Protocol of the Session on October 25, 2000

(Abg. Brechtken SPD: Das sagt er nach 16 Jahren Kohl!)

Herr Kollege Brechtken, eines ist festzuhalten: Die Agenda 2000 ist im letzten Jahr beschlossen worden und nicht in den letzten 16 Jahren.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Wer hat sie denn vorberei- tet?)

Sie werden uns manches vorwerfen wollen, aber ich glaube, in der Europapolitik werden Sie uns wenig vorwerfen können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will mich noch etwas näher der zweiten Säule, der Infrastrukturpolitik für die ländlichen Räume, widmen. Hier kommt der föderalistische Bezug hinzu, weil dies erstmals in der Geschichte der Europäischen Union ein Ansatz ist, wie nicht nur europaweit, sondern auch regional Politik, in diesem Fall Agrarpolitik und Infrastrukturpolitik, mit Mitteln der Union betrieben werden kann. Das erste Mal seit Jahrzehnten fordern wir dies, gerade wir, die Bundesländer, gerade wir, die CDU in diesem Land.

Dies ist im Grundsatz gelungen, weil der EU-Agrarkommissar dies entsprechend erkannt hat und dafür auch etwas tun wollte. Sie haben diese Bemühungen konterkariert und die Mittel auf einen vergleichsweise bescheidenden Betrag von 4 Milliarden Euro im Laufe der nächsten Jahre gedeckelt, sodass dieser Betrag also nicht mehr ansteigt. Also: Agenda verzockt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, noch einige Anmerkungen zu den Beitrittsverhandlungen: Sie haben vorhin Demokratie und Föderalismus angemahnt. Dazu kann ich nur sagen: Sie sollten zunächst einmal etwas mehr Demokratie in den Gremien anmahnen, beispielsweise in den EU-Ministerratsrunden. Herr Schröder sitzt locker und lässig in den Ministerratsrunden, bildet informelle Gremien und boykottiert Österreich. Nicht die EU hat Österreich boykottiert, sondern ein informelles Gremium des EU-Ministerrats oder wie immer man das bezeichnen will. Damit ist Schröder kläglich gescheitert.

(Beifall des Abg. Döpper CDU)

Sie müssen sich überlegen, was Sie dabei insgesamt an Porzellan in der Europäischen Union zerbrochen haben, gerade in den kleinen Mitgliedsstaaten und in den Ländern, die beitrittswillig sind.

(Abg. Döpper CDU: Das merken die gar nicht!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu dem Bereich der Beitritte: Sie schweigen über ein wesentliches Land. Sie schweigen auch über den Modus. Es gibt Länder wie Polen und Ungarn. Das betrifft aber vor allem Polen. Die Polen sagen: „Wir wollen vom ersten Tag an voll dabei

sein“, liefern aber gar nicht die Grundlagen dafür. Sie stellen den Polen dies auch in Aussicht, berücksichtigen aber gar nicht, dass mit dem Vollzug des Beitritts erstens Leistungen der Europäischen Union verbunden sind, für die die Finanzierung nicht gesichert ist, und dass sich zweitens daraus auch entsprechende Rechte ergeben, die wir nicht von heute auf morgen angleichen können. Der Beitritt von Spanien und Portugal hat unter anderen Voraussetzungen und anderen Verhältnissen bis zur De-facto-Vollmitgliedschaft zehn Jahre gedauert. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten auch bei den Beitrittskandidaten haben werden: Mitgliedschaft ja, aber eine volle Angleichung erst über Jahre und Jahrzehnte hinweg. Ansonsten halten wir auch den Druck letztendlich nicht aus.

(Abg. Brechtken SPD: Da sind wir uns doch ei- nig!)

Noch ein Letztes zum Thema Beitrittskandidaten. Wir sind uns ja darüber einig, dass sich diese Europäische Union auf gemeinsame Fundamente stützt,

(Zuruf des Abg. Brechtken SPD)

nämlich Demokratie, soziale Marktwirtschaft, aber eben auch auf das Fundament einer christlich-abendländischen Kultur. Und Sie haben der Türkei ohne große Not

(Abg. Brechtken SPD: Was heißt „Sie“?)

zumindest Ihre Bundesregierung –

(Zuruf des Abg. Brechtken SPD)

de facto den Beitritt angeboten und avisiert.

(Zurufe der Abg. Brechtken SPD und Wilhelm REP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit tragen Sie mehr zur Fremdenfeindlichkeit bei als mit manch anderer Diskussion in diesem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Red- ling SPD: Das ist doch Unsinn! – Abg. Dr. Caroli SPD: Nein, nein! Was Sie da erzählen!)

Wer dies einfach ohne Not tut – und jetzt kommen Sie daher und reden über Einwanderung und Zuwanderung und Überfremdung –,

(Abg. Brechtken SPD: Herr Präsident, Zwischen- frage!)

wer die Ängste der Menschen nicht akzeptiert und nicht akzeptiert, dass diese Ängste da sind, und wer die Bürger nicht mitnimmt auf dem Weg nach Europa,

(Abg. Dr. Caroli SPD: Aber Sie nehmen sie mit?)

der ist selbst dafür verantwortlich, wenn in dieser Gesellschaft über das Thema Überfremdung und dergleichen diskutiert wird. Wir müssen darüber diskutieren.

(Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Sie sind ein Repräsentant der deutschen Reinkultur, Herr Kollege!)

Herr Abg. Hauk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Brechtken?

Bitte schön, Herr Brechtken.

Herr Kollege, vor dem Hintergrund, dass wir uns einig darüber sind, dass es sich hier um ein schwieriges Gebiet handelt,...

So ist es.

... bei dem noch sehr viele Verhandlungen, Vereinbarungen und wahrscheinlich eine große Zurückhaltung notwendig sind, frage ich Sie: Würden Sie mir erstens zustimmen bei der Feststellung, dass ein Assoziationsabkommen mit der Republik Türkei von einer CDU/CSU-FDP-Bundesregierung abgeschlossen worden ist? Würden Sie mir zweitens zustimmen, dass Grundentscheidungen bezüglich der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen – zwar nicht die formalen Entscheidungen, aber die Vorentscheidungen – auch unter der Regierung von CDU/CSU und FDP gefällt worden sind?

(Abg. Dr. Schlierer REP: So ist es! – Abg. Krisch REP: Da hat er Recht! Genau so ist es!)

Herr Kollege Brechtken, das ist gar keine Frage. Assoziierungsabkommen gibt es nicht nur mit der Türkei. Solche Abkommen haben wir mit vielen nordafrikanischen und südamerikanischen Staaten,

(Zurufe der Abg. Seimetz CDU und Dr. Schlierer REP)

vor allem, soweit das den Agrarhandel und dergleichen mehr anbelangt. Da ist die Türkei kein Einzelfall. Was die Beitrittsverhandlungen angeht, muss ich allerdings sagen: Ihre Regierung hat sehr wohl signalisiert, dass Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden. Das war nicht die alte Bundesregierung.

(Lachen des Abg. Brechtken SPD)

Die hat es wohlweislich vermieden.

Herr Abgeordneter, ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident.

Wer die Bürger nicht auf dem Weg nach Europa mitnimmt und es sträflich vernachlässigt, über die Erwartungen und auch über ihre Sorgen und Ängste zu diskutieren, und das nicht auch auf den Tisch legt, der provoziert die Diskussion letztendlich selbst.

Eines gehört natürlich auch dazu: Wenn wir offener werden – und das wollen wir; Europa muss größer werden –, dann brauchen wir auch im Inneren restriktive und klare Regelungen. Wenn Sie diese restriktiven und klaren Regelungen, beispielsweise im Bereich des Asylrechts oder im Bereich einer klaren Kompetenzabgrenzung der einzelnen EU-Institutionen, nicht mitvollziehen, dann tragen Sie eher zu solchen Diskussionen bei.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat Herr Abg. Dr. Caroli.

(Zuruf des Abg. Roland Schmid CDU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das Schauspiel, das die CDU hier bietet, ist in meinen Augen empörend. Es wird versucht, eine Strategie der gespaltenen Zunge zu verfolgen:

(Abg. Seimetz CDU: Nichts da! Das ist die Reali- tät!)

auf der einen Seite der staatstragende Redner, Herr Reinhart, und auf der anderen Seite der Wadenbeißer, der hinterher kommt und sich in der Rolle des Laurenz Meyer versucht. Aber ich sage Ihnen, Herr Hauk: Wenn der Neue so beginnt, dann erleidet er wie sein Vorgänger Schiffbruch.