Protocol of the Session on July 19, 2000

Ich bin dafür, dass man Zusagen immer einhält. Das ist keine Frage.

(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Schmiedel SPD: Eben! – Zuruf des Abg. Braun SPD)

Wir sollten auch nicht ab 2000 sozusagen schlagartig zu den Verhältnissen von 1990 zurückkehren. Aber jetzt ist vorgesehen, dass von 2006 bis 2012 fließend zurückgeführt wird, und das ist die Entscheidung der neuen Bundesregierung. Das hätte man natürlich auch anders machen können. Wenn Sie mit uns übereinstimmend der Auffassung wären, dass wir an der Verteilung unter den Ländern Ostdeutschlands und Westdeutschlands – das Land Nordrhein-Westfalen haut da übrigens gewaltig auf den Putz; das nur nebenbei – etwas ändern sollten, dann wären wir uns ja wenigstens in diesem Hause mal einig, und dann sollte man das vielleicht auch einmal an die Stellen tragen, die das entscheiden.

Übrigens, weil ich gerade Nordrhein-Westfalen angesprochen habe: Das ist auch ein interessanter Tatbestand. Ich habe das Anti-Stau-Programm gelobt. Ich habe nicht gelobt, dass wir nicht gefragt worden sind; ich habe auch nicht gelobt, dass die Mittel nur in die Autobahnen fließen. Das halte ich für falsch. Die Ortsumgehungen sind mindestens so wichtig wie die Autobahnen. Das nur nebenbei.

(Beifall bei der CDU und der Abg. Beate Fauser FDP/DVP – Abg. Beate Fauser FDP/DVP: Ge- nau!)

Aber ich begrüße erstens, dass wir mehr Geld bekommen haben, und ich begrüße zweitens, dass es erstaunlicherweise und erfreulicherweise nachfrage- und bedarfsorientiert war – mit bestimmten Kriterien. Das hat man hier gemacht, und siehe da, plötzlich bekommen wir 20 % der Mittel. Man hat das im Hinblick auf Nordrhein-Westfalen gemacht – deswegen komme ich jetzt gerade darauf –, weil man

Nordrhein-Westfalen vor der Landtagswahl noch etwas geben wollte. Man hat einen Schlüssel gewählt, der auch uns zugute gekommen ist. Würden wir generell bedarfsorientiert Mittel bekommen – dazu gibt es immer wieder neue Untersuchungen, zum Beispiel durch die Industrie- und Handelskammern dieses Landes –, dann hätten wir auf sehr viel mehr Anspruch als auf das, was wir heute bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, ich will zum Thema Interregio etwas sagen. Da geht es um ein Prinzip und um viel Geld. Der Interregio-Verkehr ist klar als Fernverkehr definiert. Wir haben die Bahnreform 1995 realisiert, und wir hatten damals eine Schnittstelle zwischen Fernverkehr und Nahverkehr, die einfach definiert war: Alles, was bis zu einer Stunde Fahrzeit hat, ist Nahverkehr.

(Anhaltende Zu- und Gegenrufe der Abg. Drexler SPD und Hofer FDP/DVP)

Dafür sollen die Länder verantwortlich sein, und dafür sollen sie Geld bekommen. Damals hat man um jede Mark für den Nahverkehr gestritten.

Wenn aufseiten der SPD ein bisschen mehr Aufmerksamkeit herrschen würde, könnten Sie noch etwas dazulernen.

(Glocke des Präsidenten – Abg. Schmiedel SPD: Nicht überheblich, ja! – Gegenruf des Abg. Sei- metz CDU: Das gilt vor allen Dingen für Schmie- del!)

Meine Damen und Herren, ich bitte um mehr Ruhe. – Bitte schön, Herr Verkehrsminister.

Auf der erwähnten Basis haben wir die Nahverkehrsmittel bekommen, und zwar in beträchtlichem Umfang. Das ist damals gut gewesen.

Wenn sich die Bahn jetzt aus diesem Teil des Fernverkehrs zurückziehen will, kann man mit uns jederzeit darüber reden, dass wir auch diesen Job übernehmen. Wir haben den Nahverkehrsjob gut übernommen. Das will ich nur nebenbei sagen. Wir können auch die Interregios übernehmen, aber nicht unter den jetzigen finanziellen Voraussetzungen. Das heißt, wir brauchen dann, genauso wie wir seinerzeit für den Nahverkehr Geld bekommen haben, für den Nahverkehr unter Einschluss des Interregios Geld.

Wir tun uns hier alle sehr leicht, indem wir miteinander die DB kritisieren. Das Problem liegt zunächst einmal bei demjenigen, der die Bahnreform zu verantworten hat, und das ist der Bund. Sobald wir vom Bund mehr Geld bekommen, übernehmen wir die Interregios, und dann wird die Geschichte im Land Baden-Württemberg flutschen.

(Beifall des Abg. Dr. Birk CDU)

Damit auch mal klar ist, worum es da geht: Wir müssten für die Übernahme des Interregioverkehrs in Baden-Württemberg an konsumtiven Ausgaben zwischen 50 und 100 Millionen DM pro Jahr aufwenden – die haben wir natürlich nicht –, und wir bräuchten für neue Fahrzeuge ungefähr 200 Millionen DM. Wer will, dass wir diesen Bereich

(Minister Ulrich Müller)

übernehmen, muss uns dazu in den Stand setzen. Aber im Übrigen wird es natürlich Widerstand geben, und zwar, wie ich hoffe, nicht nur vor Ort, sondern auch an den Schaltstellen, an denen darüber zu entscheiden ist, und das ist nicht das Land Baden-Württemberg.

Man muss überhaupt sagen, meine Damen und Herren: Was sich hier als Problem der DB ausdrückt, dass sie sagt, es gebe defizitäre Linien, hängt auch damit zusammen, dass die Bahn von ihrem Alleineigentümer und Zuschussgeber insgesamt schlecht mit Geld ausgestattet wird. Es gibt eine Reihe von Problemen; nehmen wir nur einmal das Stichwort „Netz 21“. Da geht es um die Erhaltung der vorhandenen Bahnstrecken, ein gigantisches Programm. Was hat die Bundesregierung gemacht? Sie hat bei „Netz 21“ um 5 Milliarden DM gekürzt. Das führt natürlich dazu, dass wir Langsamfahrstellen haben und dass die DB auch weniger lukrative Strecken abstoßen will.

Das heißt, die DB ist für mich nicht der Hauptkontrahent in dieser Auseinandersetzung, sondern der Eigentümer Bund, der Zuschussgeber Bund hat die DB in den Stand zu setzen, dass sie ihren Aufgaben als Infrastrukturunternehmen in der Fläche eines Landes und nicht nur zwischen den Ballungszentren gerecht werden kann.

Zu Stuttgart 21, zu einem dritten und vierten Gleis am Oberrhein sowie zu Mannheim will ich nichts mehr sagen, weil die Positionen der Landesregierung und der sie tragenden Fraktionen im Prinzip völlig klar sind. Aber ich möchte in der Öffentlichkeit vielleicht doch einmal auf einen Tatbestand aufmerksam machen, den man sich möglicherweise noch gar nicht so richtig bewusst gemacht hat. Die beiden größten Einzelprojekte, die den Landeshaushalt in den nächsten zehn Jahren belasten könnten, sind Schienenverkehrsprojekte. Es sind Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Stuttgart – Ulm. Es gibt keine größeren Aufgaben als Einzelaufgaben im Land, zu denen das Land bereit ist, eigenes Geld, also Geld aus der Landeskasse, in die Hand zu nehmen, um zur Verkehrsinfrastruktur, und zwar zur Schienenverkehrsinfrastruktur, etwas beizutragen.

Eine Schlussbemerkung, meine Damen und Herren: Verkehrspolitik ist zu einem ganz wesentlichen Teil Infrastrukturpolitik. Und Infrastrukturpolitik hat etwas mit Geld und etwas mit Haushaltspolitik zu tun. Dann drückt sich die Wertschätzung eines bestimmten Bereichs, hier der Verkehrspolitik, im Verhältnis zu anderen Aufgaben darin aus, ob es Geld gibt oder ob es kein Geld gibt. Darin drückt sie sich aus.

(Zurufe der Abg. Braun und Schmiedel SPD)

Wenn ich mir jetzt einmal das Land auf der einen und den Bund auf der anderen Seite anschaue: Bei den Dingen, die wir anpacken, also im Landesstraßenbau, sieht es eben besser aus als im Bundesfernstraßenbau.

(Abg. Dr. Caroli SPD: Na, na, na!)

Oh ja. Sie kürzen, wir legen drauf. Das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU)

Im GVFG-Bereich schaut es besser aus. Im Schienenpersonennahverkehr schaut es besser aus. Aus den Dingen, die wir in die Hand nehmen, wird etwas. Daraus machen wir wirklich etwas Gutes.

(Zurufe von der SPD)

Deswegen kann ich nur sagen: Wir brauchen eine andere politische Einschätzung. Das Geld wäre da. Das heißt ganz konkret, dass die Grünen ihren Widerstand gegenüber Stuttgart 21 aufgeben sollten. Es ist höchste Zeit, dass ein solches Papier, wie es die Grünen jetzt entwickelt haben, um ein neues Verhältnis zum Auto zu bekommen, korrigiert wird. Da gibt es ja diesen schönen Satz: Das Auto ist kein Kernkraftwerk, das man einmal abschalten müsste. Das ist ja eine tolle Erkenntnis, die die Grünen da gewonnen haben. Solche Dinge müssten einmal korrigiert werden, damit wir wirklich zu einer anderen Wertschätzung der Verkehrsinfrastruktur kommen.

Dann brauchen wir zum Schluss, meine Damen und Herren, ganz einfach noch eine Solidarität aller politisch Verantwortlichen in diesem Land Baden-Württemberg für dieses Land Baden-Württemberg.

(Abg. Hofer FDP/DVP: So ist es! Daran fehlts!)

Es darf nicht sein, dass sich SPD-Politiker vor Ort hinstellen und sagen, jetzt müsste endlich etwas passieren, aber an der Stelle, wo sie es bewirken könnten, nämlich in Berlin, nichts dafür tun, sondern die Landesregierung dafür kritisieren, dass wir versuchen, unsere Interessen gegenüber der Bundesregierung zu vertreten. Die Solidarität, das Einstehen aller für die großen Projekte,

(Abg. Schmiedel SPD: Wer immer gegen Berlin stänkert, der kriegt auch keine Strecke! Das ist klar!)

für Stuttgart 21, für die Neubaustrecken, für mehr Verkehrswegebau, für mehr Straßenbaumittel, für die Verteilung zwischen Ost und West, diese Solidarität und diese Übereinstimmung in den Grundauffassungen

(Abg. Schmiedel SPD: Solidarität? Ein bisschen anständiges Verhalten gegenüber Berlin zahlt sich aus! Und Sie wundern sich, dass Sie sich nicht durchsetzen!)

wären das, was ich gerade von denjenigen verlangen würde, die hier in der Opposition sind, die aber an den anderen Stellen – –

(Abg. Schmiedel SPD: Sie machen laufend Allein- gänge und wundern sich, dass Sie sich nicht durch- setzen! – Abg. Drexler SPD: Der ist zu Herrn Schüssel freundlicher als zum Bundeskanzler! – Gegenruf des Abg. Dr. Birk CDU: Herr Drexler, ereifern Sie sich nicht! – Unruhe)

Hören Sie sich das ruhig einmal an. Verstehen Sie sich bitte nicht als eine Besatzungstruppe aus Berlin, die in Baden-Württemberg regiert.

(Minister Ulrich Müller)

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Abg. Schmiedel SPD: Die Sprache ist ver- räterisch! So erreicht man gar nichts! – Abg. Drex- ler SPD: So haben Nationalsozialisten gegenüber Demokraten diskutiert! – Gegenruf des Abg. Dr. Birk CDU: Oh Herr Drexler! Also jetzt mal zu- rückhaltender! – Zuruf des Abg. Deuschle REP – Unruhe)

Verstehen Sie sich vielmehr als Emissäre dieses Landes, die die Interessen dieses Landes so vertreten, wie die Landesregierung und die CDU und die FDP/DVP dies tun.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf des Abg. Drexler SPD – Glocke des Präsidenten)

Herr Minister Müller, Sie gestatten noch eine Nachfrage des Herrn Abg. Schmiedel.

(Unruhe)

Herr Minister, halten Sie es für ein sehr kluges Vorgehen, wenn der Generalsekretär der CDU erklärt, der Hauptgegner im kommenden Landtagswahlkampf seien nicht die Landesparteien hier, sondern sei die Bundesregierung? Halten Sie das für ein sehr kluges Vorgehen?

Dafür gibt es gute Gründe.

(Heiterkeit bei der CDU – Beifall des Abg. Dr. Birk CDU – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Al- lerdings! Denkt mal darüber nach! – Abg. Drexler SPD: Ungeheure Polemik! Diese Sprache ist eine Unverschämtheit! – Abg. Braun SPD: Das war eine Sauerei! – Weitere Zurufe – Unruhe)