Protocol of the Session on November 19, 2020

Es wäre kurzsichtig zu sagen, der Antrag ist obsolet, weil größere Probleme nun auf der Tagesordnung stehen. Ja, diese Krise verlangt uns allen viel ab: Familie und Freunde, die man seltener umarmen kann, Kommunikation wird digitaler, entfernter, geliebte Freizeitaktivitäten müssen pausieren. Doch Kultur ist nicht einfach Freizeit. Kultur gehört zum Leben, und Kultur ist für viele Überleben. Deshalb handelt diese Koalition hier geschlossen und entschlossen. Neben den bestehenden Programmen wie dem Lärmschutzfonds, dem Clubkataster, DrugChecking, legalen Open Airs, zum ökologischen Feiern wird jetzt hier geklotzt.

Durch die Soforthilfe IV sind bisher im Schnitt weit über 35 000 Euro an die Berliner Clubs geflossen, und wir sind uns einig, dass es eine dritte Förderrunde für die Wintermonate geben wird.

Dem Senat sei an dieser Stelle jedoch eines mitgegeben: Lassen Sie uns nicht die Clubs bestrafen, die sich jetzt selbst gerade noch so über Wasser halten können. Klären Sie bei der Weiterentwicklung, wie gesammelte Spenden und rückzahlbare Kredite aus der Liquidität herausgerechnet werden können. Denn spätestens beim Neustartprogramm des Bundes wollen wir ja, dass unsere Clubs Gelder von dort auch selbst akquirieren. Da dürfen wir ihnen kein Bein stellen; das muss korrigiert werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Dieser Antrag umfasst vieles, aber vor allem eines: Ein Signal der Hoffnung in einem ziemlich düsteren Jahr 2020, Hoffnung für über 9 000 Beschäftigte, für viele Tausende Künstlerinnen und Soloselbständige, die Clubs als Orte des Schaffens brauchen. Wir brauchen sie. Hoffnung für alle, die Berlin als Stadt der Freiheit, als Sehnsuchtsort sehen, denn das soll es bleiben. Wir sagen einer jungen Generation, die wahrscheinlich mehr Vertrauen in den DJ hat als in ihren lokalen Wahlkreisabgeordneten:

[Beifall von Christian Gräff (CDU) und Kurt Wansner (CDU) – Kurt Wansner (CDU): Er spricht von sich! – Zuruf von Christian Gräff (CDU)]

Wir hören euch, und wir zeigen euch heute: Politik ist nicht verstaubt. Wir hören auf euch, und wir handeln.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Für einige in diesem Haus sind Clubs vor allem ein immenser wirtschaftlicher Faktor. Würden sie sich zusammenschließen, sie wären der siebtgrößte Arbeitgeber der Stadt. Für andere, so wie für mich, sind sie vor allem Orte des künstlerischen Schaffens und soziale Schutzräume und somit auch ein Eckpfeiler des freien Berlins.

(Paul Fresdorf)

Bei allen Meinungsverschiedenheiten über Türpolitik, Drug-Checking, Fördermittel, Liegenschaftspolitik, ja auch über den Musikgeschmack wahrscheinlich, haben doch ganz viele von uns eine individuelle Geschichte zum Berliner Nachtleben: Freundschaften, lange Nächte, vielleicht die klassische Anekdote, wie man mal nicht reingekommen ist, vielleicht der erste Tango mit der späteren Frau, der letzte Rave, bevor die Kinder da waren. Clubkultur berührt uns alle persönlich, und es handelt sich dabei nicht einfach nur um Vergnügungsstätten. Gerade die Berliner Spezialität der elektronischen Musik beeinflusst seit Jahrzehnten die Gegenwartskultur, und wir müssen dafür Sorge tragen, dass sie das auch weiterhin kann.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Liebe Kollegen – vor allem die Kollegen Goiny, Buchholz, Nelken und andere! Wir beschließen heute, Clubkultur offiziell als Kultur anzuerkennen. Das freut viele Berlinerinnen und Berliner und gerade mich persönlich; ich danke Ihnen allen für die unaufgeregte und sachliche Debatte! Damit dies aber nicht nur politische Leitlinie, sondern auch formaljuristische Grundlage wird, brauchen wir eine Änderung der Baunutzungsverordnung – auf Bundesebene. Die große Koalition hat das Thema bisher nicht aufgenommen, und es gibt nur drei einsame Oppositionsanträge zu dieser Forderung. Da erwarte ich, ganz ehrlich, mehr von Kai Wegner. Wer Spitzenkandidat für Berlin werden will, der muss jetzt für Berlin liefern.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Daniel Buchholz (SPD) und Ülker Radziwill (SPD)]

Im Jahr 2020 stellen sich viele Weichen. Wir müssen uns jetzt entscheiden: Wollen wir die Clubkultur behalten? – Als Berliner Parlament sagen wir heute Ja. Ja, Clubkultur ist Kultur. Ja, Clubkultur gehört in unsere Stadt, und ja, dafür nehmen wir auch richtig Geld in die Hand. Deshalb heißt es am Ende des Jahres nicht – und ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis noch einmal H. P. Baxxter –: „We don’t give a penny, fuck 2020!“ – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Faktion hat der Kollege Goiny das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Kössler! Die CDU-Faktion hat in den mitberatenden Ausschüssen dem Antrag der Koalitionsfraktionen zugestimmt und wird das auch hier machen, wenngleich wir an einigen Punkten durchaus Kritik zu üben haben. Ich will insbesondere sagen: Für Ihren Gene

ralverdacht gegenüber der Clubszene, dass dort bei der Türpolitik diskriminiert werde, sehen wir keinen Anlass, schon lange keinen Anlass dafür, dass Sie hier eingreifen müssen. Aus unserer Sicht funktioniert die Selbstverwaltung und Selbstkontrolle der Clubszene.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Sven Kohlmeier (SPD)]

Wir haben darüber hinaus übrigens einen Antrag eingebracht, dass eine Initiative gestartet wird, damit von Berlin aus die Baunutzungsverordnung geändert wird. Das haben Sie abgelehnt, um es dann im eigenen Antrag zu formulieren. Ich darf das für die CDU in Berlin ganz klar sagen: Wir sind absolut dafür, dass die Baunutzungsverordnung im Bund geändert wird. Seien Sie gewiss, dass unser Landesvorsitzender Kai Wegner sich da auch nach Kräften engagiert; er hat das öffentlich bereits mehrfach verkündet.

[Beifall bei der CDU – Antje Kapek (GRÜNE): Wer?]

Im Übrigen darf ich auch nur noch mal sagen, lieber Herr Kollege Kössler – Ihr Redebeitrag war ja heute etwas moderater –: Ich glaube, wir haben insgesamt die Notwendigkeit, dass für diesen wichtigen Bereich der Kultur in dieser Stadt und in diesem Land mehr Gemeinsamkeit erarbeitet wird und wir weniger auf parteipolitische Foulspiele, Selbstdarstellungen und unabgestimmten Aktionismus Wert legen sollten. Ich glaube, das, was die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag mit dem Parlamentarischen Forum Clubkultur vorgemacht haben, wäre vielleicht auch ein gutes Signal für das Berliner Abgeordnetenhaus, wie wir künftig besser mit dem Thema Clubkultur umgehen sollten.

[Beifall bei der CDU]

Wir haben darüber hinaus – zum Glück seit 2012 – in diesem Parlament eine Reihe von Initiativen gestartet, die zugunsten der Clubkultur Veränderungen gebracht haben: Wir haben in der letzten Wahlperiode die Liegenschaftspolitik geändert, wir haben das Musicboard gegründet, und wir haben dafür gesorgt, dass sowohl die Clubcommission als auch die Berlin Music Commission eine feste Förderung bekommen. Leider muss man auch sagen, dass die Kulturverwaltung nach wie vor sehr stringent bei der Finanzierung der Clubcommission ist; die eigentlich verabredeten Gelder kommen nicht in voller Höhe an, und bei der Beantragung müssen beide Institutionen immer noch über jeden Cent Rechenschaft ablegen. Ich glaube, das ist nicht der Stil, wie wir mit der Clubszene umgehen sollten.

Bei den letzten Haushaltsberatungen haben wir Vorschläge für einen Runden Tisch Clubkultur unterbreitet, wo Senatsverwaltungen und entsprechende Bezirksverwaltungen gemeinsam mit der Clubcommission anstehende Probleme und Fragen diskutieren. Das haben Sie damals abgelehnt. Wir haben gefordert, den Lärmschutzfonds auf 5 Millionen Euro zu erhöhen und jetzt auch noch um

(Georg Kössler)

Luftfilteranlagen zu ergänzen. Auch wir haben uns dafür eingesetzt, dass eine vereinfachte Ausnahmegenehmigung für Kulturveranstaltungen Open Air auch in diesem Jahr schon umgesetzt wird. All das ist nicht passiert.

Damit komme ich auch ein bisschen zu dem, was der Ausblick sein sollte, um den wir uns in diesen Tagen natürlich auch kümmern sollten: All das, was Sie ansonsten in den Antrag reingeschrieben haben, ist gut und richtig, aber die Menschen, die sich mit diesem Teil der Berliner Kulturszene beschäftigen, fragen sich momentan vielmehr, wie es im nächsten Jahr weitergehen soll. Da muss man einfach mal sagen, dass das, was Sie bisher organisiert haben, auch senatsseitig, nicht ausreicht. Sie bauen die Wirtschaftshilfen mit der IBB viel zu kompliziert, die Gelder kommen zu spät an,

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Katalin Gennburg (LINKE)]

sie kommen unzureichend im Umfang an. Sie geben auch überhaupt keine Perspektive. Und auch wenn ich zustimme, dass es bei der Kultur- und Clubszene im Wesentlichen um den künstlerischen Aspekt geht, so ist es natürlich auch für die Wirtschaft Berlins enorm wichtig, insbesondere auch für die Menschen, die in der Clubkultur arbeiten, denn die leben davon. Die wollten bisher kein Geld, und sie wollen auch weiterhin kein Geld, sie suchen nur nach einer Perspektive, wie sie überleben können. Für eine Stadt wie Berlin, die von Tourismus und Internationalität lebt, müssen wir auch Konzepte erarbeiten, wie wir im nächsten Jahr weitermachen können. Und da sind die Hilfen, wie sie Sie bisher organisiert haben, überhaupt nicht geeignet. Wer kann es sich denn für nächstes Jahr überhaupt leisten, irgendeine Art von Veranstaltung zu planen, wenn es zum Frühjahr mit dem Impfstoff und anderen Möglichkeiten wieder möglich sein sollte?

Was wir brauchen, ist eine Art institutionelle Kulturförderung, die bis zum Ende des nächsten Jahres reicht, mit der Sie dem Kulturbereich Planungssicherheit geben können, mit der auch Konzepte für 2021 erarbeitet werden können, welche Hygiene- und Schutzstandards Veranstaltungen wann wieder möglich machen, und mit der eine entsprechende Perspektive gegeben wird.

[Daniel Buchholz (SPD): Das kann aber Frau Grütters machen!]

Auch die Soloselbstständigen: Da schreibt der Regierende Bürgermeister den Damen von Booking United, dass man im Land Berlin nicht mehr machen kann als das, was man macht. Den Rest muss der Bund machen. – Die Frage ist aber, ob die überhaupt unter die Förderprogramme fallen, wenn bei der Novemberhilfe nur Inlandsumsätze gezählt werden. Und auch das ist natürlich völlig unzureichend.

Von der Finanzverwaltung erwarten wir eine Klarstellung, wie mit dem Urteil, das das Berghain zur Frage der

steuerlichen Anerkennung von Kulturveranstaltungen erstritten hat, insgesamt im Land Berlin umgegangen wird, damit man auch hier Planungssicherheit hat. Die offenen Detailfragen, wo ich auch das Engagement der Koalition erwarte – zum Beispiel bei der Uferwandsanierung am Yaam, bei der Beendigung der Schikane gegenüber dem Holzmarkt und vielen anderen Kulturorten –, sind gleichfalls konkrete Punkte, wo ich sehr gespannt bin, lieber Kollege Kössler, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wie Sie der Clubkultur in dieser Stadt in den nächsten Wochen und Monaten konkret helfen werden und helfen können. Sie haben die Messlatte hier insofern hoch gelegt. Dass der eigene Senat von Ihnen zu einem solchen Handeln aufgefordert werden muss, spricht auch dafür, dass hier noch Handlungsbedarf bei der Berliner Landesregierung ist. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Buchholz das Wort.

[Katalin Gennburg (LINKE): Der Raver kommt jetzt! – Heiko Melzer (CDU): Jetzt kommen wieder die berühmten Buchholzschen Nebelkerzen!]

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen – ravend oder sitzend, wie auch immer!

[Paul Fresdorf (FDP): Wer ravt denn hier?]

Berlins Clubkultur ist legendär. Das galt schon einmal vor über 100 Jahren. In den 1920er-Jahren gab es eine große Blütezeit, wo viele gesagt haben: Wo was los ist, ist ganz klar –, und das galt fast europaweit. Erst einmal müssen wir nach Berlin!

In den letzten Jahrzehnten haben wir es in Berlin geschafft, dass wir wieder so einen Nimbus bekommen haben, wo die Leute sagen: Ja, Berlin ist nicht nur eine tolle und interessante Stadt, was die Stadtentwicklung und viele andere Punkte angeht, sondern gerade auch, was die Clubkultur, die Livemusikstätten betrifft. – Es ist völlig zu Recht gesagt worden, dass wir damit nicht bloß kulturpolitisch ein unglaubliches Ausrufungszeichen setzen. Es ist auch ein kultureller Freiraum, wo sich nicht nur Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und mit ganz unterschiedlichen Hintergründen begegnen, sondern wo wir auch Menschen zusammenbringen, wo es heißt: Ja, wir können und wir wollen uns einfach auch mal amüsieren, weil das zum Leben dazugehört. – Und darum ist es so wichtig, dass wir als Land Berlin sagen – und wir sind nach meiner Kenntnis das erste Landesparlament überhaupt, das das tut –: Wir erkennen die Clubkultur als Teil der großen Kultur von Berlin an. Wir wollen sie

(Christian Goiny)

nicht bloß sichern, sondern wir wollen sie stärken und ausbauen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

So ist ein solcher Antrag nicht bloß ein Lippenbekenntnis, vielmehr haben wir ganz konkrete Forderungen an den Senat und sagen, was zu tun ist. Natürlich wissen wir alle, die Lage ist im Augenblick extrem dramatisch und existenzbedrohend für viele Clubs, für viele Livemusikspielstätten. Sie sind seit mehr als 200 Tagen schlichtweg geschlossen, haben null Umsatz, haben vielleicht mal ein, zwei Veranstaltungen in den Außenbereichen machen können, die natürlich nicht ansatzweise das eigentliche Clubleben, die Clubkultur, die wir hier in Berlin so vielfältig haben, ersetzen können. Das ist die aktuelle Riesengefahr.

Wir hatten davor auch schon Gefahren. Das war der eigentliche Anlass, um diesen Antrag als Koalition zu erarbeiten. Wir haben gesehen, oftmals sind die exorbitanten Mietsteigerungen bei den Gewerbeobjekten schlichtweg eine Verdrängung eben auch von viel Clubkultur, von Subkultur, die wir erhalten wollen. Wir sehen auch, dass die Nutzungskonkurrenzen, dass eben andere herankommen, nicht nur, um hohe Mieten zu zahlen, sondern auch das Heranrücken der Wohnbebauung, oftmals Probleme geschaffen hat, die ohne die Wohnbebauung nicht vorhanden waren, wo wir sagen – das ist ein Aspekt dieses Antrags –: Es muss gelten, wer zuerst da war, der muss beachtet werden. – Darum fordern wir ganz klar den Senat auf: Wir brauchen ein umfassendes Clubkataster für Berlin, wo diese Clubstätten alle, und zwar wirklich alle, vollständig aufgeschrieben sind, damit sie in den Planungsverfahren, in den Bauverfahren endlich als kulturelle Anlagen und kulturelle Orte anerkannt und beachtet werden.

[Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Denn diese Anerkennung ist keine Selbstverständlichkeit. Es ist gerade schon einmal gesagt worden, auf der Bundesebene gibt es da tatsächlich parteiübergreifend Abgeordnete, die sagen: Die Clubs, die ein anspruchsvolles Programm haben, die ein Stück von tatsächlich Kiezkultur sind, die müssen als kulturelle Stätten anerkannt werden. Es kann doch nicht mehr sein im Jahr 2020, dass die Clubs hier in Berlin mit den Bordellen und Spielhallen gleichgestellt werden. Das müssen wir beenden, und zwar nicht nur in Berlin, sondern bundesweit, endlich.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]