Protocol of the Session on January 30, 2020

Tagesordnungspunkt 9 war Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter der Nummer 4.4.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 10:

Eilzuständigkeit der Zollvollzugsbeamten im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) aufnehmen

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/2430

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung des Gesetzesantrags. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. – Zu dem Gesetzesantrag wird die Überweisung an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht, dann werden wir auch hier so verfahren.

Tagesordnungspunkt 11 steht als vertagt auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 12:

Gesetz zur Einführung der pauschalen Beihilfe

Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/2436

Erste Lesung

Ich eröffne die erste Lesung der Gesetzesvorlage. – Zur Begründung des Gesetzesentwurfs hat Herr Senator Dr. Kollatz um die Erteilung des Wortes gebeten. – Bitte schön, Herr Senator, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Parlamentspräsident! Sehr geehrte Abgeordnete! Mit dem vorliegenden Gesetz zur pauschalen Beihilfe eröffnet das Land Berlin eine wesentliche Option der Wahlfreiheit. Das heißt, es wird damit auch für beamtete Dienstkräfte möglich zu wählen zwischen dem Paket 1, das ist das bisherige System, das im Regelfall daraus besteht, eine einzelfallbezogene Beihilfe vom Arbeitgeber, dem Land Berlin, zu bekommen und eine private Krankenversicherung abzuschließen, die ungefähr die andere Hälfte abdeckt, oder sich für die gesetzliche Krankenversicherung zu entscheiden, das heißt, das sind dann Krankenkassen wie die AOK oder die Ersatzkassen.

[Marcel Luthe (FDP): Schleichwerbung!]

Ich glaube, das war ein ziemlich unangemessener Zwischenruf.

[Beifall bei der LINKEN – Marcel Luthe (FDP): Das entscheiden nicht Sie!]

Ich kann dazu aber eine Auffassung haben. – Den Bund hatten wir aufgefordert, eine entsprechende einheitliche Regelung zu schaffen. Die erforderliche Mehrheit dafür kam im Bundesrat nicht zustande. Deswegen wollen wir nun einen Landesweg gehen, der diese Wahlmöglichkeit schafft und diese in Berlin konkret umsetzt. Berlin wird dann übrigens nicht das einzige Bundesland sein, wo das geht, sondern eine Reihe von Bundesländern haben sich auf diesen Weg gemacht, das erste war nach meiner Kenntnis Hamburg. Aber es ist auch so, dass in den letzten Wochen eine vergleichbare Entscheidung in Brandenburg stattgefunden hat.

(Marcel Luthe)

Die Dienstkräfte, die neu im Landesdienst im Beamtenstatus anfangen, sollen sich selbst entscheiden dürfen, welchen Versicherungsweg sie gehen. Bislang ging das nicht, denn weil das Beihilfesystem auf konkrete Behandlungen zielt, werden bei der individuellen Kostenabrechnung Erstattungen zur Hälfte vorgenommen. Die Grundlogik aber dessen, was wir bei dem System der gesetzlichen Krankenversicherungen haben, ist, dass es bei den Tarifbeschäftigten oder auch in vielen, den meisten oder fast allen Arbeitsverhältnissen in der Privatwirtschaft so ist, dass der Arbeitgeber die Hälfte von dem zahlt, was für die Krankenversicherung zu entrichten ist und die andere Hälfte wird vom Arbeitnehmer gezahlt. Das passte nicht zu dem bisherigen System und deshalb heißt das jetzt: eine pauschale Beihilfe. Es wird also die Möglichkeit geschaffen zu sagen: Ich will mich dafür entscheiden.

Wichtig ist, dass das eine einmalige Entscheidung ist. Das bedeutet, dass dabei keine Rosinenpickerei stattfindet. Es hat in der Vergangenheit solche Debatten bei Krankenkassen gegeben, und es ist versucht worden, diese abzustellen, indem man gesagt hat: Wer sich in anderen Beschäftigungsverhältnissen einmal für die private Krankenkasse entschieden hat, darf dann später, wenn ihm etwas anderes sinnvoll erscheint, nicht sagen: Ich will lieber in die gesetzliche Krankenkasse. Hier ist es jetzt, wenn Sie so wollen, ein Stück weit umgekehrt. Ich kann mich einmal entscheiden, und diese Entscheidung kann dann durchaus den weiteren Lebensweg beeinflussen, aber es ist sicherlich ein Thema, das viel mit dem verantwortlichen Bürger und dessen Wahlfreiheit zu tun hat. Ich habe vorhin dem Zwischenruf entnommen, dass das einige skeptisch sehen. Ich sehe das nicht skeptisch.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Bereits jetzt gibt es eine nicht ganz geringe Anzahl der beamteten Landesbediensteten, die, obwohl sie überhaupt keinen Kostenbeitrag des Arbeitsgebers bekommen, sich für die gesetzliche Krankenversicherung entscheiden. Wer ist das typischerweise? – Das sind nicht die höher bezahlten Landesbediensteten, sondern dass sind diejenigen, die die kleinen Gehälter haben, das sind typischerweise diejenigen, die größere Familien, also mehrere Kinder haben, und das sind typischerweise auch die Familien, bei denen es nur einen Berufstätigen gibt. Auch das sind Wahlentscheidungen. Diese Wahlentscheidungen wollen wir unterstützen.

Warum ist das so? – Bei den privaten Versicherungen muss für jedes Kind ein extra Versicherungsvertrag abgeschlossen werden, und es ist auch so, dass bei der privaten – –

Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luthe zulassen.

Das mache ich gern.

Bitte schön, Herr Luthe!

Herr Senator, vielen Dank! – In der Tat, vielleicht können Sie mich ja überzeugen. Gibt es für das, was Sie gerade genannt haben, also für die Fälle, die Sie annehmen, eine belastbare Zahlengrundlage, liegt die vor?

Wir haben eine Abschätzung durchgeführt, und die wird bei der Diskussion in den Ausschüssen eine Rolle spielen. Die Zahl deren, bei denen über mehrere Jahre hinweg überhaupt gar keine Abrechnungen im Zusammenhang mit der Beihilfe vorgenommen wird, ist der beste Proxy, den wir dafür haben. Diese Zahl ist in Berlin ziemlich sicher eine vierstellige, das heißt, wir reden dabei nicht über einen oder zwei, sondern wir reden dabei über eine deutlich vierstellige Anzahl. Wir haben deswegen auch eine Abschätzung durchgeführt, wer aus dem Bestand das in Anspruch nehmen wird. Die Meisten, die das in Anspruch nehmen werden, sind eher diejenigen, die neu einsteigen. Aber wir haben auch eine Abschätzung vorgenommen, die wird Ihnen in den Beratungen auch vorgelegt werden, was im Bestand passiert. Das ist eine deutlich vierstellige Zahl, wenn nicht gar eine fünfstellige. Wir wissen es nicht ganz sicher, aber eine vierstellige ist es jedenfalls.

Es sind bestimmte Gruppen und es geht darum, für diese Wahlmöglichkeiten zu schaffen und auch denjenigen, die sich bisher schon dafür entschieden haben, die Chance zu eröffnen, in Zukunft besser unterstützt zu werden, was bislang nicht der Fall ist. Es geht nicht darum, denen, die sich für das private System entscheiden wollen, etwas wegzunehmen, sondern es gilt, vereinfacht gesprochen: Wer nichts macht, bleibt in dem System, wie es bislang angelegt ist. Insofern bitte ich um Unterstützung hier im Haus. Es ist wichtig, denn es erhöht die Wahlfreiheit. Es ist keine Zwangsbeglückung, aber es ist etwas, was zu einer Modernisierung im Beamtenwesen in Deutschland beiträgt.

Zu dem Technischen: Wir wollen es gern so machen, dass für diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die neu einsteigen, oder auch andere, die Möglichkeit besteht, es nach Ihren Beratungsprozessen – wenn die insgesamt zu einem positiven Ergebnis führen sollten – rückwirkend zum 1. Januar 2020 wirksam werden zu lassen. Wir haben deshalb die Beschäftigten schon einmal

(Senator Dr. Matthias Kollatz)

vorab informiert, dass wir ihnen empfehlen: Wenn sie diese Option für sich in Erwägung ziehen – aber bitte auch nur dann – jetzt erst einmal Einzelabrechnungen zurückzustellen, damit wir das auch in der Verwaltungsumsetzung schaffen.

Aber wichtig ist: Es geht um das Schließen einer Gerechtigkeitslücke. Es geht um die Modernisierung des öffentlichen Dienstes, und es geht darum – das kann man ja auch einmal aussprechen –, den öffentlichen Dienst zukunftsfest und auch attraktiver für bestimmte Beschäftigtengruppen zu machen. Ich glaube, das wird uns insgesamt gelingen, denn wir haben diejenigen im öffentlichen Dienst. Der öffentliche Dienst besteht nicht nur aus dem höheren Dienst, sondern – ganz im Gegenteil – den Großteil der öffentlichen Bediensteten haben wir unterhalb der Besoldungsstufe A 9, und für die ist es ein wichtiger Schritt.

Ich bitte um Zustimmung und gehe auch davon aus, dass die Beschäftigtenvertretungen des Landes Berlin das ausdrücklich begrüßen. Wir haben zumindest in den Vorgesprächen mit dem Hauptpersonalrat eine eindeutig positive Rückmeldung erfahren. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

In der Runde der Fraktionen beginnt nunmehr die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Pieroth, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen sind völlig d’accord mit dem Finanzsenator und sehr einverstanden mit diesem Gesetz,

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

denn Beamtinnen und Beamte, die sich privat versichern, bekommen bisher einen erheblichen Teil der Behandlungskosten aus Steuermitteln erstattet, und wer sich freiwillig für die gesetzliche Krankenversicherung entscheidet, geht leider leer aus. Das ist nicht fair, und wir treiben damit Beamtinnen und Beamte in die PKV. Da landen dann auch neun von zehn Beamtinnen und Beamte, eigentlich alle außer ein paar Überzeugungstäterinnen und -tätern, die es sich eben leisten können. Und dann gibt es noch solche, die es sich eben nicht leisten können, weil sie – ich zitiere – „besondere gesundheitliche Merkmale“ haben, Merkmale, die bei der PKV als Risiko gelten und deshalb dort mit besonders hohen Beiträgen verknüpft sind. Das ist zutiefst unsolidarisch.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Was sind solche Merkmale? – Der Finanzsenator hat es gerade gesagt. Es ist vielleicht der Umstand, viele Kinder zu haben – das ist ein erheblicher Kostenfaktor bei den Privaten –, eine Vorerkrankung oder gar eine Behinderung. Beamte und Beamtinnen mit diesen sogenannten Merkmalen gehen dann in die Gesetzliche, weil sie für die PKV ökonomisch nicht interessant sind. Das kann nicht sein. Sie sind damit doppelt benachteiligt. Sie gehen nämlich, was die staatliche Beihilfe betrifft, bisher leer aus. Das ändern wir mit diesem Gesetz.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD]

Manche beklagen, die pauschale Beihilfe sei zu teuer. 68 Millionen Euro hat der Finanzsenator für jedes Haushaltsjahr eingestellt. Das sind 68 Millionen Euro, die wir heute in die Hand nehmen, die sich aber mittelfristig amortisieren, denn bei der Bearbeitung zur individuellen Beihilfe wird der Aufwand zurückgehen. Und da sich mehr Beamtinnen und Beamte für die Gesetzliche entscheiden werden, gehen auf lange Sicht die höheren individuellen Beihilfen zurück. Mit dem Gesetz schaffen wir also mehr Gerechtigkeit und, wie eben gesagt, mehr Wahlfreiheit.

Ganz nebenbei korrigieren wir einen Fehlanreiz zugunsten der Privatversicherungen. Warum sollte Berlin ein Geschäftsmodell unterstützen, das in Konkurrenz zur Solidargemeinschaft steht? Solidarität bedeutet bekanntlich, dass Junge für die Alten, Gesunde für die Kranken, Starke für die Schwachen füreinander da sind. So funktioniert ein Solidaritätssystem eben.

Die Einführung der pauschalen Beihilfe ist ein wichtiger Schritt hin zur grünen Bürgerversicherung.

[Beifall bei den GRÜNEN und der SPD – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Dann wäre endlich Schluss damit, dass die Hauptlast unseres Gesundheitswesens von denen geschultert wird, die über kleine oder mittlere Einkommen verfügen. Dann tragen Gutverdienende, Selbstständige und Beamte auch ihren Teil dazu bei. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, es ist aber auch ein Gebot der Stunde, denn anders werden wir die Herausforderungen des demografischen Wandels und medizinischen Fortschritts nicht meistern können. Ich bin froh, wenn wir alle gemeinsam dazu beitragen. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die CDU-Fraktion hat Herr Kollege Goiny das Wort. – Bitte schön!