Protocol of the Session on September 17, 2020

Wirklich wichtig ist, um es etwas pathetischer auszudrücken, unsere Kultur in all ihrer Breite. Das ist unsere Heimat. Das sind unsere europäische Nationen.

[Anne Helm (LINKE): Aber ohne dass sie Geld verdienen dürfen!]

Die müssen wir schützen und bewahren und nicht die Bilanzen südeuropäischer Banken.

[Beifall bei der AfD]

Doch das, fürchte ich, wird der Kultursenator wohl niemals verstehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD –

Herr Schneider! Das hat

auch NRW verstanden! –

In meiner Jugend hätten Sie

dafür 5 Cent bekommen als Kulturbeitrag! –

Ich bin älter als Sie!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Wesener das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am letzten Wochenende schien in der Kulturhauptstadt Berlin für einen kurzen Moment alles so wie gehabt. Mit dem Gallery Weekend, der Berlin Art Week und der POSITIONS Berlin Art Fair wurde einmal mehr

sichtbar, was unsere Stadt international auszeichnet: einer der weltweit bedeutendsten Standorte der Produktion und Präsentation von bildender Kunst zu sein.

Am Freitag zuvor fand in Anwesenheit des Bundespräsidenten, des Bundestagspräsidenten und des Regierenden Bürgermeisters der Festakt anlässlich des 450-jährigen Geburtstages der Staatskapelle statt. Eines der ältesten und zugleich führenden Orchester der Welt – so formuliert es Wikipedia – spielte unter der Leitung von Daniel Barenboim Werke von Boulez, Wagner und Beethoven.

Wenige Tage davor begingen das Berliner Ensemble, die Volksbühne und das Maxim Gorki Theater ihren diesjährigen Saisonauftakt, drei Berliner Stadttheater, deren künstlerische Geschichte und Gegenwart Theaterfans überall auf dem Globus ein Begriff ist. Also alles wie gehabt? Hat die Kulturhauptstadt die Coronakrise endgültig überwunden? Gilt in Berlins Kulturleben wieder der Status quo ante, und sei es nur als neue Normalität im Zeichen der Pandemie, wie sie in so vielen gesellschaftlichen und Arbeitsbereichen längst unser aller Alltag geworden ist? – Nein! Nichts ist normal, und schon gar nichts ist gut in der Kulturhauptstadt.

Die dreiviertel leeren Säle, Theater, Konzerthäuser, Ausstellungshallen sind dafür nur das sichtbarste Zeichen. Berlins Kulturlandschaft, Kulturschaffende und Kreative durchleiden weiterhin ihre wohl größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Den anfangs genannten Künstlerinnen und Künstlern und Ensembles steht eine vielfach höhere Zahl von Kulturschaffenden in der Stadt gegenüber, die seit dem März einem faktischen Arbeits- und Aufführungsverbot unterliegen. Zehntausende haben mit dem Lockdown von einem Tag auf den anderen ihr Einkommen verloren. Und was für viele mindestens genauso schlimm ist, die Möglichkeit, ihrer Kunst als Beruf nachgehen zu können.

Die große Mehrheit der Berliner Kulturorte und kulturwirtschaftlichen Betriebe weiß bis heute nicht, ob und wie sie die Coronakrise wirtschaftlich überstehen wird. Für etliche, wie die Berliner Clubs und Festivals, ist nicht einmal absehbar, wann sie ihre Pforten überhaupt wieder öffnen können.

Im Namen meiner gesamten Fraktion will ich allen in Berlin lebenden Künstlern und Künstlerinnen und Kreativen meine Solidarität und meinen Respekt aussprechen. Wir wissen aus zahllosen Gesprächen und Zuschriften, was Sie und ihr gegenwärtig durchmacht. Wir wissen es umso mehr zu schätzen, dass ihr eure ganze Kraft und Kreativität dafür aufwendet, dass wir, das Publikum, trotz alledem wieder Konzerte, Theater und Museen besuchen können, so schwierig die jeweiligen Rahmenbedingungen auch sein mögen. Dafür danken wir euch und Ihnen von Herzen.

(Martin Trefzer)

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Umso mehr stehen wir, die politischen Parteien und gewählten Mandats- und Amtsträger und -trägerinnen in der Pflicht, alles uns Mögliche zu tun, um Abhilfe zu schaffen: Abhilfe für die betroffenen Menschen, Betriebe und Institutionen, aber auch Abhilfe für eine weltweit einzigartige Kulturlandschaft insgesamt, denn die ist für Berlin längst das, was Bytes und Bits für das Silicon Valley sind.

Rund 350 000 Berlinerinnen und Berliner verdienen direkt oder indirekt ihren Lebensunterhalt in der Kulturund Kreativwirtschaft. Sie erwirtschaften damit einen relevanten Anteil des städtischen Bruttoinlandsprodukts und sind maßgeblicher Treiber für einen der wichtigsten Berliner Wirtschaftssektoren überhaupt, den Tourismus. Es ist deshalb nur folgerichtig und gut, dass es keine andere Stadt in der Bundesrepublik gibt, die den Kulturschaffenden und Betrieben in der Coronakrise so schnell und umfangreich geholfen hat wie Berlin.

Die von der Opposition zu viel geschmähte Soforthilfe II hat es mindestens 70 000 Kulturschaffenden und Kreativen ermöglicht, den Lockdown wirtschaftlich halbwegs zu überstehen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Mit der alten und neuen Soforthilfe IV konnten Insolvenzen von Kulturbetrieben abgewendet und zumindest ein gewisser Teil der Einnahmeausfälle kompensiert werden. Mit dem erst kürzlich angelaufenen Stipendienprogramm können Künstlerinnen und Künstler aufgefangen werden, die nach wie vor keinen Anspruch auf die Hilfe des Bundes haben, weil die Kulturstaatsministerin leider immer noch nicht verstanden hat, dass es einen Unterschied zwischen Erwerbslosigkeit und coronabedingten Einkommensverlusten gibt. Dafür danke ich allen Beteiligten, dem Kultursenator, der Wirtschaftssenatorin.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Torsten Schneider (SPD): Und dem Finanzsenator!]

und dem Finanzsenator! Entschuldigen Sie, Herr Dr. Kollatz, selbstredend! Wie konnte ich das als Haushälter vergessen?

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Diese und andere Beispiele zeigen, dass Berlin, der Senat und diese Koalition sehr wohl wissen, was sie ihren Kulturschaffenden und Kreativen schuldig sind. Wir stehen zu unserem Versprechen, die Defizite der öffentlichen Kultureinrichtungen und Institutionen durch öffentliche Mittel auszugleichen. Wir werden auch weiterhin im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten des Landeshaushalts all jene Kulturschaffenden und Betriebe nach Kräf

ten unterstützen, die unverschuldet in Not geraten sind und finanzieller Hilfe bedürfen.

Keine Zwischenfragen!

Gut! Keine Zwischenfragen.

Trotzdem dürfen wir die Augen nicht davor verschließen, dass uns mindestens zwei große Herausforderungen erst noch bevorstehen. Zum ersten: Die Hoffnung auf eine alsbaldige Rückkehr zur Normalität könnte sich als ebenso zeitkritisch wie trügerisch erweisen. Darüber dürfen uns auch die Fortschritte der letzten Wochen nicht hinwegtäuschen. Es ist gut, dass das neue Hygienekonzept der Kulturverwaltung mit der Schachbrett- und Rautenregelung wieder mehr Besucherinnen und Besucher die Teilhabe an Kulturveranstaltungen ermöglicht, wobei ich keinen Hehl daraus mache, dass wir Grüne dabei auf die Maskenpflicht am Sitzplatz gern verzichtet hätten.

Es kann nicht darum gehen, den Kulturbereich zu privilegieren. Umgekehrt darf es aber auch nicht sein, ihm die Gleichbehandlung etwa mit der Gastronomie zu versagen. Gut ist natürlich auch, dass die Kulturorte der Stadt alles ihnen Mögliche unternehmen, um die höchsten Infektionsstandards und den bestmöglichen Infektionsschutz für ihr Publikum zu garantieren.

Ich bin mir deshalb sicher, die großen Berliner Bühnen, die Opern und Konzerthäuser sowie die städtischen Theater werden die Coronakrise überdauern, genauso wie sie in ihrer jahrhundertealten Geschichte ganz andere Krisen und Katastrophen gemeistert haben. Dafür spricht der Umstand, dass sie in der Regel über geeignete räumliche, technische und personelle Ressourcen verfügen und natürlich der Umstand der öffentlichen Förderung.

Aber wie sieht es mit der Pandemieresilienz der vielen anderen Kulturorte und -betriebe, künstlerischen Unternehmungen und den Kreativberufen aus? Unsere besondere Sorge und Fürsorge muss den kleinen und privaten Kulturorten gelten, den freien Gruppen und Ensembles, den Soloselbstständigen und Freiberuflern, den jungen Genres und Sparten sowie den kreativwirtschaftlichen Hybriden. Sie sind der Nährboden für Entwicklung und künstlerische Innovation und zugleich das eigentliche Merkmal Berlins als Hotspot des internationalen Kulturbetriebs.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Ja, diese sogenannte freie Szene hat sich in ihrer Geschichte als ausgesprochen wandlungs- und anpassungsfähig erwiesen. Umso wichtiger ist es jetzt, allgemeine wie passgenaue Lösungen zu finden, die von Dauer sind.

Denn eines hat die Coronakrise bereits jetzt bewiesen: Sie trifft insbesondere jene gesellschaftlichen Gruppen und Bereiche mit voller Härte, die bereits vorher in der Krise waren, womit ich bei meinem zweiten Punkt wäre.

Weder die prekäre Lebens- und Einkommenssituation vieler Künstler und Kreativer noch die Raumnot im Berliner Kulturbereich insgesamt sind ursächlich auf die Coronakrise zurückzuführen. Die bündelt vielmehr wie in einem Brennglas strukturelle Probleme, die in Politik und Öffentlichkeit seit Jahren bestens bekannt sind. Wir leisten uns eine Fördersystematik, die zwar über einiges an Geld, aber wenig Nachhaltigkeit verfügt. Wir legen immer noch einzelne Projekte und große Events auf, wo eigentlich eine Regelfinanzierung und Weiterentwicklung der kulturellen Grundversorgung nötig wäre. Wir reden von künstlerischer Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit und wissen gleichzeitig, dass dabei häufig in Wahrheit Selbstausbeutung und Lohndumping Pate stehen. Auch deshalb kann und darf es keine Rückkehr zu dieser Normalität und dem Status quo ante geben.

Die Coronakrise hat uns in vielerlei Hinsicht einmal mehr vor Augen geführt, was in unserer Gesellschaft falsch läuft, gerade auch im Kulturbereich. Die Koalition hat in dieser Legislatur damit begonnen, diese strukturellen Probleme anzugehen – mit Mindesthonoraren und dem Ausgleich der Tarifentwicklung, mit einem Investitionsprogramm für Kulturimmobilien und gezielten Ankäufen, mit einem neuen Bibliothekskonzept, der Diversifizierung der Kulturförderung und Einrichtungen und vielem mehr. Diesen Weg wollen und müssen wir weitergehen.

In den vergangenen Monaten und auch heute ist immer wieder von systemrelevanten Berufsgruppen die Rede gewesen. Einige davon haben erst im Zeichen der Coronakrise an gesellschaftlicher Sichtbarkeit und Dankbarkeit gewonnen, etwa die Gesundheit- und Pflegeberufe. Auch die Kulturszene hat sich postwendend für systemrelevant erklärt, und wir Kulturpolitiker und -politikerinnen haben diese Definition sehr schnell aufgegriffen. Trotzdem meinen wir etwas anderes mit dem Begriff der Systemrelevanz, etwas, das den Kultursektor von allen anderen Berufsfeldern und Gesellschaftsbereichen unterscheidet, denn in der Kunst und Kultur geht es nicht zuvörderst darum, ein System im Sinne einer Gesellschaftsordnung und ihrer Konventionen zu affirmieren. Kunst und Kultur haben es sich im Gegenteil zur Aufgabe gemacht, dergleichen Systeme zu reflektieren und zu hinterfragen, ja mitunter sogar zu verändern. Ihre Systemrelevanz besteht also vielmehr darin, systemkritisch zu sein.

Damit wird klar, was gegenwärtig jenseits von hunderttausenden Existenzen und Berlins Status als Kulturhauptstadt und globalem Sehnsuchtsort auch auf dem Spiel steht, und das ist die Fähigkeit einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft, ihren eigenen Widersprüchen, Unzulänglichkeiten und Konflikten mit künstleri

schen Ausdrucksmitteln zu begegnen. Es stellt sich also nicht nur die Frage, ob es für Berlins Kulturlandschaft eine Zeit nach der Coronakrise gibt, sondern auch, ob wir uns eine zukünftige Gesellschaft vorstellen können, die ohne dieses Kunst- und Kulturleben auskommen muss. Ich bin mir sicher, dass das niemand kann und niemand will. Also handeln wir auch so. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die FDP-Fraktion hat der Abgeordnete Kluckert das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt viel über Fördergelder gehört, vor allem von den Koalitionsfraktionen, aber ich kann Ihnen sagen, dass sie dabei eine Sache nicht beachtet haben: Das Brot das Künstlers ist der Applaus.

[Beifall bei der FDP –

Na, das sieht