Protocol of the Session on November 19, 2020

Für die Koalition hier im Haus kann ich sagen, dass die Regeln, die das Völkerrecht zum Schutz von Humanität und Menschenleben aufstellt, vollständig beachtet werden und es dahinter kein Zurück gibt. Das werden wir auch künftig in der Praxis beachten, auch wenn Sie da noch so sehr drängen. Ich will Ihnen jetzt keine besondere Polemik vorwerfen. Das haben Sie hier nicht gemacht. Wir sollten als Haus das Signal aussenden, dass wir verantwortlich handeln. Und so wird der Senator garantiert in die nächsten Beratungen der Innenministerkonferenz eintreten und sich dort an der Analyse beteiligen. Alles vorwegzunehmen, was dort möglicherweise entschieden werden kann, macht keinen Sinn, weil man sich die Punkte erst angucken muss. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat dann der Kollege Dregger das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben uns ja vor zwei Wochen in unserer Debatte aus Anlass der fürchterlichen Terroranschläge in Dresden, Paris, Nizza und Wien sehr eindringlich vor Augen gehalten, wie wichtig es ist, dass wir nicht nur Sonntagsreden halten, sondern dass wir auch die notwendigen Konsequenzen ziehen. Und das ist im Detail nicht immer einfach. Herr Kollege Zimmermann! Ich möchte Ihnen auch sehr herzlich für Ihren wirklich sachlichen und nüchternen Beitrag danken, der die Rechtslage zutreffend beschrieben hat. Danke schön dafür!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

In der heutigen Debatte geht es also nicht um die vielen Fälle, in denen die Durchsetzung der Ausreisepflicht an der tatsächlich oder vermeintlich fehlenden Reisefähigkeit der Ausreisepflichtigen scheitert. Es geht auch nicht um die nicht gerade kleine Zahl von Fällen, in denen Ausreisepflichtige nicht zur Ausreise angehalten werden können, weil sie ihre Pässe vernichtet haben und bei der Beschaffung von Ersatzpapieren nicht kooperieren, sondern es geht jetzt um die Fälle, so wie Sie es beschrieben haben, in denen unsere Behörden selbst, ohne Zutun der Betroffenen, von der Durchsetzung der Ausreisepflicht absehen, obwohl die Ausreisepflichtigen schwerste Straftaten begangen haben.

Ich finde, wir sollten das nicht nur abstrakt diskutieren, sondern uns mal vor Augen halten, was das bedeutet. Stellen wir uns unser eigenes Zuhause vor! Sie leben dort mit Ihrer Familie. Sie haben dort regelmäßig Freunde zu Besuch, und Sie öffnen Ihre Tür auch für Hilfsbedürftige. Ich bin sicher, dass wir das alle so praktizieren, weil die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft den Prägungen unserer Werte und auch den Werten dieses wunderbaren Landes entsprechen. Wie aber werden Sie sich verhalten, wenn einer Ihrer Gäste in Ihrem eigenen Zuhause gewalttätig wird, ein Familienmitglied gar ermordet? Werden Sie ihn dann als Gast behalten, oder werden Sie versuchen, diesen Gast loszuwerden? Wie würden Sie es handhaben, wenn dieser gewalttätige Gast selbst vor Ihrer Tür eigenen Gefährdungen ausgesetzt wäre? Wollen Sie dann tolerieren, dass er in Ihrem Haus bleibt? Übertragen auf unser Land ist Deutschland nicht unser Zuhause, auf das wir genau diese Regeln anwenden wollen?

[Christian Buchholz (AfD): Da müssen Sie mal die Kanzlerin fragen!]

Ich stelle diese Fragen, damit wir darüber eine ernsthafte Debatte betreiben. Diese Fragen stellen nicht nur wir uns, sondern ganz viele Menschen draußen in unserem Land, die genauso wie wir auf die schrecklichen Anschläge von Dresden, Paris, Nizza und Wien blicken, aber auch auf den fürchterlichen Anschlag auf unseren Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, der zwölf Menschen in den Tod gerissen und über 60 Menschen schwer verletzt hat. Wir müssen diese Debatte also führen und keine Angst

davor haben. Ich glaube, dass unser Haus und unsere Demokratie auch im Angesicht der Menschen draußen gewinnen, wenn wir diese Debatte offen führen.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Paul Fresdorf (FDP)]

Ich weiß, dass es hier im Haus auch Kolleginnen und Kollegen gibt, die der Überzeugung sind, dass auch Verbrecher grundsätzlich bleiben sollten, wenn sie in ihrem Herkunftsland Gefährdungen ausgesetzt sind, die das Gastrecht in jedem Falle aufrechterhalten wollen, selbst im Falle schwerster Verbrechen eines Gastes. Ich respektiere das, aber ich teile das nicht.

§ 60 Abs. 8 des Aufenthaltsgesetzes und ebenso § 4 Abs. 2 des Asylgesetzes haben zu diesen Fragen andere Wertungen vorgenommen. Das muss man mal nachlesen. Danach sind gewalttätige Verbrecher und Gefährder grundsätzlich vom Schutz ausgenommen, nicht vollständig, aber doch weitergehend, letztlich abhängig vom Grad der Gefahren in ihrem Herkunftsland. Daher wird, wer schwerste Verbrechen begangen hat, heute auch nach Afghanistan oder beispielsweise in den Irak abgeschoben, trotz der dort nicht ungefährlichen Lage. Ich halte das für richtig, denn wer schwerste Verbrechen begeht, der verwirkt das Vertrauen, den Schutz und das Gastrecht, das wir Deutschen in so großem Maße gewähren wie kein anderes Volk dieser Erde.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Paul Fresdorf (FDP)]

Sehr maßgebend für die Beurteilung der Gefahren in den Herkunftsländern – Herr Kollege Zimmermann, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen – ist die Einschätzung des Auswärtigen Amtes. Um Abschiebungen auch nach Syrien zu ermöglichen, insbesondere für diejenigen, die schwerste Verbrechen begehen, liegt der Schlüssel im Auswärtigen Amt, denn die Landesinnenminister, denen die Abschiebungen obliegen, folgen der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes. Deswegen hat unser Antrag zum Ziel, den Senat zum einen zu verpflichten, seine ausnahmslose Verweigerungshaltung aufzugeben und stattdessen Straftäter und Gefährder künftig grundsätzlich auch nach Syrien abzuschieben, natürlich im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung.

Herr Kollege! Sie müssten bitte zum Schluss kommen.

Frau Präsidentin, sofort! – Und zum Zweiten soll der Senat anderen Bundesländern folgend darauf hinwirken, dass das Auswärtige Amt seine Lageeinschätzung in Syrien überarbeitet und insbesondere die unterschiedliche Sicherheitslage in den verschiedenen Landesteilen untersucht.

Zum Schluss: Es geht nicht um die große Zahl derjenigen, die um Schutz nachsuchen und an unsere Tür klopfen, sondern es geht um diejenigen, die gar nicht schutzbedürftig sind, die ausreisepflichtig sind und dazu noch schwerste Verbrechen begehen. Denen gegenüber sind wir nicht in der Pflicht, sondern wir sind in der Pflicht, im Rahmen unserer Verfassungsordnung die Menschen in unserem Land zu schützen. Daran sollten wir uns auch heute erinnern. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat die Kollegin Schubert jetzt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dregger! Ich lese Ihren Antrag so, dass Sie den Senat auffordern, beim Auswärtigen Amt zu intervenieren, dass die Lageberichte zur Situation in Syrien doch bitte manipuliert werden. Das finde ich einigermaßen skandalös.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Das hat mit gesellschaftlicher Mitte und mit Rechtsstaat wenig zu tun.

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Ich nehme die Lageberichte des Auswärtigen Amts ernst. Das sind nicht die Berichte von Amnesty International oder Pro Asyl, das sind die des Auswärtigen Amts. Wenn ich das richtig gelesen habe, gibt es in Syrien keine sicheren Gebiete. Das hat ganz viel damit zu tun, was Assad für ein Regime führt. Das hat auch damit zu tun, dass dort, wo Assad nicht herrscht, islamistische Freischärler oder andere herrschen. Das hat ganz viel damit zu tun, dass die übrigens alle mit Waffen, die vor vielen Jahren mal aus dem Westen gekommen sind, ausgerüstet sind.

[Roman Simon (CDU): Aus der Sowjetunion!]

Auch aus Russland übrigens, ja. – Auch das ist falsch, dass es so ist, dass diese Waffen dorthin geliefert werden, weil dieser schmutzige Bürgerkrieg, der in Syrien stattfindet, dazu geführt hat, dass es nirgendwo sichere Gebiete gibt, dass jetzt noch etwa 9 Millionen Menschen in diesem Land leben und davon die Hälfte unter Hunger leidet, dass sie nicht in der Lage sind, mit der Coronapandemie umzugehen. Corona schlägt dann noch einmal viel deutlicher zu als hier. Und da sagen Sie, der Senator soll darauf hinwirken, dass die Lageberichte des Auswärtigen Amts manipuliert werden, damit Sie Ihr Süppchen kochen können? – Das ist skandalös!

[Beifall bei der LINKEN – Burkard Dregger (CDU): Sagt ja keiner!]

Es gibt einen guten Grund, warum es verboten ist, in Staaten abzuschieben, in denen Folter herrscht – das ist in Syrien der Fall –, warum es verboten ist, in Staaten abzuschieben, in denen Menschen nicht sicher sind. Und in Syrien ist niemand sicher.

[Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Das hat doch überhaupt nichts damit zu tun, dass man glaubt, damit islamistischen Terror und islamistische Gewalt bekämpfen zu können. Wenn man sagt, Leute dahin abzuschieben würde helfen, den Islamismus zu bekämpfen, dann ist das purer Populismus, und dass Sie sich so an die AfD anwanzen, finde ich sehr schade.

[Beifall bei der LINKEN – Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

Das, was wir an Terror und an Gewalt durch Islamisten erleben, lässt sich durch Abschiebung nicht klären. Die Gewalttäter von Dresden, von Nizza, von Wien gehören vor Gericht, da gehört sauber ermittelt. Dann gehören sie verurteilt und bestraft. Das Aufenthaltsrecht ist kein Strafrecht.

[Beifall von Katrin Schmidberger (GRÜNE) und Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Deswegen ist das der falsche Weg. Wir sollten auch nichts tun, was den vielen Geflüchteten, die sich seit fünf Jahren von Syrien hierher gerettet haben, die viel getan haben, um hier Fuß zu fassen – auch mit viel Unterstützung der Berliner Zivilgesellschaft –, signalisiert: Eigentliches ist euer Land sicher. Erst schieben wir die einen ab und dann die anderen.

Es wird auf viele Jahre hinaus nicht möglich sein, nach Syrien zurückzugehen. Es ist zentral wichtig, dass man den Menschen, die hierhergekommen sind, die hier übrigens ihre Arbeitskraft, ihr Wissen, ihre Expertise einbringen – übrigens auch im medizinischen Bereich –, deutlich macht: Ihr seid hier willkommen. Das, was ihr hier an Kraft in diese Gesellschaft einbringt, wird gewertschätzt. Wir wollen euch hier haben. Ihr habt hier eine Perspektive.

[Beifall bei der LINKEN – Zuruf von Franz Kerker (AfD)]

Und diejenigen, die sich Verbrechen schuldig machen, die straffällig sind, die gehören vor Gericht und müssen sich auch genau dort für das verantworten, was sie tun. Das ist das Prinzip des Strafrechts und nicht des Aufenthaltsrechts.

[Beifall bei der LINKEN]

Insofern werden wir Ihren Antrag ablehnen – und natürlich den der AfD sowieso. Die haben nur ein Thema, insofern kommt das sowieso gebetsmühlenartig. Das kann ich schon nicht mehr ernst nehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN –

Das erzählen Sie

(Burkard Dregger)

mal den Hinterbliebenen der Opfer! –

Zurufe von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Fresdorf das Wort!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Frau Kofbinger! Wenn Sie sich wieder beruhigt haben, würde ich gerne anfangen. Vielen Dank!

Lassen Sie mich eingangs eine unverrückbare Überzeugung mit Ihnen teilen: Wer zu uns kommt und sein Recht auf Asyl ausüben möchte und wer zu uns kommt und subsidiären Schutz in Anspruch nimmt, weil seine Heimat in Trümmern liegt, ist herzlich willkommen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das ist die eine Seite der Medaille. Es gibt dazu aber auch eine andere, und über die müssen wir einfach sprechen. Kollege Dregger hat es getan, indem er ein Beispiel mit seinem Haushalt gebildet hat. Wir können es aber auch anders machen. Wir können einmal feststellen – das ist eine Botschaft, die wir in dieses Land tragen sollten –: Kommst du nach Deutschland und hast vor, hier Gewalt zu verüben, du hast vor, hier Terror zu säen, du akzeptierst die Freiheit nicht, in der wir leben, akzeptierst die Gleichstellung von Mann und Frau nicht, die wir haben, oder die Meinungsfreiheit, dann bleib bitte gleich da, von wo du kommen wolltest, denn du passt nicht in unsere Gesellschaft rein. Es wird auch nie etwas werden, denn das sind auch unverrückbare Wahrheiten: Freiheit, Meinungsfreiheit, Gleichheit von Mann und Frau sind bei uns in der Gesellschaft verankert. Und wenn du das nicht in Ordnung findest, komm einfach nicht zu uns!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD) – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Wollen Sie einen Gesinnungstest machen?]