Protocol of the Session on June 4, 2020

Der Dringlichkeit haben Sie bereits eingangs zugestimmt. – Ich eröffne die zweite Lesung der Gesetzesvorlage: Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung sowie die Artikel 1 bis 3 der Gesetzesvorlage und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Widerspruch dazu höre ich nicht. Dann beginnt in der Beratung die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und es hat das Wort Herr Abgeordneter Walter. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Diskriminierung und Rassismus kommen vor, und zwar überall in der Gesellschaft. Trotz der ständig steigenden Fallzahlen werden diskriminierende Vorfälle noch immer und viel zu häufig bagatellisiert. Wir als Koalition schlagen da einen anderen Weg ein. Wir wissen, dass sich die Stärke einer Demokratie am Umgang mit ihren Minderheiten bemisst. Wir sind der Überzeugung, dass jede und jeder in unserer pluralen Gesellschaft das Recht auf Gleichbehandlung hat.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Wir wollen, dass Artikel 10 unserer Landesverfassung nicht auf dem Papier steht, sondern Wirklichkeit wird: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. – Dafür ist das Landesantidiskriminierungsgesetz ein Meilenstein nach vorne.

[Heiko Melzer (CDU): Hat das Grundgesetz davor keine Möglichkeit gehabt?]

Mit dem LADG schließen wir heute eine bundesrechtliche Schutzlücke und erkennen erstmals an, dass auch der Staat mit seiner Verwaltung und seinen Behörden ein potenziell diskriminierender Akteur sein kann, dass er eine Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern hat, und wir ermutigen von Diskriminierung Betroffene, ihre Rechte einzufordern und sich zu wehren.

Der vorliegende Gesetzentwurf beschränkt sich aber nicht allein darauf, sondern er entwickelt ein Antidiskriminierungsrecht innovativ weiter: mit einer Ausweitung des Merkmalskatalogs, mit der Einrichtung einer Ombudsstelle, die eine schlichtende Funktion einnimmt, mit einem Verbandsklagerecht, das den Kampf gegen strukturelle Diskriminierung ermöglicht, mit der gesetzlichen Verankerung von Diversität und konkreten DiversityMaßnahmen in der gesamten Berliner Verwaltung.

Es freut mich, dass wir in den koalitionsinternen Verhandlungen den Diskriminierungsschutz weiter ausbauen konnten, indem wir die Verbindlichkeit des LADG gegenüber den landeseigenen Betrieben erhöhen und indem wir den Merkmalskatalog um Antisemitismus erweitern. Das Ergebnis lässt sich sehen: Mit diesem Gesetz wird Berlin bundesweit eine Vorreiterrolle einnehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Keine Zwischenfragen!

Ich habe in den letzten Tagen noch mal in den Bundestagsprotokollen zur Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes von 2006 geblättert, und vieles von der damaligen Debatte kommt einem seltsam vertraut vor: die Warnung vor angeblichen Klagewellen, die Warnung vor Bürokratie, die Warnung vor angeblichen Missbrauch und falschen Anschuldigungen, die Behauptung, das Gesetz stünde gegen die geltende Rechtsordnung usw.

14 Jahre später lässt sich sagen, all diese Anwürfe haben sich als unwahr und falsch herausgestellt. Sie sind es ebenso heute.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Bundesministerin Zypries sagte damals in ihrer Plenarrede – ich zitiere:

Es war insbesondere schwierig, so etwas wie eine rationale Debatte zu führen. Viele Kritiker haben

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

unseren Gesetzentwurf leider offenbar nicht richtig zur Kenntnis genommen.

Das gilt auch für die aktuelle Diskussion. Anders sind die Wortmeldungen von rechts nicht zu erklären. Die geäußerte Kritik ist aber aus unserer Sicht vor allem eines, sie ist ideologisch und faktenfrei.

[Zurufe von der AfD – Anja Kofbinger (GRÜNE): Hören Sie doch mal zu!]

Um es noch einmal in aller Verständlichkeit zu erklären: Das Gesetz adressiert eben nicht das Verhalten einzelner Dienstkräfte. Das LADG enthält auch keine Beweislastumkehr, sondern eine Beweislasterleichterung.

[Lachen bei der CDU, der AfD und der FDP]

Das ist nicht neu. Eine entsprechende Regelung gibt es im AGG und gibt es im Berliner Landesgleichberechtigungsgesetz, ohne dass es jemals zu diesen von Ihnen hier beschworenen Horrorszenarien gekommen wäre. Im Gegenteil: Die Beweislasterleichterung ist ein bewährtes Element im Antidiskriminierungsschutz und folgt den EU-Vorgaben, die wir mit dem LADG umsetzen.

Ein Blick in das Gesetz hilft im Übrigen. Die Vermutungsregelung ist an eine richterliche Prüfung gekoppelt. Richter und Richterinnen werden überprüfen, ob jeweils Tatsachen glaubhaft gemacht werden, die das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot überwiegend wahrscheinlich machen. Es ist also nachweislich falsch, dass bloße Vorwürfe zu einem Verfahren führen.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Gehen Sie doch mal auf die Straße!]

Da würde ich mir von rechts einmal mehr Vertrauen in den Rechtsstaat und die Gerichtsbarkeit wünschen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Als Koalition war es uns wichtig, die Debatte über den Gesetzentwurf im Rechtsausschuss ernsthaft und auch kritisch zu führen. Da haben wir auch den DGB mit der dezidierten Perspektive der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes angehört. Die Haltung des DGB war eine klare dabei: Es war eine Befürwortung dieses Gesetzes im Ganzen und eine ausdrückliche Begrüßung einzelner Elemente wie der Verbandsklage und der Ombudsstelle.

[Zurufe von der CDU und der AfD]

Das bestärkt noch einmal mehr unseren Kurs.

Wir haben aber auch die Sorgen ernst genommen. Daher ist nun in der Gesetzesbegründung unter anderem bekräftigt, dass es zur Umsetzung eine Dienstvereinbarung mit dem Hauptpersonalrat geben wird. Ich sage deswegen „bekräftigt“, weil die Gespräche dazu bereits aufgenommen wurden. Natürlich wird es umfassende Informationsangebote geben, um die Handlung- und Anwendungssicherheit zu erhöhen. Die Sicht der Beschäftigten war uns immer wichtig. Wir begrüßen diesen gemeinsamen Pro

zess in der Umsetzung mit dem Hauptpersonalrat ausdrücklich.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die Vorwürfe der Opposition sollen Angst beschwören, weil sich eben daraus politisches Kapital schlagen lässt.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Blablabla!]

Das weisen wir zurück, gerade dann, wenn diese Kritik nicht selbst ohne Vorurteile oder rassistische Stereotype auskommt, auch das haben wir in den letzten Tagen erlebt. Es ist beschämend, wie stark die Abwehrkräfte gegen einen wirkungsvollen Diskriminierungsschutz wirken.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Mein Gott, Walter!]

Es ist erst recht beschämend, mit welcher Vehemenz hier weiße Privilegien verteidigt werden,

[Ah! von der AfD]

während zeitgleich schwarze Communities in unserer Stadt auf die Straße gehen, um nach der Ermordung von George Floyd auch hier gegen Rassismus zu protestieren.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Dr. Susanne Kitschun (SPD) und Daniel Buchholz (SPD)]

Ich habe erhebliche Zweifel, ob der Bundesinnenminister qualifiziert ist, dass LADG fachlich zu bewerten. Wer nach der rassistischen Hetzjagd von Chemnitz Migration als „die Mutter aller Probleme“ bezeichnet, ist nicht Teil der Lösung, sondern ist Teil des Problems, über das wir hier heute sprechen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Dr. Susanne Kitschun (SPD) und Daniel Buchholz (SPD) – Marc Vallendar (AfD): Was sie auch ist!]

Das Landesantidiskriminierungsgesetz ist ein Meilenstein im Diskriminierungsrecht. Es ist ein Gesetz für alle Berlinerinnen und Berliner. Es wird für Rechtssicherheit sorgen. Es wird das Vertrauen in die Arbeit des Staates, seine Behörden und auch in die Arbeit der Polizei erhöhen.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Von Berlin wird ein Signal ausgehen, dem sich hoffentlich viele andere Bundesländer anschließen werden.

Abschließend bleibt mir nur noch, den vielen Akteuren aus der Berliner Zivilgesellschaft zu danken, die dieses Gesetz vorangetrieben haben, aber auch unseren Koalitionspartnern für alles, was wir jetzt hier gemeinsam auf den Weg gebracht haben, und ich würde sagen: Es hat sich gelohnt.

[Starker Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –

Beifall von Dr. Susanne Kitschun (SPD) und

Daniel Buchholz (SPD) –

Lachen bei der FDP –

Einer von euch wird