Protocol of the Session on June 4, 2020

Ein guter Haushalt bildet in Zahlen ab, was in einer Gesellschaft wichtig ist, und wie im besten Fall auch ihre Zukunft aussieht. Das ist in einer Coronakrise, die uns jede Woche neu und anders überraschen kann, alles andere als einfach. Ich finde, dass dieses Parlament, die rotrot-grüne-Koalition und der Senat, beim ersten Nachtragshaushaltsgesetz 2020 trotzdem einen guten Job gemacht haben. Das hat vor allem drei Gründe.

Erstens: Mit dem ersten Nachtrag ziehen wir Bilanz und untersetzen haushaltsgesetzlich das, was in den letzten drei Monaten als Coronakrisenmanagement geschafft wurde: unkomplizierte und gezielte wirtschaftliche Hilfen für Menschen, Vereine, Betriebe und Unternehmen, die von der Coronakrise besonders hart getroffen wurden. Wie wichtig das gerade in sozial- und beschäftigungspolitischer Hinsicht war und ist, ist in der heutigen Aktuellen Stunde ja einmal mehr deutlich geworden.

Gleichermaßen notwendig waren die Anschaffungen und Investitionen im Bereich der gesundheitlichen Versorgung. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass wir uns jetzt nunmehr haushaltspolitisch mit diesem ersten Nachtrag ehrlich machen.

Zweitens: Das Abgeordnetenhaus und die Koalitionsfraktionen haben sich jedoch nicht nur als Buchhalter betätigt, die eine Art erste Spitzabrechnung der Krisenkosten vornehmen. So schwierig ein Blick in die Zukunft der Krise und ihre Folgen sein mag, wir haben wichtige finanzielle und konzeptionelle Weichen für die weitere Krisenbewältigung gestellt. Dazu gehört, dass wir die Grundlage für eine Kreditaufnahme in Höhe von 6 Milliarden Euro und den dazugehörigen Tilgungsplan geschaffen haben, um die Krisenkosten finanziell abpuffern und gerecht verteilen zu können.

Dazu gehört die neue Rücklagenbildung für zukünftige Konjunkturmaßnahmen, um die Nachfrage anzukurbeln, das Wirtschaftsgeschehen zu stimulieren und mit ökologisch-sozialen Zielsetzungen zu verbinden. Dazu gehört auch die gezielte Vorsorge für die Fortsetzung und Neukonfiguration der Soforthilfen: für Soloselbstständige und Familien, für kleine und mittlere Unternehmen, für ehrenamtliche Vereine und Betriebe der Kultur- und Kreativwirtschaft.

Denn wir müssen davon ausgehen, dass die Coronakrise eine dynamische bleibt. Umso wichtiger ist es, dass Politik darauf genauso dynamisch reagiert. Das tun wir mit den Mitteln der Haushalts- und Finanzpolitik und mit diesem ersten Nachtrag.

(Dr. Kristin Brinker)

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Drittens: Dieser Nachtrag zeigt, wie die Coronakrise auch die Stunde der Legislative sein kann und mitunter auch sein muss. Als der Senat seinen Entwurf für einen ersten Nachtragshaushalt am 7. April beschlossen hat, war nur bedingt abzusehen, mit welchen Krisenszenarien wir es im zweiten Halbjahr 2020 vermutlich zu tun haben. Auch heute fehlt uns die letzte Gewissheit, dafür ist der Krisenverlauf einfach zu volatil. Aber wir sind jetzt natürlich deutlich schlauer als damals.

Wir wissen, dass die Krisenkosten mindestens in diesem und im nächsten Jahr nur durch notfallbedingte Kredite aufgefangen werden können, wenn wir die wirtschaftlichen Folgeschäden nicht durch eine falsche Sparpolitik vergrößern wollen. Deshalb stimmen wir gleich auch über den Antrag der Koalitionsfraktionen zur Aktivierung der Ausnahmeregelung gemäß § 2 Landesschuldenbremsengesetz und Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ab.

Noch frischer, nämlich keine 24 Stunden alt, sind unsere Erkenntnisse über die Konjunkturmaßnahmen des Bundes. Über die gestrigen GroKo-Kompromisse und konkreten Ankündigungen kann man geteilter Meinung sein. Für uns Grüne setzt die Bundesregierung auf zu viel Gießkanne und zu wenig ökologische wie konjunkturelle Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit.

Da ist es umso besser, dass die Koalitionsfraktionen im ersten Nachtrag nun selber finanzielle Vorsorge für eigene Berliner Konjunkturmaßnahmen treffen. Die können sich, dort wo es in der Sache sinnvoll ist, kumulativ zu den Bundesprogrammen verhalten. Gleichzeitig sollten wir über additive konjunkturelle Maßnahmen nachdenken, die zielgenauer auf die spezifische Berliner Wirtschafts- und Einkommensstruktur und ihre Bedarfe ausgerichtet sind und die, das ist zumindest unser grüner Vorsatz, den ökologisch-sozialen Umbau unserer Stadt vorantreiben.

Über die konkrete Ausgestaltung wird zu diskutieren sein, aber das ist ein Thema für den Nachtrag nach dem Nachtrag. Insofern freue ich mich auf die anstehenden parlamentarischen Beratungen über ein zweites Berliner Nachtragshaushaltsgesetz 2020/21. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die Fraktion der FDP hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Meister.

Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, der erste Nachtragshaushalt war, wie er vorgelegt worden ist – da bin ich auch ganz bei Ihnen – eine dringend notwendige Reaktion, die aufgrund des Ausbruchs der Coronapandemie zu treffen war. Natürlich war es richtig, Schutzausrüstungen zu beschaffen. Ich halte auch den Ausbau des Messezentrums Jafféstraße mit dem Krankenhaus für richtig. Ich muss allerdings sagen, dass ich auch der Meinung bin, dass es richtig ist, dafür noch die zweite Messehalle zu nutzen. Nur weil die AfD hier rumtobt, glaube ich nicht, dass wirklich alles schon überstanden ist. Wir haben den Herbst noch vor uns.

[Georg Pazderski (AfD): Glauben heißt nicht wissen!]

Wir wissen es eben alle nicht. So ist es eben. Insofern ist auch uns Liberalen der Gesundheitsschutz wichtig.

[Herbert Mohr (AfD): Wichtiger als die Freiheit?]

Ich glaube auch nicht, dass wir noch einmal so einfach in die Wirtschaft eingreifen und so einfach noch einmal einen Shutdown verordnen können. – Aber Sie können ja das behaupten, was Sie vertreten und auch verantworten müssen.

Auch die Einführung der Soforthilfe II war, glaube ich, ein Erfolgsprogramm für viele. Das kann man sicher so sagen. Das auch sehr berlintypisch zugeschnitten auf eine Unternehmenslandschaft war, die sich sehr stark in den Bereichen null bis zehn Mitarbeiter bewegt, also Soloselbstständige und wirklich sehr kleine Unternehmen.

Was allerdings von Anfang an gefehlt hat, ist eine wirklich schnelle Hilfe für den Mittelstand in Berlin, nämlich für die Unternehmen mit zehn bis 100 Mitarbeitern. Ich glaube, da brauchen wir dringend Unterstützung. Dass wir dazu in dieser Situation auch neue Kredite aufnehmen müssen, steht, glaube ich, außer Frage. Natürlich ist das eine klassische Situation, in der auch die Schuldenbremse auszusetzen ist, völlig klar.

Ich muss gestehen, bei der Feststellung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob es durchdacht ist. Ich kann mich an ein Urteil des Berliner Landesverfassungsgerichts erinnern, das darauf hingewiesen hat, dass bei einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auch alle konsumtiven Ausgaben konjunkturpolitisch begründet sein müssen.

[Beifall bei der FDP]

Nichtsdestotrotz ist es völlig selbstverständlich, dass auch die Konjunktur angeschoben werden muss. Vielleicht überdenken Sie in so einem Fall doch noch mal Ihr Vergabegesetz, vielleicht steht das der einen oder anderen Maßnahme im Wege anstatt zu nutzen.

[Beifall bei der FDP]

(Daniel Wesener)

Wir sind auch nach wie vor der Meinung, dass die 6 Milliarden ein großer Schluck aus der Pulle sind. – Auch wenn Sie sagen, Sie packen davon einiges in die Rücklage, wenn das nicht sofort benötigt wird, wissen wir auch, dass Geld in der Rücklage eines Haushalts viele Wünsche weckt, von denen wir uns als Liberale schon mal fragen dürfen, ob sie der Staat immer erfüllen muss.

[Beifall bei der FDP]

Noch mal zu dem Thema Wirtschaftshilfen. Wir sehen ja, wie sich der Staat gegenüber seinen eigenen Landesbeteiligungen verhält, auch wenn wir den zweiten Nachtrag noch nicht diskutieren. Aber natürlich sehen wir, dass hier Umsatzausfälle kompensiert werden. Das ist auch nachvollziehbar. Und insofern ist es entscheidend wichtig, glaube ich, dass wir wirklich – Herr Schneider, es mag für Sie überraschend sein, aber ich wiederhole es noch einmal – bei Ihnen sind: Wir brauchen jetzt schnelle Wirtschaftshilfen, und zwar über Soforthilfen IV und V hinausgehend. Es ist richtig, den Kulturbereich im Rahmen der Kreativwirtschaft zu unterstützen, aber wir brauchen es im Besonderen auch für die Gastronomie, für die Hotels und den Tourismus. Wir können nicht darauf hoffen, dass im Oktober alle beschließen, Pfingsten und Muttertag nachzufeiern.

[Beifall bei der FDP]

Das wird so nicht laufen, und insofern bildet es für uns immer ein Dreieck aus Verantwortung gegenüber allen Berlinerinnen und Berlinern, wenn es um Fragen des Gesundheitsschutzes geht, aber auch um die Unterstützung der Wirtschaft, aber natürlich auch – und deswegen habe ich vom Dreieck gesprochen – die Frage, was wir einsparen können. – Auch das mag Sie überraschen, Herr Schneider: Den Flächenbedarf sehe ich genauso wie Sie. Auch mir hat es sich nicht erschlossen, warum jeder Mitarbeiter in der Verwaltung auf einmal ein Einzelzimmer braucht, und das am besten noch mit Meeresblick. Insofern freue ich mich auch auf die weiteren und nächsten Haushaltsberatungen. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, und wir kommen nun zu den Abstimmungen. Zunächst wird über den Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 18/2707 zur Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation abgestimmt. Hierzu liegt ein Änderungsantrag der AfD-Fraktion auf Drucksache 18/2707-1 vor. Wer dem Änderungsantrag der AfD-Fraktion auf Drucksache 18/2707-1 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind alle anderen. Der Vollständigkeit halber frage ich nach Enthaltungen. – Das ist nicht der Fall. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag: Zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 18/2707 zur Feststellung einer außergewöhnlichen Notsituation empfiehlt der Hauptausschuss mehrheitlich – gegen die AfD-Fraktion und bei Enthaltung der FDP-Fraktion – die Annahme. Wer den Antrag entsprechend der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2749 annehmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind Die Linke, Bündnis 90/Grünen, die SPD- und die CDUFraktion. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die AfD-Fraktion und die beiden fraktionslosen Abgeordneten. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die FDP-Fraktion. – Damit ist eine außergewöhnliche Notsituation nach § 2 Berliner Schuldenbremse-Gesetz festgestellt.

Wir kommen damit zur Abstimmung über den Nachtragshaushalt: Auch hierzu liegt ein Änderungsantrag der AfD-Fraktion auf Drucksache 18/2609-1 vor. Wer dem Änderungsantrag der AfD-Fraktion auf Drucksache 18/2609-1 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die AfD-Fraktion und ein fraktionsloser Abgeordneter. Wer stimmt gegen den Antrag? – Das sind alle anderen Fraktionen. – Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Der Hauptausschuss empfiehlt mehrheitlich – gegen die AfD- und die FDP-Fraktion sowie bei Enthaltung der CDU-Fraktion – das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 mit Änderungen sowie den in der Vorlage auf Drucksache 18/2609 beigefügten Nachtragshaushaltsplan von Berlin für das Haushaltsjahr 2020 einschließlich seiner Übersichten und Anlagen mit Änderungen anzunehmen. Ich lasse zunächst über den Nachtragshaushaltsplan mit den Änderungen gemäß der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses abstimmen. Wer also dem Nachtragshaushaltsplan 2020 auf Drucksache 18/2609 mit den Änderungen gemäß der Beschlussempfehlungen des Hauptausschusses auf Drucksache 18/2755 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das sind die AfD- und die FDP-Fraktion sowie der fraktionslose Abgeordnete. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die CDU-Fraktion.

Nunmehr lasse ich abstimmen über das Nachtragshaushaltsgesetz auf Drucksache 18/2609 einschließlich des Nachtragshaushaltsplans: Wer dem Nachtragshaushaltsgesetz einschließlich des diesem Gesetz als Anlage beigefügten Nachtragshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2020 mit den Änderungen gemäß der Beschlussempfehlung des Hauptausschusses auf Drucksache 18/2755 zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das sind die AfD- und die FDP-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete. Wer enthält sich der Stimme? – Das ist die CDU-Fraktion. – Damit ist das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 einschließlich des Nachtrags

(Sibylle Meister)

haushaltsplans mit den vom Hauptausschuss vorgeschlagenen Änderungen angenommen.

[Zuruf]

Entschuldigung, das ist von hier aus nicht zu sehen! Also es war immer das Stimmverhalten beider fraktionslosen Abgeordneten. Das ändert nichts am Ergebnis, und damit ist das Nachtragshaushaltsgesetz 2020 angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.3:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 6

Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG)

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung vom 13. Mai 2020 und dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 27. Mai 2020 Drucksache 18/2748

zur Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/1996

Zweite Lesung

Der Dringlichkeit haben Sie bereits eingangs zugestimmt. – Ich eröffne die zweite Lesung der Gesetzesvorlage: Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung sowie die Artikel 1 bis 3 der Gesetzesvorlage und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Widerspruch dazu höre ich nicht. Dann beginnt in der Beratung die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, und es hat das Wort Herr Abgeordneter Walter. – Bitte schön!