Protocol of the Session on November 23, 2000

Ich unterschreibe Ihnen ausdrücklich: Auch wir sind schon lange der Meinung, dass man deutsch können muss, wenn man in Deutschland – auch in Baden-Württemberg – lebt.

(Abg. Dr. Birk CDU: Hoppla, hoppla! Das ist eine neue Information!)

Welch ein tiefer Nährwert! Das ist also der Inbegriff der deutschen Leitkultur.

Ich habe aus Ihren Beiträgen jetzt vielleicht herausgehört, dass wir gemeinsam der Ansicht sind, dass man, wenn man in einem Land lebt, die Gesetze dieses Landes befolgen muss.

(Abg. Weiser CDU: Das war nicht immer klar!)

Welch eine tiefe Erkenntnis! Das ist doch eine bare Selbstverständlichkeit! Ich frage mich, warum man dies mit Begriffen wie „Leitkultur“, „deutsch“ und was weiß ich garnieren muss. In allen zivilisierten Gesellschaften der Welt gilt, dass man, wenn man in einem Land lebt, die Regeln und Gesetze dieses Landes akzeptieren muss.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Dafür führen wir diese glorreiche Debatte.

Dann diese ganzen Kulturen! Es gibt die Kultur der schwäbischen Kehrwoche, es gibt eine sehr spezifische bayerische Kultur.

(Zurufe von der CDU)

Was wollen Sie damit eigentlich erreichen? Es gibt die Kultur des Deutschen Fußball-Bundes, es gibt die Kultur von Franz Beckenbauer.

(Abg. Dr. Schlierer REP: Aber keine bei Maurer! – Abg. Dr. Birk CDU: Lächerlich!)

Wohin soll diese verquaste Auseinandersetzung eigentlich führen?

In Ihren eigenen Beschlüssen berufen Sie sich auf die alten Römer, auf die alten Griechen und auf die Werte der französischen Revolution. Das zeigt die ganze Verlegenheit, in der Sie sich befinden.

Ich sage Ihnen: Gott sei Dank befinden wir uns mitten im Aufbau eines europäischen Bundesstaates. Er hat gemeinsame Außengrenzen. Sie entwickeln sich, zumindest was die Länder betrifft, die das Schengener Abkommen unterzeichnet haben. Wir sind im Aufbau des Kerns einer europäischen Armee; das können Sie dieser Tage nachlesen. Wir haben eine gemeinsame Währung.

Es lohnt sich, eine Debatte darüber zu führen, welche Integrationspolitik dieses sich aufbauende Kerneuropa betreiben muss. Es hat in der Tat gemeinsame Werte, es hat gemeinsame Traditionen, es hat auch ein gemeinsames Bild von der Würde des Menschen, die unantastbar ist. Darüber kann man eine Debatte führen, aber doch nicht über verquastes Zeug, wo man nach Begriffen hascht, wo man Verwirrung in der Bevölkerung stiftet und eine seriöse Debatte unmöglich macht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Noll.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Maurer hat mir das Stichwort für den Nährwert dieser Debatte geliefert. Ich glaube, es ist schon richtig, prinzipielle Diskussionen über diese Begrifflichkeiten zu führen. Da bin ich ein Stück weit stolz – das darf ich einmal sagen – auf das, was unser Fraktionsvorsitzender Ernst Pfister hier zu den Definitionen gesagt hat.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Aufstehen, Pfister!)

Ich darf auch einmal von einer Kultur reden, und zwar von der Kultur der Bescheidenheit. Kulturen sollten meiner Meinung nach nicht gewertet werden. Wir sollten eben nicht unbescheidene Ansprüche stellen und sagen: „Das ist die Kultur, die das Leitbild zu sein hat.“ Das wird ja ein Stück weit vermittelt. Kulturen haben sich immer gegenseitig befruchtet. Kultur ist nie etwas Statisches. In diesem Sinne zum Prinzipiellen.

Jetzt aber zum Nährwert dieser Debatte. Wir alle, die wir hier sitzen – wenn ich einmal von ganz rechts absehe –, könnten etwas tun, und zwar für Menschen in unserem Land, die in aller Regel integriert sind. Das sind Menschen, deren Kinder hier in die Schule gehen, deutsch sprechen, die in ihren Betrieben integriert sind, die dringend gebraucht werden. Wir könnten etwas tun für die Inländer, die nämlich diese kleinen Betriebe führen, die dringend auf diese ausländischen Mitbürger angewiesen sind, um ihre Produktion zu sichern, da sie diese Arbeitsplätze anderweitig nicht besetzen können.

Sie werden unschwer vermuten, worauf ich hinaus will. Wir alle könnten etwas bei dem leidigen Thema tun, das wahrscheinlich viele von uns Abgeordneten vor Ort ständig umtreibt, dass Menschen abgeschoben werden, die von ihren Arbeitgebern dringend benötigt werden. Ich finde, wir können es den mittelständischen und kleinen Betrieben nicht weiter vermitteln, sie mit solchen Prinzipiendebatten zu vertrösten und ihnen zu sagen: „Wir werden das irgendwann lösen.“ Wir brauchen vielmehr aktuell, jetzt Lösungen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir alle, die hier sitzen, können etwas tun. Nun sage ich zunächst einmal zu Ihnen, Herr Maurer und Herr Salomon:

(Abg. Maurer SPD: Das ist ein Witz!)

Wer könnte denn aktuell und schnell das Ausländergesetz ändern? Das sind Sie. Sie könnten § 10 erweitern.

(Abg. Bebber SPD: Es braucht gar nichts geändert zu werden! Der Innenminister kann das tun!)

Sie könnten das tun, indem Sie einen Ausnahmetatbestand zulassen: Wenn jemand dringend benötigt wird, dann soll er auch bleiben dürfen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Damit könnten Sie nämlich einer Bundesratsinitiative, der Sie möglicherweise nicht zustimmen wollen, weil sie von uns kommt, zuvorkommen. Ich rufe Sie also dazu auf: Werden Sie da ein bisschen schneller; ziehen Sie Nährwert aus dieser Debatte!

(Abg. Dr. Birk CDU: 16 Jahre lang haben Sie den Hintern nicht hochgekriegt, und jetzt machen Sie so etwas!)

Den Leuten geht es nicht um Debatten darüber, was vor 16 Jahren war, sondern darum, was wir jetzt tun können.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Bebber SPD: Das stimmt hinten und vorne nicht!)

Sollte das nicht funktionieren, dann rufe ich nochmals den geschätzten Koalitionspartner auf, sich unserer Auffassung anzuschließen und mit uns eine Bundesratsinitiative zu starten,

(Beifall bei der FDP/DVP)

um sowohl den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern als auch über die daran hängenden Arbeitsplätze den inländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu helfen.

(Zuruf von der SPD: So ein Durcheinander!)

Ich rufe Sie also dazu auf, nicht mit der Vertröstungsstrategie „Wir müssen das mit einem großen Gesetz zur Einwanderung und gesteuerten Zuwanderung lösen“ zu reagieren. Wir wollen aktuell helfen.

Ich verstehe schon den Zielkonflikt, in dem wir uns befinden, liebe Kollegen und Kolleginnen von der CDU. Ich weiß auch, dass man das Ganze unter dem Aspekt betrachten kann, dass dadurch möglicherweise positive Signale gesendet werden, die weitere ungesteuerte Zuwanderung nach sich ziehen. Ich sage Ihnen aber: In diesem Zielkonflikt, den wir lösen müssen – heute ist vieles darüber gesagt worden, wie wir die Zuwanderung regeln wollen –, sind mir persönlich und meiner Fraktion die Menschen, um die es derzeit geht, wesentlich wichtiger als Prinzipienreiterei.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Noch einmal: Es geht um Menschen, die hier leben, deren Kinder in der Regel völlig integriert sind, die einen wichtigen, wertvollen Arbeitsplatz bekleiden. Ich denke, wir dürfen nicht nur immer die Hightecharbeitsplätze ansprechen, für die wir die Greencard schaffen, und sagen: „Das andere interessiert uns nicht, das ist alles unqualifiziert.“ Das sind auch qualifizierte Arbeitsplätze.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Bebber SPD: Sie beschimpfen gerade den Ministerpräsidenten als Prinzipienreiter!)

Ich könnte Ihnen zig Beispiele nennen. Wir könnten damit den unwürdigen Zustand beenden, dass man in unserem Lande erst einen couragierten Oberbürgermeister oder einen Abgeordneten finden muss, der sich in die Bresche wirft und dafür sorgt, dass zumindest ein bisschen Zeit gewonnen werden kann, damit der Betreffende im Interesse aller, wie ich, glaube ich, deutlich klargemacht habe, hierbleiben kann. Diesen unwürdigen Zustand müssen wir beenden und zu einer kurzfristig machbaren, also schnellen Regelung kommen. Wenn das für die Anwesenden von ganz links bis fast ganz rechts der Nährwert dieser Debatte ist, dann wäre ich dafür herzlich dankbar.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schlierer.

(Abg. Bebber SPD: Watscht der den Innenminister ab! Das gibts nicht!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir über die Notwendigkeit einer Leitkultur diskutieren müssen, ist alarmierend genug;

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

denn genau genommen bringt das ja zum Ausdruck,

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Der ist der Einzige, der das gut findet!)