Protocol of the Session on November 1, 2020

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur zwei Zahlen: 1 084, das sind die aktuellen Neuinfektionen mit Corona für das Land Berlin. 19 059, das sind

die aktuellen Neuinfektionen mit Corona für das Land Deutschland.

[Kurt Wansner (CDU): Das ist der Spitzenkandidat der SPD!]

Beide Zahlen stammen aus dem gestern Abend veröffentlichten Lagebericht „Covid 19“ unserer Senatorin für Gesundheit, Dilek Kalayci, die gerade wie so viele in unserer Stadt im Dauereinsatz ist, wie die Gesundheitsämter, die Krisenstäbe. – Es gilt an der Stelle auch, Dankeschön zu sagen. Vielen Dank dafür!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Herbert Mohr (AfD)]

Kurz nach den Sommerferien hat die Bundeskanzlerin Angela Merkel in Bezug auf das Virus noch gewarnt. Viele zeigten sich damals verärgert, sie haben kritisiert: Das ist doch Schwarzmalerei! – Was hat damals die Kanzlerin gesagt? – Sie sagte: Meine Sorge ist, dass wir um Weihnachten herum 19 000 neue Fälle pro Tag bekommen, wenn wir nicht schnell genug gegensteuern.

[Zuruf von Andreas Wild (fraktionslos)]

Und an diesem Wochenende haben wir mehr als 19 000 Neuinfektionen pro Tag, also zwei Monate vor Weihnachten.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Viele von Ihnen – Herr Dregger hat es auch gerade anhand eines Beispiels beschrieben – haben es ähnlich erlebt: Bei mir war es ein Kleinunternehmer, ein Landschaftsgärtner. Jedes Mal, wenn er mich in den vergangenen Monaten in Spandau sah, mir über den Weg gelaufen war, fragte er mich: Herr Saleh! Es wird doch keinen zweiten Lockdown geben? – Ich hatte ihm jedes Mal geantwortet: Ich hoffe nicht. Wir werden alles versuchen, dass es keinen zweiten Lockdown braucht.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Jetzt ist er da, der zweite Lockdown, und prompt bekam ich eine SMS von diesem Mann.

[Zuruf von Christian Gräff (CDU)]

Er war stinksauer und wütend. Ich rief ihn natürlich sofort zurück.

[Oh! von der AfD – Lachen bei der CDU]

Wir sprachen zehn Minuten,

[Zuruf von Thorsten Weiß (AfD)]

und ich versuchte, ihm zu erklären, warum wir diese Einschränkungen jetzt brauchen. Die Kurzform unseres Gesprächs sind die Zahlen 1 084 und 19 059. Im Laufe des Telefonats hat sich seine Wut gewandelt. Er hat die Argumente auf einmal nachvollzogen und sagte schließlich: Herr Saleh! Das stehen wir jetzt alle gemeinsam

(Burkard Dregger)

durch! – Und er fügte hinzu: Zusammenhalt ist doch die Devise der Stunde!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das, was wir heraushören können, ist doch klar: Ja, wir müssen viel mehr erklären, viel mehr auf die Ängste der Menschen eingehen, ja, auch auf deren Wut und Enttäuschung. Wir müssen versuchen, Ängste und Wut abzumildern. Wir müssen genau begründen, warum die Menschen jetzt vier Wochen lang nicht mehr auf der Terrasse eines Cafés bei einem Cappuccino zusammensitzen können, warum sie nicht mehr in einen Kinosaal mit 20 bis 30 Personen gehen können, warum sie nicht mehr ins Fitnessstudio gehen können. Wir müssen begründen, und wir begründen: weil die gesundheitliche Lage äußerst schwierig ist. – Dafür werden die Berlinerinnen und Berliner auch Verständnis haben, davon bin ich überzeugt.

[Beifall bei der SPD Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Wie euphorisch!]

Es ist beileibe keine Situation, die wir auf die leichte Schulter nehmen können, aber ich bin froh, dass die neuen Regelungen zwischen allen Ebenen eng abgestimmt sind. – Und das ist, lieber Regierender Bürgermeister, auch ein Verdienst Ihrer Person. Sie haben von Anfang an darauf gedrungen, dass es eine einheitliche Regelung geben soll – deutschlandweit zwischen Bundesregierung, dem Senat und den Bezirksämtern. Vielen Dank dafür!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Marc Vallendar (AfD): Schön, dass die Parlamente nichts sagen! Super! – Zuruf von Mario Czaja (CDU)]

Genauso wichtig ist es aber, dass das Hohe Haus, das Abgeordnetenhaus von Berlin, heute zu einer Sondersitzung zusammenkommt. Ihre Worte, Herr Regierender Bürgermeister, waren gut. Sie sind hier auf Zustimmung gestoßen,

[Lachen bei der FDP]

dass es zukünftig einer großen Beteiligung des Parlamentes bedarf, denn: In unserer Demokratie sind wir es, die gewählten Volksvertreter,

[Paul Fresdorf (FDP): Jetzt wird er nervös!]

die über die Zukunft unseres Landes und der Menschen entscheiden müssen. Einschnitte, die die Bevölkerung unserer Stadt hart treffen, dürfen nur mit dem Parlament, nicht ohne das Parlament beschlossen werden. Es ist wichtig, dass wir derartig entscheidende Beschlüsse in unserer Stadt in Zukunft rechtssicher regeln. Das ist meine klare Erwartung, und diese Erwartung teilen viele in der Stadt.

Wir stehen heute vor zwei Herausforderungen. An erster Stelle steht natürlich die Gesundheit der Menschen, und zwar die Gesundheit aller Menschen. Die Gesundheit der Bevölkerung ist der entscheidende Grund für dieses harte Handeln, denn eins haben die vergangenen Monate gezeigt – und daran hat sich seit Ausbruch der Pandemie nichts geändert –: Für ältere, für vorbelastete, für geschwächte Menschen ist das Virus besonders gefährlich. Junge Menschen können das Virus vielleicht leichter wegstecken. Manche spüren sogar kaum ein Symptom. Das ist das Tückische an dieser Krankheit. Deswegen ist Solidarität das wichtigste in dieser aktuellen Situation: Solidarität zwischen Jung und Alt,

[Zuruf von Franz Kerker (AfD)]

Solidarität zwischen gesund und krank, Solidarität zwischen schwächeren und stärkeren Immunsystemen. Bislang war mein Eindruck, dass wir in Berlin diese Solidarität recht gut hinbekommen haben. Auch wenn einige es in den Sommermonaten mit den Abstandsregeln, der Maskenpflicht oder der Achtsamkeit leider etwas lax genommen haben: Im Grunde sind die Menschen in unserer Stadt solidarisch und achtsam einander gegenüber geblieben, bis heute.

Daher auch meine inständige Bitte: Beachten Sie auch weiterhin die Abstandsregelungen! Behalten Sie das Händewaschen weiterhin bei! Tragen Sie auch weiterhin eine Maske! Achten Sie auch weiterhin auf die Großeltern, auf die älteren Nachbarinnen und Nachbarn, vielleicht auf die vorerkrankten Kollegen. Und natürlich: Achten Sie auf sich selbst!

[Zuruf von Harald Gindra (LINKE)]

Die erste Herausforderung ist die gesundheitliche. Die zweite Herausforderung ist die wirtschaftliche. Im Frühjahr, als die Pandemien in unserer Stadt ausbrach, haben unsere Soforthilfen vielen Unternehmerinnen und Unternehmern, Soloselbstständigen und Künstlerinnen und Künstlern in der ärgsten Not geholfen. Trotzdem stehen heute, nach Monaten auf Sparflamme, viele Betriebe schlecht da, gerade in der Gastronomie, im kulturellen Leben und im Tourismus. Sozialverbände warnen inzwischen vor Armutsrisiken, die aus der Krise folgen. Um diese Armutsrisiken zu verhindern, müssen wir jetzt wieder ganz schnell handeln, im Bund und im Land.

Gerade deswegen hat der Bundesfinanzminister einen neuen sozialen Schutzschirm aufgespannt. Ich bin froh, dass Olaf Scholz Unternehmerinnen und Unternehmern, die unter den aktuellen Maßnahmen besonders zu leiden haben, signalisiert hat, dass bis zu 75 Prozent ihres Vorjahresumsatzes im Monat November vom Staat zugeschossen werden können.

[Zurufe von Heiko Melzer (CDU) und Franz Kerker (AfD)]

Das ist ein starkes Signal, ein Signal an alle, dass der Staat niemanden alleine lässt, ein Signal, das Mut macht.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

In unserem Landeshaushalt wird die Coronapandemie tiefe Spuren hinterlassen. Wir werden die kommenden Wochen, Monate und Jahre viel, sehr viel Geld brauchen, um unsere Stadt wieder in Schwung zu bekommen, denn es ist richtig, in der Krise nicht zu sparen, sondern zu investieren. Das ist rot-rot-grüne Politik, und das ist gute Politik.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Christian Buchholz (AfD): Rot-rot-grüne Politik hat auch in anderen Zeiten nicht gespart! – Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Wir werden auch weiterhin unserer Verantwortung nachkommen und coronabedingt mehr Geld investieren, denn es darf nicht passieren, dass die Coronakrise zu einer wirtschaftlichen Krise wird, die sich später zu einer sozialen ausweitet. Genau deswegen sind die Beschlüsse von Bund und Land so entscheidend. Es ist ein Hilfs- und Sozialprogramm, wie es unsere Stadt noch nie gesehen hat. Das setzen wir auch gemeinsam fort.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und

den GRÜNEN –

Schulden machen:

unverantwortlich! –

Das stimmt! –

Blöd nur, wenn es

keine Steuereinnahmen mehr gibt!]

Ich bin mir sicher: Wir Berlinerinnen und Berliner haben in den vergangenen acht Monaten viel richtig gemacht