Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Montag bekam ich folgende Nachricht: Lieber Herr Dregger! Meine Mutter liegt in der Park-Klinik im Sterben, und meine Frau und ich haben gerade erfahren, dass wir auf das SARS-CoV-2-Virus positiv getestet wurden. Momentan sind wir am Limit
oder besser gesagt darüber hinaus. – Zwei Tage später erhielt ich die traurige Nachricht: Lieber Herr Dregger! Meine geliebte Mutter ist heute gegen 15 Uhr am SARSCoV-2-Virus verstorben. Danke für Ihr Mitgefühl. Wenn es einem so geht wie meiner Frau und mir jetzt, sind Zeichen und Gesten der Verbundenheit sehr willkommen. Auf der anderen Seite wird der Zynismus in den Äußerungen der Coronaverharmloser noch unerträglicher. – Zitat Ende.
Das sind die Worte von direkt Betroffenen, die Schreckliches in dieser Coronakrise durchmachen. Deshalb gibt es für Verharmlosungen in der Tat keinen Anlass. Noch im September lagen weniger als 20 Coronapatienten auf unseren Berliner Intensivstationen. In nur einem Monat, im Oktober, ist die Zahl von unter 20 auf 177 Coronaintensivpatienten gestiegen; Tendenz weiter steigend. 176 Intensivbetten sind derzeit frei. Geplante Operationen werden schon wieder verschoben, um kurzfristige Engpässe zu vermeiden. Ich frage Sie also: Wollen wir dieser Entwicklung tatenlos zusehen? Dürfen wir dieser Entwicklung tatenlos zusehen? – Nein, angesichts dieser Lage ist Nichtstun keine Option. Wir müssen jetzt Konkurs – –
Wir müssen jetzt Kurs halten, und das bedeutet, dass uns Leben und Gesundheit unserer Menschen nicht egal sind, sondern dass wir Leben und Gesundheit unserer Menschen weiterhin vor den Gefahren der Pandemie schützen müssen.
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Das Ausmaß der Beschränkungen, die Ihr Senat ab morgen verhängt, ist ohne Frage enorm. Sie betreffen viele Lebensbereiche.
Wenn eine alte Frau sagt: Ich habe nur noch zwei oder drei Jahre zu leben, und ich kann meinen Enkel nicht in meine Arme schließen – dann berührt mich das. Das berührt uns alle. Die Kontaktbeschränkungen führen zu mehr Einsamkeit, und Einsamkeit ist schrecklich, gerade in der bevorstehenden Adventszeit. Daher brauchen wir Lösungen und Unterstützung für das Ehrenamt, um der Einsamkeit entgegenzuwirken.
Es gibt aber nicht nur schmerzhafte Beschränkungen im privaten und familiären Bereich, sondern ebenso im beruflichen Bereich. Besonders bitter ist es für die vielen Selbstständigen, insbesondere für die Gastronomen, Hotelunternehmen, viele mehr, ebenso für die vielen Kulturschaffenden in unserer Stadt, die Kinos, Theater, Opern, Konzerthäuser, Museen. Sie alle haben in den vergangenen Wochen erheblich investiert, um ihre Betriebe infektionssicher zu machen. Sie müssen jetzt erkennen, dass
sie sie dennoch schließen müssen. Das ist wirklich bitter, und es ist in vielen Fällen ohne Frage wirtschaftlich existenzbedrohend. Daher muss gelten: Wer unverschuldet in Not geraten ist, der muss unsere Unterstützung erhalten, schnell und unbürokratisch; den dürfen wir nicht zurücklassen.
Ich fordere den Senat auf: Schaffen Sie dafür unverzüglich die Voraussetzungen. Zeigen Sie nicht immer nur auf den Bund; ich möchte das wirklich klarmachen. Die Veranstaltungskultur und Kreativwirtschaft, die Hotellerie und Gastronomie haben für unsere heimische Wirtschaft eine viel größere Bedeutung als in anderen Bundesländern. Sie sind nicht nur kulturell die DNA unserer Stadt, sondern sie sind ein bedeutender Wirtschaftsfaktor unserer Stadt mit vielen Arbeitsplätzen. Daher erwarten wir von den Koalitionsfraktionen, dass es ergänzend zu den Bundesprogrammen Berliner Unterstützungsprogramme geben wird. – Bitte machen Sie da mit uns mit.
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Meine Damen und Herren! Wir tragen die getroffenen und bis zum 30. November befristeten Maßnahmen im Grundsatz mit. Es kommt jetzt darauf an, eine Überlastung unserer intensivmedizinischen Kapazitäten zu vermeiden. Aber, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, einen Blankoscheck bekommen Sie trotz meiner Unterstützungszusage nicht. Ich verbinde unsere heutige Unterstützung mit einigen klaren Erwartungen für die Zukunft.
Erstens: Mich macht betroffen, dass Ihre Antworten auf die Pandemie heute fast identisch sind mit denen vor neun Monaten. Wieder werden weite Teile des öffentlichen Lebens zum Teil undifferenziert heruntergefahren. Kürzlich erhielt ich folgendes Schreiben: Sehr geehrter Herr Dregger! Ich bin eine selbstständige Kosmetikerin aus Berlin und kann aktuell leider den Beschluss nicht nachvollziehen, warum wir wieder schließen müssen, Friseure jedoch geöffnet bleiben dürfen.
Ich bitte Sie daher um Aufklärung beziehungsweise um die Hilfe, dass wir weiter arbeiten dürfen. – Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Diese verständlichen Fragen müssen ehrlich beantwortet werden.
Die Betroffenen haben Anspruch darauf, dass nach neun Monaten Pandemie Widersprüchlichkeiten vermieden und vermeintliche Widersprüchlichkeiten aufgeklärt werden können. Wir verfügen doch über die besten Virologen und Wissenschaftler der Welt.
Zweitens: Wie kann es sein, dass die Nachverfolgung der Gesundheitsämter nicht mehr funktioniert? Sie haben doch die steigenden Infektionszahlen seit Monaten
vorhersehen können. Wissenschaftler haben sie prognostiziert. Warum also ist es Ihnen nicht gelungen, die Gesundheitsämter durch Personalverstärkungen aus anderen Verwaltungen ausreichend zu stärken? Was ist daran so schwierig? Was soll man davon halten, dass im von den Grünen regierten Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Bezirksamt in dieser Situation die Hilfe der Bundeswehr ablehnt –
die Hilfe unserer Bundeswehr, die in allen anderen Bezirken, ja in ganz Deutschland, die Gesundheitsämter bereits seit Monaten personell erheblich unterstützt, Infektionsketten nachverfolgt und damit das Leben und die Gesundheit der Menschen schützt? Wo ist Ihre Bezirksaufsicht, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, über diese Realitätsverweigerer?
Wie können Sie es tolerieren, dass Ideologie über die Gesundheit und das Leben der Menschen gestellt wird? Hier werden Menschenleben gefährdet, und das ist nicht zu akzeptieren.
Drittens: Wie kann es sein, dass unsere Verwaltung noch immer in weiten Teilen nicht in der Lage ist, digital von zu Hause zu arbeiten? – Wenn Sie jetzt unsere Verwaltung erneut ins Homeoffice entlassen, entlassen Sie Teile erneut ins Nichtstun, mitten in der Krise. Das hat gravierende Folgen. Gewerbetreibende benötigen Baugenehmigungen und vieles mehr. Wenn größere Teile der Verwaltung wieder im Homeoffice zur Untätigkeit verurteilt werden,
dann schädigen wir auch noch diejenigen Unternehmen, die trotz Beschränkungen arbeiten können –, und das müsste Ihr Senat doch in den letzten neun Monaten geregelt haben.
Warum sind Sie nicht unseren Vorschlägen gefolgt, die Verwaltung mit einem Turboprogramm zu digitalisieren? Warum haben Sie in den zurückliegenden Monaten nicht geschafft, was jedes kleine, mittlere und auch größere Unternehmen in der Pandemie geschafft hat, nämlich die Arbeitsprozesse auf die Pandemie einzustellen? – Würden sich Unternehmen so träge verhalten, wären sie längst insolvent und untergegangen, und deswegen fordere ich Sie auf, jetzt mit Nachdruck dafür zu sorgen, dass unsere Verwaltung auch in einem Lockdown arbeitsfähig bleibt.
[Beifall bei der CDU – Beifall von Stefan Förster (FDP) – Marc Vallendar (AfD): Die Insolvenzfrist wurde ausgesetzt!]
Viertens: Warum gibt es immer noch keinen Plan B für unsere Schulen? Was machen Sie denn, wenn die Schulen aufgrund steigender Infektionszahlen doch noch schließen müssen? Haben Sie denen denn inzwischen die Mittel an die Hand gegeben, damit sie flächendeckend digitalen Unterricht gestalten können? – Viel zu wenig ist geschehen. Ihre Schulverwaltung hat noch nicht einmal begonnen, einen Plan B aufzustellen.
Fünftens: Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Wie soll es denn im Januar weitergehen? Haben Sie sich schon Gedanken gemacht, wie Sie die nächste Infektionswelle bewältigen wollen, die uns nach den Familienfeiern in den Weihnachtstagen möglicherweise bevorstehen könnte?
Was ist denn Ihre Strategie? Wollen Sie dann wieder alles schließen, immense wirtschaftliche Schäden in Kauf nehmen und schuldenfinanzierte Hilfsprogramme starten? – Das kann doch unmöglich der Plan dieses rot-rotgrünen Senats sein. Deswegen fordere ich Sie auf: Fangen Sie jetzt endlich an, sich auf die nächste Welle vorzubereiten! Gehen Sie doch einmal auf unsere Vorschläge ein, statt immer nur alles abzulehnen! Beginnen Sie morgen früh damit, bis Ende Dezember allen Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes die technischen Mittel für einen effizienten und sicheren Heimarbeitsplatz zur Verfügung zu stellen!
Wir brauchen jetzt eine vernünftige, vorausschauende Politik, die die Regeln durchsetzt, die die Ehrlichen nicht bestraft, sondern unterstützt, und die nicht ideologische Irrationalitäten über den Gesundheitsschutz stellt, wie dies im grünen Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg der Fall ist.
Nur wenn Sie das beherzigen, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, können Sie in dieser Pandemie auf unsere Unterstützung zählen.
Wir führen auch eine Diskussion über die Rolle der Parlamente in der Krise. Von einigen wird behauptet, die Parlamente seien nicht involviert. Wir, die wir hier sitzen, wissen, dass das so nicht stimmt. Es ist keine Sitzungswoche vergangen, in der sich das Abgeordnetenhaus nicht mit der Pandemie und den Wegen aus der Krise befasst hätte. Wir haben Aktuelle Stunden abgehalten, einen Nachtragshaushalt diskutiert und verabschiedet,
Soforthilfen, die CDU-Fraktion hat Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, zum Beispiel für ein Gesetz über den Gesundheitsnotstand in Berlin, und vieles andere mehr: Antragsinitiativen zur Digitalisierung der Verwaltung und der Schulen. – Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, wenn Sie wirklich an einer Stärkung des Parlaments interessiert sind, dann reicht es nicht, an einem Sonntag eine Parlamentssitzung einzuberufen, nur damit das Parlament endlich einmal vor Erlass einer Rechtsverordnung über deren Inhalt debattieren kann, sondern dann sollten Sie den echten Schulterschluss mit uns suchen. Beteiligen Sie uns an Ihren Entscheidungsprozessen! Setzen Sie sich ernsthaft mit unseren Vorschlägen auseinander!
Nein, danke! Keine Zwischenfragen, bitte. – Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede festhalten – erstens: Meine Auffassung von Parlamentarismus ist es, den Senat zu kontrollieren, seine Fehler aufzudecken und zu benennen und bessere Vorschläge zu machen. Zweitens: Meine Auffassung von Parlamentarismus ist es aber auch, in einer so großen Krise den Senat da zu unterstützen, wo es nötig und richtig ist. Denn eines ist klar: Wenn wir aus dieser Krise herauskommen wollen, dann können wir das nur gemeinsam. – Daher, sehr geehrter Regierender Bürgermeister: Ich biete Ihnen unsere Unterstützung an. Nehmen Sie unsere Unterstützung in Anspruch! Setzen Sie sich ernsthaft mit unseren Vorschlägen auseinander! Lassen Sie uns trotz der gemeinsamen Herausforderungen gemeinsam den Menschen und unseren Unternehmern sichere und verlässliche Perspektiven schaffen, durch Weitsicht! Nur dann geben Sie Ihrem eigenen Aufruf nach Zusammenhalt einen glaubwürdigen Inhalt. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nur zwei Zahlen: 1 084, das sind die aktuellen Neuinfektionen mit Corona für das Land Berlin. 19 059, das sind