Ulrich Müller

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Herr Minister, wären Sie bereit, den Abgeordneten Göschel und Drexler bei der Suche nach einem Arbeitsplatz für eine Woche im Straßenbau behilflich zu sein – gegebenenfalls auch uns beiden, Herrn Scheuermann und mir? Wir würden dann zwei Wochen gehen, wenn wirklich die 330 Millionen € kommen würden.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich habe Ihr Flugblatt dabei, ja. Sie sehen es. Darin gibt es übrigens einen Unterschied zwischen den Grünen und Ihnen. Herr Kretschmann sagt, dass keine 40 Millionen € für die Windkraft investiert würden. Sie sagen, es wären jährlich 300 Millionen €. Mein lieber Scholli! Mit solchen Flugblättern – –
Ja, ja. Das ist schon recht. Aber von 40 Millionen € auf 300 Millionen € zu kommen, und das auch noch jährlich, ist ein ganz schönes Kunststück. Ich wollte das als ganz kleines Beispiel für Polemik mitbringen.
Aber jetzt zur Sache. Meine Damen und Herren, ich will einmal mit dem ganz einfachen Satz anfangen: Die Kernkraft hat in der Bundesrepublik Deutschland bislang 30 % der Stromversorgung ausgemacht, in Baden-Württemberg bis vor kurzem 59 %, nach dem Abschalten von Obrigheim mittlerweile 55 %.
Wer aussteigt, muss auch einsteigen. Wer beschlossen hat, dass wir die Stromversorgung um diese erheblichen Anteile reduzieren, der muss Antworten finden auf die Fragen, die sich daraus ergeben.
Herr Schmiedel, die Fragen zur Versorgungssicherheit, zu den Arbeitsplätzen, zu den Strompreisen und zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen stellen sich vor allem denjenigen, die diesen Ausstieg produziert haben.
Sie müssten eigentlich die Antworten geben.
Es gibt jede Menge offene Fragen. Es gibt berechtigte Fragen. Es gibt ungeklärte Fragen. Diese Fragen stellen sich vor allem Ihnen.
Herr Kretschmann, wenn Sie mit solchen Begriffen wie „Stromsparen“ operieren: einverstanden, überhaupt nichts dagegen.
Regenerative Energien: einverstanden.
Ohne weiteres, gar nichts dagegen. Ich habe sogar aktiv etwas dafür getan.
Dann müssen Sie aber irgendwo auch einmal Zahlen hinzufügen. Da können Sie nicht einfach sagen, dass wir in Deutschland 30 % oder in Baden-Württemberg 60 % der Stromversorgung einfach durch Stromsparen und regenerative Energien ausgleichen können.
Ich komme noch auf einige Zahlen zu sprechen. So einfach geht es nicht.
Ich will Ihnen zunächst einmal sagen: Was ist eigentlich seit dem Beschluss über den Atomausstieg im Jahre 2002 alles anders geworden? Was hat sich in der nationalen und der internationalen Energiepolitik geändert? Dabei will ich noch eines dazusagen: Baden-Württemberg ist von diesem Ausstieg ganz besonders betroffen. Das ist wirklich ein landespolitisches Thema erster Güte, weil der Kernkraftanteil bei uns doppelt so hoch ist wie in der gesamten Bundesrepublik.
Die Lage hat sich geändert, und zwar erstens in Bezug auf die Einstellung zur Kernkraft. Sie glauben immer, Sie machen der deutschen Öffentlichkeit und der hiesigen Öffentlichkeit weis, wir seien Anhänger einer überkommenen Technologie und Sie seien der Fortschritt.
Ja. Ich sag’s ja. Sie machen das der Öffentlichkeit weis.
Jetzt will ich Ihnen nur einmal sagen: Im internationalen Maßstab ist es genau umgekehrt: Die Kernkraft erlebt eine Renaissance.
In vielen Ländern, jede Menge. Es werden zurzeit 60 Kernkraftwerke rund um den Erdball gebaut.
Auch in Frankreich, auch in Finnland beispielsweise.
Nein, es sind 60. Ich weiß, dass das ein Thema ist, bei dem Sie emotional besonders berührt sind. Aber hören Sie sich das halt einmal an.
Wir haben jede Menge Zubau rund um den Erdball,
und wir haben in anderen Ländern nicht nur diese Diskussion; sondern auch die Diskussion über die Verlängerung von Laufzeiten. Das heißt, was wir hier tun, entspricht nicht dem generellen Trend, sondern wir sind energiepolitisch im Weltmaßstab eigentlich eher der Geisterfahrer als der Trendsetter.
Zweitens: Die Energiepreise sind in der Zwischenzeit gestiegen.
Drittens: Das Thema Versorgungssicherheit ist ein massives Thema geworden. Das, was wir mit Gazprom erlebt haben, ist ja nur ein kleiner Mosaikstein in einem Markt, der immer mehr dadurch gekennzeichnet ist, dass der Weltenergiebedarf ständig steigt und die Auseinandersetzungen um die Energiequellen zunehmen. Uran gehört zu den verlässlichen Energiequellen.
Viertens: Wir haben einen liberalisierten Markt und einen Markt, der zu gleicher Zeit die EnBW besonders berührt. Denken wir beispielsweise an die Benachteiligung der EnBW beim Zertifikatehandel.
Fünftens: Wir müssen auch einmal sehen, wie die Energieversorgungsunternehmen mit dem Thema Ausstieg bislang umgegangen sind. Was ist die Reaktion der Energieversorgungsunternehmen? Sie schildern hier politisch etwas, was Sie gern hätten, was aber numerisch, also quantitativ nicht stimmt und finanziell – nämlich was die Kosten anbelangt – gleichfalls nicht stimmt.
Was die Energieversorgungsunternehmen wirklich tun, sind zwei Dinge: Erstens wollen sie sich stärker auf fossile Energieträger konzentrieren und entsprechende Kraftwerke bauen, und zweitens wollen sie mehr Strom importieren. Das sind die tatsächlichen Reaktionen der EVUs, nicht das, was wir hier im Parlament diskutieren. Zu den Kraftwerken für fossile Rohstoffe zählen übrigens unter anderem gerade auch die Gaskraftwerke – Sie haben das ja selbst erwähnt –, und deshalb sollten Sie nicht mit dem heutigen geringen Gasanteil operieren. Sie wollen ja auch, dass in der Zukunft mehr Gas verwandt wird. Das bedeutet aber auch einen zusätzlichen CO2-Ausstoß – wenn auch weniger als bei Kohle; das räume ich ein – und setzt genau an dem Punkt an, der besonders heikel ist, nämlich der Versorgungssicherheit.
Und schließlich: Die volkswirtschaftliche Situation hat sich geändert, und auch die Situation im Klimaschutz hat sich geändert.
Vor dem Hintergrund all dieser Entwicklungen muss man die Entscheidung des Jahres 2002 kritisch auf den Prüfstand stellen.
Jetzt sind, scheint es, meine ersten fünf Minuten herum. Den Rest werde ich in meinen zweiten fünf Minuten vortragen.
Herr Kollege Kretschmann, es müsste Ihnen doch vielleicht auffallen, dass die Vorstellung, dass man allein durch Stromsparen bei Aufzügen zwei Kernkraftwerke ersetzen kann, ein bisschen theoretisch ist. Das ist ein theoretisches Potenzial.
Aber es handelt sich dabei um den klassischen Fall einer Milchmädchenrechnung.
Die Realität ist ganz einfach: Die EVUs setzen seit dem Beginn des Ausstiegs aus der Atomenergie entweder auf mehr fossile Energieträger – das wiederum führt zu einem Klimaschutzproblem –, oder sie importieren Strom. Das ist die Realität. Alles andere ist „nice to have“. Das sind die Stellen
ja, ja – hinter dem Komma. Sie müssen einmal die Größenordnungen sehen. Wir reden immerhin über 30 % der Stromproduktion Deutschlands bzw. 60 % der Baden-Württembergs.
Jetzt will ich aber einmal schildern, worum es eigentlich konkret geht. Da muss man zwei Dinge auseinander halten.
Es geht auf der einen Seite um den demnächst vermutlich zu stellenden Antrag der EnBW. Dabei handelt es sich um eine Kontingentübertragung
im Rahmen des geltenden Rechts. Da hat die Politik in einem bestimmten Umfang zu entscheiden. Aber das Recht muss nicht geändert werden.
Das Atomgesetz sieht ja drei Fälle vor.
Von einem alten Atomkraftwerk auf ein neues zu übertragen ist ohne Genehmigung möglich.
Ich schildere es nur.
Der zweite Fall ist die Übertragung von einem neuen Atomkraftwerk auf ein altes. Das ist möglich.
Das ist Ihr Gesetz. Ich kann es nicht ändern.
Aber der Quatsch steigert sich noch, Herr Kretschmann. Ich werde Ihnen gleich etwas schildern, was Sie möglicherweise gar nicht kennen. Das ist dann wirklich Quatsch.
Kontingente von einem neuen Atomkraftwerk auf ein altes zu übertragen setzt die Genehmigung durch das Bundesumweltministerium voraus – unter Zustimmung des Bundeskanzleramts. Man hatte seine Erfahrungen mit Trittin und hat deswegen noch das Kanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium eingeschaltet.
Dann gibt es einen dritten Fall, und der ist bemerkenswert. Sie können nämlich auch ohne Genehmigung von einem neuen auf ein altes Atomkraftwerk übertragen, wenn Sie das neue stilllegen. Wenn EnBW heute sagt: „GKN II ist das neue, und GKN I ist das alte, wir machen das neue zu“, dann kann sie die gesamte Strommenge aus GKN II ohne Genehmigung auf GKN I übertragen.
Ich will das nicht. Das ist in der Tat Blödsinn. Aber das ist nach dem von Rot-Grün beschlossenen Atomgesetz ohne Genehmigung möglich.
Das würde praktisch bedeuten, dass GKN I bis zum Jahr 2038 laufen könnte. Ich will das nicht.
Ja, es war Rot-Grün. Ich kann es nicht ändern.
Ich schildere Ihnen diese Möglichkeit – das stört Sie jetzt, ich kann es verstehen – nicht deswegen, weil ich sie empfehlen wollte, sondern weil ich Ihnen damit die Philosophie des Atomausstiegsgesetzes deutlich machen will. Sie heißt: Auf jeden Fall soll etwas abgeschaltet werden. Es geht nicht um die Frage: Sind die alten sicherer als die neuen?
Sonst hätten Sie diesen Unsinn nicht erlauben können.
Das zeigt ganz deutlich, wohin die Reise in Ihrem Gesetz gegangen ist. Es geht nicht um mehr oder weniger Sicherheit, sondern darum, dass Atomkraftwerke vom Netz gehen.
Genau in dem Moment, in dem die EnBW diesen Antrag in Aussicht stellt, zieht – ganz geheimnisvollerweise und überraschenderweise – Gabriel wieder einmal die Sicherheitskarte, treibt das Spiel mit der Angst.
Um es ganz konkret zu sagen: Er meint, es gehe um die Terrorsicherheit von Kernkraftwerken,
ein Tatbestand, den wir seit Jahren kennen, nämlich konkret seit dem 11. September 2001, ein Tatbestand, auf den Trittin reagiert hat und auf den übrigens auch die Luftsicherheit reagiert hat. Wir haben jede Menge – –
Warten Sie ab. Es war Ihr Koalitionsfreund, der gesagt hat: Damit haben wir das Problem gelöst.
Er sagte es so, zu meiner Überraschung. Herr Schmiedel und Herr Drexler, ich kann mich sehr gut erinnern: Als wir das erste Mal von der Vernebelung von Kernkraftwerken gesprochen haben, da haben Sie mir alles Mögliche vorgehalten – ich sei benebelt usw. Jetzt hat es Trittin auf seine alten Tage gemacht.
Ich stelle nur fest: Damit bekommen wir eine deutliche Verbesserung der Sicherheit gegenüber angreifenden Flugzeugen. Die abstürzenden Flugzeuge sind ohnehin nicht das Problem, es sind die angreifenden Flugzeuge.
Die Trefferwahrscheinlichkeit sinkt, verglichen mit einem Angriff ohne Nebel, von 100 % auf 6 %. Das ist eine deutliche Verbesserung.
Die zweite Verbesserung ergibt sich aus der Verbesserung der Luftsicherheit. Ob es heute überhaupt noch ein Flugzeug geben kann, das im Stile des 11. September als Bombe eingesetzt werden kann, sei die Frage.
Ich schildere dies alles nur deswegen, weil genau in diesem Moment ein Sicherheitsargument vorgebracht wird, indem man das erste Mal eine Entscheidung treffen müsste. Diese Entscheidung wird anstehen. Die Kontingentübertragung ist also das eine.
Das Zweite ist das, wofür der Ministerpräsident mit Unterstützung des Kabinetts und der beiden Regierungsfraktionen wirbt, nämlich die Laufzeitenverlängerung. Das ist nur unter der Voraussetzung der Zustimmung der SPD möglich. Es steht nun einmal anders im Gesetz, es steht bis zur Stunde leider auch anders im Koalitionsvertrag. Das ist wohl wahr. Deswegen werben wir dafür.
Wir werben für diese Laufzeitenverlängerung, weil wir Zeit und Geld gewinnen wollen und weil wir Know-how für eine bessere Energieversorgung in der Zukunft gewinnen wollen. Wenn wir die heutige Zeit überbrücken können, indem die heutigen Kernkraftwerke etwas länger laufen, dann ist das ein Vorteil.
Wir kämpfen darum, weil Baden-Württemberg besonders betroffen ist. Es ist ein Standortnachteil für Baden-Württemberg, wenn bei uns so schnell wie geplant abgeschaltet werden soll.
Wir kämpfen auch im Interesse des Klimaschutzes. Das will ich Ihnen an zwei Zahlen deutlich machen. Wir sind uns wohl darin einig, dass wir mehr Kraftwerke brauchen – jetzt einmal vom Energiesparen abgesehen –, die CO2-frei produzieren. Jetzt nehme ich konkret das Beispiel GKN I, also das Kernkraftwerk, das als Nächstes zur Abschaltung anstünde, nämlich im Jahr 2009, dessen Stromproduktion unbestritten CO2-frei ist, und setze es in Bezug
dann bestreiten Sie das, okay – zu dem großen Wasserkraftwerk Rheinfelden: Wir bräuchten zehn große Wasserkraftwerke im Stil von Rheinfelden, um allein auf plus/minus null zu kommen. Wir wollen aber mehr an CO2-freier Stromproduktion haben. Das heißt, erst ab dem elften Kraftwerk in der Größenordnung von Rheinfelden würden wir etwas für den Klimaschutz tun. Das zeigt doch die Absurdität der ganzen Veranstaltung.
Ich kann das auch an einem anderen Beispiel deutlich machen. Sie haben vorhin davon gesprochen – völlig zu Recht –, der heutige CO2-Ausstoß – –
Ich muss zum Ende kommen.
Jawohl. Aber da haben Sie ja Erfahrung mit mir, Herr Präsident.
Laufzeitbegrenzung für Müller, okay.
Ein letzter Hinweis, jetzt auf Baden-Württemberg bezogen: Schalten wir Obrigheim, GKN I und Philippsburg 1 ab, dann steigt die CO2-Emission in Baden-Württemberg schon unter Berücksichtigung von relativ manierlichen fossilen Kraftwerken, die an deren Stelle gesetzt werden, um jährlich ungefähr 12 Millionen Tonnen. Gemessen daran, dass wir in ganz Baden-Württemberg einen CO2-Ausstoß von 79 Millionen Tonnen haben, ist das eine massive Steigerung.
Und jetzt sage ich: Ökonomisch, ökologisch, versorgungssicherheitsmäßig und arbeitsplatzmäßig redet die ganze Welt darüber, dass Laufzeiten verlängert werden müssen.
Kommen Sie aus den Schützengräben der Achtziger- und der Neunzigerjahre heraus,
und versuchen Sie, vernünftige Politik für die Zukunft zu machen.
Vielen Dank.
Meine erste Zwischenfrage seit Jahren!
Herr Kollege Knapp, wenn Sie dartun, dass in Baden-Württemberg der Kernkraftanteil besonders hoch ist und die Strompreise besonders hoch sind, und Sie daraus ableiten, dass Kernkraftnutzung deswegen offensichtlich die teuerste Stromversorgungsart sein sollte – das ist ja die Suggestion, die Sie damit auslösen wollen –, frage ich Sie: Wie erklären Sie sich – ich lasse jetzt einmal die wirklichen Strompreise weg –, dass beispielsweise jede Menge, nämlich alle Varianten der regenerativen Energien über das Energieeinspeisegesetz mit erheblichen Subventionen versehen sein müssen?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe nur eine Bitte: dass mir die Redezeit, die ich jetzt nicht in Anspruch nehme, in der nächsten Legislaturperiode gutgeschrieben wird.
Ich habe nur eine ganz simple Frage: Herr Kollege Drexler, wären Sie bereit und in der Lage, mit den Geschäftsführern des Flughafens Stuttgart, Herrn Fundel und Herrn Schoefer, über die von Ihnen aufgestellte These der Verlagerbarkeit einmal ein Informationsgespräch zu führen?
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Von allen Rednern ist gesagt worden, dies sei eine notwendige Debatte. Sie ist erstens deswegen notwendig, weil wir es mit einem massiven Problem zu tun haben und weil die Politik selbst dann, wenn sie noch nicht die Rezepte zum Handeln hat, jedenfalls die Aufgabe der Thematisierung hat. Das leisten wir hier.
Zweitens: Wir alle sind in der Diagnose stärker als in der Therapie.
Das sollten wir ganz nüchtern sehen, und wir sollten all denjenigen in der wissenschaftlichen Forschung dankbar sein, die uns zur Diagnose befähigen. Vieles von dem, was gesagt worden ist, muss man nicht wiederholen. Die Ausführungen von Herrn Professor Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut in Niedersachsen, die Herr Bayer vorgetragen hat, kann ich nur unterstreichen. Die Ergebnisse sind so, wie sie Kollege Bayer wiedergegeben hat, und wir werden auf diesem Gebiet noch weitere Forschungen anstellen müssen.
Gleichzeitig müssen wir aber auch sagen: Wir haben eine gewisse Hilflosigkeit, eine gewisse Hilflosigkeit deswegen, weil es sich um ein Problem in den Wohnzimmern und Kinderzimmern unserer Familien handelt.
An diesen Bereich können bzw. wollen wir nur bedingt herankommen, aber in dieser Frage muss zu gleicher Zeit etwas geschehen. Das ist das Dilemma, vor dem wir stehen.
Die Debatte ist auch deswegen sinnvoll, weil sie in einer erfreulichen Weise praktisch eine Übereinstimmung unter allen vier Fraktionen gezeigt hat. Dieses Thema eignet sich nicht zur parteipolitischen Profilierung. Ich kann eigentlich auch alles unterstreichen, was die Vertreter der Oppositionsparteien, Herr Kollege Walter und Herr Kollege Bayer, gesagt haben, vielleicht mit zwei kleinen Ausnahmen.
Die erste Ausnahme bezieht sich auf die Aussage, dass wir für die Kommerzialisierung des Fernsehens verantwortlich wären. Dazu will ich nur sagen: Das ist, ob man es begrüßt oder nicht, ein weltweiter technischer und unter freiheitlichen Gesichtspunkten einheitlicher medienpolitischer Prozess, den wir natürlich nicht hätten aufhalten können.
Zweitens: Den Gedanken, dass die Ganztagsschule – über die ich mich im Übrigen jetzt hier nicht äußern will – für das hier angesprochene Problem eine Lösung wäre,
erlaube ich mir mit einem dicken Fragezeichen zu versehen.
Gut, das wäre schon einmal ein Beitrag.
Denn wir müssen eines feststellen: Es geht nicht um die Frage, was in der Schulzeit passiert, und nicht darum, dass wir sozusagen deswegen, weil wir ein Problem mit der Zeit außerhalb der Schule haben, die Schulzeit ständig verlängern müssten. Vielmehr geht es darum, dass das, was zu Hause passiert, anders werden muss, als wir es bisher erleben.
Meine Damen und Herren, ich will – weil das vielleicht noch nicht in der Ausführlichkeit behandelt worden ist, die es verdient hat – in der Diagnose noch einmal – –
Mir erstirbt das Wort im Munde.
Ich warte darauf.
Herr Kollege Bayer, ich nehme ein Zitat vorweg als Antwort auf das Zitat, das Sie angeführt haben. Ich zitiere den Wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfamilienministerium aus dem Jahr 2002, also aus der Zeit eines Bundesfamilienministeriums unter Führung der SPD.
Der Wissenschaftliche Beirat des Bundesfamilienministeriums hat in einer Stellungnahme zu der Frage „Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Familienpolitik und PISA?“ – ein anderer Aspekt, der aber mit unserem Thema durchaus etwas zu tun hat –, Folgendes gesagt – nicht nur in einem Satz, sondern das war die durchgängige Linie seiner gesamten Stellungnahme –:
Das in Familien vermittelte und angeeignete Humankapital stellt die wichtigste Voraussetzung und die wirksamste Grundlage des lebenslangen Lernens dar.
Ein Satz, den man sich vielleicht auch an anderer Stelle merken sollte: Wir lösen Probleme in Familien nicht dadurch, dass wir den Familien die Kinder wegnehmen.
Ja. Die Schule hat nicht eine ersetzende, sondern eine ergänzende Funktion.
Jetzt will ich das Thema an dem speziellen Problem der kleinen Kinder und ihres Medienkonsums noch verdeutlichen. Ich komme dabei natürlich noch einmal auf Herrn Professor Spitzer und andere Hirnforscher zurück. Die Sprache – –
Sie sind der Erste, der das behauptet.
Ich will mich nicht revanchieren und fragen, wer von uns der größte Macho ist. Sei es drum.
Sprachentwicklung bei kleinen Kindern, Verhalten zur Umwelt, beispielsweise Aufmerksamkeit, emotionale Entwicklung: Diese Dinge geschehen durch das Gegenteil dessen, was Fernsehen bietet. Es setzt nämlich persönliche Zuwendung, Zeit, Vertrauen, Intensität, Variation, Anpassung an Situationen, Wiederholung voraus. All das setzt stabile persönliche Beziehungen voraus. Dadurch entsteht Sprachentwicklung, die übrigens nach Erkenntnissen der Hirnforschung zwischen dem fünften und dem achten Lebensjahr abgeschlossen ist und nicht erst dort beginnt.
Das heißt, diese frühkindliche Phase bezüglich der Entwicklung solcher Fähigkeiten findet ihren unmittelbaren Widerspruch in der Art und Weise, wie Fernsehen funktioniert.
Deshalb haben wir, glaube ich, hier die Aufgabe, massiv etwas zu tun.
Wir müssen einerseits die heutigen Sprachdefizite, die wir unter dem Stichwort „mangelnde Schulreife“ feststellen, reparieren. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber doch eigentlich wundern, dass es dieses Problem überhaupt gibt, und sollten nicht nur reparieren, sondern einmal daran denken: Was müssen wir denn tun, damit es erst gar keinen Reparaturbedarf gibt? Das ist doch die entscheidende Frage.
Es ist nicht nur ein Mangel an Sprachkompetenz, den wir bei kleinen Kindern erleben, sondern wir stellen bei 20 % der Grundschüler Verhaltensauffälligkeiten fest.
Wir haben das Problem der Kurzzeitkonzentrationskinder, so schön KKK genannt, und, und, und. Meine Damen und Herren, hier haben wir es mit einem massiven Problem zu tun.
Ich habe auf diese Frage gewartet und will kurz etwas dazu sagen.
Erstens: Ich glaube, im Mittelpunkt muss in der Tat stehen: Weil die Dinge im Kinder- und im Wohnzimmer stattfinden, muss die Befähigung der Eltern erreicht werden, und zwar mithilfe des Kindergartens, mithilfe der Schule und mithilfe von Elterneinrichtungen, von Elternseminaren, in denen medienpädagogisches Material auch den Eltern zur Verfügung gestellt wird, die sich nicht selber um das Problem kümmern, weil sie es verkennen.
Die gehen nicht hin, in der Tat, das ist das Problem. Deswegen muss aktiv etwas geschehen, sodass wir auch an diejenigen Eltern herankommen, die die Probleme verkennen, die Herr Bayer angesprochen hat und die ich eben wiederholt habe. Das ist zunächst einmal, glaube ich, die große Aufgabe, Eltern dazu zu befähigen, etwa den Gesichtspunkt „Menge des Fernsehkonsums, Lebensalter, Selektion der Sendungen“ zu erkennen. Ein weiterer praktischer Hinweis könnte sein, dass der eigene Fernsehkonsum der Eltern und der Fernsehapparat im Kinderzimmer ein Problem sind.
Jawohl. – Zweitens – ich mache es in aller Kürze –: Wir brauchen noch mehr Forschung, und zwar Wirkungsforschung und nicht nur Tatbestandserhebung. Zu gleicher Zeit brauchen wir eine Forschung hinsichtlich der Abhilfestrategien. Ich glaube, dass sich hier unter dem Stichwort „Kinderland Baden-Württemberg“ ein weites Feld auftut.
Drittens: Wir brauchen mehr Verantwortung der Medienproduzenten und ihrer Aufsichtsgremien.
Viertens: Wir brauchen die Förderung des Lesens. Die Nutzung von elektronischen Medien im Verhältnis zu Lesemedien liegt bei den 13- bis 16-Jährigen bei 20 : 1. 20-mal mehr werden elektronische Medien genutzt als Bücher gelesen. Das muss ein Problem für die kulturelle Entwicklung unseres Landes sein.
Fünftens: Wir brauchen generell mehr Prävention bei diesem Thema und weniger Reparatur.
Lassen Sie uns die Gemeinsamkeiten, die hier deutlich geworden sind, nutzen. Es muss etwas geschehen. Das hat die Debatte gezeigt, und ich bin dankbar dafür, dass wir sie führen konnten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird Sie wundern: Ich will es kurz machen.
Ich habe heute Vormittag bei einem gnädigen Parlamentspräsidenten meine Redezeit etwas überschritten. Heute Nachmittag habe ich einen gestrengen Präsidenten. Deshalb halte ich meine Redezeit ein.
In der ersten Lesung und in der Ausschussberatung ist von meiner Seite für die CDU-Fraktion das Nötige gesagt worden. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. Man kann das alles noch einmal nachlesen.
Ich will auf ein Argument eingehen, das gerade von Ihnen, Herr Kollege Winkler, genannt worden ist: Wir haben ja auf das Argument zu hoher Standards, beispielsweise den zusätzlichen Standard eines Verbandsklagerechts oder die Legehennenverordnung, verwiesen. Wir haben nicht gesagt, dass aufgrund der zusätzlichen Standards die Eierproduktion zurückgegangen ist. Aber sie würde zurückgehen. Die Legehennenverordnung gilt ja noch gar nicht. Deswegen haben wir uns natürlich nicht auf sie berufen können. Das ist vielmehr ein paralleles Problem, das wir eines Tages bekommen können.
Deswegen sind wir daran interessiert, dass wir im europäischen Gleichschritt marschieren. Aber das ist jetzt lediglich eine Replik zu einer Äußerung gewesen, die Sie gemacht haben.
Ich will ganz einfach feststellen: Es gibt bis zur Stunde kein Bundesland und wird auch in Zukunft kein Bundesland geben, das diese tierschutzrechtliche Verbandsklage einführt.
Baden-Württemberg wird nicht das erste Land sein.
Ich bedanke mich vielmals.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es handelt sich um eine relativ ungewöhnliche Gesetzgebungsmaterie. Ich glaube, dass man das schon so sagen darf. Deswegen ist ein Blick in die politische Landschaft, wie es denn eigentlich in Deutschland in anderen Parlamenten zu diesem Thema ausschaut, ganz interessant. Hierzu will ich drei Feststellungen treffen:
Erstens: Es gibt bisher kein einziges Bundesland, das ein solches Verbandsklagerecht tierschutzrechtlicher Art
warten Sie es ab; ich steigere mich noch im weiteren Verlauf –
eingeführt hat, auch kein rot-grünes – davon gibt es nicht mehr so wahnsinnig viele. Andere Bundesländer hätten ja eine solche Regelung einführen können. Weder Frau Höhn in Nordrhein-Westfalen noch Schleswig-Holstein haben es eingeführt.
Zweitens: Ein Vorstoß des Bundeslandes Schleswig-Holstein im Bundesrat hat eine ganz große Ablehnung quer über die politischen Fronten erfahren,
sodass es nicht zu einer entsprechenden Mehrheit gekommen ist.
Und drittens: Die Tierschutzverbände hatten im Jahr 2002 den Wunsch an die rot-grüne Koalition geäußert, die Einführung des Verbandsklagerechts im Tierschutz in die Koalitionsvereinbarung aufzunehmen. Das ist aber nicht in die Koalitionsvereinbarung zwischen Rot und Grün im Jahr 2002 aufgenommen worden, woraus der Schluss zu ziehen ist, dass zumindest die SPD auf Bundesebene diesem Vorhaben nicht zustimmt.
Jetzt will ich in der Tat den Gedanken aufgreifen, den Sie selbst genannt haben: Es könnte ja trotzdem richtig sein,
und, weil wir ja manchmal an der Spitze stehen, könnte es trotzdem der Fall sein, dass wir uns auch in dieser Frage an die Spitze begeben müssten. Also stellt sich die Frage: Wo liegen wir in der Sache selbst?
Natürlich ist es richtig, dass es viel Sympathie für den Tierschutz gibt und dass es sich dabei auch ein bisschen um ein emotionales Thema handelt. Sie greifen das ja auf mit dem Bild, man bräuchte Waffengleichheit zwischen den Tiernützern auf der einen Seite und den Tierschützern auf der anderen Seite; die Tiernützer würden ihre Interessen schon vertreten, die Tiere hätten hingegen keine Stimme, und deswegen müsse man ihnen über das Verbandsklagerecht eine Stimme geben. Ein schönes Bild, aber es stimmt aus drei Gründen nicht:
Erstens: Auch die Tiernützer haben natürlich das Tierschutzrecht zu beachten. Das deutsche Tierschutzrecht ist im europäischen Maßstab einsam an der Spitze, in materieller Hinsicht und in formeller Hinsicht.
Zweitens: Auch die Verwaltung – um die geht es ja beim Verbandsklagerecht – hat selbstverständlich das Tierschutzrecht zu beachten. Die Vorstellung, dass man auf der einen Seite den Tiernützer hat – das sind ja im Wesentlichen die Forschung und die Landwirtschaft – und auf der anderen Seite nur eine einseitig beeinflusste Verwaltung, die sich gegenüber diesen handfesten forschungspolitischen oder ökonomischen Interessen nicht durchsetzen könne, ist falsch. Diese Vorstellung zeigt ein Misstrauen gegenüber der Verwaltung, das nicht gerechtfertigt ist. Das sage ich pauschal, ich kann es aber auch konkret sagen:
Seit der letzten größeren Novelle des Tierschutzrechts im Jahre 1986 gab es ungefähr 50 000 Verwaltungsverfahren auf dem Gebiet tierschutzrechtlicher Genehmigungen. Ungefähr 25 % davon sind nur mit Auflagen erteilt worden – zulasten der Tiernützer, also der Landwirtschaft und der Forschung –, und ungefähr 5 % sind abgelehnt worden. Die Einzigen, die nach Ihrer Vorstellung einseitig sein dürften, wären ausgerechnet die Verbände, denen Sie ein Verbandsklagerecht geben wollen. Die Tiernützer und die Verwaltung haben bereits Abwägungsprozesse vorzunehmen.
Ein weiteres Argument, das Sie anführen, heißt: „Das Verbandsklagerecht haben wir auch schon im Naturschutzrecht. Warum haben wir es nicht auch im Tierschutzbereich?“ Dazu ist Folgendes zu bemerken:
Erstens: Wir sind generell skeptisch gegenüber Verbandsklagen.
Ganz ruhig, Herr Caroli! – Deswegen ist es für uns kein Argument, wenn gesagt wird: „Das haben wir ja woanders auch schon gemacht.“ Wenn wir die Verbandsklage auch anderswo nicht für richtig halten, dann ist der Hinweis auf sie für uns kein Argument. Ich sage das aus guten Gründen. Denn, mit Verlaub, meine Damen und Herren: Wir haben in Deutschland nicht zu wenig Hürden, sondern zu viele Hürden, was das effektive Handeln anbelangt.
Zweiter Hinweis: Es besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der naturschutzrechtlichen Verbandsklage, die es schon gibt, und der tierschutzrechtlichen Verbandsklage, wie Sie sie vorschlagen. Denn beim Tierschutzrecht wollen Sie das Klagerecht auf alle Einzelfallgenehmigungen erstrecken. Das gibt es im Naturschutzrecht so nicht. Insofern wäre das Klagevolumen sehr viel größer.
Es gibt ja Tierschutzverbände, die expressis verbis gegen jede Form von Massentierhaltung sind
und die expressis verbis gegen jede Form von Tierversuchen sind.
Wenn diese Verbände das Recht bekommen würden, in jedem Einzelfall Verfahren einzuleiten, dann würden sie eine zumindest behindernde und möglicherweise verhindernde Wirkung haben.
Drittens: Zu dem Argument, das Klagerecht sei in anderen Bereichen auch möglich, will ich nur einmal sagen: Es gibt viele Bereiche, in denen wir glücklicherweise kein Verbandsklagerecht haben, in denen wir aber auch die Konstellation haben, dass die Verwaltung Allgemeininteressen, also hier den Tierschutz, gegenüber den Interessen des Antragstellers abzuwägen hat.
Wie ist es beim Denkmalschutz? Wollen Sie die denkmalschutzrechtliche Verbandsklage? Wollen Sie die immissionsschutzrechtliche Verbandsklage? Wollen Sie die wasserschutzrechtliche Verbandsklage und, und, und? Wenn diese Rechtsfigur richtig wäre, dann müssten Sie überall Verbandsklagen einführen, und das wäre sicher falsch.
Wenn ich noch einmal eine Verbandsklage einführen würde,
dann wäre es eine kinderschutzrechtliche, aber keine auf einem anderen Gebiet.
Schlussbemerkung, meine Damen und Herren. Die beiden Hauptnutzer, Landwirtschaft und biomedizinische For
schung, haben sich logischerweise und mit guten Gründen gegen eine Verbandsklage aus tierschutzrechtlicher Argumentation gewandt. Übrigens – das nur nebenbei –: 85 % aller pharmazeutischen – –
Ich bin gerade dabei, zur Landung anzusetzen.
85 % aller pharmazeutischen Tierschutzexperimente sind gesetzlich vorgeschrieben. Die Gründe, die sowohl die Landwirtschaft als auch die Forschung vortragen, heißen erstens Verzögerung von Investitionen, zweitens Abwanderung ins Ausland mit weniger Tierschutz und drittens natürlich: Es ist nicht nötig, denn sie haben selbst den Tierschutz zu berücksichtigen.
Wir brauchen weniger Bürokratie. Das ist das Gebot der Stunde. Der Tierschutz ist in Deutschland auf außerordentlich hohem Niveau. Wenn Sie meinen, dass wir noch etwas mehr tun sollten, dann reden wir über materielle Fragen, aber bitte nicht über formelle.
Übrigens: Die Legehennengeschichte wäre mit dem Verbandsklagerecht natürlich auch nicht anders ausgegangen, weil das materielle Recht damals noch nicht so weit war. Aber bitte keine zusätzlichen Verfahrenshürden in der deutschen Verwaltung!
Vielen Dank.