Protocol of the Session on October 24, 2001

Warum sieht das Dreieck zwischen Betreiber, Gutachtern und Atomaufsicht so aus, dass die „Stuttgarter Nachrichten“ sinngemäß schreiben können: „Die Betreiber haben nichts gesehen, die Gutachter haben nichts gesagt, und die Atomaufsicht hat nichts hören wollen"? Warum ist das eigentlich so? Ich kann es Ihnen sagen: Es ist nämlich seit Jahren bekannt – zumindest seit fünfeinhalb Jahren, seit dem Ende des Obrigheim-Untersuchungsausschusses –, dass die Abteilung „Reaktorsicherheit, Umweltradioaktivität“ im Umweltministerium ein Eigenleben führt, das vom Minister überhaupt nicht kontrolliert wird.

Ich will Ihnen einmal sagen, was in dem abweichenden Bericht des Abg. Kuhn zur Beschlussempfehlung des Untersuchungsausschusses zum Kernkraftwerk Obrigheim steht, unter anderem über den jetzigen Abteilungsleiter im Ministerium, Herrn Keil. Da steht:

Aus den im Untersuchungsausschuss KWO bekannt gewordenen Akten ergibt sich, dass es zwischen der Aufsichts- und Genehmigungsbehörde und dem TÜV Südwest zu ungewöhnlichen Formen der „Zusammenarbeit“ gekommen ist.

Weiter heißt es:

Das ist

unseres Erachtens –

ein unzulässiger Eingriff in die Tätigkeit von unabhängigen Sachverständigen nach § 20 des Atomgesetzes.

Herr Keil hat damals nämlich dem TÜV Südwest gesagt, er solle sein Gutachten mit dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium abstimmen. Wo gibt es denn so etwas? Das ist der erste Punkt.

Weiter heißt es:

Die Betreiber schreckten auch nicht davor zurück, auf Personalentscheidungen in der Aufsichtsbehörde massiv Einfluss zu nehmen.

Also, wo bleibt die vom Betreiber unabhängige Aufsicht?

So verhinderte der jetzige EVS-Vorstandsvorsitzende Wilfried Steuer

im Frühjahr 1996; Herr Steuer ist ein ehemaliger CDULandtagsabgeordneter und Landrat und war damals EVSVorstandsvorsitzender –

wie er selbst zugab – erfolgreich die Besetzung der für die Atomaufsicht im Land zuständigen Abteilungsleiterstelle im Umweltministerium mit dem vom zuständigen Minister vorgeschlagenen Beamten.

Das hat Herr Steuer verhindert. Als Betreiber hat er das verhindert.

Schäfer, der damalige – –

(Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Dr. Salomon, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Hauk?

Nein, weil meine Redezeit gleich abgelaufen ist –

(Oh-Rufe von der CDU – Zurufe von der SPD)

es sei denn, Sie würden mir das nicht auf meine Redezeit anrechnen. – Nein, ich muss das zu Ende ausführen.

Dieses Vorgehen stieß beim damaligen Umweltminister Schäfer auf Kritik. Er hat damals sogar gesagt – das muss man sich einmal anhören –, es könnte manchmal der Eindruck entstehen, die Abteilung 5 – das war damals noch die Abteilung 5 des Umweltministeriums – sei eine Dependance des TÜV und umgekehrt. Das heißt, das Dreieck zwischen Betreiber, Gutachtern und Aufsichtsbehörde funktioniert deshalb nicht, weil es da Personalverquickungen ohne Ende gibt.

Der Fisch in der Abteilung stinkt vom Kopf her. Der Kopf heißt Keil. Herr Keil ist nicht unabhängig. Herr Keil ist verquickt mit dem TÜV, ist verquickt mit den Betreibern.

Deshalb: Wenn der zuständige Minister nicht merkt, dass diese ganze Abteilung ausgemistet werden muss, dann ist er als Minister untragbar. Das sind Zustände, die einfach nicht bestehen bleiben können.

(Beifall bei den Grünen und der SPD)

Wir stellen fest: Das Problem der Atomaufsicht in BadenWürttemberg ist nicht, dass sie nicht funktioniert,

(Abg. Drexler SPD: Die gibt es nicht!)

sondern das Problem ist, dass sie nicht existiert. Das ist noch viel gravierender.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Deshalb müsste normalerweise ein Rücktritt folgen. Aber ich weiß, wie dieses Spiel parlamentarisch ausgehen wird.

(Abg. Fleischer CDU: Ich auch!)

Ich sage nur eines: Was nützte ein Rücktritt, wenn ich mir diese geniale Truppe hier anschaue? Wer würde dann Nachfolger?

(Große Heiterkeit und Beifall bei den Grünen und der SPD – Abg. Fleischer CDU: Wen hätten Sie denn gerne?)

Wahrscheinlich der Kollege Haas, weil er eh schon beim TÜV schafft.

(Unruhe)

Oder der Kollege Birk, weil er bei der EnBW schafft. Das wäre ideal. Die beiden als Nachfolger, ohne dass die Abteilung ausgemistet wird, dazu kann ich nur sagen: Da friert es einen.

(Abg. Fleischer CDU: Bleiben wir lieber bei Mül- ler!)

Ich weiß, wie das Spiel ausgeht, Herr Minister; Sie sind überfällig.

(Abg. Döpper CDU: Sie auch!)

Ich will aber auch noch sagen: Es wird die nächsten Wochen weitergehen. Wir werden das ganze Thema weiter untersuchen müssen. Wir werden an dem Thema dranbleiben müssen, obwohl der Rücktritt natürlich abgelehnt werden wird.

(Zurufe von der CDU: So ist es! – Abg. Drexler SPD: Das ist das Schlimme!)

Ich will dazu noch einen Satz sagen, etwas sibyllinisch:

(Abg. Drexler SPD: Keine Ahnung! – Gegenruf von der CDU – Unruhe)

Inkontinenz ist scheinbar nicht nur ein Problem in der Gesundheitspolitik. Die alten Griechen hatten ein Wort dafür, was man tun kann, nämlich das Wort Kairos – die richtige Sache zur richtigen Zeit tun.

Danke schön.

(Beifall bei den Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Fleischer CDU – Abg. Seimetz CDU: Das war im Niveau noch schlechter als Drexler!)

Das Wort erhält Frau Abg. Berroth.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe bereits einen Fehler gemacht, denn ich habe keine Zeitung zum Vorlesen dabei. Aber vielleicht schaffe ich es auch durch eigenes Denken.

Aber zur Sache: Kernkraft ist eine sensibel zu handhabende Technik. Wir wissen alle, die Wahrscheinlichkeit, dass etwas passiert, ist äußerst gering, aber wenn etwas passiert, ist das Risiko enorm. Deshalb ist gerade bei dieser Technik eine äußerst penible Kontrolle wichtig. Man kann nicht darauf vertrauen, dass bisher ja alles gut ging. Gerade wer der Kernkraft positiv gegenübersteht, ist von dem laxen Umgang mit den Sicherheitsvorschriften besonders betroffen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Offenbar hat sich eine unselige Gemengelage dadurch ergeben, dass eine jahrzehntelange und – das nächste Wort sage ich sehr bewusst in Anführungszeichen – „vertrauensvolle“ Zusammenarbeit bestand. Nun muss natürlich jemand, der einen Gutachter beauftragt, grundsätzlich Vertrauen haben, denn sonst bräuchte er ihn gar nicht zu beauftragen. Aber das Problem ist die lange Dauer der Zusammenarbeit. Das führt ex definitione zu Betriebsblindheit, und es hat sich auch ein unterentwickeltes Problembewusstsein gezeigt. Die Fremdkontrolle ist zur Eigenkontrolle mutiert. Und dass 17 Jahre lang bewusst gegen das Betriebshandbuch verstoßen wurde, ist unerhört.