Nur weil Sie mich direkt angesprochen haben, frage ich Sie, Herr Schmiedel: Stimmen Sie mir zu, dass die Arbeitsgruppen, die insbesondere auch mit kommunaler Beteiligung, aber nicht nur mit kommunaler Beteiligung den Verband Region Stuttgart vorbereitet haben, zu einem Ergebnis gekommen sind, nach dem keine Direktwahl vorgesehen worden ist, wobei ich noch einmal betone, dass ich die Direktwahl für gut halte? Ich sage das nur, weil Sie von Geschichtsklitterung gesprochen haben.
Ergebnis der Arbeitsgruppen? Bei diesen Arbeitsgruppen, die Sie meinen, reden Sie von regionalpolitischen Akteuren und meinen Landräte, Oberbürgermeister und, und, und. Sie schließen von vornherein zum Beispiel Parteien aus. Parteien waren an der Willensbildung dieser Arbeitsgruppen nicht beteiligt.
Ich rede hingegen vom demokratischen Entscheidungsprozess hier in diesem Haus und in der damaligen großen Koalition. Mein damaliger Wahlkreiskollege Lang hat mir noch jede Wette angeboten, dass die Direktwahl keine Mehrheit in der CDU-Fraktion finden werde und dass das Gesetz entweder ohne Direktwahl komme oder gar nicht. Das zeigt: Es gab massive Widerstände. Weshalb ist denn diese Option der Direktwahl für die Regionalverbände jetzt nicht vorgesehen?
Damit werden Sie auch den regionalpolitischen Herausforderungen nicht gerecht. Sie bleiben auf der Ebene der Planungsverbände technokratisch. Die Begründung des Gesetzentwurfs durch den Staatssekretär erfolgte genau auf dieser Ebene. Das war die Ebene eines Sachbearbeiters, eines Oberregierungsrats, der die Gesetzestechnik vorträgt,
umfasste aber keine politische Vision und keine politischen Inhalte und Gestaltungspotenziale für eine Regionalpolitik. Dies müssen wir in den Ausschussberatungen korrigieren.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: Aber das Wort „Oberregierungsrat“ nicht als Schimpf- wort verwenden!)
Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Wir kommen damit zur geschäftsordnungsmäßigen Behandlung des Gesetzentwurfs. Es wird Überweisung an den Innenausschuss
Erste Beratung des Gesetzentwurfs der Landesregierung – Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Straftäter (Straftäter-Unterbringungs- gesetz – StrUBG) – Drucksache 12/5911
Das Präsidium hat für die Aussprache nach der Begründung durch die Regierung eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion, gestaffelt, festgelegt.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mitte der Neunzigerjahre, als ich Justizminister war, mussten wir folgenden schlimmen Fall erleben: Ein Sexualstraftäter, mehrfach vorbestraft, saß in der Justizvollzugsanstalt in Freiburg ein. Seine Haftzeit näherte sich ihrem Ende. Der sehr fähige und tüchtige Leiter der Vollzugsanstalt in Freiburg, Herr Rösch,
machte uns händeringend darauf aufmerksam, dass ihm gar nichts anderes übrig bliebe, als diesen aus seiner Sicht nach wie vor hochgefährlichen Mann demnächst in die Freiheit zu entlassen, weil die Strafe bald abgelaufen sei. Er wandte sich in seiner Not interessanterweise auch an die Stadt Freiburg mit der Bitte, zu prüfen, ob man polizeirechtlich irgendeinen Ansatz finden könne. Dies war aber nicht möglich. Der Mann musste, nachdem er seine Strafe vollständig, ohne einen Strafnachlass, verbüßt hatte, schlicht und ergreifend in die Freiheit entlassen werden.
Der Rest ist Ihnen vielleicht noch in Erinnerung, weil es damals großes Aufsehen erregte. Sofort nach seiner Freilassung hat er eine Studentin in seine Gewalt gebracht, war mit ihr als Geisel und Entführter tagelang im Schwarzwald unterwegs und hat sie in furchtbarer Weise verletzt und vergewaltigt. Am Ende hatte sie noch großes Glück, dass sie mit dem Leben davonkam.
Der zweite Fall geschah etwa zur gleichen Zeit, Mitte der Neunzigerjahre, und war ein Fall, der mich heute noch bewegt, weil man sich natürlich immer wieder fragt, ob man irgendwo einen Fehler gemacht hat.
Ein Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal hatte ein armes Mädchen, eine Prostituierte in Frankfurt, auf furchtbare Weise vergewaltigt, sie anschließend in einen Sack gesteckt und in den Main geworfen. Wie durch ein Wunder kam sie mit dem Leben davon. Deshalb hat er vom Landgericht Frankfurt nicht eine lebenslängliche Strafe erhalten – was möglich gewesen wäre –, sondern nur zehn Jahre.
Seine zehnjährige Haftzeit näherte sich langsam ihrem Ende, und er kam, was auch gar nicht anders geht, in der Schlussphase in ein Freigängerheim unmittelbar neben der Justizvollzugsanstalt in Bruchsal. An einem bestimmten Tag hat er in den Abendstunden eine Frau, die das Hallen
bad in Bruchsal besucht hatte, auf dem Weg vom Hallenbad zum Parkplatz überwältigt, in ihrem Auto vergewaltigt und anschließend erdrosselt.
Diese Fälle, denen man sozusagen hilflos gegenüberstand, waren für den Kollegen Goll, für die Landesregierung und auch für mich Anlass, eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel zu unternehmen, zu erreichen, dass bei bestimmten, wenigen Sexualstraftätern und vergleichbaren gewalttätigen Straftätern, bei denen das Gericht im Rahmen des Urteils keine Sicherungsverwahrung angeordnet hat, eine derartige Anordnung nachträglich möglich ist.
Unverständlicherweise hatte unsere Initiative auf Bundesebene keinen Erfolg. Allerdings hat das Bundesjustizministerium dem Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Justizministerium des Landes, dann sozusagen mit auf den Weg gegeben: Wenn wir in Baden-Württemberg meinten, dass in solchen Ausnahmefällen – es sind ja Ausnahmefälle; aber jeder Fall, auch wenn er noch so selten vorkommt, hat eben entsetzliche Folgen – wirklich gehandelt werden müsste, dann hätten wir, so die Einschätzung des Bundesjustizministeriums, vermutlich eine eigene, auf Polizeirecht beruhende landesgesetzgeberische Kompetenz.
Das Justizministerium hat diesen Ansatz aufgenommen und durch ein Gutachten des renommierten Professors Thomas Würtenberger, des bekannten Experten für öffentliches Recht an der Universität Freiburg, untersuchen lassen. Professor Würtenberger kam zu dem Ergebnis, wir hätten in der Tat eine landesgesetzgeberische Kompetenz, und zwar unter polizeirechtlichen Gesichtspunkten.
Auf dieser Basis hat das Justizministerium, hat mein Kollege Goll die Initiative ergriffen und federführend, aber gemeinsam mit dem Innenministerium den Gesetzentwurf erarbeitet. Da der Ansatz nicht materiell-strafrechtlicher Art, sondern polizeirechtlicher Art ist, übernehme ich heute formal das Einbringen dieses Gesetzentwurfs. Ich darf heute schon ankündigen, dass in der zweiten Lesung Kollege Goll als Justizminister für die Landesregierung sprechen wird.
Wir sind – um den wichtigsten Punkt verfassungsrechtlicher Art aufzunehmen – aufgrund dessen, was ich gerade gesagt habe, der Auffassung: Wir haben als Landesgesetzgeber die Kompetenz. Wir sind uns dessen auch sicher.
Aber, Herr Kollege Oelmayer, ich will nicht anstehen, zu sagen: Da gibt es ein gewisses Restrisiko, um das man nicht herumreden darf. Denn es ist noch niemand außer Baden-Württemberg diesen Weg gegangen. Wir betreten Neuland, aber wir betreten dieses Neuland nicht leichtsinnigerweise, sondern untermauert durch das Gutachten eines renommierten Wissenschaftlers. Auch dazu sind wir angesichts des verbleibenden Restrisikos nur bereit, weil wir sagen: In diesen wenigen Ausnahmefällen von solchen Bestien, um die es geht
ich habe ja Beispiele genannt –, ist eben auch ein selten eintretender Fall doch ein Fall zu viel, weil eben die Folgen jedes Mal ganz entsetzlich sind.
Deshalb, glaube ich, müssten vor diesem Hintergrund, der ja Motivation und Impetus dieses Gesetzgebungsverfahrens und dieses Gesetzentwurfs ist, die Bedenken des Anwaltvereins, die ich zunächst einmal nachvollziehen kann – denn es ist klar: eine sozusagen „nachträgliche Verschärfung eines Urteils“, untechnisch ausgedrückt, ist natürlich immer eine Sache, die Anwälten gegen ihr anwaltliches Selbstverständnis gehen muss –, angesichts dessen, dass es sich hier um wenige Ausnahmefälle handelt, aber jeder Fall angesichts der entsetzlichen Folgen eben einer zu viel ist, eigentlich relativierbar sein.
Die Einwände des Weißen Rings, der sich auch gegen diesen Gesetzentwurf ausgesprochen hat, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Allerdings bekommen wir wieder intern Hinweise, dass das vielleicht auch nicht so gemeint sei, was ja im Übrigen auch logisch wäre, denn der Weiße Ring muss natürlich den Opferschutz im Sinn haben; das ist ja seine Aufgabe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf ist im Grunde genommen der bestmögliche vorbeugende Opferschutz. Darum geht es.
Angesichts der verfassungsrechtlich durchaus heiklen Situation ist natürlich klar, dass der Gesetzentwurf an die nachträgliche Anordnung der Unterbringung außerordentlich scharfe Anforderungen stellt. Es müssen ohnehin zunächst einmal die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorliegen. Es muss so sein, dass das Gericht im Zeitpunkt des Urteils noch nicht den Hang zu erheblichen Straftaten bei dem Straftäter bzw. ihre Gefährlichkeit für die Allgemeinheit erkennen konnte. Viele andere Voraussetzungen, die im Detail im Gesetzentwurf enthalten sind, kommen hinzu.
Wichtigste Voraussetzung für die Anordnung einer solchen Unterbringung ist aber, dass von dem betreffenden, in einer Justizvollzugsanstalt einsitzenden Straftäter „eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer“ Menschen ausgeht. Nur dies rechtfertigt bei der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der Rechtsgüter den tiefen Eingriff in die Freiheit der Person, den wir zugegebenermaßen vornehmen, der aber angesichts der Gefährlichkeit dieser zahlenmäßig in der Regel Gott sei Dank wenigen Leute doch am Ende auch in einer verfassungsrechtlichen Abwägung angemessen und, so finde ich, auch notwendig ist.
Die Dauer der Unterbringung kann zeitlich befristet, aber, wie ich ausdrücklich hinzufügen will, auch unbefristet erfolgen. Der verfassungsrechtlich garantierte Freiheitsanspruch gebietet es, den Grundrechtseingriff zu beenden, wenn er wegen Wegfalls oder wesentlicher Verringerung
der Gefahr nicht mehr erforderlich ist. Das Gericht – die Strafvollstreckungskammer – kann diese erforderliche Überprüfung jederzeit vornehmen. Es muss die Fortdauer der Unterbringung aber mindestens alle zwei Jahre überprüfen. Zuständig ist, wie ich schon angedeutet habe, die Strafvollstreckungskammer in der Besetzung mit drei Richtern. Auch dies zeigt, dass wir die formalen Voraussetzungen für die nachträgliche Anordnung sehr hoch setzen.
Im Übrigen: Vor einer Anordnung der Unterbringung sind zur Feststellung der Gefährlichkeit des Betroffenen die Gutachten zweier voneinander unabhängiger Sachverständiger einzuholen. Einer der beiden Sachverständigen darf weder den Betroffenen behandelt haben noch Bediensteter einer Justizvollzugsanstalt sein. Damit soll auch die Entscheidung des Gerichts, der Strafvollstreckungskammer mit den drei Berufsrichtern, auf eine möglichst breite Basis gestellt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, anhand der Voraussetzungen, die ich jetzt im Wesentlichen gerade skizziert habe, wird deutlich, dass ein solcher Eingriff in Gestalt dieser nachträglich anzuordnenden Unterbringung die absolute Ausnahme bleiben muss und sich wirklich nur auf Menschen konzentriert, die trotz der Haft nach wie vor eine ganz erhebliche Gefahr für ihre Mitmenschen darstellen. Wie gesagt: Es wird dabei um wenige Fälle gehen, aber jeder ist angesichts der schlimmen Folgen einer zu viel.
Ich darf noch einen Gesichtspunkt des Kollegen Goll aufnehmen. Darüber können wir gerne noch einmal diskutieren; Sie machen ja eine Anhörung, vielleicht auch einmal mit Anstaltsleitern. Wir haben immer wieder das Problem, dass in den Anstalten Sexualstraftäter einsitzen, die dringend einer Therapie bedürften, aber sich weigern, sich einer solchen Therapie zu unterziehen.