Protocol of the Session on March 23, 2017

Die Schulstrukturreform setzt den richtigen Rahmen für ein gerechteres Bildungssystem. Jetzt müssen wir die nächsten Schritte gehen. Was wir dabei nicht gebrauchen können, sind altbackene Debatten über Konzepte von gestern.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

Etwas erstaunt war ich daher, als ich in der Zeitung las, was die Opposition für die richtigen Konsequenzen aus den Studien hält. Wahlweise wird die Schulstrukturreform an sich für gescheitert erklärt und damit die Rückkehr zur alten Dreigliedrigkeit gefordert oder z. B. innere Differenzierung als Methode grundsätzlich infrage gestellt. Ich stehe dann davor und frage mich: Meinen Sie das ernst, Frau Bentele?

[Hildegard Bentele (CDU): Ja!]

Glauben Sie wirklich, dass die Rückkehr zur Dreigliedrigkeit und eine möglichst starke äußere Differenzierung die Lösung ist? Das dreigliedrig segregierende System hat uns doch den Spalt zwischen Schülern beschert. Ich will dahin nicht zurück.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD]

Aber Sie können uns Ihre Ideen ja gleich erklären, wenn Sie dran sind.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Wir in der Koalition sind überzeugt, wir müssen beide Säulen stärken, in ihren Besonderheiten, aber immer unter Einhaltung der Gleichwertigkeit und Durchlässigkeit. Bei den Gymnasien ist das Probejahr inklusive der personellen Stärkung immer noch da, aber auch die Themen Inklusion, Begabtenförderung, Ausbau des Ganztagsbetriebs sind wichtige Bestandteile, um die Gymnasien weiterzuentwickeln. Für viele ISS und Gemeinschaftsschulen wiederum muss der nächste Schritt die Stärkung der eigenen gymnasialen Oberstufen sein. Erst die eigene Oberstufe, sei es im Verbund, erzeugt die Attraktivität der Schulen für Familien und macht sie zu einer echten Option für sie.

Besonders am Herzen liegt mir die Auseinandersetzung mit den Risikoschulen. Die Ergebnisse der Berlin-Studie belegen eindeutig, dass die Schulstrukturreform allein für sich nicht reicht. Sie haben einen langen Weg vor sich und müssen starke Schulentwicklungsprozesse durchgehen. Ohne Begleitung wird dies kaum machbar sein. Deshalb weiten wir die Fachcoaches aus und setzen auf datenbasierte Schul- und Unterrichtsentwicklung. Natürlich ist das Bonusprogramm auch ein wichtiger Bestandteil, mit dem wir die Schulen jetzt schon unterstützen und auch in Zukunft unterstützen werden.

Für mich steht aber auch fest: Angesichts der neuesten Ergebnisse werden wir darüber sprechen müssen, ob dies reicht oder ob wir nicht noch mehr machen müssen, um unsere Risikoschüler wettbewerbsfähiger zu machen und meinen Weddinger Schülern die Chancen auf Bildung zu geben, die sie verdienen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Danke schön, Frau Kollegin! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Frau Kollegin Bentele das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Fresdorf hat ausführlich dargelegt, in welcher wirklich sehr schwierigen Situation wir uns in Berlin in der Bildungspolitik schon seit sehr Langem, viel zu Langem befinden. Ich muss sagen, dass mich die Ausführungen von Frau Lasić nun auch nicht dazu gebracht haben, viel optimistischer in die Zukunft der Berliner Schule zu blicken.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Nein, wir haben es heute im März 2017 mit der gleichen Senatorin und dem gleichen Stab zu tun, die es schon in den letzten fünf Jahren nicht geschafft haben, eine Trendwende herbeizuführen, und denen es an Problembewusstsein, Einfühlungsvermögen, Ehrgeiz und Konzepten fehlt, um die Berliner Bildungsmisere strukturell und nachhaltig aufzulösen.

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Dazu kommen jetzt auch noch zwei Koalitionspartner, die die Senatorin nicht etwa antreiben oder kritisch begleiten, so wie wir das versucht haben,

[Lachen bei der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

sondern deren Hauptinteresse darin besteht, die Berliner Schüler und Eltern mit einem Projekt aus der Mottenkiste, nämlich mit der Gemeinschaftsschule, 13 Jahre lang unter einem Dach einzulullen.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Diese politische und personelle Ausgangslage macht mich wirklich sehr besorgt. Erschwerend kommt noch dazu, dass Berlin aufgrund des Bildungsföderalismus durchaus von anderen Bundesländern lernen könnte, wie man Verbesserungen herbeiführen und gute Leistungsergebnisse halten kann, diese Chance aber einfach nicht nutzt, sondern lieber Sonderwege einschlägt und Fehler wiederholt.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte keine Zwischenfrage beantworten! – Dabei kann man sich die Kernempfehlung für eine Aufwärtsentwicklung ganz einfach merken. Sie lautet: Qualitätssicherung und klare Ziele.

[Beifall bei der CDU]

Doch leider gilt in Berlin in diesem Bereich absolute Fehlanzeige. Der diese Woche vorgelegte Bericht des ISQ betonte abermals die große Notwendigkeit datenbasierter Qualitätsstandardsicherung, vor allem über die Vergleichsstudien VERA 3 und 8. Im Koalitionsvertrag dagegen heißt es, die Vergleichsarbeiten in Klasse 3 sollen nun in Klasse 4 durchgeführt werden. Und als Neuestes kündigte Senatorin Scheeres standardsichernde Prüfungen in Klasse 9 an. Es gibt erprobte, bundesweit standardisierte KMK-Vergleichsprüfungen als Frühwarnsystem in Klasse 3 und 8 – und nun in Berlin Scheeres‘ Extraprüfungen in Klasse 4 und 9. Das macht doch keinen Sinn! Frau Senatorin, mein dringender Appell: Bitte werfen Sie nicht noch mehr Zeit und Geld für einen unsinnigen Berliner Sonderweg aus dem Fenster, sondern nutzen Sie einfach und ehrlich die Qualitätsinstrumente der KMK!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP]

Kommen wir von den eigentlich notwendigen, begleitenden, standardsichernden Maßnahmen zu den Prüfungen. Meine Damen und Herren von der Koalition! Vor vier Wochen haben wir in ersten Lesungen über unsere Vorschläge zur Qualitätssicherung des MSA und des Abiturs diskutiert. Dazu muss ich Sie aufgrund Ihrer ersten ablehnenden Reaktionen einmal ganz grundsätzlich fragen: Was gibt es eigentlich Unsozialeres als Abschlüsse, die keine Ausbildungs- und keine Studierfähigkeit mehr garantieren?

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Wenn Sie Berufsbildungsreife und Mittleren Schulabschluss durch Niveauabsenkung derart entwerten, dass Arbeitgeber gezwungen sind, Grundrechenarten und das Schreiben einfacher Texte mit den Auszubildenden nachzuholen, wenn Schüler zwar eine gute Abschlussnote, aber nachweislich nicht das nötige Rüstzeug für die Oberstufe bekommen, wenn Sie Überlegungen ins Spiel bringen, ein weiteres Schuljahr zur Mindestqualifizierung von Schülern einzurichten, weil sie mit dem, was sie in zehn Jahren in der Berliner Schule gelernt haben, keine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, wenn angehende Grundschullehrer in Berlin im Bachelor-Studium reihenweise durch die Mathematikprüfungen fallen, wenn 130 Wissenschaftler aus dem für Deutschlands Zukunft eminent wichtigen WiMINT-Bereich einen Brandbrief schreiben, dass Schüler nicht mehr die Grundvoraus

(Dr. Maja Lasić)

setzungen für ein Ingenieurstudium mitbringen, Frau Scheeres, dann läuft hier etwas ganz grundsätzlich falsch.

[Anhaltender Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Setzen Sie sich sowohl in Berlin als auch in der KMK – so, wie wir es in unserem Antrag gefordert haben – für hohe Qualitätsstandards und Bewertungsmaßstäbe im Abitur ein und lassen Sie bei den gemeinsamen Abituraufgaben in Deutsch, Mathematik, und erster Fremdsprache keine Ausweichmanöver durch leichtere Landesaufgaben zu! Denn das sage ich Ihnen voraus: Eltern, die das Gefühl haben, dass die öffentliche Berliner Schule ihre Kinder nicht auf die Herausforderungen des Lebens vorbereitet, und die es sich leisten können, werden Mittel und Wege finden, ihren Kindern außerhalb des öffentlichen Bildungssystems qualitativ hochwertige Bildungsangebote zukommen zu lassen oder ihre Kinder auf Zulassungsprüfungen an den Hochschulen vorzubereiten, die auch irgendwann kommen werden, wenn wir das Abitur als Hochschulreife so entwerten. Aber diese soziale Spaltung, Frau Scheeres, die können doch gerade Sie als Sozialdemokratin nicht wollen. Ein qualitativ schlechtes, intransparentes Schul- und Schulunterstützungssystem mit niedrigen Anforderungen schadet den sozial Schwachen viel mehr als den sozial Starken. Das große Versprechen: „Aufstieg durch Bildung“, kann so kaum mehr realisiert werden. Das ist doch das eigentlich skandalöse Resultat der 20 Jahre andauernden SPD-Bildungspolitik.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Wenn wir über das Erreichen besserer Lernergebnisse sprechen, dann müssen wir natürlich auch über Methoden sprechen. Die Senatsbildungsverwaltung hat sich auf Binnendifferenzierung und das Niveaustufenmodell als das Allheilmittel festgelegt, obwohl es zumindest genauso viele Stimmen gibt, die leistungs- oder lerntypenhomogenere Lerngruppen als gute Lernform ansehen. Interessant ist auch, dass gerade die besonders erfolgreichen ISS in Berlin nach dem Modell der äußeren und nicht der inneren Leistungsdifferenzierung arbeiten.

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Das ist doch Quatsch!]

Ohne hier in einen Grundsatzstreit einsteigen zu wollen: Klar ist, dass Binnendifferenzierung ganz bestimmte Rahmenbedingungen braucht, um als Lernmethode erfolgreich sein zu können, das heißt, kleinere Klassen, Teilungsunterricht, Doppelsteckungen und vom Konzept überzeugt Lehrer. Diese Rahmenbedingungen konnten, können und werden Sie in Berlin für die große Mehrheit der Schüler nicht bieten können, Frau Scheeres.

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Haben Sie aber auch nicht hinbekommen!]

Seien Sie doch einmal ehrlich! Das wurde bei JÜL doch alles zum Leidwesen von Schülern, Lehrern und Eltern durchexerziert. Ich habe fünf Jahre lang Dankesbriefe

bekommen, dass wir durchgesetzt haben, dass dieses nicht ausfinanzierte Experiment nicht mehr allen Grundschulen aufgezwungen wird. Wenn ich jetzt am Montag von Frau Scheeres gehört habe, dass ausgerechnet Binnendifferenzierung und Niveaustufenmodell, die in den ISS seit Jahren nicht funktionieren bzw. nicht richtig angelegt wurden, jetzt auch noch den Gymnasien aufgezwungen werden sollen, den Schulen, die leistungsmäßig in Berlin noch am besten dastehen, dann kann ich nur sagen: Gute Nacht, Berliner Schule!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Wenn wir über das Erreichen besserer Lernergebnisse sprechen, dann müssen wir natürlich auch über das Fundament Grundschule sprechen. 93 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in Berlin besuchen eine Kita – das ist im Bundesvergleich zur Abwechslung einmal ein Spitzenplatz –, Kitas wohlgemerkt, die Bildungsinstitutionen mit einem Bildungsprogramm sind, wie Senatorin Scheeres nicht müde wird zu betonen. Wie kann es denn dann sein, dass unsere Grundschüler so große Probleme haben, in der 3. Klasse Mindeststandards beim Lesen, Schreiben und Rechnen zu erreichen? Frühkindliche Bildung nur als Show, um das Fehlen einer gezielten Vorschularbeit zu überdecken? Dieser Frage müssen Sie doch nachgehen!

Das einzig Richtige an der Lehrkräftebildungsreform war, dass wir die Grundschullehrerausbildung anspruchsvoller gestaltet und stärker standardisiert haben. Aber auf diese besser ausgebildeten Lehrer müssen wir noch bis 2021 warten. Bis dahin werden weiterhin in großer Anzahl Personen angestellt werden, die von Grundschulpädagogik noch nie etwas gehört haben, und damit für die wichtige Aufgabe der Alphabetisierung, die durch Inklusion und Migration deutlich erschwert wurde, in keiner Weise gewappnet sind.

Guter Unterricht steht und fällt mit gut ausgebildeten und motivierten Lehrkräften – eigentlich eine Binsenweisheit, aber wohl doch zu hoch für die SPD. Jahr um Jahr steigt die Zahl der Quereinsteiger in unseren Schulen, also der Personen, die kein volles oder gar kein fachliches und pädagogisches Studium aufweisen können. Ausgebildete Lehrer in den Naturwissenschaften wird man an der Berliner Schule in den kommenden Jahren wohl mit der Lupe suchen können. In jedem Studium spezialisiert man sich heutzutage, nur Lehrerinnen und Lehrern soll das in Zukunft verboten werden. Mit Qualität hat das, was hier in Berlin mit dem pädagogischen Personal passiert, schon längst nichts mehr zu tun. Aber anstatt die Rahmenbedingungen für Lehrer in Berlin strukturell zu verbessern und attraktiver zu gestalten, lässt sich die Senatsbildungsverwaltung regelmäßig durch Streiks erpressen und muss für Lehrer mittlerweile Gehälter bezahlen, die weit über denen der anderen Beschäftigen mit vergleichbarer Qualifikation im Berliner öffentlichen Dienst liegen.

Meine Damen! Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer wird sie lösen, die Bildungsmisere in unserem Land?

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Sie nicht!]

Ganz sicher nicht die Märchenerzählerinnen von RotRot-Grün! – Vielen Dank!

[Starker Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Kollegin Kittler das Wort.

„Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“ –, dieser Ausspruch wird Seneca zugeschrieben. Allerdings ist es die Negation seiner eigentlichen Feststellung, „Nicht für das Leben, für die Schule lernen wir“, mit der er die Philosophenschulen seiner Zeit kritisierte, weil sie Schulweisheit statt Lebensweisheit lehrten. Das war kurz nach Beginn der Zeitrechnung. Wenn ich hier FDP und CDU sprechen höre, hat sich bei Ihnen offensichtlich noch nicht so viel verändert.