Protocol of the Session on November 1, 2020

Helfen Sie uns! Jetzt! Sonst werden wir in ein paar Monaten kulturell ein ärmeres Land sein.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Juhnke?

Gleich!

[Paul Fresdorf (FDP): Ist doch harmlos!]

Vieles von dem, was dann verschwindet, wird nicht wiederkommen. Damit wird nicht nur produktiven Mitgliedern eines Wirtschaftssystems die Lebensgrundlage genommen, sondern eine Gesellschaft ihrer Seele beraubt.

Herr Juhnke!

[Heiterkeit – Paul Fresdorf (FDP): Da kommt die Lehrerin durch!]

Vielen Dank, Frau Kollegin, für die Möglichkeit, nachzufragen! Da muss ich mich doch wundern, wenn ich Ihre Worte höre, die ja praktisch eine reine Oppositionsdarstellung sind. Darf ich denn erwarten, dass Sie den Vorschlägen keine Zustimmung erteilen werden und die Coronaverordnungen ablehnen?

[Beifall bei der AfD – Beifall von Danny Freymark (CDU)]

Wie Sie vielleicht wissen, Herrn Juhnke, sind wir auf der Bundesebene durchaus in der Opposition,

[Marc Vallendar (AfD): Wer erlässt denn die Rechtsverordnungen im Land Berlin? Wer ist denn dafür zuständig? – Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

und genau an diese Bundesebene habe ich mich jetzt gewandt. Falls Sie es nicht verstanden haben, können Sie es gerne noch mal nachlesen.

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Ich möchte zumindest zum Schluss noch versichern: So wie unser Senator Klaus Lederer kann ich auch für die Linksfraktion hier nur erklären: Wir werden mit den Kulturschaffenden, mit den Kreativen dieser Stadt gemeinsam um jede notwendige Hilfe kämpfen. Wir werden um jeden gefährdeten Kulturort kämpfen, und wir müssen gemeinsam – und ich hoffe, da machen Sie mit, auch Sie, Herr Juhnke – darum kämpfen, dass Berlin Kulturstadt bleibt.

[Dr. Robbin Juhnke (CDU): Ich bin aber nicht verlogen dabei, das ist der Unterschied!]

Und um mit Till Brönner zu enden:

Kultur ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von der AfD – Regina Kittler (LINKE): Dass Sie davon keine Ahnung haben, wissen wir!]

Für die AfD-Fraktion beginnt Herr Abgeordneter Hansel. – Bitte, Sie haben das Wort!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Abgeordnetenkollegen! Liebe Berliner! In der ersten Rederunde im Zuge der Regierungserklärung haben wir schon einiges zu den vom Senat verordneten Grundrechte und Freiheitsrechte der Bürger einschränkenden Maßnahmen gehört, auch dazu, warum heute diese Sondersitzung notwendig ist. Es wird immer gesagt, Krisen sind Zeiten der Exekutive. Da ist sicher was dran. Die Menschen wollen in der Krise Führung, die Menschen wollen Sicherheit. Ich glaube, sagen zu können – oder sogar sagen zu müssen –: Insbesondere wir Deutsche wollen und brauchen Sicherheit, vielleicht auch nur gefühlte Sicherheit.

Die Infektionsschutzmaßnahmen, die wir in der zehnten Fassung vom Senat vorgelegt bekommen haben – Verordnungen mit quasi Gesetzesrang, ohne tatsächlich von den Volksvertretern gemachte oder beschlossene Gesetze zu sein –, sollen den Menschen diese Sicherheit geben. Sie sollen die Gesundheit der Menschen schützen, Leben schützen. Das ist an sich richtig. Ich gehe übrigens davon aus, das wir, würden wir in einer Regierung sitzen, das Gleiche wollen würden: die Gesundheit der Menschen schützen, Leben schützen, Leben retten.

[Beifall bei der AfD]

In der Zielsetzung kann es da gar keine Unterschiede geben, wenn man in der Verantwortung steht. Indem ich feststelle, wir würden das Gleiche wollen und wollen müssen, heißt es aber nicht, dasselbe zu tun. Hier kommen wir zur Krux des heutigen Tages: Ja, es heißt immer, Krisen wären die Stunde der Exekutive. Ich sage, nein, es ist auch und gerade die Stunde des Parlaments und der Opposition. Es geht darum, darüber zu reden, ob die Mittel, die erwirken sollen, was zu tun ist, und zwar zwingend zu tun ist, um das erkannte Ziel zu erreichen, tatsächlich die richtigen sind, oder ob es nicht andere sein könnten. Keiner in diesem Raum kann sagen, auch Sie nicht, Herr Regierender Bürgermeister, dass er zu 100 Prozent weiß, dass das alles wichtig ist, was er tut.

Denn was ist das Kriterium für das 100 Prozent Richtige? Vielmehr müssen wir doch sagen: Welche Kriterien sind anzuwenden, um das zu beurteilen? Ist es die Vermeidung eines bestimmten Prozentsatzes von Toten? Wer

will das rechnen? Wer das tut, wird sofort die Debatte bekommen, dass auch in der Grippewelle Menschen sterben. Die Toten werden in Relation gesetzt zum Phänomen der sogenannten Übersterblichkeit, ein Phänomen, dass weder ich noch die meisten der Kollegen im Hause bis dato wahrscheinlich kannten, nämlich den Vergleichspunkt, an dem man festmachen kann, ob im Verhältnis zu Vorjahren in einem gewissen Zeitraum tatsächlich mehr Menschen gestorben sind als üblich, ein Indikator, der dann natürlich relativierend wirkt, wenn nicht feststellbar ist, dass 2020 mehr Menschen gestorben sein werden als in den Vorjahren. Kann das das einzige Kriterium sein? Was ist mit dem wirtschaftlichen Tod, der viele treffen wird? Was ist mit dem sozialen Tod, der sozialen Isolierung alter Menschen, die von ihren Familien nicht mehr besucht werden dürfen? Fragen über Fragen.

In der neuesten und aktuellen Stellungnahme des Deutschen Ethikrates lese ich, mit Erlaubnis der Präsidentin zitiere ich:

… viele der befürchteten politischen, sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Begleiterscheinungen insbesondere restriktiver Infektions

schutzmaßnahmen [sind] bereits eingetreten. Es ist deshalb ethisch wie rechtlich geboten, dass die Verhältnismäßigkeit von Restriktionen kontinuierlich epidemiologisch sowie normativ evaluiert und Maßnahmen zielgenau und beschränkt eingesetzt werden.

Das ist genau das, wovon ich rede, wenn ich sage und frage: Ist das, was getan wird, das Richtige, um das, was zu tun ist, zu erreichen?

Es ist beileibe nicht nur die AfD, die hier zweifelt und nachhakt und eben deswegen die parlamentarische Initiative zurückgewinnen will über das, was hier bisher nur verordnet wurde. Es ist mittlerweile auch eine Organisation, die nicht unbedingt im Ruf steht, von der AfD infiltriert zu sein, nämlich die WHO, die Weltgesundheitsorganisation, deren Regionaldirektor für Europa vorgestern in Kopenhagen erklärt hat, und ich darf erneut zitieren:

… wir alle wissen, dass ein vollständiger Lockdown die Nachfrage nach Angeboten der psychischen Gesundheitsversorgung stark erhöhen und eine Zunahme der häuslichen Gewalt bewirken wird; gleichzeitig ist eine Abnahme der Versorgung chronisch Kranker in Krankenhäuser zu erwarten, sodass die Zahl der vorzeitigen Todesfälle aufgrund dieser Erkrankungen steigen wird.

Die indirekten Auswirkungen auf Menschen, die in finanzielle Not geraten und auf soziale Maßnahmen angewiesen wären, würden weitere ökonomische Folgen nach sich ziehen und die zur wirtschaftlichen Erholung notwendige Zeit verlängern. Angesichts dieser Realitäten halten wir landesweite Lockdowns für ein letztes Mittel, da

dabei auf die immer noch bestehende Möglichkeit verzichtet würde, alle Bürgerinnen und Bürger in grundlegende und wirksame Maßnahmen einzubeziehen.

Zitat Ende. – Es ist unsere Pflicht als Opposition, auf diese Bedenken hinzuweisen, ohne Schaum vor dem Mund, ganz rational.

[Beifall bei der AfD]

Jetzt geht es hier um das Verfahren, wie wir diese Debatte zurück ins bzw. überhaupt erst ins Parlament holen. Unser Antrag beschäftigt sich nämlich mit der Frage: Wie und mit welchem Gremium ist die tatsächliche Debatte möglich? – Die letzten Monate haben gezeigt und damit bewiesen, die Überweisung der vom Senat verabschiedeten Infektionsverordnungen an die Fachausschüsse ist es nicht. Sie kommen gar nicht auf die Tagesordnung, weil die eigentlichen Fachthemen sie dort verdrängen. Sie jetzt mir nichts dir nichts einfach in den Hauptausschuss zu überweisen, kann es auch nicht sein, denn Haushälter sind zwar am Ende immer wichtig, aber auch nicht weiser als andere. Darum sehen wir in der Schaffung eines Coronasonderausschusses das richtige Gremium, in den die Fraktionen ihre dafür am besten geeigneten Leute schicken können, um die hier angerissenen Fragen konzentriert und ergebnisorientiert zu diskutieren. Nur ein ständiger Sonderausschuss, der sich hierauf konzentriert, wäre und ist in der Lage, auf die sich jeweils ändernde Lage schnell und angemessen zu reagieren,

[Sebastian Czaja (FDP): Das Plenum ist der ständige Sonderausschuss!]

denn die Exekutive ändert ihre Position im Einklang mit der jeweiligen Bundesregelung quasi im 14-Tagesrhythmus auch. Ich möchte mal sehen, wie sich der Hauptausschuss dann zusätzlich in jeder Sitzung damit befassen soll. Ich denke, mit den coronabedingten Nachträgen zu den Haushalten hat er aus unserer Sicht genug zu tun.

Ich denke, und das ist eine Lehre, die zumindest wir als AfD ziehen, wir werden lernen müssen, mit dem Virus zu leben,

[Beifall bei der AfD]

ohne es als gesellschaftlichen Haupt- oder Todfeind politisch zu instrumentalisieren, gegen das am Ende dann jedes Mittel recht ist. Wir sagen dagegen: Demokratie und Freiheit sind für uns nicht verhandelbar.

[Beifall bei der AfD]

Die Befürchtung, dass die Bürger das Gefühl bekommen, Herr Regierender Bürgermeister, hier wird ein Phänomen benutzt, um ganz andere Ziele zu erreichen, diese wachsende Befürchtung müssen Sie den Menschen nehmen. In Deutschland sind die Menschen überwiegend brav und obrigkeitshörig. Anderswo in Europa, in Italien, Spanien, Frankreich, brennt schon die Hütte.

[Heiko Melzer (CDU): Wo anders meinen Sie denn?]

Übertreiben Sie es nicht! Nehmen Sie die Menschen mit, vor allem die, die oftmals die inkohärenten, in sich widersprüchlichen und nicht nachvollziehbaren Maßnahmen, die wir in unserem Änderungsantrag benennen, nicht mehr verstehen. Unterstützen Sie jenseits parteitaktische Spielchen unseren in dieser Sachlage richtigen Antrag.

[Beifall bei der AfD]

Es folgt für die AfD-Fraktion der Herr Abgeordnete Trefzer. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kittler! Lassen Sie mich zunächst mit einem verfahrenstechnischen Hinweis einsteigen: Wenn Sie mit der Schließung der Kultureinrichtungen in Berlin nicht einverstanden sind, bringen Sie bitte einen Änderungsantrag hier in dieses Haus ein oder stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu, aber tun Sie nicht so, als ginge Sie das nichts an und das wäre die Angelegenheit der Bundesebene. Das ist nämlich unsere Angelegenheit hier in diesem Haus.

[Beifall bei der AfD]

Gestatten Sie mir noch einen Hinweis auch an den Regierenden Bürgermeister: Der Ministerpräsident von Thüringen war vielleicht nicht ganz schlecht beraten, als er am Ende der Ministerpräsidentenkonferenz einen Vorbehalt formuliert hat, als er nämlich gesagt hat: Ich kann dem nur zustimmen, nachdem meine entsprechenden Parlamentsgremien damit befasst waren. Das wäre vielleicht auch für Berlin ganz sinnvoll gewesen.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von Stefan Förster (FDP)]