Protocol of the Session on August 20, 2020

Klar ist aber auch, Meinungs- und Versammlungsfreiheit enden dort, wo strafbare Äußerungen und Taten beginnen. Für menschenfeindliche Parolen und Gewalttaten ist in unserer Gesellschaft kein Platz. Der Entwurf stellt die Balance zwischen einer grundrechtsfreundlichen Ausgestaltung des Versammlungsrechts und den notwendigen Sicherheitsmaßnahmen her. Er berücksichtigt die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Bei den Zwischenfragen von Herrn Lux und Herrn Schlüsselburg ist deutlich geworden, dass manche Befürchtungen, was die Einschränkung oder Abschaffung von bisherigen Sicherheitsmaßnahmen angeht, nicht begründet sind, wenn man den Entwurf sorgfältig liest.

Mir sind folgende Punkte des Gesetzentwurfs besonders wichtig: Er sieht eine umfassende und weitgehende Schutz- und Gewährleistungsaufgabe für die zuständigen Behörden vor. Der Staat muss die Durchführung von Versammlungen ermöglichen, und er muss diese schützen. Auch das in der Rechtsprechung entwickelte Kooperationsgebot zwischen der Versammlungsbehörde und der Veranstalterin bzw. dem Veranstalter wird nun gesetzlich geregelt; sie müssen miteinander reden. Bundesweit einmalig ist: Das von der Berliner Polizei seit Jahren erfolgreich praktizierte und gelebte Deeskalationsprinzip wird gesetzlich verankert. Das Deeskalationsprinzip hat unter anderem dazu geführt, dass der 1. Mai in Berlin inzwischen nicht mehr so abläuft, wie das in den 1980er-Jahren und noch bis in die 1990er-Jahre hinein der Fall war. Inzwischen erleben wir in den meisten Fällen einen friedlichen 1. Mai.

[Lachen von Marc Vallendar (AfD)]

Das ist das Deeskalationsgebot, und das ist künftig gesetzlich verankert.

Ebenso stellt die Regelung zur Veröffentlichung von Ort, Zeit, Thema und Streckenverlauf von Versammlungen

(Andreas Wild)

eine bundesweit einmalige Neuerung dar. Damit soll ein vielfältiger und öffentlicher Meinungsaustausch ermöglicht werden. Und ja, Gegendemonstrationen finden zukünftig in Hör- und Sichtweite statt, wie das in der Rechtsprechung schon geregelt ist, allerdings mit einer Einschränkung, und deswegen ist es wichtig, dass man vollständig zitiert: solange durch diese Hör- und Sichtweite die ursprüngliche Versammlung nicht erheblich behindert wird und die räumlichen Gegebenheiten es zulassen.

[Marc Vallendar (AfD): Was heißt „erheblich“?]

Das Gesetz zeigt auch klar die Grenzen von Versammlungsfreiheit auf, auch das ist schon mehrfach gesagt worden. Ein wichtiges Anliegen dieses Gesetzes ist der besondere Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus. So sieht das Gesetz die Aufnahme besonderer Gedenktage und Gedenkorte vor, denen im Hinblick auf das NS-Unrecht eine besondere Symbolkraft zukommt. Das heißt, Versammlungen, bei denen Beeinträchtigungen der Würde der Opfer zu befürchten sind, können an diesen Tagen und an diesen Orten unter erleichterten Bedingungen beschränkt oder verboten werden.

Herr Senator! Gestatten Sie eine Frage des Herrn Buchholz von der AfD-Fraktion?

Nein, ehrlich gesagt, nicht. – Damit wird eine rechtliche Grundlage geschaffen, zum Beispiel leichter gegen rechtsextremistische Versammlungen auf jüdischen

Friedhöfen oder an historisch bedeutsamen Orten wie dem Deutsch-Russischen Museum in Karlshorst vorgehen zu können.

Abschließend möchte ich vor allem noch etwas zu der im Gesetzentwurf vorgesehenen Herabstufung von Straftaten auf Ordnungswidrigkeiten sagen. Damit wird im Lichte eines liberalen Versammlungsrechts eine übermäßige Kriminalisierung verhindert.

Schauen wir uns das Vermummungsverbot, was hier mehrfach angesprochen worden ist, an. Zunächst muss man den Blick etwas weiten, über Berlin und Deutschland hinaus, und die Frage stellen: Wo gilt eigentlich das Vermummungsverbot? – Man stellt fest, es gilt in Deutschland, in Österreich und in einigen Kantonen der Schweiz – Punkt.

[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

Jetzt werden wir nicht im Ernst sagen, dass Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweden, Dänemark – ich könnte die Liste fortsetzen – Länder sind, bei denen die Versammlungsfreiheit durch das nicht geltende Vermummungsverbot irgendwie beeinträchtigt ist oder dass dort

Gewalttaten gefördert werden. Es gibt unterschiedliche Erfahrungen mit diesem Vermummungsverbot. Klar ist aber, dass das Vermummungsverbot in Deutschland in Kraft ist, in Berlin weiterhin in Kraft bleibt und in Berlin weiterhin eine Straftat bleibt, wenn es dazu dient, dass durch die Vermummung Straftaten straflos begangen werden sollen.

[Marc Vallendar (AfD): Ja, wie finden wir das raus? ]

Das wird in das Ermessen des Polizeiführers gestellt. Das gibt Rechtssicherheit für die Polizei. Gegenwärtig ist die Rechtslage so, dass das Legalitätsprinzip die Polizei eigentlich zwingt, sofort gegen das Vermummungsverbot durchzugreifen. Das ist die Möhre, die Herr Lux meinte. Wenn man sich bei einer Demonstration zu Lebensmitteln beispielsweise als Möhre, Apfel oder Kartoffel verkleidet, verstößt das gegen das Vermummungsverbot, und die Polizei müsste eigentlich handeln. Ich glaube, das ist nicht gemeint, und ich glaube, das meinen nicht einmal Sie, dass man dagegen handeln müsste. Theoretisch ist die Rechtslage für die Polizei aber so, und deshalb wird an dieser Stelle die Rechtssicherheit für die Polizei gestärkt, insofern wir das Vermummungsverbot an der Stelle durchsetzen, wo es tatsächlich um die Verhinderung von Straftaten geht. Genau das tut die Polizei seit Jahren, und der Gesetzentwurf, den wir vorlegen, ermöglicht der Polizei sicheres Handeln.

[Heiko Melzer (CDU): Wer legt ihn eigentlich vor, Herr Senator?]

Herr Senator! Es gibt eine weitere Zwischenfrage von Herrn Krestel.

Ich würde gerne zum Schluss kommen und meinen abschließenden Gedanken formulieren, um den es uns beim Versammlungsfreiheitsgesetzes eigentlich geht. – Die Demokratie ist unter Druck; ich glaube, es ist unstrittig, dass die Demokratie unter Druck ist. Rechtspopulisten greifen die Demokratie zumindest verbal an,

[Marc Vallendar (AfD): Linkspopulisten!]

höhlen den Rechtsstaat aus.

[Franz Kerker (AfD): Was soll denn das? – Harald Laatsch (AfD): Damit ist auch klar, wo Sie hinwollen!]

Die Frage steht im Raum: Wie gehen wir mit diesen Angriffen auf die Demokratie um? Wie reagieren wir darauf? – Das betrifft übrigens auch linksextremistische Gewalt; das ist das, was Sie hören wollen. Das sage ich in gleicher Weise.

[Beifall bei der AfD – Ah! von der AfD]

(Senator Andreas Geisel)

Wie gehen wir damit um?

[Zuruf von der AfD: Sie fördern die finanziell!]

Beim G-20-Treffen in Hamburg hatten wir beispielsweise Situationen, dass wir etwa 8 000 brutale Gewalttäter und 30 000 friedliche Demonstranten hatten. Die

30 000 friedlichen Demonstranten werden in der Berichterstattung und in der politischen Diskussion gerne vergessen, sie gehören zu G20 aber ebenso dazu. Die Frage ist: Welche Auswirkungen haben die Gewalttaten der 8 000 auf die Rechte der 30 000 friedlichen Demonstranten? Wie gehen wir damit um, dass Demokratie unter Druck ist? Schränken wir Demokratie deswegen ein? – Das ist die Forderung, die hier manchmal im Raum steht: Es gibt Gewalttaten, also muss der Staat auf Gewalttaten reagieren und die Möglichkeit, sie zu begehen, einschränken, Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit einschränken, weil es Gewalttaten gegeben hat.

Weil die Demokratie unter Druck ist, geben wir genau die umgekehrte Antwort. Willy Brandt hat mal gesagt „mehr Demokratie wagen“. Demokratie muss attraktiv sein. Wenn wir wollen, dass Demokratie leuchtet, dass die Menschen sich zur Demokratie bekennen, dann müssen wir in der Stadt ein attraktives Versammlungs- und Meinungsfreiheitsrecht gewährleisten. Den Entwurf dazu legen wir Ihnen vor. Er wird unsere Demokratie weiter stärken. – Danke!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Senator! – Gibt es den Wunsch nach einer weiteren Rederunde nach der Rede des Senators? – Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache. Vorgeschlagen wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. – Widersprüche höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion Bündnis90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 8

Dreiundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes und anderer Gesetze

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/2787

Erste Lesung

hierzu:

Änderungsantrag des Einzelabgeordneten Marcel Luthe Drucksache 18/2787-1

Ich eröffne die erste Lesung des Gesetzesantrags. In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und hier der Kollege Lux. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich sehr, Ihnen die weitreichendste Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes seit der Neufassung im Jahr 2006 vorzustellen. Die Koalition will mit dem vorliegenden Entwurf 18 Paragrafen ändern, neun einfügen und einen aufheben. Inhaltlich wollen wir vor allem den Opferschutz, die Bürgerinnen-, Bürger- und Menschenrechte sowie die Verkehrssicherheit in dieser Stadt stärken. Wir erweitern rechtsstaatlich sehr gezielt einzelne polizeiliche Befugnisse.

In den letzten Jahren wurden die Sicherheitsgesetze bundesweit ausschließlich verschärft. Wir aber stärken auch die Bürgerinnen- und Bürgerrechte ganz deutlich und schaffen einen sehr guten Ausgleich zwischen Freiheit, Sicherheit und vor allem dem Schutz der Berlinerinnen und Berliner. Ich glaube, diese Koalition ist handlungsfähig, und sie packt in der Innenpolitik an.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir hatten vorhin in der Aktuellen Stunde auch eine Debatte um Vertrauen in die Polizei; und ich bin mir sicher, die meisten Bürgerinnen und Bürger vertrauen der Polizei ganz grundsätzlich. Sie können sich auch auf die Berliner Polizei verlassen. Aber wichtig in diesem Rechtsstaat ist auch, dass das Vertrauen nicht geschenkt ist. Das Vertrauen muss erneuert werden. Es muss mit der Zeit gehen, und eines möchte ich Ihnen auch noch sagen: Vertrauen ohne Kritik ist Dummheit.

[Beifall von Marcel Luthe (fraktionslos)]

Deswegen haben wir das ASOG gründlich und gut überprüft und unsere Verantwortung wahrgenommen.