Protocol of the Session on October 24, 2001

Und dennoch: Wir dürfen nicht in Furcht und Schrecken verharren. Die Bevölkerung erwartet von der Politik und den handelnden Personen jetzt angemessenes, aber auch wirksames Reagieren. Sie erwartet Orientierung und Besonnenheit, aber auch tatkräftige Entschlossenheit. Ich sage hier mit aller Deutlichkeit: Die Menschen wollen keinen kleinkarierten und künstlich vom Zaun gebrochenen Parteienstreit, wenn es um die Sicherheit in unserem Lande geht.

(Beifall bei der SPD sowie Abgeordneten der CDU, der FDP/DVP und der Grünen)

Unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger wissen, dass sich das Thema „Innere Sicherheit“ nicht zur parteipolitischen Profilierung eignet. Ein solcher Zank würde die existenzielle Bedrohung durch den Terrorismus in gefährlicher Weise missachten und wäre ein Beleg für viele, dass Politik selbst dann noch nicht auf ihre Rituale und ihren üblichen Schlagabtausch verzichten kann, wenn tausendfacher Tod Unschuldiger die Gesellschaft ins Mark getroffen hat.

Ich hätte es deshalb für sinnvoll erachtet, wenn Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, die Vertreter aller demokratischen Parteien an einen Tisch geholt hätten, um in dieser schwierigen Zeit über entsprechende Mittel und notwendige Maßnahmen gemeinsam zu beraten,

(Beifall bei der SPD)

so, wie es der Bundeskanzler in Berlin macht, der die Partei- und Fraktionsvorsitzenden in dieser schwierigen Situation regelmäßig unterrichtet und einbindet, um in diesen für Deutschland und seine außenpolitische Wirkung so wichtigen Fragen einen überparteilichen Konsens herzustellen. Ein solches Bündnis aller Demokraten in BadenWürttemberg hätte meine Fraktion ausdrücklich begrüßt, und wir wären auch bereit gewesen, an dieser Aufgabe konstruktiv mitzuarbeiten.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Wir haben doch kei- nen Notstand! – Gegenruf des Abg. Oettinger CDU: Der schon!)

Es hätte jetzt die Chance gegeben, mit der oft zitierten Gemeinsamkeit der Demokraten Ernst zu machen, was insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Republikaner nun nicht mehr im Parlament vertreten sind, ein sehr viel versprechender Ansatz des demokratischen Miteinanders gewesen wäre.

Sie aber, Herr Ministerpräsident, haben diese Chance leider verpasst oder verstreichen lassen, was wir für ein Versäumnis halten.

(Beifall bei der SPD)

Ein solches gemeinsames Vorgehen wäre überdies ein überzeugendes Signal an die Bevölkerung gewesen. Denn die Bürgerinnen und Bürger hätten sehen können, dass sich die Verantwortlichen im Land zwar vielleicht über zu hohe oder zu niedrige Forderungen in bestimmten Bereichen der inneren Sicherheit unterhalten, über zu wenig oder mehr Geld oder über Maßnahmen, die zu stark in ein Grundrecht eingreifen oder überhaupt keine Wirksamkeit haben; als Gesamteindruck wäre aber deutlich geworden, dass politischer Streit – ich verweise da nur auf Hamburg – über dieses sensible Thema nicht gerechtfertigt ist.

In der Konsequenz des eben Gesagten, nicht die kleinsten Differenzen mit viel rhetorischem Aufwand zu Systemunterschieden hochzustilisieren, möchte ich mich deshalb auf drei Punkte beschränken – das sind Aspekte, bei denen wir uns nicht nur im Detail unterscheiden, sondern eine grundsätzlich unterschiedliche Auffassung vertreten –:

Erstens: Es gilt, undurchsichtige globale Kapitalflüsse und Finanztransaktionen krimineller Herkunft aufzudecken,

weshalb wir die Pläne des Bundesfinanzministers unterstützen, künftig alle Bankkonten und -depots zentral beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen zu melden und eine eigene Zentralstelle für Finanzermittlungen beim Bundesministerium der Finanzen einzurichten.

(Beifall bei der SPD)

Unserer Meinung nach dürfen wirksame Maßnahmen nicht am Bankgeheimnis scheitern. Die Diskretionserwartung der Konteninhaber muss in begründeten Fällen hinter den Notwendigkeiten der Terrorbekämpfung zurückstehen. Meine Damen und Herren, für Geld von Terroristen oder für Terroristen darf es keinen sicheren Anlagehafen geben!

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten der Grü- nen)

Lassen Sie mich an dieser Stelle deshalb etwas zum Thema „Verbrechensgewinne und deren Abschöpfung“ sagen. Wie Sie wissen, plädieren wir von der SPD-Landtagsfraktion seit Jahren dafür, das organisierte Verbrechen durch verbesserte Möglichkeiten der Abschöpfung der Verbrechensgewinne in seinem Nerv zu treffen. Terrorismus, Drogenhandel und andere Formen des organisierten Verbrechens könnten maßgeblich geschwächt werden, wenn man sie an einer überaus empfindlichen Stelle packen würde, nämlich an ihren Finanzquellen.

Aus diesem Grund fordern wir die Landesregierung abermals auf, die gemeinsame Initiative zur erleichterten Einziehung von Verbrechensgewinnen unter Umkehr der Beweislast aus der Zeit der großen Koalition vom Oktober 1995 wieder auf die Tagesordnung des Bundesrats zu setzen und die Beratung dazu energisch voranzutreiben.

(Beifall bei der SPD)

Nicht nur aus finanzpolitischer Sicht wäre dies ein sinnvolles Vorgehen, sondern vor allem vor dem Hintergrund, dass das Talibanregime und bin Ladens Unterstützer offenkundig die immensen Gewinne aus dem Drogenhandel für den Aufbau eines weltumspannenden terroristischen Netzes verwendet haben. Die Einbeziehung von kriminell erworbenem Vermögen ist eine wesentliche Voraussetzung, um terroristische Finanznetze zu zerstören. Die abgeschöpften Gelder könnten wir dann zur Stärkung der inneren Sicherheit einsetzen, für mehr Personal und eine bessere Technik bei Polizei und Justiz.

(Beifall bei der SPD)

Ich appelliere deshalb an die Landesregierung und insbesondere an Sie, Herr Ministerpräsident, der Sie der Bundesregierung am vergangenen Freitag im Bundesrat ja noch Ihre volle Unterstützung für das zweite Maßnahmenpaket versichert haben: Schlagen Sie Ihre Handakten aus der Zeit der großen Koalition auf, nehmen Sie die Bundesratsinitiative aus dem Jahr 1995 wieder aus den Schränken hervor, und leiten Sie diese schleunigst dem Ländergremium in Berlin erneut zu!

Als zweiten Punkt möchte ich den Bereich der Feuerwehr und des Katastrophenschutzes ansprechen, der in den letz

ten Jahren straflässig, straffällig, sträflich vernachlässigt wurde.

(Heiterkeit – Zurufe)

Alles hat gegolten.

(Heiterkeit – Beifall bei der SPD)

Ich will hier überhaupt niemandem einen Vorwurf machen. Alle haben die Zuschüsse heruntergefahren, alle! Das Aufgabenspektrum hat sich stetig erweitert, ohne dass das Material und die Ausrüstung diesen Gefahrenlagen angepasst worden wären.

Die SPD-Fraktion fordert deshalb für das Feuerwehrwesen einen jährlichen Festbetrag von 100 Millionen DM, unabhängig vom Aufkommen der Feuerschutzsteuer.

(Beifall bei der SPD)

Das ist eine Summe, die die Feuerwehren in unserem Land dringend benötigen.

Der Katastrophenschutz ist in erster Linie Sache der Länder und kann im Übrigen nicht auf die Bundesregierung abgeschoben werden. Auch halte ich es für dringend geboten, dass die Landesregierung unter Einbeziehung des Bundes, der Kommunen und der Hilfsorganisationen ein neues und den aktuellen Herausforderungen angepasstes Zivilund Katastrophenschutzkonzept für Baden-Württemberg neu erarbeitet.

So wissen wir beispielsweise, dass im allgemeinen Katastrophenplan, der beim Neckar-Odenwald-Kreis für das Kernkraftwerk Obrigheim vorliegt, die Namen der zuständigen Ansprechpartner seit mindestens zwei Jahren nicht mehr aktualisiert worden sind. Erst am Freitag vergangener Woche lag diese Liste wieder in aktualisierter Form vor – nachdem im Kreistag entsprechend interveniert wurde. Missstände wie diese müssen umgehend beseitigt werden, weil sich solche Schlamperei im Notfall verheerend auf die allgemeine Sicherheitslage vor Ort auswirken würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Dr. Sa- lomon GRÜNE: Das heißt, der Plan ist eine Kata- strophe!)

Drittens: Ich möchte unsere Forderung erneuern, in dieser Legislaturperiode mindestens 1 600 neue Stellen bei der Polizei zu schaffen. Seit dem Ausscheiden der SPD aus der Landesregierung im Jahr 1996 sind keine neuen Stellen für Polizeivollzugsbeamte in Baden-Württemberg mehr genehmigt worden.

(Zuruf von der SPD: Hört, hört!)

Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist, dass unser Land hinsichtlich der Polizeidichte im Ländervergleich ganz weit hinten rangiert und keineswegs Spitze ist, wie immer behauptet wird.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Abenteuerlich!)

Wenn jetzt, wie Sie, Herr Ministerpräsident, eben angekündigt haben, 200 neue Ausbildungsstellen für die Polizei geschaffen werden, dann hat das natürlich nichts mit dem So

fortprogramm zu tun, denn die neuen Kolleginnen und Kollegen beginnen zwar in den nächsten Monaten ihre Ausbildung, stehen aber frühestens nach 30 Monaten für Einsätze zur Verfügung.

(Abg. Blenke CDU: Also soll man die Ausbildung verkürzen?)

Deshalb erneuern wir unsere Forderung, mit der Einstellung von Polizeibediensteten im Angestelltenverhältnis zu beginnen, um die Polizeibeamten von bürokratischen Aufgaben zu entlasten und damit sofort mehr Kapazität für die Präsenz freizusetzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Sehr gut!)

Dann haben wir nämlich ein Programm, das tatsächlich sofort wirkt. Dieses Beispiel zeigt, dass es politisch Verantwortlichen in dieser Zeit angeraten ist, nüchtern und ehrlich zu argumentieren und keine falschen Erwartungen zu wecken.

Im Übrigen gab es bei der Polizei im vergangenen Jahr 1,7 Millionen Überstunden. Da sind 200 neue Stellen ein Tropfen auf den heißen Stein. Es müsste doch möglich sein, mithilfe eines Programms wenigstens die Überstunden abzubauen, die die Polizei in Baden-Württemberg zurzeit leisten muss.

Seit langem fordern wir, beispielsweise durch den vollen Ersatz für Erziehungsbeurlaubungen bei der Polizei, durch eine verbesserte Ausbildung der Polizeibeamtinnen und -beamten, mittels Einführung der zweigeteilten Laufbahn, durch die Verbesserung der Ausbildung und Vergütung bei den Angestellten der Polizei und durch eine finanzielle Vergütung der Überstunden im Polizeibereich die Kapazität zu erhöhen und damit die innere Sicherheit sofort zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Wenn man unseren Forderungen rechtzeitig gefolgt wäre, müsste heute für Einsätze im Inneren nicht nach der Bundeswehr gerufen werden, nur weil man die personelle und die technische Ausstattung im Polizeibereich über Jahre hinweg nicht so verbessert hat, wie wir das wollten.

(Abg. Dr. Salomon GRÜNE: Abenteuerlich!)

Im Übrigen möchte ich zum Thema „Bundeswehreinsätze im Inneren“ nur so viel sagen: Für polizeiliche Aufgaben ist die Bundeswehr nicht vorgesehen; sie ist dafür weder ausgerüstet noch ausgebildet. Sie wird deshalb auch künftig keine Verbrecher jagen, weil die grundsätzliche Trennung von Polizei und Militär ein hohes Gut in unserem Land ist, das wir durch die wenig ausgegorenen Vorschläge mancher jetzt nicht einfach aufs Spiel setzen möchten.