst wenn es in China gebaut wird –, weil wir bald kein natürliches Uran mehr haben.

Im Übrigen will ich Ihnen, weil Sie immer auf die Preise schauen, auch noch sagen, dass China und Indien im letzten Jahr Uran und Öl massiv eingekauft haben, bis zu 10 % mehr. Die sind in der Zwischenzeit unsere größten Konkurrenten. Also war doch das, was die alte Bundesregierung gemacht hat, richtig: Raus aus dem Öl und raus aus der Kernenergienutzung, weil das Atom-Uran nicht mehr lange reicht.

(Abg. Müller CDU schüttelt den Kopf.)

Natürlich! Sie können doch nicht eine ganze Volkswirtschaft auf ein falsches Pferd setzen.

Jetzt können wir uns darüber unterhalten, ob wir, wenn wir jetzt abschalten, die Umstellung auf erneuerbare Energien, die Erhöhung der Energieeffizienz und Energieeinsparungen schneller schaffen als wenn wir das tun, was Sie verkünden, nämlich die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen und die Gewinne abzuschöpfen und den erneuerbaren Energien zugute kommen zu lassen, damit die schneller kommen. Das geht überhaupt nicht.

(Abg. Alfred Haas CDU: Wieso nicht?)

Das geht nach der EU-Richtlinie nicht. Das sagt die Bundesregierung. Lesen Sie das doch einmal! Die Bundesregierung hat ein Schreiben an Frau Merkel vorliegen, in dem die EVUs klar erklärt haben, dass der Strompreis unabhängig davon gemacht wird, wie lange die Atomkraftwerke noch laufen. Das heißt doch nichts anderes, als dass sie sich da nicht hineinreden lassen wollen. Was soll denn die Debatte?

(Abg. Alfred Haas CDU: Abwarten!)

Sie werden auch kein Geld in erneuerbare Energien investieren.

(Abg. Alfred Haas CDU: Abwarten!)

Was heißt hier „Abwarten“? Das steht im Koalitionsvertrag drin.

Jetzt komme ich noch zu etwas anderem, was mir großes Kopfzerbrechen bereitet: Es wird überhaupt nichts verändert. Deswegen ist das hier ja eine Geisterdebatte. Es wird gar nichts verändert! Und wenn Herr Oettinger oder die baden-württembergische CDU so viel in die Kernkraft investieren wollte, hätte er wenigstens bei den Koalitionsverhandlungen dabei sein sollen. Wissen Sie, wer aufseiten der CDU mit der SPD in die Koalitionsverhandlungen gegangen ist?

(Zuruf von der SPD)

Doch, das interessiert: Müller, Saarland; Thoben, NRW; Riesenhuber MdB; Schauerte MdB und Wiesheu, Bayern. Da hätte ich schon erwartet, dass unser Ministerpräsident, der erklärt, wir könnten nur mit längeren Laufzeiten überleben, sich dort an den Koalitionsverhandlungen beteiligt und die Argumente der regierenden CDU und der FDP/DVP Baden-Württembergs mit einbringt.

(Zurufe der Abg. Alfred Haas CDU und Braun SPD)

Aber lassen Sie mich das noch sagen: Die EVUs haben vor drei Tagen erklärt, sie bauten bis 2011 Kraftwerkskapazitäten im Umfang von 11 000 Megawatt. Ich glaube, Herr Kollege Kretschmann hat vorhin einmal die Liste hochgehoben, wo diese neuen Kraftwerkseinheiten überall stehen – nur nicht bei uns. Man findet sie schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen; dort wird erneuert, obwohl natürlich auch bei uns neue Kraftwerke gebaut werden müssen.

(Zurufe der Abg. Alfred Haas CDU und Schmiedel SPD)

11 000 Megawatt! 2009 wird Neckarwestheim abgeschaltet mit gerade einmal 800 Megawatt.

(Abg. Alfred Haas CDU: Die laufen dann 40 Jah- re!)

Erzählen Sie hier doch nicht, wir müssten Strom zukaufen; erzählen Sie nicht, die Stromversorgung bräche zusammen. Das ist lächerlich bei einem Verhältnis von 800 gegenüber 11 000 Megawatt.

Jetzt frage ich Sie: Warum setzen Sie eigentlich Ihr eigenes Gutachten nicht um, das im Wirtschaftsministerium liegt? Herr Döring hat 2001 ein Gutachten in Auftrag gegeben – er wollte beweisen, dass der Ausstieg nicht möglich ist –, und in diesem Gutachten, das unter anderem vom Fraunhofer-Institut stammt, steht, dass man in Baden-Württemberg aussteigen kann und dass die Klimaschutzziele dabei eingehalten werden. Man müsse bloß damit anfangen, systematisch umzusteuern.

(Zuruf des Abg. Müller CDU)

Warum setzen Sie das nicht um? Sie haben das nie umgesetzt. Dieses Gutachten ist sofort in der Schublade ver

schwunden und nie zur Diskussion gestellt worden. Wir haben es dann über Umwege bekommen.

(Minister Pfister: Es steht im Internet! – Gegenrufe von der SPD: Jetzt! Am Anfang nicht!)

Es steht auch im Internet, aber Sie setzen es nicht um. Sie, Herr Pfister, erzählen überall, das ginge nicht. Der Herr Ministerpräsident erzählt ebenfalls überall, das ginge nicht. Selbstverständlich geht das – wenn Sie nur wollten. Sie haben fünf Jahre lang nichts gemacht. In den fünf Jahren seit dem Erscheinen des Gutachtens haben Sie nichts umgesetzt.

Sehen Sie sich einmal die erneuerbaren Energien im Strombereich an: Es gibt 16 000 Windenergieanlagen in Deutschland – bei uns gerade einmal 250, weil Sie diese Entwicklung systematisch behindert haben. Der Anteil des Stroms aus Solaranlagen und aus der Windkraft beträgt in BadenWürttemberg 0,3 %. In ganz Deutschland macht allein die Windkraft fast 6 % aus. Was soll dann das Theater, das Sie hier aufführen? Sie investieren gerade einmal in die Große Wasserkraft, und nicht einmal die haben Sie im Bundestag unterstützt. Sie wurde von der rot-grünen Bundesregierung durchgesetzt. Herr Müller, Sie wissen das doch. Sie haben doch in Ihrer Bundestagsfraktion noch dafür geworben, dass zugestimmt wird. Es ist nicht gemacht worden.