Protocol of the Session on October 25, 2000

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Wenn wir die Wirklichkeit betrachten, dann sehen wir auch, dass alle Fakten dafür sprechen, dass wir weiterhin Einwanderung brauchen. Wenn wir uns die demographische Entwicklung anschauen, müssen wir feststellen, dass in den Fünfzigerjahren der Anteil der Menschen unter 20 Jahren an der Bevölkerung bei einem Drittel und der über 60 Jahren nur bei einem Sechstel lag. In 15 Jahren wird das genau umgekehrt sein.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Was ist mit dem Mikrofon los? – Abg. Wilhelm REP: Da fällt sogar das Mikrofon aus! – Unruhe)

Zum einen sprechen also die demographischen Fakten dafür, dass wir weiterhin Einwanderung brauchen, zum anderen müssen unsere sozialen Sicherungssysteme gestützt werden. Auch für den Arbeitsmarkt brauchen wir Einwanderung. Die einzelnen Aspekte dafür wurden schon erörtert: Greencard oder auch Bleiberecht für Bosnier, die hier in Arbeit sind. In diesem Fall müssen wir auf Arbeitsmarktexperten und auch auf die Arbeitgeberverbände hören, die uns sagen, dass wir in einigen Bereichen des Arbeitsmarkts Mangelsituationen haben. Das spricht ebenfalls dafür, weiterhin Leute zu uns kommen zu lassen.

Ich wünsche mir, dass die Landesregierung endlich ihrem Innovationsbeirat folgt, der davon spricht, dass BadenWürttemberg jährlich 25 000 Einwanderer benötigt, und ich wünsche mir, dass die Landesregierung auf ihre Zukunftskommission hört, die sagt, dass Baden-Württemberg ein Vorbild für Integration sein sollte.

Ich fasse zusammen: Deutschland ist ein Einwanderungsland, und diese Einwanderung muss in einem Einwanderungsgesetz geregelt werden, vor dem wir uns überhaupt nicht zu fürchten brauchen.

Ich darf aus der FAZ zitieren:

Die wichtigsten Ziele einer Einwanderungsgesetzgebung sind: Steuerung einer geregelten Zuwanderung, das heißt Zulassung nach voraussehbaren, rechtsstaatlich bestimmten, gesetzlich festgelegten Kriterien, die neben rechtlichen Bindungen demographische, arbeitsmarktpolitische und ökonomische Aspekte berücksichtigen. Es bedeutet die Erleichterung der Voll- und Teilintegration der sich bereits legal im Inland aufhaltenden Ausländer. Es muss beinhalten: die Steigerung der Sozialverträglichkeit und Akzeptanz der Zuwanderung durch flankierende Maßnahmen der Antidiskriminierungs-, Bildungs- und Sozialpolitik.

Ich glaube, dass die Bundesregierung im Koalitionsvertrag einen ersten richtigen Schritt in diese Richtung getan hat, indem sie bekannte: „Es hat ein unumkehrbarer Prozess der Zuwanderung stattgefunden.“ Sie hat das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Das war ein weiterer wichtiger Schritt. Sie hat jetzt, angestoßen durch die Debatte um die Greencard, eine Kommission unter der Leitung von Rita Süssmuth auf den Weg gebracht. Diese Kommission soll sich mit der Frage beschäftigen, wie ein Einwanderungsgesetz aussehen kann. Ich hoffe, dass wir im Frühsommer die ersten Ergebnisse auf dem Tisch haben und dass ein solches Gesetz danach auch zügig in die Wege geleitet wird.

So, meine Damen und Herren, muss dieser Weg aussehen. Dann können wir uns auch trefflich darüber streiten, wie ein Einwanderungsgesetz ausgestaltet sein soll. Dazu ist die Politik da. Diese Diskussion soll auf Bundesebene stattfinden.

Wir brauchen zu diesem Thema aber keine Androhungen von Kampagnen und keine Aussagen, mit denen in einem gewissen Ton gesagt wird: „Wir machen das zum Wahlkampfthema.“ Das kann der Sache nur schaden, und es ist schädlich für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für die bei uns lebenden Einwanderer.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)

Zu einem Einwanderungsgesetz brauchen wir auch einen neuen integrationspolitischen Dialog. Dabei sind beide Seiten gefordert – das ist keine Frage –: die Menschen, die schon hier leben, die Deutschen, und natürlich auch diejenigen, die zu uns kommen. „Integration ist ein Anspruch und eine Anstrengung, aber es gibt dazu keine Alternative“, schreibt die Bundesbeauftragte für Ausländerpolitik.

(Abg. Deuschle REP: Das ist ja auch eine Grüne! Was soll die anderes schreiben?)

Sie haben ja gar keine Ahnung. – Sie folgt damit auch ihren Vorgängern und Vorgängerinnen im Amt, Herrn Kühn, Frau Schmalz-Jacobsen und Frau Funcke, die sich in diesem Zusammenhang sehr verdient gemacht haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Abg. Käs REP: Haben Sie eigentlich auch eine eigene Meinung?)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kluck.

(Zuruf des Abg. Heiler SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Herren hier ganz rechts können es drehen und wenden, wie sie wollen: Wenn wir die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und unserer Sozialsysteme erhalten wollen, brauchen wir Zuwanderung. Das ist eine Tatsache.

(Zurufe von den Republikanern)

Aber diese Zuwanderung darf nicht dem Zufallsprinzip überlassen bleiben, wie das gegenwärtig leider der Fall ist, sondern sie muss gesteuert werden.

(Zuruf der Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grü- nen)

Denn sie hat sich nach den deutschen Interessen zu richten.

Vorschläge der FDP liegen dazu auf dem Tisch. Sie haben im Bundestag leider keine Mehrheit gefunden. Sie wurden ohne weitere Begründung von den anderen Fraktionen abgelehnt.

Die FDP-Bundestagsfraktion wird einen neuen Entwurf für ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz einbringen. Dieser Entwurf stützt sich auf eine Bundesratsinitiative aus Rheinland-Pfalz. Herr Kollege Heiler hat davon gesprochen. Wenn Sie zu dieser Bundesratsinitiative von RheinlandPfalz stehen, dann bringen Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen im Bundestag dazu, diesem neuen Gesetzentwurf zuzustimmen.

Wir sollten uns alle gemeinsam bemühen, möglichst rasch zu einer Regelung zu kommen. Denn es bringt nichts, dieses Thema immer vor sich herzuschieben. Wir müssen hierzu bald eine Lösung finden.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Ja!)

Deswegen appelliere ich hier noch einmal an CDU, CSU, SPD und Grüne, sich mit uns Liberalen zu einer gesetzlich geregelten Steuerung der Zuwanderung durchzuringen.

(Abg. Bebber SPD: Da macht doch die CDU nicht mit!)

Dabei können wir die Frage, ob wir weiterhin einen individuellen Asylanspruch brauchen, ruhig ausklammern. Denn diese Frage muss erst dann auf den Prüfstand gestellt werden, wenn wir die im Amsterdamer Vertrag vereinbarte europäische Zuständigkeit bekommen.

Was wir mit unserem Entwurf für ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz vorschlagen, ist auf nationaler Ebene machbar. Es ist notwendig, und es ist auch verantwortbar. Wir brauchen dringend auch ein Bleiberecht von hier lebenden ausländischen Arbeitnehmern, die von unserer Wirtschaft dringend benötigt werden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD)

Ich will es noch einmal klar und deutlich sagen: Uns stört kein Ausländer, der sich an die hier geltenden Gesetze und Regeln hält, der sich in der deutschen Sprache verständigen kann und der den Lebensunterhalt für sich und seine Familie selbst verdient.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Darin, meine Damen und Herren, sind wir uns mit der großen Mehrheit der Bevölkerung einig. Niemand begreift doch, warum der rechtliche Status eines Ausländers wichtiger sein soll als das dringende Bedürfnis seines Betriebes, der trotz ständigen Bemühens auf dem Arbeitsmarkt keinen Ersatz für ihn findet. Wenn Herr Kollege Schmid empfiehlt, man solle die Zumutbarkeitsregelung verschärfen, habe ich ja nichts dagegen. Nur: Wollen Sie mit einem Mitarbeiter arbeiten, den Sie quasi mit Gewalt an den Arbeitsplatz treiben müssen? Daran werden Sie wenig Freude haben.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Roland Schmid CDU: Das ist die Kapitulation!)

Was bei Hightech möglich war, muss doch auch für Maurer, Gärtner, Kellner und Reinigungskräfte möglich sein.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Deuschle REP: Salamitaktik!)

Die Fraktion, die sich Die Republikaner nennt, versucht auch heute wieder, Keile zwischen die demokratischen Parteien zu treiben.

(Abg. Deuschle REP: Sie haben es gemerkt, nicht?)

In diese Falle sollten wir nicht gehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Abg. Dr. Schlierer REP: Die Angst geht um!)

Es ist schon gesagt worden: Seit Mitte September arbeitet die Zuwanderungskommission unter dem Vorsitz von Frau Süssmuth. Bundesinnenminister Otto Schily hat sich mehr

fach für einen Konsens mit der Opposition im Bundestag ausgesprochen.

(Abg. Heiler SPD: Richtig! Dazu steht er auch!)

Auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Friedrich Merz, hat trotz allem Theaterdonner Vorschläge für ein Einwanderungsgesetz angekündigt, und Herr Kollege Schmid hat dies hier gerade noch einmal bekräftigt. Bei den Grünen wächst die Einsicht zu einer Abkehr von der Politik der ganz offenen Tür. Also brauchen wir die Sache doch nicht länger auf die lange Bank zu schieben, sondern sollten uns bemühen, in Berlin noch in dieser Legislaturperiode endlich eine Regelung zu erreichen, die Hand und Fuß hat.

Unser neuer Entwurf ist hierfür eine gute Grundlage. Wir wollen die Zuwanderung steuern, also jährliche Obergrenzen der Zuwanderung festsetzen, die sich stärker an den legitimen Interessen unseres Landes und dem Bedarf des Arbeitsmarkts orientieren. Gleichzeitig wollen wir die Teilnahme an Integrationsmaßnahmen als Voraussetzung für einen unbefristeten Aufenthalt. Zuwanderung und Asyl sollen sich gegenseitig ausschließen.

Für parteipolitische Schaukämpfe eignet sich dieses Thema nicht. Das ist keine Frage der Ideologie, meine Damen und Herren, sondern eine reine Frage der Zweckmäßigkeit. Ich bitte deswegen die CDU/CSU, dieses Anliegen gemeinsam mit uns anzupacken. Den Herrn Landesinnenminister fordere ich auf, mit uns eine sachgerechte Lösung in der Frage des Bleiberechts hier dringend benötigter ausländischer Arbeitnehmer zu finden.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der SPD – Abg. Pfister FDP/DVP: Das war richtig staatsmännisch! Keine Schwäche!)

Das Wort erteile ich Herrn Innenminister Dr. Schäuble.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Auch die heutige Debatte zeigt, dass das Thema Zuwanderung an uns herangetragen wird, ob wir wollen oder nicht.