Protocol of the Session on October 5, 2000

Oftmals wäre es eine sinnlose Aufwertung. Da, wo dies anders ist, wo Sie zum Beispiel, wie gestern Nachmittag in der Debatte, den Versuch machen wollen, den ungeheuren Begriff des Beschaffungsextremismus in die politische Diskussion einzuführen, stellen sich alle Fraktionen hier im Haus auch der Auseinandersetzung mit Ihnen. Auch das muss man festhalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU, der SPD und des Bündnisses 90/Die Grünen)

Ich will auf ein Problem aufmerksam machen, das schon oft angesprochen worden ist. Da darf ich Sie, Herr Kollege Schlierer – ich kann nicht „lieber Herr Kollege Schlierer“ zu Ihnen sagen –, noch einmal ansprechen. Sie persönlich haben schon ein beachtliches intellektuelles Niveau. Sie argumentieren auch immer wieder geschickt.

(Abg. Krisch REP: Ehrlich, nicht geschickt!)

Aber im Sinne unserer Demokratie muss ich sagen: Das macht die Sache nicht besser. Herr Kollege Schlierer, Sie müssen vor Ihrem Gewissen rechtfertigen und es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, für welche Ziele Sie sich auch mit Ihren durchaus vorhandenen Fähigkeiten, Ihren intellektuellen Fähigkeiten vor den Karren spannen lassen.

(Abg. Dr. Schlierer REP: Bitte keine Abwerbever- suche! – Heiterkeit und Beifall bei den Republika- nern)

Da brauchen Sie keine Sorgen zu haben.

Deutlicher als ich, glaube ich, kann man es Ihnen gegenüber nicht ausdrücken. Sie müssen sich schon fragen lassen, ob Sie nicht ganz bewusst den Versuch machen, den Republikanern auch durch die Art, wie Sie argumentieren, einen Anstrich zu geben, der in Wirklichkeit die Öffentlichkeit über die wahre innere Verfassung der Republikaner täuschen soll. Das ist der Punkt, den ich Ihnen vorwerfe.

(Beifall bei der CDU sowie Abgeordneten der SPD, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP/ DVP)

Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, bin ich dankbar für diese Debatte.

(Zuruf von den Republikanern: Wir auch!)

Wir haben in großer Solidarität der Demokraten festgestellt, dass nicht nur die Republikaner bekämpft werden müssen, sondern die rechtsextremistische Gewalt insgesamt. Aber auch ich will hier die Ausführungen des Kollegen Oettinger noch einmal aufgreifen und sagen: Wir müssen uns natürlich auch darüber im Klaren sein, dass jede Art von Gewalt mit allen rechtlich zulässigen Mitteln bekämpft werden muss.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Der bekannte Professor Michael Wolffsohn drückt es heute in den „Stuttgarter Nachrichten“ völlig treffend aus:

Wir bekämpfen Verbrecher nicht, weil sie linke oder rechte Verbrecher sind, sondern weil sie Verbrecher sind.

Das bringt es auf den Punkt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie Ab- geordneten der SPD)

(Minister Dr. Schäuble)

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten, aber vor allem auch in den jüngsten Tagen, insbesondere am 3. Oktober, der doch eigentlich ein Fest- und Freudentag für uns Deutsche und für ganz Europa sein sollte, furchtbare Geschehnisse, wie den Brandanschlag auf die Synagoge in Düsseldorf, die Schändung der Gedenkstätte in Buchenwald, die Schändung des jüdischen Friedhofs in Schwäbisch Hall und anderes mehr, erleben müssen. Ich bin der Auffassung, es ist wichtig und unerlässlich, dass die politischen Repräsentanten aller Parteien ihre Betroffenheit über diese furchtbaren Geschehnisse und auch ihre Abscheu zum Ausdruck bringen, damit allen Bürgerinnen und Bürgern, aber auch allen anderen, die im Ausland verständlicherweise auf uns schauen, klar ist, wie die politischen Repräsentanten in Deutschland über solche furchtbaren Taten denken.

Ich denke, wir sind uns auch heute darüber einig – das nehme ich als Ergebnis dieser Debatte mit –, dass das allein nicht ausreicht. Es darf nicht der Eindruck entstehen – und ich glaube, das ist auch von niemandem gewollt –, dass wir uns angesichts solcher Vorkommnisse in so genannten Betroffenheitsritualen erschöpfen. Entscheidend ist, dass wir tatkräftig handeln und alles in unserer Macht Stehende tun, um solche furchtbaren Taten und Gewalt jeglicher Art zu vermeiden.

(Beifall bei der CDU, der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der FDP/DVP)

Ich bin dankbar dafür, dass, wenn ich es richtig sehe, Vertreter aller Fraktionen – mit Ausnahme der Republikaner –

(Abg. Deuschle REP: Was denn?)

uns heute ein konsequentes Handeln der Polizei und der Justiz in Baden-Württemberg bescheinigt haben. In der Tat – das soll aber kein Selbstlob sein – ist es wahr, dass in Baden-Württemberg in den zurückliegenden Jahren und über den Tag hinaus durch die Polizei und auch durch die Justiz entschlossen vorgegangen worden ist. Dies hat nicht dazu geführt, dass wir keine Sorgen haben, aber es hat mit Sicherheit auch bei uns in Baden-Württemberg Schlimmeres verhütet. Deshalb darf ich heute erneut versichern: Wir werden diesen konsequenten Kurs, der seit Jahren in Baden-Württemberg so verfolgt wird, auch künftig ganz entschlossen weiter verfolgen, gegen jede Art von Gewalt, um dies noch einmal festzuhalten.

Wir haben einen Vorteil. Ich habe neulich schon einmal in der Öffentlichkeit darauf aufmerksam gemacht. Nicht bei den Propagandadelikten, aber – ich darf Sie, Herr Kollege Birzele, der Sie ja auf diesem Gebiet auch sehr sachkundig sind, besonders ansprechen – bei den rechtsextremistischen Gewalttaten haben wir den Vorteil, dass wir durch die mühevolle und erfolgreiche Vorarbeit des Verfassungsschutzes und auch der Polizei den Großteil der rechtsextremistischen Straftäter und Gewalttäter in Baden-Württemberg kennen. In dieser Hinsicht besteht übrigens, um in diesem Zusammenhang darauf auch einmal hinzuweisen, ein großer Unterschied zu unseren nicht in dieser Weise vorhandenen Einblicken bei linksextremistischen Gewalttätern. Noch heute tappen wir beispielsweise völlig im Dunkeln, wer die Morde an Herrhausen, Rohwedder usw. verübt hat. Noch heute wissen wir auch praktisch nichts darüber, wer

in der zurückliegenden Zeit die schlimmen Anschläge auf die Bahn etwa im Zusammenhang mit den Atomtransporten verübt hat. Aber bei dem Thema „rechtsextremistische Gewalttäter“ haben wir einen vergleichsweise guten Überblick. Darauf muss man auch die polizeiliche, ja auch die sozialpräventive Strategie aufbauen. Das heißt zum Beispiel, dass es – Frau Kollegin Blank, ich weiß, dass Sie auf diesem Gebiet sehr engagiert sind und auch sehr viele Kenntnisse haben – offensichtlich der richtige Weg ist, was man so schön „Gefährderansprache“ nennt, die uns bekannten rechtsextremistischen Gewalttäter durch die Polizei ganz gezielt anzusprechen. Damit erhöhen wir auch den Verfolgungsdruck und verursachen wir auch vorbeugend Druck, damit die Betreffenden keine weiteren Straftaten auf diesem Gebiet und auch nicht auf anderem Gebiet begehen.

Da, wo die Chance besteht, dass wir zum Beispiel jungen Menschen, die in rechtsextremistische Szenen, Skinheadszenen usw. usf. geraten sind, heraushelfen können, wollen und müssen wir dies auch tun. Da wird übrigens über die kommunale Kriminalprävention für dieses Segment auch die Hilfe des Landes insgesamt gefordert sein. Denn jedem ist klar, dass gerade Skinheadszenen oder vergleichbare rechtsextremistische Szenen eigentlich Sektencharakter haben. Die Leute haben es schwer, wenn sie sich trennen wollen, auch wenn zum Beispiel das Elternhaus oder Freundeskreise positiv auf sie einwirken und auch die Polizei ihre Hilfe anbietet, da wieder herauszukommen.

Ich darf noch einmal den Kollegen Birzele ansprechen und auch zitieren. Auch Sie haben ja vorhin darauf hingewiesen, dass im Rahmen der rechtsextremistischen Gewalttaten auch Gewalttaten, und zwar schrecklichen Inhalts, gegen Menschen verübt worden sind, die aus der Szene herauswollten. Wir müssen also denjenigen, die aussteigen wollen – das werden leider wenige genug sein –, eine Art überörtliche Hilfe anbieten; denn sie müssen aus ihrer Stadt und aus ihrem Umfeld heraus und brauchen vielleicht sogar einen neuen Arbeitsplatz, eine neue Wohnung oder einen neuen Ausbildungsplatz in einer anderen Stadt. Zu dieser Hilfe sind wir bereit.

Auf etwas, was mir ganz wichtig ist, will ich auch noch eingehen: Wir müssen versuchen, die Spirale der Gewalt zu stoppen. Das Problem ist ja immer – das ist uns allen bekannt –: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Das heißt, wenn ich sage, wir müssten alles tun, um die Spirale der Gewalt zu stoppen, dann müssen wir auch sehen, dass Gewalt nicht nur von jungen rechtsextremistischen Gewalttätern verübt wird. Zum Beispiel wird auch von jungen Ausländern, die sich in Banden zusammenschließen, Gewalt verübt. Das schaukelt sich ja gegenseitig hoch. Das ist der furchtbare Kreislauf der Gewalt. Zum Beispiel war mir in diesem Sommer ein Ärgernis, was manche fehlgeleitete junge, hier nicht verwurzelte, sondern entwurzelte Russlanddeutsche in Gruppen zusammen an Gewalt gegenüber Einheimischen verübt haben. Das alles, meine Damen und Herren, macht deutlich: Wir haben es damit zu tun, dass hier eine Spirale der Gewalt Platz gegriffen hat. Deshalb muss alles darangesetzt werden, dass diese Spirale der Gewalt durchbrochen wird. Nur so ist der richtige Weg einzuhalten.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

(Minister Dr. Schäuble)

Dann noch etwas, Herr Kollege Salomon. Ich möchte dies gerade heute ganz ohne irgendeinen Ton der Schärfe Ihnen gegenüber sagen. Ich will Ihnen sogar zugestehen: Sie haben dies vorhin sehr ehrlich angesprochen. Es gibt auch einige Punkte, über die unterschiedlich gedacht wird. Vielleicht können wir aber mit dieser Debatte einen Beitrag dazu leisten, dass auch da, wo wir noch unterschiedlicher Meinung sind, der Konsens eher wächst, als dass er geringer wird. Ich will diesem Teil meiner Ausführungen einfach den Satz voranstellen, von dem ich persönlich bis in die letzte Faser meines Herzens überzeugt bin: Nichts ist für die Bekämpfung gerade des Rechtsextremismus, aber darüber hinaus auch gegen extremistische Bestrebungen jeder Art – aber, wie gesagt, insbesondere gegen den Rechtsextremismus – so gut und so wichtig wie ein starker, wehrhafter, demokratischer Rechtsstaat.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP sowie des Abg. Bebber SPD)

Das halte ich für den entscheidenden Punkt. Darüber sollten wir eigentlich auch nicht streiten. Eine klare und beherzte Politik bei der inneren Sicherheit, die zum Beispiel auch der Polizei die richtigen Instrumente an die Hand gibt, weil wir eine Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat haben und nicht in einer Diktatur, ist das beste Mittel gegen jede Art von Verbrechertum. Ich lade herzlich dazu ein, dass der Konsens darüber in diesem großen Haus möglichst vollständig wird.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Damit, Herr Kollege Salomon, will ich auch sagen: Wir müssen alles tun, damit der Nährboden für Extremisten jeder Art möglichst klein gehalten wird.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Da habe ich aber kein Problem!)

Bisher ist heute auch alles positiv. Ich meine das ohne jede Ironie. Ich glaube, die Debatte ist sehr ernsthaft.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ich glaube auch, dass sie das ist!)

Dafür will ich Ihnen auch persönlich danken.

Ich fange mit einem Punkt an, bei dem wir uns sowieso einig sind; wir müssen nur vorankommen. Wenn ich sage, wir müssen den Nährboden für Extremisten jeder Art möglichst klein halten, dann muss ich auch hinzufügen: Für mich ist dabei eine entscheidende Voraussetzung, dass wir mit der Integration derjenigen Ausländer, gerade auch der jungen Ausländer, von denen wir wissen, dass sie auf Dauer bei uns bleiben wollen, wirklich ein großes Stück vorankommen. Sonst kann es eigentlich keinen Frieden in unserer Gesellschaft geben. Das halte ich für eine ganz entscheidende Frage, zu der ich mich auch ganz offen bekenne.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: Völlig richtig! – Glocke des Präsidenten)

Herr Innenminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Herbricht?

Nein, im Augenblick nicht.

(Abg. Buchter Bündnis 90/Die Grünen: Jeder fragt, was er will!)

Wenn dies so ist, müssen wir, glaube ich, dazu wiederum im Konsens konstatieren: Diese Integration wird auch nur gelingen, wenn beides – beides! – Platz greift. Wir müssen junge Ausländer bei uns fördern und ihnen die Integration erleichtern; wir müssen aber auch von ihnen fordern, von unseren Angeboten Gebrauch zu machen. Das halte ich für entscheidend.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der Re- publikaner – Abg. Deuschle REP: Die Kurve wie- der kriegen!)

Sonst werden wir uns immer wieder wie in einer endlosen Spirale bewegen.

Dann ist für mich auch eines wichtig, und das sollte man gerade im Rahmen der Diskussion über den Rechtsextremismus ganz unbefangen sehen. Ich habe gesagt: Wir dürfen keinen Nährboden bereiten für Extremisten jeder Art. Wir dürfen aber auch unsere Bevölkerung nicht überfordern. Wir dürfen sie zum Beispiel nicht dadurch überfordern, dass wir weiterhin eine uferlose und unbegrenzte Zuwanderung nach Deutschland zulassen, sondern es muss eine vernünftige Steuerung der Zuwanderung erfolgen.

(Abg. Ursula Haußmann SPD: So viel zum Nähr- boden!)

Das ist eine entscheidende Voraussetzung, um den Nährboden gerade für den Rechtsextremismus klein zu halten.