Protocol of the Session on May 9, 2019

dungspflichtig. Und weil für uns das Grundgesetz das Fundament ist,

[Marcel Luthe (FDP): Hatten wir gerade beim Rettungsschuss!]

auf dem unsere freiheitliche, offene Gesellschaft aufgebaut ist, weil sie ohne das nicht funktionieren würde, schauen wir sehr genau hin, wie Grundrechtseingriffe begründet werden. Und Mühe haben Sie sich ja gemacht.

Das hat übrigens auch die Bundesregierung in einer anderen Frage getan, wo es ebenfalls um einen Konflikt zwischen Religionsfreiheit, elterlichem Erziehungsrecht und Kinderrechten ging – bei der Beschneidungsdebatte. Und obwohl es bei der Beschneidung von Jungen um eine irreversible körperliche Prägung geht, kam der Bundestag damals mit einer breiten Mehrheit zu der Überzeugung, dass Eltern – mit bestimmten Grenzen selbstverständlich – solche Vorentscheidungen für ihre Kinder treffen dürfen,

[Zuruf von Harald Laatsch (AfD)]

weil das Erziehungsrecht ausdrücklich eben auch die religiöse Erziehung umfasst.

[Paul Fresdorf (FDP): Aber nicht der Schulkamerad auf dem Schulhof!]

Die Debatte damals war heftig, und es gab seriöse Stimmen auf allen Seiten. Es gab aber auch sehr viel Antisemitismus und sehr viel Islamfeindlichkeit, die unter dem Deckmantel der Kinderrechte daherkamen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Umso genauer sollten wir also hier auf die Begründung des Gesetzentwurfs schauen, und die ist extrem fragwürdig, denn der Gesetzentwurf tut nicht einmal so, als ginge es um die Religionsmündigkeit, um den Schutz der Kinder generell und um die Sicherung von Religionsfreiheit generell, sondern er will ausdrücklich nur jene – ich zitiere, mit Verlaub –

religiös geprägte Kleidung

verbieten,

die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist.

Sprich: Es ist ein Antikopftuchgesetz.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ja, wer hat denn sonst noch Kopftücher? Was soll denn das?]

Herr Bachmann hat ja dankenswerterweise gerade klargestellt, dass die Kippa natürlich nicht gemeint ist.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Na gut!]

Damit widerspricht also der Gesetzentwurf dem Grundrecht der Gleichbehandlung und dem AGG, und zwar genau genommen gleich doppelt: Es trifft nämlich nur muslimische Mädchen, diskriminiert also sowohl nach Religion als auch nach Geschlecht.

(Präsident Ralf Wieland)

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Bettina Domer (SPD)]

Die Begründung kann eigentlich nur in der Abwägung von Rechten liegen, das heißt, eine Einschränkung ist möglich, wenn beispielsweise die staatliche Bildung durch das Kopftuch von Schülerinnen gefährdet wäre oder eine Gefährdung des Schulfriedens drohte. Eine solche Gefährdung des Schulfriedens müsste aber konkret belegt werden, abstrakte Gefahr genügt nicht.

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Diese Debatten haben wir in diesem Haus oft genug geführt. Wieso der Bildungsauftrag nicht mehr ausgeführt werden könnte, wenn Schülerinnen ein Kopftuch tragen, leuchtet mir erst einmal auch nicht ein. Sie berufen sich stattdessen auf gesellschaftspolitische Argumente: Das Kopftuch sei ausschließlich oder überwiegend das Zeichen der Unterordnung von Frauen und Mädchen in patriarchalen Strukturen,

[Zuruf von der AfD: Ist es ja auch!]

Verhinderung von Selbstbestimmung, Ausdruck von Frühsexualisierung.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schneider?

Nein, danke! – Ich dachte immer, rechtspopulistische Kampagnen gegen Frühsexualisierung richteten sich gegen vermeintlich zu viel sexuelle Freizügigkeit

[Frank-Christian Hansel (AfD): Frau Ateş ist nicht rechtspopulistisch!]

und nicht gegen zu viel Verhüllung.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Auch!]

Natürlich ist es die Aufgabe der Schule, Kinder und Jugendliche zu mündigen, selbstbestimmten Persönlichkeiten zu erziehen, die ihre eigenen Entscheidungen treffen lernen. Aber gerade, wenn man diese einseitige Sicht auf das Kopftuch teilen würde, die Sie in dem Antrag vortragen: Glauben Sie denn im Ernst, dass dann ein Verbot den Schülerinnen helfen würde, selbstbestimmt zu entscheiden?

[Ja! von der AfD]

Statt sie zu ermutigen, ihren Eltern gegenüberzutreten

[Frank-Christian Hansel (AfD): Ja, ja, jetzt kommt das!]

und eine Entscheidung gegen das Kopftuch durchzusetzen, –

[Frank-Christian Hansel (AfD): Was ist das denn für ein Blödsinn? – Zurufe von Stefan Franz Kerker (AfD), Gunnar Lindemann (AfD) und Thorsten Weiß (AfD)]

Meine Herren!

zwingen Sie durch das Verbot die Mädchen erst recht in die Solidarität mit dem Wertesystem der Eltern hinein oder aber sie entfremden sie von ihren Elternhäusern, indem sie den Mädchen vermitteln, dass das Wertesystem und die religiöse Überzeugung ihrer Eltern falsch sein müsse. Mit keiner der Optionen tun Sie den Mädchen einen Gefallen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Bettina Domer (SPD)]

In Fällen, in denen familiärer Zwang oder gar Gewalt im Spiel ist, ist ein Eingreifen natürlich geboten. Um den Kinderschutz zu gewährleisten, gibt es ein Instrumentarium wie auch rechtliche Möglichkeiten. Ich erwarte, dass dieses Instrumentarium in solchen Fällen konsequent angewendet wird. Ansonsten setzen wir auf pädagogische Instrumente, um Mädchen und Jungen, ob muslimisch oder nicht oder andersgläubig, zu selbstbestimmten Persönlichkeiten zu erziehen, die fit sind für ein Leben in einer offenen Gesellschaft.

Ein letztes Argument, noch einmal in Richtung von Herrn Bachmann: Sie haben die Kopftuchkonferenz gelobt, die die Professorin Susanne Schröter veranstaltet hat. Dort haben einige der Islamexpertinnen

und -experten geredet, die auch Sie in ihrem Gesetzentwurf zitieren. Es hatten allerdings auch andere islamische Stimmen und Islamexpertinnen und -experten das Wort. Einig waren sie sich auf der Konferenz,

[Hanno Bachmann (AfD): Habe ich auch nie gesagt!]

dass – ich sage das ja nur dem Hohen Haus hier! –

[Frank-Christian Hansel (AfD): Sagen Sie der Türkei, was da los ist! – Zuruf von Anne Helm (LINKE)]

es im Islam so viele unterschiedliche Deutungen und Interpretationen wie in anderen Religionen auch gibt.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Die Türkei ist ein gutes Beispiel!]

Das gilt auch für das Kopftuch.

Eine letzte Anmerkung, Herr Bachmann; das gilt auch für Islamexpertinnen und -experten: Was ich inzwischen nicht mehr akzeptiere, ist, dass Islamexpertinnen und -experten allen anderen absprechen, dass sie den Islam kennen könnten und dass sie irgendwie einen Monopolanspruch auf Deutungen haben.