Protocol of the Session on May 17, 2000

Wir sagen aber auch, der Beitragssatz solle nicht deutlich über 20 % steigen. Wenn er über 20 % steigt, haben wir als eine Alternative den so genannten Solidaritätsfaktor vorgeschlagen. Das heißt, der Rentner trägt dann die eine Hälfte und der Beitragszahler die andere. Dann würde der Beitrag nur um einen halben Prozentpunkt steigen und die Rente um einen halben zurückgehen.

Aber eines ist auch klar, Frau Bender: Wir haben uns vom Demographiefaktor überhaupt nicht verabschiedet.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Sie machen doch jetzt etwas anderes!)

Er ist nicht in dem Papier enthalten, dort sind Alternativen dargestellt. Aber der Demographiefaktor ist nach dem heutigen Stand unter der jetzigen Bundesregierung – –

(Am Rednerpult leuchtet die Anzeige „Sprechzeit beachten“ auf.)

Es kann nicht sein, Herr Präsident, dass ich die Sprechzeit zu beachten habe. Es wird zwar gesagt, wir sollten uns daran halten, aber ich habe viel zu sagen und möchte zumindest das Konzept noch ganz erläutern.

(Abg. Wieser CDU: Herr Birzele hat sich als In- nenminister nie daran gehalten!)

Herr Minister, die Bitte des Landtags ist, dass sich auch die Regierung an die Redezeiten hält, die für die Fraktionen festgelegt worden sind. Deshalb habe ich Ihnen durch dieses Signal angezeigt, dass Sie die Redezeiten der Fraktionen schon überschritten haben.

(Heiterkeit – Zurufe, u. a. Abg. Wieser CDU: Eine präsidiale Zensur findet statt! – Zuruf des Abg. Bebber SPD)

Nein, ich bin wirklich – – Herr Bebber, Sie hätten zuhören müssen. Ich weiß, Sie sind auf diesem Gebiet fachfremd. Aber wenn Sie zuhören würden, würden Sie zumindest die Eckpunkte unseres Konzepts mitbekommen.

Frau Bender, wir haben uns nicht vom Demographiefaktor verabschiedet. Das ist für uns ein Mittel der Wahl. Wir machen auch andere Vorschläge. Wenn wir von immer weniger Beitragszahlern und von immer mehr Rentenempfängern reden, gehört natürlich zur Ehrlichkeit, auch über die Alternative zu diskutieren, ob man nicht das Rentenalter anheben muss. Das ist eine ehrliche Antwort. Dabei sind wir für eine Flexibilisierung. Wir sind dafür, dass man auch einen früheren Renteneintritt wählen kann, aber dann mit Abschlägen zu rechnen hat.

Wir müssen auch darüber sprechen, klare Risikozuordnungen von der Rente auch zur Arbeitslosenversicherung vorzunehmen. Deswegen schlagen wir vor, die Berufsunfähigkeitsrente ganz abzuschaffen und nur noch von der Erwerbsunfähigkeitsrente zu sprechen. Im Übrigen kann man sich gegen Berufsunfähigkeit auch privat versichern, wie ich es als Apotheker – in einem Nebensatz gesagt – immer getan habe.

(Lachen des Abg. Brechtken SPD – Abg. Brecht- ken SPD: Das war jetzt ein Beispiel! – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Das war jetzt gut!)

Nachdem Berufsunfähigkeit nicht Erwerbsunfähigkeit bedeutet, kann es nicht richtig sein, die Risiken des Arbeitsmarkts auf die Rente zu verlagern. Deswegen: Wenn jemand vollschichtig arbeiten kann, bekommt er nichts aus der Erwerbsunfähigkeitsrente. Wenn er zu 50 % arbeiten kann, halbschichtig, bekommt er 50 %. Ansonsten erhält jemand diese Rente nur, wenn seine Arbeitsfähigkeit unter dem genannten Prozentsatz liegt.

Ein weiterer Punkt, der mir wichtig erscheint: Wir wollen Kindererziehungszeiten besser belohnen.

(Beifall des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Das heißt, über die drei Jahre hinaus soll jede Frau oder jeder Mann – aber es handelt sich meistens um Frauen –, die Kinder erziehen, 0,5 Rentenpunkte mehr bekommen. Das gilt für Kinder bis zu einem Alter von zehn Jahren. Damit wären Kindererziehungszeiten deutlich berücksichtigt. Wir wollen dies aber nicht an die Forderung koppeln, dass die Frau zwingend arbeiten geht, im Gegenteil. Es ist völlig Wurst, ob sie arbeiten geht. Sie benötigt im System natürlich ein paar Versicherungsjahre. Aber das andere ist dann in der Tat freiwillig. Damit können die Frau und die Familie selbst wählen, ob die Frau arbeiten geht oder zu Hause bleibt und sich verstärkt um die Kindererziehung kümmert. Wir sind also für mehr Wahlfreiheit zwischen Familie und Beruf.

Wir haben auch Vorschläge für Verbesserungen bei der Witwen- und Witwerrente gemacht. Wir schlagen das Modell „Teilhaberrente“ vor. Es führt zu einer eigenständigen Sicherung auch gerade der Frau. Es handelt sich um eigenständig erworbene Ansprüche, die den Betroffenen zustehen. Die Leistungen erhält man allerdings erst im Rentenalter, ausgenommen bestimmte Fälle, wenn die Frau schon über 50 ist und keine eigene Rentenbiografie mehr hat.

Es handelt sich um eine Rente nach eigenem Recht. Die Gewinner sind nach unseren Berechnungen in der Tat die Frauen, die weniger verdient haben. Sie werden unter dem Strich mehr bekommen.

Ich gebe natürlich auch zu, dass bei sehr hohen Einkommen von Männern – es geht nie um das Einkommen des Mannes selbst – der eine oder andere Mann mit einer hohen Rente da leichte Abschläge in Kauf nehmen muss.

(Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Dann kommt die ganz wichtige zweite und dritte Säule: Betrieb oder privat. Dabei kann der Betrieb auch Privates

(Minister Dr. Repnik)

anbieten. Auch dies ist denkbar und möglich. Wir glauben, dass man deswegen auch einen neuen Baustein in unsere Förderung einführen muss.

Die Ergänzungsvorsorge soll freiwillig, kapitalgedeckt und beitragsbezogen sein. In der betrieblichen Altersvorsorge soll jedem Arbeitnehmer ein Rechtsanspruch eingeräumt werden, Teile seines Einkommens bis zu einer gewissen Grenze steuerlich nachrangig als freiwillige Anlage festmachen zu können.

Ich komme jetzt wirklich zum Schluss. Ich könnte noch einiges mehr sagen.

Vielleicht noch ein Wort zur Finanzierung, weil immer gefragt wird: Ist es auch berechnet? Auch dazu eine ehrliche Antwort. Das Konzept in der vorliegenden Form würde etwa 10 Milliarden DM Steuermindereinnahmen bringen – allerdings nur für eine Übergangszeit, weil, wenn das nachrangig ausgezahlt wird – mit 60 –, die Steuer ja wieder zurückkommt. Im Bereich der Sozialversicherung rechnen wir mit ca. 3 bis 4 Milliarden DM Mindereinnahmen. Dies muss man der Ehrlichkeit halber sagen.

Ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir gerade beim Problem der Renten ehrlich miteinander umgehen müssen. Wir müssen die Reform auf den Weg bringen. Rente braucht Verlässlichkeit, Rente braucht Zuverlässigkeit, Rente braucht Vertrauen.

(Abg. Wieser CDU: Keine Riester-Manipulation!)

Die Menschen, die in den Jahren 2020, 2030 in Pension oder Rente kommen, müssen heute schon wissen, was sie bezüglich der Belastung und bezüglich der Auszahlung erwartet.

Helfen Sie gemeinsam mit, Herr Müller, dass wir – vielleicht auch gemeinsam mit Rot-Grün – das eine oder andere auf den Weg bringen.

(Abg. Wieser CDU: Das wird schwer sein!)

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Mühlbeyer CDU zur SPD: Wir ziehen euch aus dem Schlamassel raus, in den ihr euch hineinge- bracht habt!)

Meine Damen und Herren, damit ist die Aktuelle Debatte unter Tagesordnungspunkt 2 erledigt.

Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion der SPD und Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport – Rechtsanspruch auf verlässliche Halbtagsschule – Drucksache 12/5015

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung des Antrags fünf Minuten, für die Aussprache gestaffelte Redezeiten bei fünf Minuten Grundredezeit je Fraktion.

Das Wort erhält Herr Abg. Zeller.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ministerin, das, was Sie in den letzten Wochen und Monaten in Sachen verlässliche Halbtagsgrundschule und Fremdsprachenunterricht an der Grundschule präsentierten, ist schlichtweg ein Etikettenschwindel, ausgetragen auf dem Rücken von Eltern, Schulen und Kommunen.

(Beifall bei der SPD – Abg. Hauk CDU: Spärlicher Beifall!)

Ihr Dreiklang lautet: Ankündigung, Verwirrung, Chaos.

(Abg. Rapp REP: Chaostage sind aber woanders!)

Anstatt schulische Verlässlichkeit als eine Landesaufgabe zu sehen, also einen Rechtsanspruch der Eltern zu garantieren, treiben Sie hier Etikettenschwindel. Sie sprechen von einer verlässlichen Halbtagsgrundschule, indem Sie lediglich den Nachmittagsunterricht auf den Vormittag verlegen und die Betreuung der Schüler vor und nach der Schule den Kommunen überlassen. Nach Ihrem Modell haben die Eltern keinen Rechtsanspruch auf feste Zeiten, wie dies ausdrücklich auch der Gemeindetag und der Städtetag gesagt haben.

Die Eltern zahlen nach Ihrem Modell die Zeche einer falschen Bildungspolitik.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Rau CDU)

Sie können den Eltern eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf eben nicht garantieren. Sie tragen nicht dem gesellschaftlichen und familiären Wandel Rechnung, und Sie nehmen gar nicht ernst, was der Landesfamilienbericht festgestellt hat: dass es in Baden-Württemberg an Ganztagsschulen und an verlässlichen Schulzeiten mangelt.

Baden-Württemberg hat 90 Wochenstunden für die Grundschule und liegt damit eindeutig am Ende aller Bundesländer. Werfen Sie doch einmal einen Blick nach Bayern; sonst schielen Sie doch auch immer in andere Bundesländer. Bayern hat für die Grundschulen 100 Wochenstunden, zehn Wochenstunden mehr als Baden-Württemberg. Bayern steht gar nicht vor dem Problem, das Sie haben, weil es mehr für die Grundschulen tut. Sie sind eindeutiges Schlusslicht, was die Finanzierung der Grundschulen im Land angeht.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Renate Rastätter Bündnis 90/Die Grünen)

Ich sage nochmals deutlich, Frau Schavan und die Kolleginnen und Kollegen der CDU: Sie geben im Vergleich mit den anderen Bundesländern am wenigsten Geld für die Grundschulen aus. Sie sparen also auf Kosten der Kinder und Familien. Das Chaos, das Sie hier hinterlassen, müssen die Eltern und die Kommunen ausbaden.

Um Verlässlichkeit garantieren zu können, brauchen wir zusätzliche Stellen. Wir haben dazu bei verschiedenen Beratungen Anträge gestellt. Wir haben für die verlässliche Halbtagsschule 600 zusätzliche Stellen gefordert. Sie haben diese Anträge jeweils abgelehnt.