Protocol of the Session on May 14, 2020

Jetzt will ich das noch einmal beschreiben am Beispiel des Rechtsausschusses, der gestern getagt hat. Da gab es von a bis – ich glaube – p Untertagesordnungspunkte, Rechtsverordnungen rauf und runter, nur die aktuelle war nicht da, nur die gültige war nicht da. Es war im Grunde genommen nur noch abgelaufenes Altpapier. Der Streit, der sich daraus entsponnen hat, war, dass die Koalitionsfraktionen gegen ihren eigenen Senat gern Änderungen durchsetzen wollen, der Senat aber eine andere Auffassung in der Rechtsverordnung erlassen hat. Das ist der Streit, um den es am Ende in der Koalition geht. Es gab aber keine gültige Rechtsverordnung, mit der man hätte arbeiten können. Das ist für das Parlament ein Skandal.

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich will etwas Zweites hinzufügen und insofern auch die Koalitionsfraktionen nicht aus ihrer Verantwortung lassen: Als Reaktion dann festzustellen, dass sie im Rechtsausschuss gar nicht mehr über die Coronakrise am gest

(Torsten Schneider)

rigen Tag reden wollten und alle Tagesordnungspunkte, auch die Rechtsverordnungen, auch die Nicht-Rechtsverordnungen zur Coronakrise vertagt haben, auch das geht nicht. Es hätte einer Aussprache im Ausschuss bedurft. Das wollten wir als Oppositionsfraktion der CDU. Das ist von Ihnen abgewürgt worden. Das ist genauso wenig in Ordnung.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Warum haben Sie das gemacht?

[Torsten Schneider (SPD): Heiko, ihr habt filibustert! – Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Sie haben es gemacht, damit das auch erzählt ist, damit das Antidiskriminierungsgesetz, Ihr Vorzeigegesetz, schnell und ohne große Aussprache im Ausschuss beschlossen werden kann. Damit haben Sie im Übrigen auch die Oppositionsrechte diskriminiert. Das ist das erste Ergebnis des Antidiskriminierungsgesetzes.

[Beifall bei der CDU]

Um es zusammenzufassen und neben vielen Ansprachen im Ältestenrat auch hier öffentlich zu sagen: Die Regeln der Verfassung von Berlin, die Regeln abgeleitet aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, der Zwang der Exekutive, die Legislative unverzüglich zu informieren, das ist nicht irgendetwas, gerade wenn es um die Einschränkung von Grundrechten der Bevölkerung geht. Das gehört hier in den öffentlichen parlamentarischen Raum zur Diskussion. Deswegen sage ich, in der Krise ist Pragmatismus angesagt und nicht Ideologie. Das sehen wir so. In der Krise ist die Schnelligkeit zur Krisenbewältigung oberstes Gebot und nicht das Aussitzen. Sie erwarten das zu Recht, wir liefern das auch gern, wir wollen konstruktive Opposition sein in diesem Zusammenhang. Wir wollen teilhaben an der Willensbildung, diskutieren mit Ihnen und ringen um den besten Weg, unterstützen, wo es geht, und Kritik üben, wo es notwendig ist. Alles das machen wir statt kleinkariertem Parteienstreit und kleinkarierten Zankereien abseits der Bühne. Das funktioniert aber nur, wenn die Spielregeln von allen eingehalten werden. Dazu gehört auch, dass sich der Senat von Berlin nun in seiner Informationspolitik gegenüber dem Parlament an die Verfassung von Berlin hält, dass wir zu einem Miteinander auf demokratischer Grundlage und der Verfassungsgrundlage des Landes finden, dass das Parlament ein Ort der Debatte ist, gern auch Ort des politischen Streites und das Ringen um die beste Lösung.

Wir als CDU-Fraktion sind gern dabei, an der Seite bei vernünftigen Lösungen, kritisch, wenn es ideologisch wird, aber bitte, und das ist der Appell an den Senat, sorgen Sie auch in Ihrer Verantwortung dafür, dass das Parlament immer so informiert ist, wie es die Verfassung vorsieht. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN, der AfD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Für die Linksfraktion hat das Wort der Abgeordnete Zillich. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Dass wir uns hier vereinbart haben, eine Rederunde zu machen, hat sehr gewichtige Gründe, berührt in der Tat Grundsätzliches. Wir sollten die Rederunde nicht mit taktischen Spielchen belasten, die mal mehr, mal weniger legitim im parlamentarischen Alltag stattfinden. Es geht tatsächlich um eine sehr grundsätzliche Frage, um den Befund, dass einerseits der Senat in einer Situation, die er sich selbst nicht vorstellen konnte, die sich niemand vorstellen konnte, herausgefordert ist, unter den Bedingungen der Pandemie, die wir haben, zu regeln, zu handeln – das ist in der Tat die Stunde der Exekutive – und dass er das auch tut, dafür möchte ich ihm danken, mit sehr viel Arbeit, mit sehr viel Aufwand, dass wir aber gleichzeitig die Situation haben, der Kollege Schneider hat es gesagt, dass diese Regeln, die auf dem Verordnungswege gegeben werden, mit gravierenden Grundrechtseinschränkungen verbunden sind.

Das stellt die Frage nach der Legitimation und die Frage nach der Legitimität automatisch. Beide Fragen stellt es. Es sagt nichts über richtig oder falsch aus. Es sagt etwas darüber aus, dass wir genau in unserem Rechtssystem in der Demokratie dafür nicht nur das exekutive Vermögen, sondern die demokratische Legitimation vorausgesetzt haben, um derart regelnd in das Leben von Menschen eingreifen zu können. Genau das ist das, was hier faktisch unter Druck gerät in allen Parlamenten und wo wir als Parlament sagen müssen, dass es so nicht geht. Wir müssen da rein in den Prozess, nicht weil wir als Parlamentarier klüger sind, sondern weil es dieses System braucht, dieses System von parlamentarischer Kontrolle, dieses System unterschiedlicher Perspektiven auch in der Krisensituation, um solche Regeln erlassen und legitimieren zu können. Das müssen wir uns erarbeiten, so schwierig es auch ist.

Deswegen ist es von extremer Wichtigkeit, dass der Senat – ich verstehe, dass es durchaus einen Lästigkeitsfaktor haben kann in einer Situation, wo man viel zu tun hat, viel Kompliziertes, Überforderndes zu tun hat, dann auch noch daran zu denken – unbedingt das Parlament nach festgelegten Verfahren informieren muss, die zum Teil gar nicht umsetzbar sind, so, wie sie geschrieben sind. Aber wir müssen uns gemeinsame Verfahren geben, damit die Demokratie funktionieren kann. In der Tat, das Parlament ist an dieser Stelle nicht nur in seinem Kontrollauftrag gefragt, sondern es ist auch nach seinem Gesetzgebungsauftrag gefragt, auch bei den Verordnungen.

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

(Heiko Melzer)

Es ist unsere Verantwortung zu prüfen, ob der Verordnungsweg der richtige Weg ist, die Regeln zu geben. Deswegen muss es einfach so sein, dass wir nicht nur rechtzeitig die Verordnung hierher bekommen. Es ist nicht nur eine Informationsfrage, sondern es geht auch darum, dass die parlamentarische Debatte hier stattfindet. Das ist dann unser Auftrag, wie wir mit diesen Verordnungen umgehen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stettner?

Nein! Danke! – Es wird übrigens durchaus gar nicht einfach, weil es auch nicht einfach sein wird, die unterschiedlichen Perspektiven zu einer Positionierung bei diesen Punkten zusammenzubringen. Wir sehen gerade auch hier in den Debatten, wie schwierig es ist. Wir müssen uns aber dieser Mühe unterziehen. Dazu muss das demokratische Spiel funktionieren. Dazu müssen wir in der Lage sein, unsere Arbeit auszuüben. Deswegen muss es funktionieren, dass die Verordnungen zu uns kommen. Deswegen muss uns der Senat einen Weg vorschlagen, wie er auch die Verordnungen ankündigt. Dass es nicht so funktionieren kann, wie es in der Verabredung von vor einigen Jahren steht, das ist uns allen klar. Aber wir brauchen ein Verfahren, das insgesamt getragen ist. – Danke schön!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP]

Für die Fraktion der AfD spricht jetzt der Abgeordnete Vallendar. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Vorab, ich finde es ein wenig respektlos von den Senatoren und Senatorinnen, dass sie jetzt hier alle gerade auf ihr Handy schauen und ihre Tablets benutzen,

[Beifall bei der AfD, der CDU und der FDP – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

statt die Redebeiträge meiner Vorgänger zu verfolgen.

Das öffentliche Leben steht weitestgehend still. Eine Rechtsverordnung des Senats jagt die nächste. Im Namen des Gesundheitsschutzes und der Volksgesundheit werden derzeit sämtliche Grundrechte der Bürger Berlins eingeschränkt. Die Rechtsverordnungen sind gemäß Artikel 64 Abs. 3 der Berliner Verfassung dem Abgeordnetenhaus unverzüglich zur Kenntnis vorzulegen. Dies ist in

der Vergangenheit und auch bei den neuesten Eindämmungsverordnungen 6 und 7 nicht bzw. viel zu spät erfolgt. Gestern konnte der Rechtsausschuss wegen des verspäteten Eingangs dieser keinen Beschluss hinsichtlich der vorgelegten Rechtsverordnungen treffen und dem Abgeordnetenhaus deshalb heute keine Beschlussempfehlung zukommen lassen.

Diese Missachtung der Legislative durch den Senat ist für uns nicht hinnehmbar, insbesondere da der Senat in seiner Regelungswut jedes Maß der Verhältnismäßigkeit außer Acht lässt.

[Beifall bei der AfD – Gunnar Lindemann (AfD): Bravo!]

In den vorgelegten Rechtsverordnungen werden folgende Grundrechtseingriffe genannt: der Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Versammlungsfreiheit. Nicht erwähnt werden die Eingriffe in das Eigentum und die Berufsfreiheit. Für Theaterintendanten, Kinobetreiber, Fitnessstudiobetreiber, Sportler und viele mehr gilt derzeit faktisch ein Berufsausübungsverbot. Andere Berufsgruppen müssen zumindest extreme Einschränkungen in ihrer Berufsausübung hinnehmen. Über 10 Millionen Menschen befinden sich derzeit in Kurzarbeit. Diese hohe Zahl verbraucht täglich bis zu 1 Milliarde Euro der Sozialrücklagen der Bundesrepublik. Voraussichtlich Ende Mai werden die Ersparnisse in den Sozialkassen aufgebraucht sein.

Die Personalabteilungen der deutschen Unternehmen bereiten sich auf Entlassungen vor. Das ifo-Beschäftigungsbarometer ist im April auf 86,3 Punkte abgestürzt – von 93,4 Punkten im März. Das ist ein historisches Tief, auch der Rückgang war noch nie so stark. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland wird weiter steigen. Die Staatsverschuldung des Bundes und der Länder wächst. Die Berliner Hotelbranche wendet sich in einem Hilferuf an die Abgeordneten, die gesamte Dienstleistungsbranche steht vor dem Ruin.

Die in Ihren Rechtsverordnungen genannte Folgenabwägung zwischen den Grundrechten findet nicht statt oder geht einseitig zugunsten der Pandemieeindämmung aus. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Einhaltung von Sicherheitsabständen und die Empfehlung, Mund-NasenSchutz zu tragen, halten wir durchaus für angemessen. Dabei handelt es sich um mildere, gleich wirksame Maßnahmen. Berufsverbote lassen sich aber unmöglich über einen längeren Zeitraum als einen Monat rechtfertigen.

[Beifall bei der AfD]

Warum dürfen zum Beispiel Kinos nicht öffnen, wenn nur jeder dritte oder vierte Platz besetzt ist und eine Maskenpflicht besteht? Warum sind Demonstrationen auf 50 Personen begrenzt und werden nicht nach Platzgröße des Versammlungsortes definiert? Das Versammlungsrecht ist für unsere Demokratie konstitutiv.

(Steffen Zillich)

[Beifall bei der AfD]

Es sichert die Rückankopplung an Volk und Parlament. Gerade in Krisenzeiten, da die Regierung in die Rechte der Bürger eingreift, muss Widerspruch auf der Straße auch erlaubt sein. Wer gegen diese Umstände auf die Straße geht, ist auch nicht pauschal als Verschwörungstheoretiker abzustempeln und sollte nicht derart von Medien, Regierung und auch nicht vom Innensenator verunglimpft werden.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Gerade die Anzahl der sich Versammelnden ist entscheidend, um dem jeweiligen Ansinnen Ausdruck zu verleihen und gesellschaftliche Relevanz zuzugestehen. Wir fordern den Senat auf, diese Beschränkungen unverzüglich zu beenden.

Auch die Zahlengrundlagen, mit denen der Senat seine Maßnahmen begründet, sind dürftig. Wir haben nach wie vor eine unklare und sich widersprechende Zahlenlage – auch das müsste alles hier in diesem Parlament erörtert und diskutiert werden. Die Bewertung der vom Senat vorgelegten Rechtsverordnung muss anhand von drei Kriterien erfolgen: Angemessener Infektionsschutz, Wahrung der persönlichen Freiheitsrechte, Stabilisierung der Ökonomie und Volkswirtschaft.

[Beifall bei der AfD – Franz Kerker (AfD): Bravo!]

Es ist unsere Aufgabe als Legislative, die Exekutive in diesem Bereich stärker in die Verantwortung zu nehmen und zu kontrollieren. Wir fordern eine sofortige Beendigung des Total-Shutdowns. Geben Sie den Bürgern ihre Freiheit zurück und übertragen Sie ihnen Eigenverantwortung. Dies ist keine Bitte an den Senat, sondern eine Forderung, auf deren Erfüllung die Berliner Bürger einen Anspruch haben – ihr Anspruch auf ihre verfassungsgebenden Grundrechte.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Die weit überwiegende Zahl der Bürger hat ihr Sozialverhalten in Kenntnis um die Ansteckungsgefahr ganz automatisch und ohne staatlichen Zwang angepasst. Alleine diesem Umstand haben wir es vermutlich zu verdanken, dass Deutschlands Gesundheitssystem kaum an seine Belastungsgrenze gehen musste. Dafür sollten wir unseren Dank äußern. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD: Bravo! – Steffen Zillich (LINKE): Wie froh die AfD immer ist, wenn sie gemeinsam nicht den Ton trifft!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort der Abgeordnete Wesener. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronakrise ist – gelinde gesagt – ein Stresstest für uns alle. Das gilt für sämtliche Menschen in dieser Stadt, ob im Alltags- und Arbeitsleben oder im Freizeitverhalten; das gilt für Beschäftigte und Selbstständige, für Unternehmen, Verbände und Vereine, für Eltern und Kinder, Alte und Junge – und ja, das gilt auch für die Demokratie.

Ich finde, in einer parlamentarischen, pluralistischen und föderalen Parteiendemokratie muss es ein Störgefühl auslösen, wenn eine Bundeskanzlerin und 16 Ministerpräsidentinnen Woche für Woche Entscheidungen treffen, die weitreichende Konsequenzen für jeden von uns haben, einschließlich der temporären Einschränkung von Grundrechten.

[Zuruf von Christian Buchholz (AfD)]