Protocol of the Session on June 28, 2000

Sie leben schon in einer ganz eigenen Welt; das will ich schon sagen. Das habe ich heute Morgen gelernt. Sie leben in einer sehr eigenen Welt. Sie beschimpfen mit Ihren Angriffen auf uns in Wahrheit den erklärten Mehrheitswillen unseres Volkes in dieser Frage.

(Lachen des Abg. List CDU)

Da wünsche ich Ihnen nur eine gute Reise.

(Abg. Dr. Birk CDU: Das ist eine Umfrage, die Sie hier zitieren!)

Ja, so ist das. So ist es seit vielen Jahren, und das anhaltend.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ziem- lich genau seit 14 Jahren!)

Ich sage Ihnen eines: Ich kann mir vorstellen, wie die Rede des Herrn Ministerpräsidenten aussehen würde, wenn es, was der Himmel nun wirklich verhüten möge, wieder einmal zu einem großen Kernkraftwerksunfall kommt. Das kann ich mir vorstellen.

(Abg. Walter Bündnis 90/Die Grünen: Wie nach Solingen!)

Ich kenne meine Pappenheimer.

Dazu gehört auch: Man kann sich nicht in Abhängigkeit von einer Technologie begeben, die offensichtlich untragbare Risiken nach sich zieht und die dann auch sofort die Akzeptanz für die gesamte Energiepolitik infrage stellt, woraus gravierendste ökonomische Folgen resultieren. Das kann man nicht machen, gerade in unserer sich rasch verändernden Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir befinden uns wirklich in einer Phase großer Unsicherheiten und großer basistechnologischer Revolutionen, in der man die Frage, welche Entscheidungen man trifft, sehr stark davon abhängig machen muss, ob man als falsch erkannte Entscheidungen auch wieder korrigieren kann.

(Beifall des Abg. Brechtken SPD)

Der Einstieg in die Atomenergie ist eine Entscheidung, die man hinsichtlich der Entsorgungsfrage auf Zehntausende von Jahren gesehen nicht mehr korrigieren kann. Solche Entscheidungen sind falsch; sie sind unmodern. Es ist Steinzeitdenken, die Menschheit, nachfolgende Generationen auf so etwas zu verpflichten.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die Atomtechnologie, lieber Kollege Pfister – das möchte ich Ihnen als Liberalem einmal sagen –, ist in der Welt – in Deutschland, in Europa, in Amerika – mitnichten als eine Entscheidung des Marktes eingeführt worden.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Staatswirtschaft! – Abg. Bebber SPD: Höchst sub- ventioniert!)

Wenn es allein auf die Entscheidung des Marktes angekommen wäre, hätte es diese Technologie nie gegeben.

(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die Atomenergie ist infolge einer militärischen Entscheidung eingeführt worden, zunächst einer militärischen Entscheidung der Großmächte. Die zivile Nutzung war ein Anhängsel an diese militärische Entscheidung.

(Abg. Tölg CDU: Wie so vieles!)

Es ist kein Zufall, dass diejenigen Länder, die auf eine eigene atomare Bewaffnung gesetzt haben, am stärksten in diese Technologie eingestiegen sind. Das ist kein Zufall. Ich sage Ihnen eines: Die zivile Nutzung der Atomenergie – deshalb sprach ich von romantischen Vorstellungen, die übrigens in den Fünfziger- und Sechzigerjahren auch manche Sozialdemokraten hatten – wäre in Deutschland vom Markt niemals eingeführt worden. Sie war begleitet von romantischsten Hoffnungen und von massivsten staatlichen Subventionen und Transfers. Da hält die Atomtechnologie jeden Vergleich mit dem Bergbau aus. Der Markt hätte diese Entscheidung nie getroffen.

Im Übrigen sage ich Ihnen eines: Das brutalste Ausstiegsszenario, das Sie heute verfolgen könnten – wir machen das ja gar nicht –, wäre in der Tat, auch jetzt wieder die Entscheidung allein dem Markt zu überlassen. Wenn wir ab morgen auf jegliche Subventionierung für die Atomenergie verzichten würden, wenn wir die gesamte Staatstätigkeit auf diesem Gebiet einstellen würden, wenn wir die wirklich lächerlichen Versicherungsnotwendigkeiten, die da gegolten haben – lächerlich bezogen auf die Risiken, die es da gibt –, eingestellt hätten, wenn wir all diese extrem teuren Transport- und Endlagerkonzepte einstellen würden, wenn wir das alles dem Markt überließen, was glauben Sie, wie schnell der Markt diese Technologie verlassen würde? Wesentlich schneller als das Ausstiegsszenario der Bundesregierung.

(Abg. Dr. Steim CDU: Aber erst die Kohle!)

Deswegen reden wir hier nicht über eine Entscheidung und über die Logik des Marktes und der Ökonomie, sondern wir reden darüber, dass wir eine falsche staatliche Politik durch eine richtige staatliche Politik ersetzen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Abg. Hans-Michael Ben- der CDU: Wers glaubt, wird selig!)

Sie werden die Kurve kriegen. Mich erinnert diese Debatte sehr stark an die seinerzeitige Debatte über die Ostverträge. Ich sage Ihnen voraus: Sie werden noch zwei Jahre lang testen, ob das deutsche Volk das tatsächlich mehrheitlich so weiter will, und dann werden Sie die Kurve kriegen. Ich bin da ganz entspannt. Ich werde Sie in zwei Jahren daran erinnern, wenn wir uns hier wieder begegnen. Ich wünsche Ihnen das, denn sonst würde das politisch sehr gefährlich werden.

(Zuruf: Da ist das Licht aus! – Heiterkeit bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

„Da ist das Licht aus“ ist ein gutes Stichwort. Über nichts ist vonseiten der Union, Herr Ministerpräsident, in den letzten 30 Jahren so viel Unsinn verzapft worden wie über das „Licht aus“-Thema, angefangen bei den Reden des Herrn Filbinger. Ich kann mich noch daran erinnern. Danach müssten wir in Deutschland schon längst noch einmal hundert Atomkraftwerke gebaut haben, weil sonst das Licht ausgehen würde. Absurdeste Szenarien sind da aufgebaut worden. Diese können Sie alle nachlesen. Aller Unfug, den man sich zum „Licht aus“-Thema nur vorstellen kann, ist hier schon erzählt worden.

Ich will Ihnen einmal eines zu den Themen „Licht aus“ und Klima sagen: Sie müssen sich in Ihrer Argumentation schon einmal entscheiden, was Sie denn nun eigentlich dem staunenden Publikum darbieten wollen. Sie müssen sich für ein Vorwurfsszenario entscheiden. Entweder werfen Sie uns vor, wir würden damit auf Importstrom aus Frankreich setzen. Wenn das stimmt, dann dürfen Sie aber keine Bedenken mehr haben, was das Klima angeht.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: So ist es!)

Denn wenn wir auf Importstrom aus Frankreich setzen, wenn Sie uns das vorwerfen wollen, wird jedenfalls der Importstrom aus Frankreich nach Ihrer eigenen Argumentation nicht zur Erderwärmung beitragen.

(Abg. Hofer FDP/DVP: Das wollt ihr ja gar nicht!)

Oder Sie müssen sich dafür entscheiden, dass Sie uns die Klimafrage vorwerfen. Dann müssen Sie aber das andere Argument weglassen. Also selbst wenn man opponiert, darf man nicht beliebig in der Gegend herumargumentieren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Mappus CDU: Das machen Sie doch gerade! – Abg. Pfister FDP/DVP: Das ist aber keine Antwort, Herr Maurer!)

Der Vorwurf, dass wir auf Importstrom aus Frankreich setzen, ist nun wirklich gerade vonseiten der baden-württembergischen CDU außerordentlich kurios; das muss ich schon sagen.

(Heiterkeit bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grü- nen: Das ist ja zum Heulen!)

Derselbe Ministerpräsident, der seine Unternehmensbeteiligung – wie war das gerade so gefühlvoll? –, „die Wertschöpfung in unserem Land“ an einen französischen Atommonopolisten verkauft hat, vergießt jetzt Krokodilstränen über den Importstrom, den wir einkaufen. Das ist ja nicht mehr zu fassen!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben jetzt die berühmte Frage gestellt, wer denn über das Schicksal von Obrigheim entscheidet. Es ist ja toll, dass Sie diese Verschwörergeschichten von den mitternächtlichen Sitzungen und den geheimen Zusagen auftischen. Ich bin auch Jurist, Herr Kollege Müller. Ich weiß nicht, ob Sie das befriedigt oder nicht befriedigt.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Hof- fentlich! – Abg. Rech CDU: Das ängstigt ihn!)

Nach dem, was ich da weiß, ist es so – –

(Abg. Pfister FDP/DVP: Es ist ja keine Schande!)

Danke, lieber Kollege. Auch Lehrer zu sein ist keine Schande.

(Heiterkeit)

Also sage ich Ihnen: Jetzt ist da etwas paraphiert worden, und am Ende wird dieser Vertrag, denke ich, unterschrieben. Ich verstehe, dass die Atomwirtschaft und die Energiewirtschaftsunternehmen abwarten wollen, wie die Atomgesetznovelle der Bundesregierung aussieht, ob sie sich an die Abmachungen hält. Dann wird dieser Vertrag unterschrieben. Dann gilt das, was in dem unterschriebenen Vertrag steht. So schlicht ist das.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Ach nein! – Abg. Mappus CDU: Ach nee!)

Juristisch kann ich die Frage nicht anders beantworten. Ich bin ja als Jurist daran gewöhnt, dass das, was in unterschriebenen Verträgen steht, gilt.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Dann muss der Herr Bun- deskanzler eine Macke haben! Es kann nicht an- ders sein!)

Herr Kollege, ich beantworte Ihnen Ihre Frage zum Zweiten: Das Wesen dessen, was die, wie ich finde, sehr intelligente Bundesregierung da mit der Energiewirtschaft vereinbart hat, besteht gerade darin, dass sich die Politik nicht anmaßt, einzelne unternehmenspolitische Entscheidungen zu treffen. Das ist das Wesen dieser Strategie. Die Politik beschränkt sich vielmehr darauf, zu sagen: Wir wollen langfristig diese Technologie verlassen, wir bestimmen einen Zeitrahmen, aber wie ihr das managt, ist eure Sache.

Die Wahrheit ist: Nach dem, was Sie bei der Entscheidung über die Veräußerung von Beteiligungen hier gemacht haben, wird die Frage, was in Obrigheim passiert, in Paris entschieden. In Paris wird sie entschieden. Das ist die Realität. Herr Goll wird uns die Nachricht überbringen, was in Paris entschieden worden ist.

Aber so haben Sie es selber gewollt. Beklagen Sie sich also nicht darüber. So haben Sie es selber gewollt. Das Schicksal Ihres geliebten Kraftwerks wird – nach dem Willen der Landesregierung – in Paris entschieden.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)