Protocol of the Session on November 22, 2000

Der Familienbericht über die Lage ausländischer Familien zeigt übrigens, dass die Integration, obwohl es bisher überhaupt keine zielgerichtete Integrationspolitik gegeben hat, überwiegend gelungen ist. Ich denke, das ist eigentlich ein schönes Ergebnis.

Dass Integration Anstrengung und Angebot für beide Seiten sein muss, darüber sind wir uns auch einig. Ich möchte es aber noch einmal sagen.

Noch etwas zu Ihrem Familienbegriff: Entfernen Sie sich doch davon, wie die Reps Familie definieren. Sie waren doch schon einmal weiter. Lesen Sie Ihr Papier „Lust auf Familie“ nach. Da haben Sie einen relativ modernen Familienbegriff. Entsprechend sollten Sie sich auch in solchen Debatten verhalten.

Das Nächste ist: Sie erwarten eine deutliche Zunahme. Da kommt in den Köpfen doch schon wieder die „Masseneinwanderung“ auf.

(Abg. Rapp REP: Das ist doch das, was Sie wol- len!)

Herr Haasis, Sie sagen, das könnten Sie nicht belegen. Niemand kann das bis jetzt belegen, und das ist wahrscheinlich auch äußerst schwierig. Ihre Kollegen, die den Antrag im Bundestag zu diesem Thema eingebracht haben, sagen – das würde ich eher unterstützen; ich zitiere jetzt –:

Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Anzahl der Personen, die zur Familienzusammenführung nach Deutschland einreisen, bei Verwirklichung des bisher vorliegenden Textvorschlages steigen würde.

Dagegen ist nichts zu sagen. Weiter sagen sie:

Es lässt sich jedoch kaum mit der erforderlichen Genauigkeit prognostizieren, in welcher Größenordnung dies der Fall ist.

Das wird eben so sein, und damit werden Sie leben müssen. Dann malen Sie doch nicht schon, bevor Sie irgendetwas wissen, ein Schreckensbild an die Wand, als ob da ungeheuer viele kommen würden.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Als Letztes: Was wäre schlimm daran, wenn viele kommen würden? Wir brauchen die Leute doch. Wir waren uns letztes Mal hier im Plenum einig: Wir brauchen Einwanderung, wir sind ein Einwanderungsland, und wir müssen Einwanderung gestalten.

(Abg. Ingrid Blank CDU: So einfach geht das nicht!)

Sie fallen doch hinter Positionen, die ich begrüße, wieder zurück. Das muss ich wirklich außerordentlich bedauern.

Ich möchte noch eines – gestatten Sie mir das – ganz persönlich zum Innenminister sagen, der morgen bei der Innenministerkonferenz sein wird, wo es hauptsächlich um das Schicksal der noch in unserem Land verbliebenen Bosnier gehen wird. Der Bundestag hat einstimmig einen Entschließungsantrag angenommen, der einen humanitären Umgang mit diesen Flüchtlingen und auch sehr großzügige Bleiberechtsregelungen für Traumatisierte unter den noch verbliebenen Bosniern, für Kranke, Alte, Behinderte, für biethnische Ehen und auch Familien mit hier geborenen oder gut integrierten Kindern fordert. Ich hoffe, dass Sie unter den Vorgaben dieses Bundestagsbeschlusses, der, wie gesagt, einstimmig ergangen ist, morgen Ihre Beschlüsse so fassen.

Vielen Dank.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ja nicht meine Aufgabe, meine Kollegen von der Christlich-Demokratischen Union hier in Schutz zu nehmen. Aber niemand, Frau Kollegin Thon, hat hier etwas dagegen, wenn in Härtefällen Einzelfallentscheidungen getroffen werden. Nur: Es muss im Ermessen der zuständigen Behörden bei uns stehen, was zugelassen wird und was nicht. Hier soll ja ein genereller Rechtsanspruch geschaffen werden. Diesen lehnen wir ab.

Die FDP ist sich da mit der gesamten Innenministerkonferenz einig – also auch mit den der SPD angehörenden Innenministern und mit Herrn Bundesinnenminister Schily, heute dann schon zum zweiten Mal. Denn der Kreis der Nachzugsberechtigten ist einfach zu weit gefasst.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Die FDP hat in Brüssel doch zugestimmt!)

(Zuruf des Abg. König REP)

Wenn ich mich recht erinnere, ist die FDP im Europäischen Parlament leider nicht vertreten.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: In ei- ner solchen Debatte sollte man das vielleicht sa- gen!)

Ja, gut. Aber wir wollen nicht, dass auch Verwandte in aufsteigender Linie einen Rechtsanspruch auf Familien

nachzug bekommen. Wir wollen auch nicht, dass volljährige Kinder einen solchen Rechtsanspruch bekommen. Das würde nämlich unseren Vorstellungen von Zuwanderung widersprechen, weil wir weg von der Zufallszuwanderung und hin zu einer geregelten, einer gesteuerten Zuwanderung kommen wollen. Denn die Höhe der Zuwanderung soll sich nach den Bedürfnissen unseres Arbeitsmarkts und nach der Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft richten. Das ist doch ganz wichtig.

Bundesinnenminister Schily hat in der letzten Bundesratssitzung einmal eine grobe Zahl genannt. Er hat gesagt: Bisher haben wir einen Familiennachzug von etwa 120 000 pro Jahr. Es gibt Leute, die schätzen, dass diese Zahl auf etwa eine halbe Million steigen würde. Das wäre wirklich kontraproduktiv. Denn wenn wir eine solche Zufallszuwanderung hätten, wäre unser Wunsch nach geregelter Zuwanderung nicht mehr realisierbar. Ich hoffe deswegen, dass der Bundesinnenminister beim Ministerrat für Justiz und Inneres – er tagt, glaube ich, am 30. November – dieser Richtlinie widerspricht. Dann kann sie nicht umgesetzt werden.

Wir müssen, meine Damen und Herren, auch hinsichtlich des Zugangs zum Arbeitsmarkt eine befriedigendere Regelung finden als die, die jetzt in dieser Richtlinie steht. Auch dürfen wir das Nachzugsrecht für Flüchtlinge nicht mit dem Recht auf Nachzug für Arbeitsmigranten in einen Topf werfen. Das sind zwei Paar Stiefel, die getrennt werden müssen.

(Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Das wird ja auch!)

Da muss man sich jeweils über die einzelne Sache unterhalten.

Wie gesagt: Nichts dagegen, wenn wir im Einzelfall Lösungen finden. Da brauchen unsere zuständigen Behörden einen Ermessensspielraum. Aber wir brauchen keinen generellen Rechtsanspruch.

Für die endlich in Gang gekommene Diskussion über eine geregelte Zuwanderung ist diese EU-Richtlinie in der bestehenden Form kontraproduktiv – genauso kontraproduktiv wie die Äußerungen von Ministerpräsident Edmund Stoiber dazu, könnte man anfügen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Denn wir müssen uns überlegen, wie wir die Angelegenheit versachlichen können und auf eine vernünftige Grundlage stellen können. Manchmal habe ich den Eindruck, Herr Kollege Haasis, dass die CSU deswegen so scharf für ein Verbot der NPD eintritt, weil sie damit Spielraum zu gewinnen erhofft, um im Wahlkampf das Thema „Ausländer und Zuwanderung“ offensiv zu vertreten, anstatt es, was wir alle tun sollten, konstruktiv zu gestalten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Das ist besonders ärgerlich und müsste auch Sie besonders ärgern, weil die CDU mittlerweile ja erkannt und erklärt hat, Deutschland benötige über das humanitär Notwendige hinaus eine geregelte Zuwanderung. Die Diskussion um Fachkräftemangel und die halbherzige Greencard-Rege

lung haben ja gezeigt, dass das, was Rot-Grün in Berlin dazu bisher gemacht hat, nichts anderes als ein Flickenteppich ist. Wir brauchen hier eine ganzheitliche, vernünftige Lösung. Wir sollten nicht immer darüber reden, sondern sie endlich einmal angehen und handeln.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Schlierer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die erste Frage, die man sich heute stellen muss, lautet: Was hat sich eigentlich seit dem 29. Juni getan? Wir haben damals auf Vorschlag der Fraktion Die Republikaner dasselbe Thema diskutiert. Herr Haasis, Sie müssen sich tatsächlich die Frage gefallen lassen: Was gibt es denn nun substanziell Neues, das diese Debatte begründet?

(Abg. Haasis CDU: Das sage ich Ihnen nachher!)

Ich kann Ihnen die Überschrift dieser Debatte sagen: Im Westen gibt es nichts Neues. Das ist das Entscheidende.

(Abg. Haasis CDU: Doch! Gucken Sie doch ein- mal, wie die SPD abgestimmt hat!)

Es gibt ein paar kleine Veränderungen im Sinne einer Verschlimmbesserung des Ganzen. Vom Inhalt und insbesondere von den Kritikpunkten her, die Sie hier erwähnt haben, hat es seit Juni keine Änderungen gegeben.

(Beifall bei den Republikanern)

Es gibt eine Änderung, Herr Haasis, auf die Sie nicht eingegangen sind; die ist in der Tat interessant: Das ist das Verhalten der Grünen.

(Abg. Haasis CDU: Und der SPD!)

In der letzten Debatte hieß es noch, es gebe einen Konsens der Ablehnung. Inzwischen müssen wir sehen, dass die Feststellung des Innenministers vom 29. Juni, es bestehe völlige Übereinstimmung darüber, dass die von Herrn Vitorino ausgearbeitete Richtlinie der EU-Kommission abgelehnt werde, nicht mehr stimmt, und zwar deshalb, weil Bündnis 90/Die Grünen in ihrem inzwischen veröffentlichten – –

(Abg. Heiler, Bebber und Maurer SPD unterhalten sich.)

Herr Präsident, wären Sie vielleicht so nett, die Herren von der SPD nach draußen zu bitten, wenn sie eigene Gespräche führen wollen? Dies stört in der Debatte.