Protocol of the Session on October 24, 2001

Unmittelbar nach den Terroranschlägen des 11. September habe ich eine interministerielle Arbeitsgruppe einberufen. Diese Arbeitsgruppe hat die möglichen Bedrohungsszenarien analysiert. Sie hat notwendige Maßnahmen eingeleitet und aufgezeigt, wo zusätzliche personelle und sächliche Mittel für die Aufgabenerfüllung benötigt werden.

An dieser Stelle möchte ich allen, den Kollegen Ministern wie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Ministerien, sehr herzlich danken für die rasche, umfassende Erarbeitung konkreter Maßnahmen im Land und in der Bundesratsinitiative.

Auf der Grundlage der getroffenen Analysen hat die Landesregierung ein Antiterrorsofortprogramm beschlossen: lageabhängige Sofortmaßnahmen der Ressorts, die schon angesprochene Bundesratsinitiative sowie die zusätzliche Bereitstellung personeller und sächlicher Mittel. Damit wollen wir Verbesserungen erzielen, insbesondere dort, wo sie am dringendsten sind, wo sie am schnellsten wirken

(Ministerpräsident Teufel)

und wo sie unmittelbar der Gefahrenabwehr und der Bekämpfung des Terrorismus dienen:

Wir gewährleisten rund um die Uhr einen personalintensiven Objektschutz bei besonders gefährdeten Objekten, insbesondere bei den Kommandozentralen der amerikanischen Streitkräfte in Baden-Württemberg.

Wir haben beim Landeskriminalamt eine personalstarke Sonderkommission gebildet, die derzeit um die 2 000 Hinweise auf terroristische und islamistische Gewalttäter überprüft und auch die Rasterfahndung durchführt.

Der Verfassungsschutz und dort speziell das bereits vor einigen Jahren eingerichtete Referat Islamismus haben ihre Aufklärung und den Beobachtungsdruck auf die islamistische Szene deutlich erhöht. Sie tragen mit wertvollen Informationen zu einer zuverlässigen Einschätzung der Lage bei.

Im Bereich der Gefahrenvorsorge wurden alle Katastrophenschutzbehörden zur Überprüfung und Aktualisierung ihrer Alarmpläne aufgefordert.

Zur Vorbereitung der Abwehr von möglichen Angriffen mit biologischen Waffen hat das Landesgesundheitsamt seine Kapazitäten in der Überwachung und Untersuchung meldepflichtiger Krankheiten verstärkt sowie ein Team zur aufsuchenden Epidemiologie eingerichtet. Entsprechende Informationen für die Bevölkerung wurden vorab im Internet bereitgestellt und werden derzeit für verschiedene Medien mit Hochdruck erarbeitet.

Am Flughafen Stuttgart werden die als höchst gefährdet eingestuften Flüge besonders kontrolliert und überwacht. Die Sicherungsmaßnahmen an den Flughäfen im Land werden laufend mit den Sicherheitsbehörden abgestimmt und überwacht. Zur Erkennung von potenziellen Innentätern werden alle bestehenden Berechtigungen an den Flughäfen erneut überprüft – mehr als 9 000 allein am Flughafen Stuttgart.

Ein besonderes Augenmerk legen wir auf Sicherheitsüberprüfungen bei Flugzeugvermietungen.

Für die Kernkraftwerke im Land sind die Sicherungs- und Sicherheitsmaßnahmen weiter verschärft worden. Hierzu gehören unter anderem häufigere Streifen, die Einschränkung der Zugangserlaubnis für Besucher und eine zusätzliche Sicherheitsüberprüfung der Mitarbeiter.

Meine Damen und Herren, die durchgeführten Maßnahmen und die Analyse des Bedrohungsszenarios machen aber auch deutlich, dass wir die personellen und sächlichen Mittel im Kampf gegen den Terrorismus erhöhen müssen. In den Entwurf des Doppelhaushalts 2002/2003 haben wir daher für 2002 45 Millionen DM und für 2003 11,5 Millionen DM zusätzlich eingestellt. Im Rahmen des Haushaltsrechts wird das Finanzministerium die Mittel für dringliche Maßnahmen sofort verfügbar machen.

Im Rahmen des Antiterrorsofortprogramms werden wir für das Jahr 2002 folgende Maßnahmen umsetzen:

Wir werden für die Polizei 200 neue Ausbildungsstellen schaffen. Damit treffen wir Vorsorge dafür, dass zum frü

hestmöglichen Zeitpunkt zusätzliche ausgebildete Polizeibeamte zur Verstärkung der Einsatzkräfte zur Verfügung stehen. Weitere personalpolitische Entscheidungen werden wir von der Entwicklung der Sicherheitslage abhängig machen.

Wir werden für zusätzliche Ausgaben, für die Vergütung von Mehrarbeit und für Spezialtechnik Mittel in der Größenordnung von rund 20 Millionen DM zur Verfügung stellen. Es handelt sich dabei um zusätzliche Mittel für Spezialtechnik über das laufende Technikzukunftsprogramm für die Polizei hinaus. Dafür geben wir ja allein 680 Millionen DM aus. Dieses Programm befindet sich mitten in der Umsetzung.

Wir werden zudem für die Koordination des Katastrophenschutzes und die Ausbildung des Katastrophenschutzes zusätzlich 7,5 Stellen schaffen und für die Ausstattung zusätzliche Mittel in Höhe von 6 Millionen DM bereitstellen.

Wir werden beim Landesamt für Verfassungsschutz 15 zusätzliche Stellen schaffen. Die Mittel für die operative Ausstattung und für operative Maßnahmen werden wir um 3,1 Millionen DM erhöhen.

Dies alles sind keine gegriffenen Zahlen, sondern das ist sehr präzise ermittelter konkreter sächlicher und personeller Bedarf, wobei die Stellen ganz präzis für Einzelaufgaben ausgewiesen sind.

Meine Damen und Herren, gerade von den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes werden der Erfolg oder Misserfolg staatlicher Maßnahmen ganz entscheidend abhängen. Je früher es dort gelingt, Erkenntnisse zu erlangen, desto besser und schneller können wir reagieren.

Wir schaffen zehn zusätzliche Stellen für die Justiz und stellen die dafür benötigten Sachmittel sowie zusätzliche Mittel für Sicherungs- und Kommunikationstechnik in den Gerichten und Staatsanwaltschaften zur Verfügung.

Ein toxikologisches Labor mit Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft wird eingerichtet; die hierfür notwendigen Personalstellen und Sachmittel werden bereitgestellt.

Zusätzliche Mittel für Sicherheitsuntersuchungen im Bereich der Atomkraftwerke werden wir freimachen.

Zusätzliche Stellen für die Überprüfung der Flugsicherheit, die Überprüfung von Laboren und die Überprüfung von Industrieanlagen mit sicherheitsgefährdenden Stoffen werden geschaffen.

Meine Damen und Herren, unser Sofortprogramm greift kurzfristig. Die Landesregierung ist sich aber auch darüber im Klaren, dass eine Lageverschärfung oder ein langfristig hohes Gefährdungsniveau weitere Maßnahmen nach sich ziehen wird. Dies ist ja bereits das dritte von uns beschlossene Programm, und es werden je nach der Lage auch weitere folgen müssen. Wir werden sie, wann immer notwendig, unverzüglich beschließen und auf den Weg bringen. Alle, die unsere Freiheit bedrohen, müssen wissen: Wir lassen uns das Gesetz des Handelns nicht entreißen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie der Abg. Drexler und Fischer SPD)

(Ministerpräsident Teufel)

Meine Damen und Herren, die bisherigen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden zur Erkenntnisgewinnung reichen nicht aus. Wir arbeiten an Verbesserungen für die polizeiliche Beobachtung, die Beschlagnahme und die Informationsbeschaffung. Zur Abwehr terroristischer Gefahren darf auch die präventiv-polizeiliche Telefonüberwachung kein Tabu sein, selbstverständlich mit den rechtsstaatlich gebotenen Kontrollen.

Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist die größte aktuelle gesellschaftliche und politische Herausforderung des beginnenden 21. Jahrhunderts. Wir stellen uns dieser Herausforderung, denn Freiheit ist ohne innere und äußere Sicherheit nicht denkbar. Es ist die vornehmste Aufgabe des Staates, die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten, damit sie in Frieden und Freiheit leben können und ihr Leben nach eigener Vorstellung und im Rahmen des Gemeinwohls gestalten können.

Mittelfristig und langfristig ist aber mehr notwendig als die aktuell vordringliche Problemlösung. Wir wollen ja nicht nur den Krieg gegen den Terrorismus gewinnen, wir wollen vor allem den Frieden gewinnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD)

Der Friede aber ist das Werk der Gerechtigkeit. Der Friede ist das Ergebnis eines Dialogs der Menschen, einer Achtung der geschichtlich gewachsenen Kulturen und Mentalitäten, einer Achtung der Religionen. Was uns alle verbindet, muss gesucht und muss vor allem auch gelebt werden und nicht das, was uns trennt.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD, der FDP/DVP und der Grünen)

Die Globalisierung braucht auch globale Werte und Fundamente für ein friedliches Zusammenleben. Die eine Welt braucht ein Weltethos.

Wenn Friede das Ergebnis von gerechten Verhältnissen ist, dann tragen das Elend und der Hunger von über einer Milliarde Menschen zu Unfrieden bei. Über eine Milliarde Menschen leben oder vegetieren unter dem Existenzminimum und haben weniger als 2 DM pro Tag für alle Bedürfnisse ihres Lebens zur Verfügung. In Afghanistan – und nicht nur in Afghanistan – hungern Millionen Menschen, dort nicht zuletzt auch wegen Regierungsversagen und Misswirtschaft der Taliban.

Katastrophenhilfe und Entwicklungshilfe sind deshalb ebenfalls das Gebot der Stunde. Die Hilfe zur Selbsthilfe muss verstärkt werden.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP/DVP sowie Abgeordneten der Grünen)

Die Landesregierung hat deshalb als erste Unterstützungsleistung im Antiterrorprogramm 1 Million DM für die aktuelle Hungerhilfe vorgesehen. Wir wollen sie nach Möglichkeit an baden-württembergische karitative Einrichtungen geben, die vor Ort den Flüchtlingen helfen. Es ist ein bescheidener Beitrag, aber doch mehr als eine symbolische Geste. Er soll zeigen, dass es uns um mehr gehen muss als

um polizeiliche und militärische Maßnahmen. Es ist vielleicht auch eine Anregung für private Spendenbereitschaft der Bürger und der Wirtschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vergessen wir nicht: Wer Frieden will, muss der Gewalt wehren und mithelfen, gerechte Verhältnisse zu schaffen. Und vergessen wir auch nicht: Wer Sicherheit und Freiheit gegeneinander ausspielt, wird am Ende beides verlieren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD)

Freiheit und Sicherheit gehören zusammen. Das muss das Leitmotiv unseres Handelns sein, gegen Terror und Gewalt, für die Menschen in unserem Land.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Beifall bei der SPD und den Grü- nen)

Meine Damen und Herren, das Präsidium hat für die Aussprache über die Regierungserklärung eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion bei gestaffelten Redezeiten festgelegt.

Nach § 83 a Abs. 3 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Abg. Drexler das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der 11. September dieses Jahres hat die Welt erschüttert. Die Bilder des Grauens, die sich in unser Gedächtnis eingegraben und niemanden unberührt gelassen haben, haben uns allen vor Augen geführt, wozu menschenverachtende und fanatisierte Terroristen bereit sind.

Dieser Terrorangriff galt nicht ausschließlich den Vereinigten Staaten von Amerika, sondern – das ist in letzter Zeit richtigerweise von vielen so gesagt worden – er war auch ein Angriff auf uns alle, auf unsere Lebensform einer offenen Gesellschaft, auf unsere Demokratie, die auf Werten wie Freiheit und Toleranz basiert.

Rund sechs Wochen sind seither vergangen, Wochen, in denen wir zuerst unsere tief empfundene Trauer für die Opfer der Attentate und unser Mitgefühl gegenüber dem amerikanischen Volk zum Ausdruck brachten. Erst allmählich können wir das ganze Ausmaß dessen begreifen, verarbeiten und kritisch bewerten, was da geschehen ist. Ich bin der Meinung, dass es richtig und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserem Land auch außerordentlich wichtig war, dass wir uns diese Zeit dafür genommen haben.

Und dennoch: Wir dürfen nicht in Furcht und Schrecken verharren. Die Bevölkerung erwartet von der Politik und den handelnden Personen jetzt angemessenes, aber auch wirksames Reagieren. Sie erwartet Orientierung und Besonnenheit, aber auch tatkräftige Entschlossenheit. Ich sage hier mit aller Deutlichkeit: Die Menschen wollen keinen kleinkarierten und künstlich vom Zaun gebrochenen Parteienstreit, wenn es um die Sicherheit in unserem Lande geht.