(Abg. Wieser CDU: Herr Innenminister, sagen Sie die Wahrheit? – Abg. Hackl Bündnis 90/Die Grü- nen zu Abg. Rech CDU: Heribert, bestreitest du das? – Gegenruf des Abg. Rech CDU: Nein, aber mit dieser Pointiertheit habe ich es noch nicht ge- hört! – Abg. Wieser CDU: In dieser Klarheit ist es noch nie gesagt worden!)
Ich darf auf das Thema zurückkommen. Von einigen Rednern ist angesprochen worden, dass wir auch Sorgen haben, zum Beispiel die Jugendkriminalität. Die Jugendkriminalität ist ein Beispiel dafür, dass die Polizei sich natürlich auch einbringen muss und hier auch ganz vorn in der Verpflichtung steht. Sie ist aber auch ein Beispiel dafür, dass bei aller zunehmenden Betonung der Prävention bei der Polizei ein solches Thema wie die Jugendkriminalität durch die Polizei allein nicht gelöst werden kann. Es gibt, glaube ich, keinen vergleichbaren Fall, der so deutlich zeigt, dass die innere Sicherheit heutzutage nicht einfach in der Weise behandelt werden darf, dass man sagt: Bei der Polizei oder vielleicht auch ab und zu bei der Staatsanwaltschaft, aber dort schon irgendwo mit Unsicherheitsgefühl, geben wir die Probleme ab; da laden wir den Müll vor der Haustür ab, und die müssen es richten.
Die Jugendkriminalität zeigt, dass bei der inneren Sicherheit alle, die an ihrem Platz in irgendeiner Weise Verantwortung tragen, gefordert sind, beispielsweise die Schulen oder auch die städtischen Ämter, wobei manchmal auf der
kommunalen Seite in Vergessenheit geraten ist, dass jede Stadt, jede Gemeinde zunächst einmal auch Ortspolizeibehörde ist. Ich bin sehr dankbar, dass da gerade bei den kommunalen Landesverbänden seit einiger Zeit doch ein ganz bemerkenswertes Umdenken eingesetzt hat. BadenWürttemberg ist eines der wenigen Länder – es gibt auch andere, schlechtere Beispiele –, in denen bei dem Thema „kommunale Kriminalprävention“ die kommunale Seite, die kommunalen Landesverbände und die Polizei und andere darüber hinaus an einem Strang ziehen. So soll es auch bleiben.
Aber die Jugendkriminalität ist ein komplexes Thema, und da sind viele aufgerufen. Von den vielen Diskussionen, die ich zu diesem Thema schon geführt habe, ist mir jetzt besonders die in der letzten oder vorletzten Woche in Heilbronn in Erinnerung mit dem Ihnen allen bekannten Kriminologen Professor Pfeiffer, der viele Ursachen angesprochen hat, aber auf eine Ursache ganz entscheidend aufmerksam gemacht hat, nämlich die Rolle der Eltern, der Familie bei der Jugendkriminalität. Im Klartext: Wenn junge Menschen von Beginn ihrer Existenz an zu Hause durch den Vater oder die Mutter, meistens durch den Vater, körperliche Gewalt erleben, dann werden sie diese körperliche Gewalt auch wesentlich stärker als andere junge Menschen eines Tages weitergeben. Also ist auch dies ein ganz wichtiger Ansatz.
Wenn Herr Professor Pfeiffer in einer Weise, die, wie er mehrfach betont hat, gerade bei seiner Person völlig unverdächtig ist, darauf hinweist, dass in diesem Zusammenhang auch die Gruppe der türkischen Mitbürger in Deutschland mit das größte Problem darstellt, dann darf man, glaube ich, daraus die Schlussfolgerung ziehen: Wir müssen es in Deutschland schon fertig bringen, dass auch Menschen, die aus anderen Kulturen kommen, zwar nicht ihre kulturelle Identität aufgeben, aber sich die Werteordnung, wie sie unser Grundgesetz vorgibt, zu Eigen machen. Sonst kann Integration insgesamt nicht gelingen.
Daraus darf man, glaube ich, die weitere Schlussfolgerung ziehen: Integration, ein ohnehin mehr als kompliziertes Thema und noch nicht von hinreichendem Erfolg gekrönt, kann auch nur gelingen, wenn wir uns alle nicht überfordern. Je mehr also Menschen aus solchen Kulturkreisen zu uns kommen, die auch eine andere Werteordnung haben, umso schwerer wird es. Auch dies führt dazu – wir haben es heute Morgen diskutiert –, dass wir über eine Begrenzung nicht nur nachdenken müssen, sondern auch schon dementsprechend handeln.
Es führt auch dazu, dass wir wirklich eine konsequente Politik beim Thema Familiennachzug betreiben sollten.
Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig dies alles ist. Heute Morgen habe ich einen Punkt nicht erwähnt – ich will es hiermit nachholen –: Wenn es zum Beispiel gang und gäbe ist, wie immer wieder gesagt wird – ich glaube,
es ist einfach wahr –, dass junge Türken hier in Deutschland aufwachsen und im heiratsfähigen Alter in die Türkei geschickt werden und sich dort ihren Ehegatten aussuchen oder ausgesucht bekommen, wenn danach die künftige Frau, die bisher in der Türkei aufgewachsen ist, nach Deutschland kommt, mit einer ganz anderen Erfahrung, mit einer ganz anderen Werteordnung, völlig ohne deutsche Sprachkenntnisse, dann wird es für die Kinder, die aus dieser Ehe entspringen, auch bei dem Stichwort Jugendkriminalität alles andere als einfach. Deshalb sollten wir bei diesem Thema stärker und konsequenter ansetzen.
Jugendkriminalität ist also ein kompliziertes Thema. Wichtig ist – ich denke, da besteht wieder Konsens in diesem hohen Hause –: Wir sollten wirklich auch darauf drängen, dass gerade bei komplizierten Materien klar gesehen wird, dass nicht die Polizei alles lösen kann, sondern dass wir bei der inneren Sicherheit als Paradebeispiel im Grunde genommen alle gefordert sind. Es hilft übrigens auch der Polizei bei ihrer schwierigen Aufgabe am stärksten.
Das andere große Problem in diesem Zusammenhang, das uns allen Sorgen macht, ist die Entwicklung der organisierten Kriminalität, auch in Form der internationalen Kriminalität. Da muss man meines Erachtens auf zwei Ebenen ansetzen. Die eine ist die europäische Ebene. Da bin ich ein engagierter Befürworter der Stärkung der Kompetenzen von Europol und der internationalen Zusammenarbeit überhaupt. Da werden wir alle, die Nationalstaaten wie aufgrund des Föderalismus und der damit verbundenen Zuständigkeit für die Polizei auch die Länder, darüber nachdenken müssen, dass die nationalen Souveränitätsrechte nicht die Entwicklung der inneren Sicherheit bezogen auf die internationale Dimension des Verbrechens behindern, sondern dass man dies im Gegenteil als Chance begreift, wenn die Zusammenarbeit der Polizeien über Staatsgrenzen hinweg auf allen denkbaren Wegen intensiviert wird.
Die zweite Ebene ist, dass wir die nachbarschaftliche Zusammenarbeit stärken. Wir tun dies in Baden-Württemberg bereits aus ganzer Kraft. Mit der Schweiz hat dies eine lange Tradition. Mit Frankreich sind wir wirklich wesentliche Schritte vorangekommen. Da sind, wenn ich es richtig sehe, das entscheidende Problem weniger die völkerrechtlichen Grundlagen, sondern die Sprachbarrieren. Deshalb ist es wichtig, dass wir auch unseren jungen und angehenden Polizeibeamtinnen und -beamten immer wieder klarmachen: In der heutigen Zeit ist es sowieso selbstverständlich, dass junge Menschen zumindest ordentlich Englisch beherrschen. Sie müssen aber aufgrund der Grenznähe und der Nachbarschaft zu Frankreich auch in stärkerem Maße Französisch als Sprache beherrschen, sonst ist eine Zusammenarbeit zwischen der baden-württembergischen und der französischen Polizei, egal, ob Gendarmerie oder Police nationale, im Alltag undenkbar.
Deshalb ist es auch der richtige Ansatzpunkt, dass wir in der Bereitschaftspolizei, Abteilung Lahr, zusammen mit der französischen Gendarmerie ganz gezielt Sprachkurse sowohl für französische Polizeibeamte als auch für badenwürttembergische Polizeibeamte anbieten.
Notwendig war – und das ist, glaube ich, wirklich ein Durchbruch, vor dem wir standen und in dem wir jetzt schon mittendrin sind – und ist, die Ausstattung der Polizei auf allen Gebieten grundlegend zu erneuern.
Ich darf es mit dieser Bemerkung heute bewenden lassen und einfach noch einmal sagen: Ich bin diesem Landtag, ganz besonders aber auch – und da bitte ich die Opposition um Verständnis – den beiden Fraktionen, die die Regierung tragen, nämlich der CDU- und der FDP/DVP-Fraktion, außerordentlich dankbar, dass die Polizei in Baden-Württemberg im Rahmen des Technikzukunftsprogramms nun wirklich eine Ausrüstung erhalten wird, die sich sehen lassen kann und auf jeden Fall zu den modernsten in ganz Deutschland gehören wird. Vielen Dank, auch im Namen der Polizei.
Zum Ende vielleicht noch zwei, drei Gesichtspunkte: Ich halte es auch für notwendig, das, was schon bei der kommunalen Kriminalprävention irgendwo zum Ausdruck kommt, noch stärker zu betonen, nämlich – neudeutsch gesagt – die vernetzte Tätigkeit. Man sollte also nicht glauben, man könne irgendwo als Einzelkämpfer die Welt gewinnen. Notwendig ist Zusammenarbeit, Zusammenarbeit mit Ordnungsbehörden, Zusammenarbeit mit anderen, auch Ehrenamtlichen, die bei der inneren Sicherheit Verantwortung tragen wollen, und deshalb habe ich überhaupt nichts gegen den Freiwilligen Polizeidienst. Ich sage nur: Wir schreiben den Freiwilligen Polizeidienst nicht vor. Aber dort, wo vor Ort die jeweilige Stadt oder die jeweilige Polizeidienststelle es für richtig hält, kann man zum Beispiel über die kommunale Kriminalprävention auch neue Aufgaben an den Freiwilligen Polizeidienst herantragen. Das müsste eigentlich eine Linie sein, die wirklich endlich auch einmal in großem Rahmen hier in diesem Landtag von Baden-Württemberg konsensfähig ist.
Herr Innenminister, würden Sie so freundlich sein und zum Schluss Ihrer Ausführungen doch noch ein paar Worte über die Videoüberwachung verlieren.
Das ist das eine. – Wir sollten uns aber auch bei der Vernetzung – sprich: bei der Zusammenarbeit – nicht scheuen, etwa mit dem Bundesgrenzschutz ganz eng zusammenzuarbeiten. Ich bin sehr froh, dass dies in Baden-Württemberg, wenn ich es richtig sehe, im Landtag außerhalb des Streits ist. Auf der Bundesebene war dies nicht immer so. Ich wäre sehr dankbar, wenn es gelingen würde – und wir kämpfen darum; auch unser Landespolizeipräsident bemüht sich
hierum auf seiner Ebene sehr stark –, die offensichtlich sehr erfolgreichen Kooperationen der baden-württembergischen Polizei mit dem Bundesgrenzschutz etwa in Stuttgart oder Mannheim, wo ja innerhalb ganz kurzer Zeit gerade die Zahl der präventablen, also der Vorbeugung zugänglichen Delikte ganz erheblich zurückgegangen ist, fortzuführen.
Wir wollen auch ganz unbedingt – was das Thema „Schleuserbanden und illegale Einreisen“ angeht – die hervorragende und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz insbesondere an unseren Grenzen zu Frankreich und zur Schweiz fortführen.
Deshalb wäre ich außerordentlich dankbar, wenn uns die Bundesregierung auch in Zukunft so wie bislang diese Möglichkeit der Zusammenarbeit geben würde.
Zu dem, was jetzt noch einmal gefragt worden ist: Ich habe es eigentlich angedeutet: Wir brauchen auch ein paar Reizthemen, und die werden wir auch künftig finden.
(Abg. Hackl Bündnis 90/Die Grünen: Können wir kein Tauschgeschäft machen? Bundesgrenzschutz gegen Videoüberwachung?)
Über die Schleierfahndung haben wir sehr leidenschaftlich diskutiert. Ich habe mich damals etwas gewundert. Es gibt ja auch, wenn ich es richtig im Kopf habe, SPD-regierte Länder, die dieses Instrument für sehr wichtig halten und es eingeführt haben.
Wir werden zur Videoüberwachung – um auf Ihre Frage einzugehen – die Gespräche jetzt zunächst innerhalb der Koalition, die ja aufgenommen sind, fortführen, und ich denke, dass wir hier zu einer Lösung kommen.
Ich gehe auch davon aus, dass sich, wenn es zu einer Lösung kommt – darüber ist ja neulich auch im Ständigen Ausschuss gesprochen worden –, die Rechtsgrundlage im Polizeigesetz des Landes Baden-Württemberg wieder finden muss. Ich würde mir wünschen, Herr Kollege Redling, dass wir das Thema Videoüberwachung in einem breiten Konsens – im Unterschied zur Schleierfahndung – regeln könnten.
Denn Sie wissen ja auch, dass etwa der Kollege der SPD von Sachsen-Anhalt, Herr Püchel, sein politisches Schicksal als Innenminister von Sachsen-Anhalt, wenn ich es richtig im Kopf habe, mit der Einführung der Videoüberwachung verbunden hat. Warum sollten Sie das als SPD in Baden-Württemberg anders sehen als diejenigen von der SPD, die in anderen Ländern in der Verantwortung stehen? Also, das wird dann wohl kommen. Aber ich bitte schon um Verständnis dafür, dass wir zunächst innerhalb der Koalitionspartner die Linie, über die wir, wenn ich es richtig sehe, im Grundsatz einig sind, im Detail einmal vorbesprechen wollen. Es wird hier, glaube ich, zu einem Vorschlag kommen.
Im Übrigen, lieber Herr Kollege Hackl, einfach noch einmal so gesagt: Ich gebe überhaupt zu bedenken – ich weiß,
es ist etwas plakativ –, dass es mir in der Vergangenheit, etwa auch bei dem, was man bösartig „großer Lauschangriff“ genannt hat, nie gefallen hat, wenn man unter dem Gesichtspunkt, der Rechtsstaat sei gefährdet, die innere Sicherheit gegen die Rechtsstaatlichkeit ausspielen wollte. Ich gebe Ihnen allen klar mit auf den Weg und bin überzeugt, dass ich im Namen von sehr vielen Menschen, einer großen Mehrheit in Baden-Württemberg spreche: