Seine eigene Fraktion ist marode, seine Partei ist marode. Das Einzige, was ihn noch retten kann, sind markige Reden zum Thema Bundeswehr, zum Thema Militär. Aber damit trifft man auch nicht immer den Ton. Ob es am Ende reicht, werden wir sehen. Aber zumindest das Manöver war entsprechend übersichtlich.
Herr Pazderski! Wenn wir einmal darauf hinweisen, wer denn hier die Friedliche Revolution gemacht hat, dann waren es eben nicht solche Typen wie Björn Höcke aus Hessen, der sich hinstellt und so tut, als ob er die ostdeutsche Identität rettet. Das ist eine Unverschämtheit, nichts weiter. Das ist deutlich zu sagen: Solche Leute waren es nicht.
[Lachen und Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Reden Sie über die Leistung der FDP! – Marc Vallendar (AfD): Was wollen Sie eigentlich?]
Das war die militärische Konfrontation im Kalten Krieg, ist aber keine Leistung für die Friedliche Revolution in der DDR,
Ich hatte in meinem Redebeitrag versucht, darauf hinzuweisen, dass gerade diejenigen, die mit den Friedensgebeten, mit Demonstrationen sich in eine erhebliche Gefährdung begeben haben, gerade was Polizei und Ähnliches betraf, eine wichtige Rolle spielten. Insbesondere was die Übernahme der NVA in die Bundeswehr betraf, gab es sehr unkritische Komponenten, auf die Sie gerne einmal eingehen können. Da wurden auch Leute in die Bundeswehr übernommen, die man im öffentlichen Dienst sonst nicht übernommen hätte.
Ich weise gerne einmal darauf hin, wer denn so alles in der AfD ist: In der AfD, in den AfD-Landtagsfraktionen, in den Bezirksverordnetenversammlungen sitzen Leute, die früher Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, da sitzen hochrangige Leute, die ein SEDParteibuch hatten. Und Sie stellen sich hin, als seien Sie der wahre Osten. Das kann doch alles nicht wahr sein.
Sie sind das, was wir gerade im wiedervereinigten Deutschland nicht brauchen. Sie sind so was von überflüssig! Sie sind destruktiv, Sie sind nicht in der Lage, konstruktiv Politik zu machen.
[Anhaltender Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf: Bravo! – Georg Pazderski (AfD): Keine 5 Prozent bekommen Sie!]
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Meine Kinder standen neulich in der Brunnenstraße vor dem Haus, auf dessen Fassade steht: „Dieses
Haus stand früher in einem anderen Land.“ – Sie haben dann schon angefangen, ganz wild zu überlegen: Wo stand das Haus früher? Wie ist es da hingekommen? Ist es geflogen? Kann ein Haus überhaupt fliegen? – Dann haben sie das Kleingedruckte, was darüber geschrieben steht, gelesen: „Menschlicher Wille kann alles versetzen.“ – Ich habe ihnen dann erklärt, dass, bevor sie auf die Welt gekommen sind, Berlin eine geteilte Stadt war, dass Deutschland ein geteiltes Land war und der Teil der Brunnenstraße, in dem dieses Haus steht, einem Deutschland zugehörte, das ein anderes war als das, was wir heute kennen. Außerdem habe ich ihnen erklärt, dass die Freiheit, die wir heute kennen – die Freiheit, die Herrn Förster die Möglichkeit gibt, hier solche starken Worte zu finden –, nicht immer selbstverständlich war.
Wenn ich es meinen Kindern nicht sagen würde oder sie es an Gedenkstätten wie der Bernauer Straße nicht sehen könnten, dann würden sie es mir nicht glauben, weil eben doch einiges, wenn auch nicht alles, zusammengewachsen ist seit dem 3. Oktober 1990: nicht nur die Brunnenstraße, sondern unsere Stadt und unser Land.
Der Satz, der nachhallt, ist: „Menschlicher Wille kann alles versetzen.“ – Das stimmt, und es motiviert auch heute noch. Die eigene Bevölkerung der DDR hat sich mutig aufgelehnt gegen ein Regime, das Unrecht lebte und fundamentale Freiheiten mit Füßen trat. Die Mauer, die unsere Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner fast 30 Jahre lang getrennt hatte, ist nicht einfach gefallen. Sie wurde gestürzt von vielen mutigen Menschen, von der Bürgerrechtsbewegung und all jenen, die 1989 dem SED-Regime ein Ende bereiteten. Ihnen allen gilt unser besonderer Dank!
Ich möchte stellvertretend meinen persönlichen Dank an Bärbel Bohley, Katja Havemann und Tom Sello richten: Vielen Dank für den Einsatz auch nach 1990, der es vielen Menschen erlaubt hat, Wunden zu heilen! – Denn neu waren vor allem die Freiheiten, Freiheiten, wie sie vorher nicht da waren: freie Berufswahl, freie Schulwahl, freie Politikwahl. Neben dem 9. November und dem 3.Oktober dürfen wir – gerade als Parlamentarierinnen und Parlamentarier – den 18. März als historisches Datum nicht vergessen. Da fand nämlich die letzte Wahl zur Volkskammer der DDR statt, die gleichzeitig die erste und einzige war, die demokratischen Grundsätzen entsprach. Da haben rund Dreiviertel der Wählerinnen und Wähler für Parteien gestimmt, die die Wiedervereinigung mit der BRD wollten. Das zeigt auch, die Wiedervereinigung war kein Anschluss, sondern ein bewusster Beitritt.
Politikwahl heißt aber auch Freiheit der politischen Betätigung. Ich habe darüber viel – wir sind als Bündnis 90/Die Grünen eine Ost-West-Partei, die ihre Wurzeln auch in der Friedlichen Revolution hat – immer wieder
mit Kolleginnen und Kollegen von damals, auch mit dem geschätzten Kollegen Andreas Otto, gesprochen, und die Frage, die immer kommt, lautet: Hätte sich eigentlich einer der hier anwesenden ostdeutschen Kolleginnen und Kollegen Anfang 1989 vorstellen können, heute hier als Abgeordnete zu sitzen, in einem frei gewählten Parlament? – Es ist dieser Gewinn für unsere Demokratie, den wir dieser Tage zu Recht feiern.
Aber auch 30 Jahre danach spüren wir immer noch die sozialen Unterschiede, die weiterhin zwischen den ehemaligen Ost- und Westteilen bestehen. Studien zeigen, die Lebensstandards in den neuen Bundesländern gleichen sich zwar an, liegen aber immer noch unter denen in den neuen Ländern. Es gibt eine höhere Arbeitslosigkeit, mehr Armut und weiterhin eine mangelnde Repräsentation von Ostdeutschen in politischen Entscheidungspositionen. Es gab erst jüngst die Zahlen aus den Bundesministerien, die wirklich erschreckend sind. Gerade einmal 3 Prozent der Abteilungsleiterinnen und -leiter kommen aus dem Osten. Das sind auch die Schattenseiten der Einheitsgeschichte, auch im ehemaligen Ostberlin. Diese immer noch bestehenden Ungleichheiten sind ein Auftrag für uns Politikerinnen und Politiker im Land und im Bund. Denn 30 Jahre Einheit sollte uns alle an das Versprechen erinnern, das damals gegeben wurde: dass alle Menschen in diesem Land und in dieser Stadt gleich gut leben können und dieselben Chancen haben. Dieses Versprechen muss Wirklichkeit werden!
Blicken wir zurück auf die Zeit des Mauerfalls, der deutschen Einheit und ihrer Folgejahre in unserer Stadt, dann sehen wir noch etwas anderes: Die Freude über die deutsch-deutsche Einheit vereinte alle Menschen in Berlin für eine kurze Zeit. Aber schon kurz darauf brachen neue Gräben auf, und es wurde offenbar, dass für einige nicht alle zu dieser deutschen Einheit gehörten. Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter in der DDR wurden abgeschoben, türkischstämmige Mitbürgerinnen und Mitbürger in Westberlin wurden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Eine Zeit der Gewalt begann, das, was viele in Ostdeutschland die sogenannten Baseballschlägerjahre nennen. Eine Zeit höchster Verunsicherung begann und auch diese Geschichten gehören zur Einheit dazu, denn wir müssen unsere Lehren daraus ziehen und für eine plurale Demokratie streiten.
Wiedervereinigung bedeutet auch demokratischer Umbruch und Aufbruch. Berlin hat sich als Land eine neue gemeinsame Verfassung gegeben, und diese wurde auch 1995 per Volksabstimmung bestätigt. Der Wille und
Drang nach Demokratie haben maßgeblich zur Wiedervereinigung geführt. Wir müssen auch heute wieder fragen, wie wir unsere Demokratie verteidigen und weiterentwickeln können für das kommende Jahrzehnt, aber auch für ein Leben, das immer digitaler wird.
Als Landesparlament sind wir gefragt, demokratische Errungenschaften zu verteidigen und nicht nur wegen Corona weiterzudenken. Wie notwendig das ist, das zeigt unsere aktuelle Zeit. Da sind zum einen die Menschen, die unseren demokratischen Rechtsstaat bekämpfen. Ich nenne nur die rechte Anschlagsserie in Neukölln mit ihren erschütternden Hintergründen, rechte Gruppierungen in Polizeien deutschlandweit, gerade erst gestern Abend wurde wieder ein neuer Fall in Berlin über die Presse bekannt, oder die jüngsten Zahlen, die „Tagesspiegel“ und „Zeit Online“ zusammengetragen haben, dass 187 Menschen seit 1990 von Rechtsextremen in Deutschland getötet wurden. Das muss uns antreiben, für unsere Demokratie und unseren liberalen Rechtsstaat einzutreten, aber genauso die Skepsis, die viele Menschen dem Staat an sich und seinen Institutionen entgegenbringen, wie es Tausende bei den Anti-Corona
Demonstrationen getan haben. Denn heute, 30 Jahre später, stehen wir erneut vor historischen Herausforderungen.
Aber wenn ich auf die Geschichte unserer Stadt zurückblicke, dann bin ich guter Dinge. Denn wir wissen: Die schwierigen Sachen, die durchsteht man nur gemeinsam. Die Einheit, die wir am Tag der deutschen Einheit feiern, die darf aber nicht bedeuten, im Gleichschritt zu marschieren. Ganz im Gegenteil! Einheit bedeutet, persönliche Unterschiede zu akzeptieren, sich gegenseitig trotz oder gerade wegen dieser Unterschiede zu schätzen und in dieser Toleranz eine Stärke zu finden.
Darin war Berlin immer gut. Berlin heißt willkommen, ob am 10. November 1989 auf dem Ku’damm oder in den vergangenen Jahren in den Unterkünften für Geflüchtete. Wir grenzen nicht aus, wir führen zusammen. Wir diskutieren vielleicht einmal heftig, aber fair, wenn es um die Zukunft unserer Stadt geht.
Das würde ich mir auch von den Kollegen zu meiner rechten Seite wünschen. Ja, wir müssen politische Konflikte ausfechten. Aber unsere demokratischen Parteien sollten sich nicht entzweien lassen. Deswegen ganz kurz in Richtung der CDU: Das Thema, das Sie heute angemeldet haben, das heißt „einen statt spalten“. Genau das ist im Übrigen unser Anspruch als Rot-Rot-Grün. Denn wir sind davon überzeugt, dass nur eine sozialökologische Transformation, wie diese Koalition sie begonnen hat, die Kraft hat, die Gesellschaft nicht weiter zu spalten, sei es in Arm und Reich, Alt und Jung, Wedding und Kaulsdorf, sondern sie stark zu machen. Die Herausforderungen sind immens, aber wir haben sie angepackt. Wir haben die Verkehrswende gestartet, wir
haben beim Klimaschutz etwas gemacht, wir haben die Schulbauoffensive gestartet, wir haben den Mieterschutz in den Mittelpunkt gestellt,
Diese Koalition investiert in die Menschen in dieser Stadt, lässt niemanden zurück, und das ist auch gut so.
Der Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung betont das nationale Element der Umwälzung von 1989 und 1990. Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Die Friedliche Revolution in der DDR war nur ein Teil einer größeren Bewegung, die durch den Ostblock ging. Sie hat Europa näher zusammengebracht denn je. Deswegen will ich anlässlich 30 Jahren deutscher Einheit einmal nach Europa schauen. Die EU ist nach wie vor ein Friedensgarant und sie bedeutet wirtschaftliche Prosperität, gerade für uns als Exportnation, das stimmt. Doch wenn wir nach Lesbos schauen, auf obdachlos gewordene Geflüchtete, auf Kinder, die auf nacktem Asphalt schlafen müssen, dann müssen wir auch schmerzlich erkennen, dass das Friedensprojekt EU Risse hat. Und so sehr wir uns eine europäische Lösung bei der Aufnahme von geflüchteten Menschen wünschen, so müssen wir angesichts des Ausbleibens dieser Lösung pragmatisch und menschlich sagen: Wir haben Platz. Berlin hat schon lange beschlossen, 300 besonders Schutzbedürftige aufzunehmen. Der Innenminister Seehofer muss seine Blockadehaltung endlich aufgeben und uns Menschlichkeit zeigen lassen.
An einem Jahrestag wie diesem blicken wir auch gen Osten. Jene Staaten, die vor 30 Jahren den Warschauer Pakt aufgebrochen und sich dem Westen zugewandt haben, beobachten wir heute mit wachsender Sorge. In Ungarn weitet Viktor Orbán die Befugnisse seiner Regierung in undemokratischem Maße aus, in Polen werden ganze Landstriche unter dem Druck der Regierung als LGBTQ-freie Zonen deklariert, und Gerichte verlieren ihre Unabhängigkeit. In Belarus tobt seit Monaten ein gewalttätiger Kampf eines Despoten gegen sein eigenes Volk. 30 Jahre deutsche Einheit muss uns Verpflichtung sein, hier genau hinzuschauen, und die Bevölkerung in ihrem Einsatz für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen.
Wo europäische Werte untergraben oder gar mit Füßen getreten werden, müssen wir aufstehen. Denn: Menschlicher Wille kann alles versetzen.