Protocol of the Session on August 20, 2020

Vielen Dank, Herr Kollege! – Dann hat der Abgeordnete Vallendar das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Koalition bringt einen Gesetzentwurf für die Änderung des Versammlungsrechts in Berlin ein. Umso mehr sollte man also einen genauen und kritischen Blick darauf werfen, was Rot-Rot-Grün mit diesem für unsere Demokratie konstituierend wirkendem Grundrecht in Berlin anstellen möchte.

[Steffen Zillich (LINKE): Was meinen Sie eigentlich mit „umso mehr“?]

Mein Fazit nach dem Studium des Entwurfs lautet: leider nichts Gutes. Sie können es anscheinend nicht lassen, jeden Ihrer in dieses Hohe Haus eingebrachten Gesetzentwürfe mit Klientelpolitik und ideologischer Aufladung zu versehen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Steigen wir also in die Materie ein und beginnen beim Vermummungsverbots für Versammlungen. Das Mitführen von Kleidungsstücken oder Gegenständen zur Vermummung bei Demonstrationen soll künftig nicht mehr strafbar sein. Vermummungen sollen nunmehr erlaubt sein, sofern sie nicht zur Verhinderung der Strafverfolgung dienen. Ich stelle mir da folgende Frage: Wie soll die Polizei unterscheiden, ob eine Vermummung der Verhinderung der Strafverfolgung dient oder nicht? – Ein Straftäter in einer Versammlung wird der Polizei bestimmt nicht im Vorfeld mitteilen, dass er beabsichtigt, Straftaten zu begehen. Begeht er eine Straftat und ist dabei vermummt, ist es bereits zu spät. Die Intention dahinter ist klar: Sie wollen Antifa und den Schwarzen Block schützen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos) – Frank-Christian Hansel (AfD): Unfassbar!]

Dabei dient das Vermummungsverbot nicht nur der Strafverfolgung; in einer freiheitlichen Demokratie ist es zwingend erforderlich, dass jemand, der seine Meinung offen kundtut, auch Gesicht zeigt und zu dem steht, was er sagt. Sich im Schutz einer anonymen Masse zu verstecken – das kennen wir nur aus totalitären Systemen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Ich bin mir nicht sicher, ob Sie bei dem politischen Eifer bei der Erstellung dieser Regelung auch bedacht haben, welche anderen Folgen dies haben könnte. Ihre Antifa, Stasi, Möchtegernjournalisten und Recherchefotografen, die liebend gern mit teuren Teleobjektiven Demonstranten abfilmen und seitenlange Dossiers erstellen, wer gerade wo an der angeblich falschen Demonstration teilgenommen hat, und diesen dann meist mit Persönlichkeitsrechtverletzungen beim Arbeitgeber melden oder mit

(Sven Kohlmeier)

Steckbriefen mit der Aufschrift „In Ihrem Kiez wohnt ein Nazi“ diffamieren, werden von nun an Probleme bei ihrer Arbeit bekommen. Denn was hindert nun Demonstranten, welche sich friedlich versammeln und beabsichtigen, keine Straftaten zu begehen, sich komplett zu vermummen? – Das Gesetz jedenfalls nicht.

Kommen wir zu dem zweiten großen Skandal in dem Gesetz: § 26 des Entwurfs. In § 8 wird zwar der wichtige Grundsatz festgehalten, dass es verboten ist, eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren Durchführung erheblich zu behindern oder zu vereiteln – keine Zwischenfragen, bitte –, die letzten Jahre und Demonstrationen in Berlin haben aber gezeigt, wie wichtig dieses Verbot ist. Ermittlungsverfahren und Immunitätsaufhebungen wurden auch gegen Abgeordnete dieses Hauses im Zusammenhang mit der rechtswidrigen Blockade des Frauenmarsches im Jahr 2018 eingeleitet. Betroffen unter anderem: die Berliner Grünenabgeordneten Schmidberger, Topaç und Kössler, ebenso der Linke-Abgeordnete Taş. Die Verfahren wurden zum Teil gegen Zahlungen von Geldbußen eingestellt. Unrechtsbewusstsein besteht bei diesen angeblichen Vorbildern für die Gesellschaft und Volksvertretern hingegen nicht. Einen angemeldeten Aufzug zu verhindern, indem man diesen eingekesselt und sämtliche Straßen um ihn herum blockiert hält, halten sie für legitim. Das ist es aber nicht.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Es zeugt von einer zutiefst antidemokratischen Haltung. Bisher waren Verstöße in § 21 des Versammlungsgesetzes mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe versehen. Der neue Gesetzentwurf sieht nun nur noch eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vor, und dies auch nur bei Gewalttätigkeit oder der Androhung dieser. Grobe Störungen einer nicht verbotenen Versammlung hingegen fallen nur noch unter eine Ordnungswidrigkeit – also auch die klassischen Blockaden.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Da bastelt man sich das eigene Recht! – Zuruf von Anne Helm (LINKE)]

Was wir brauchen, sind nicht weniger Strafen, sondern mehr. Am liebsten hätten Sie diese Regelung vermutlich gleich ganz gestrichen. Ihr antidemokratisches Verständnis lautet: Wer lauter ist und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit eines Andersdenkenden unterbindet, ist ein Held Ihrer viel gepriesenen Zivilgesellschaft. – Nein, das ist er nicht.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Ihr Gesetzentwurf sieht auch Erweiterungen bei den Möglichkeiten für Versammlungsverbote vor. Darüber kann man diskutieren. Wir alle möchten zum Beispiel gern, dass der antisemitische al-Quds-Tag von den Berliner Straßen verbannt wird; seine Anhänger dürfen sich gern im Iran versammeln, aber nicht hier.

[Beifall bei der AfD – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo!]

Trotzdem ist auch hier Vorsicht geboten. So sehr man sich das persönlich wünscht, müssen wir als verfassungsgebender Gesetzgeber darauf achten, dass Versammlungsverbote in einem freiheitlichen Staat immer nur die Ultima Ratio sein können. Wenn es Versammlungsverbote gibt, dann müssen für alle dieselben Regeln gelten. Es darf nicht um die Frage gehen, wo die jeweilige Versammlung politisch verortet ist. Insofern möchte ich beispielhaft Ihren § 14 Abs. 2 heranziehen; dort heißt es bezüglich des Verbots von Versammlungen:

Gleiches gilt, wenn die Versammlung aufgrund der konkreten Art und Weise ihrer Durchführung

1. geeignet oder dazu bestimmt ist, Gewaltbereitschaft zu vermitteln.

2. in ihrem Gesamtgepräge an die Riten und Symbole der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anknüpft

und dadurch einschüchternd wirkt oder in erheblicher Weise gegen das sittliche Empfinden der Bürgerinnen und Bürger und grundlegende soziale oder ethische Anschauungen verstößt.

Rechtsdogmatisch sind Sittlichkeitserwägungen und ethische Anschauungen vonseiten der Bevölkerung für ein Versammlungsverbot ungeeignet, weil zu unbestimmt und rechtlich kaum überprüfbar. Handwerklich ist das also schon einmal eine Katastrophe.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Ein Verbot wegen Gewaltbereitschaft ist hingegen nachvollziehbar. Aber warum müssen kumulativ dann auch gleichzeitig Riten und Symbole für nationalsozialistische Gewaltherrschaft vorliegen? Warum reicht nicht alleine die bloße Gewaltbereitschaft aus, um eine Versammlung zu verbieten? – Das erschließt sich mir nicht. Ihr Motiv dürfte aber auch hier wieder klar sein: Ja, Sie wollen Naziaufmärsche verbieten, aber linksautonome, vermummte, steine- und flaschenschmeißende Versammlungen tolerieren. So funktioniert ein Rechtsstaat aber nicht. Entweder alle haben die gleichen Rechte und die gleichen Pflichten, oder wir lassen diese Regelung gleich ganz.

Kurzum, der vorgelegte Gesetzentwurf ist in der jetzigen Fassung nicht zustimmungsfähig, und es ist wirklich traurig und eine Schande, dass Sie, obwohl es angekündigt wurde, es nicht mal geschafft haben, dass Flaggenverbrennungsverbot, insbesondere das Verbot des Verbrennens der israelischen Flagge, in diesen Entwurf aufzunehmen. Sie sollten sich wirklich schämen für diesen Entwurf. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Herr Kollege Kohlmeier hat die Gelegenheit zu einer Zwischenbemerkung.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Herzlichen Dank für die Reinigung des Pults jedes Mal! – Sehr geehrter Herr Kollege Vallendar! Ich weiß nicht, ob Sie den Gesetzesentwurf nicht gelesen haben, nicht lesen wollten, oder nicht verstehen wollten. Sich hier vorne hinzustellen und falsche Tatsachen zu behaupten über das, was im Gesetzesentwurf drinsteht, ist dann doch reichlich frech.

Punkt eins zum Vermummungsverbot: Die Vermummung bleibt selbstverständlich eine Straftat, wir haben aber aus den Lehren des G-20-Gipfels in Hamburg gelernt, und zwar muss die Polizei bei einer Straftat nicht mehr sofort einschreiten, sondern es wird zunächst eine Anordnung geben, die Vermummung abzulegen. Wenn dem nicht Folge geleistet wird, kann die Polizei entsprechend einschreiten. Insofern haben wir hier einen sehr deutlichen Ausfluss gemacht, dass nicht jede Vermummung, die angelegt wird, zu einer Beschädigung oder Ausnutzung des Versammlungsrechts führt. Ich muss es nicht schön finden, dass Menschen sich vermummen, aber wenn eine Versammlung friedlich bleibt und Menschen sich vermummen, dann muss die Polizei nicht sofort einschreiten, sondern dann kann die Versammlung weiterlaufen.

Zu dem Punkt, dass Sie sagen, wir würden hier ein Versammlungsrecht machen nach dem Motto: wer lauter schreit, der könne sich durchsetzen. Das Witzige daran ist, dass Sie genau das gerade eingefordert haben, und zwar, als Sie dazwischengebrüllt haben, als ich hier vorn gestanden habe. Da waren Sie der Meinung, dass Sie, weil Sie lauter brüllen, recht hätten und mich übertönen könnten. Es zählt zu einer Demokratie halt dazu, dass es immer eine Meinung und eine Gegenmeinung gibt, und man muss dies aushalten.

Was Sie und leider auch Herr Dregger machen, ist, dass Sie sich hier vorne hinstellen und einzelne Demonstrationen herausgreifen und sagen, man müsse diese einzelnen Demonstrationen wie al-Quds, die wir alle widerlich finden, oder diese einzelnen Nazi-Demonstrationen, verbieten. Das entspricht nicht dem Grundgesetz und Artikel 8. Ich möchte diese Demonstrationen nicht haben, aber es zählt zur Demokratie dazu, dass es einzelne Demonstrationen gibt, die man aushalten muss und die in diesem Land zulässig sind. Und da hat jeder Mensch eine andere Einschätzung darüber, welche Demonstration zulässig und welche nicht zulässig ist.

Wir machen kein Versammlungsrecht, wo wir uns einzelne Demonstrationen herauspicken und sagen: Die, die und die sind zulässig, und die, die und die nicht! – Dann

lebten wir in einem anderen Staat, und in diesem Staat möchte ich nicht leben.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Eine letzte Anmerkung zu § 14 Abs. 3: Auch da, lieber Kollege, haben wir sehr deutlich gemacht, dass wir Voraussetzungen schaffen wollen, zu denen Versammlungen nicht mehr stattfinden können, und zwar insbesondere dann – da müssen Sie tatsächlich genau lesen, weil der § 14 ein paar Absätze hat –, wenn von Versammlungen Hass und Straftaten ausgehen. Die sollen selbstverständlich beschränkt sein, und da ist es gleichgültig, Herr Kollege, ob es ein Nazi-Aufmarsch, eine Linkenversammlung, eine Versammlung von Männern, von Frauen, von Blonden oder von Braunhaarigen ist. Es gibt bestimmte Grundsätze, unter denen man in diesem Land demonstrieren kann, und genau das schreiben wir fest – unabhängig davon, wie diese Menschen denken. Es zählt zur Demokratie dazu, dass jeder in diesem Land frei denken kann und das auf der Straße äußern kann, solange er sich im Rahmen der Gesetze bewegt. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Zur Erwiderung hat der Abgeordnete Vallendar das Wort, sobald das Pult desinfiziert ist.

Sehr geehrter und geschätzter Kollege Kohlmeier! Ja, Sie haben recht, verdammt noch mal: Zur Meinungsfreiheit gehört auch die Gegenrede, und dazu gehört natürlich auch der Zwischenruf im Parlament. Selbstverständlich kann man, wenn Sie hier immer am Rednerpult stehen und Blödsinn erzählen, auch mal einen Zwischenruf machen.

Eins ist klar: Es ist wirklichkeitsfremd, was Sie nach dem Motto vorgetragen haben, Vermummungen auf Versammlungen können friedlich sein, und dann ist alles in Ordnung. Und dann bringen Sie auch noch Heiligendamm als Beispiel – wie wirklichkeitsfremd ist das denn? Haben Sie noch nie eine linksextreme Demonstration vom Schwarzen Block und Ähnlichen gesehen? – Das ist doch gerade das Ziel: Die Personen vermummen sich, damit sie anonym bleiben und in einer anonymen Masse abtauchen können. Dann passiert genau das, was wir in Heiligendamm und an vielen anderen Orten, auch am 1. Mai hier in Berlin, immer wieder sehen können.

Natürlich hat Ihr linker Koalitionspartner Sie da wieder hineingezogen. Ich glaube nicht, dass die SPD diese glanzvolle Idee hatte, das Vermummungsverbot aufzu

heben, sondern diese Idee kommt wahrscheinlich eindeutig aus dieser linken Ecke.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Dass Sie das unterstützen, sagt mehr über Sie als über mich aus. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat dann der Kollege Lux das Wort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demonstrationen sind

ein Stück ursprünglich-ungebändigter, unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren.