Erlauben Sie mir das Wort, Frau Präsidentin? – Beim Hammelsprung handelt es sich nicht um zwei Abstimmungen, sondern das ist die Feststellung der Mehrheitsverhältnisse bei der ersten Abstimmung.
Ich habe 30 Jahre Bundestag auf dem Buckel. Sie dürfen glauben, dass ich eine ganze Menge gelesen habe. – Ich sage das bewusst fürs Protokoll, weil ich weiß, dass in Geschäftsordnungskommentaren unsere Debatte hier aufgegriffen und verfolgt werden wird.
[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Die Verfassung schlägt die Geschäftsordnung! Das sollten Sie auch wissen!]
Ich bin nicht bereit, in einen Brülldialog einzutreten. Ist das Ihr Parlamentsverständnis? – Ich glaube, ja! Das ist Ihr Parlamentsverständnis.
[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Offensichtlich muss ich Sie an die Verfassung erinnern! – Weitere Zurufe von der LINKEN]
Geben Sie mir die Möglichkeit: Deswegen ist der Hinweis auf Artikel 38 der Verfassung von Berlin falsch,
weil die Abgeordneten bereits an einer Abstimmung teilgenommen haben. Es geht also nicht um die erstmalige Teilnahme an einer Abstimmung, sondern um die zweite Teilnahme an der gleichen Abstimmung, und das ist geschäftsordnungswidrig, weil das Ergebnis gar nicht anders sein kann. Nach dem Grundsatz der Unverrückbarkeit von Parlamentsbeschlüssen kann das nicht wiederholt werden.
Wenn Sie es nicht verstehen wollen, bin ich dankbar, dass im Protokoll dieses Hohen Hauses dieses völlige Unverständnis der anderen Fraktionen über parlamentsrechtliche Grundsätze nachzulesen ist. – Herzlichen Dank!
[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos) – Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN]
Herr Dr. Krestel! Sie haben die Möglichkeit der Erwiderung. – Entschuldigung! Ich lasse den Doktor weg.
Dann erst einmal danke für die Beförderung, die ich aber ablehnen muss, weil ich nie promoviert habe. – Herr Dr. Berg! Ich kenne Sie aus dem Bundestag. Ich will Sie jetzt hier nicht irgendwie „bashen“, und Sie haben sich sicher auch lange Gedanken gemacht,
aber Sie wissen auch, dass die von Ihnen vertretene Ansicht zu dieser Rechtsvorschrift nie von den Bundestagsabgeordneten aufgegriffen wurde. Meiner Meinung nach können Sie das behaupten, was Sie sagen, aber schließlich und endlich wirkt das Abstimmungsrecht für die für vier oder bei uns für fünf Jahre gewählten Abgeordneten durch die Wahl – die können hier notfalls fünf Jahre lang Tag und Nacht abstimmen – überlagernd. Das ist meines Erachtens das stärkere Recht, und deswegen werden Sie sich mit Ihrer Rechtsauffassung hier nicht durchsetzen können. – Danke!
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Wesener. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Dr. Berg! Ich bin mir nicht sicher, wer hier was nicht verstanden hat. Manchmal ist es aber hilfreich, wenn man Nichtjuristen ranlässt. Deswegen versuche ich als Nichtjurist jetzt einmal, ganz verständnisvoll und einfühlsam meine Sicht der Dinge darzulegen. Ich glaube, die AfD hat ein Problem. Genauer gesagt, die AfD hat ein Problem mit der Laufrichtung. Im vorliegenden Antrag geht es offenbar um nichts Geringeres als die Gewissheit über die richtige Richtung beim Hammelsprung. Manche finden – das hat man an den vorhergehenden Redebeiträgen gemerkt – Dergleichen etwas sonderbar. Ich finde, wir sollten der AfD die Selbstbeschäftigung nachsehen, denn da gehört allgemeine wie auch politische Orientierungslosigkeit bekanntlich zum Markenkern.
So muss es für die AfD besonders schmerzhaft gewesen sein, als sie im letzten Oktober – in diesem Zeitraum wurde der Antrag eingereicht – wieder einmal feststellen musste, dass sie auch gut ein Jahr nach der Bundestagswahl immer noch nicht verstanden hatte, wie die parlamentarische Demokratie funktioniert.
Nein! – „AfD beantragt Hammelsprung und blamiert sich damit selbst“ war damals die Überschrift eines Artikels auf „Focus-Online“.
Was war passiert? Ein von der AfD initiierte Hammelsprung des Deutschen Bundestages erbrachte das Ergebnis, dass die AfD mit weniger als einem Viertel ihrer Abgeordneten im Plenum war. Ergo: Entweder hat ein Großteil der AfD-Fraktion den Sinn und die politische Bedeutung dieses parlamentarischen Instruments gründlich missverstanden, oder – das wäre meiner Vermutung, Herr Dr. Berg – viele AfD-Abgeordnete haben damals den Sitzungssaal im festen Glauben verlassen, sie hätten damit ihre Stimme abgegeben.
Wer kann schon wissen, dass die Regelung in der Geschäftsordnung des Bundestages mit der des Berliner Abgeordnetenhauses darin übereinstimmt, dass lediglich der Wiedereintritt in den Plenarsaal gezählt wird? Dieses
Missverständnis liegt nahe, Herr Dr. Berg, wenn man einer Partei angehört, die sich den politischen Leitspruch auserkoren hat: Rückwärts immer, vorwärts nimmer! Da kann man sich beim Rein und Raus im parlamentarischen Alltag schon einmal gründlich verlaufen.
Es ist auch nicht der erste und einzige Fall, in dem die AfD durch Probleme mit der Laufrichtung auffällt. Da gibt es z. B. den tragischen Fall des Berliner AfDGeschäftsführers, der im vergangenen Jahr arglos durch Chemnitz lief und sich unvermittelt in einem rechtsradikalen Aufmarsch Seite an Seite mit bekennenden Neonazis wiederfand. Welche politische Richtung er damit eingeschlagen hat, ist dem armen Herrn Hansel bis heute völlig unklar. Last but not least – das ist meine Lieblingshypothese – könnte man davon ausgehen, dass auch die Spendenaffäre „Alice – raus aus dem Euro rein in den Schweizer Franken – Weidel“ eine einzige riesige Verwechslung ist, weil reine Richtungssache wie beim Hammelsprung.
Woher soll die unbescholtene Frau denn wissen, dass es auch bei Parteispenden darauf ankommt, woher sie kommen und an wen sie gehen?
Ich gehe davon aus, dass die AfD demnächst beantragt, die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages um einen klarstellenden Hinweis zu ergänzen.
Bei allem Verständnis, Herr Dr. Berg, für diese Nöte der AfD: Ihrem Antrag liegt ein grundlegendes Missverständnis zugrunde. Der Hammelsprung ist weder gemäß seiner Historie noch von der heutigen funktionalen Intention her ein parlamentarisches Kampfinstrument, um demokratisch legitime Mehrheitsverhältnisse durch situative Zufallsmehrheiten auszuhebeln, auch wenn das der AfD sicherlich sehr gefallen würde.
Der Hammelsprung hat lediglich den Zweck, strittige oder unklare Abstimmungsergebnisse zu objektivieren bzw. final zu klären. Gleiches gilt für die Frage der Beschlussfähigkeit einer Versammlung.
Die Berliner Geschäftsordnung entspricht in diesem Punkt nicht nur der des Bundestages und der anderer deutscher Länderparlamente, auch im internationalen Vergleich, Herr Dr. Berg, herrscht eine parlamentarische Praxis vor, die darauf abzielt, die Stimmen aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die sich an einer
Abstimmung beteiligen wollen, möglichst präzise zu erfassen. Dafür gibt es in einigen nationalen Parlamenten sogar zeitliche Fristen. So haben kanadische Parlamentarier bei einem sogenannten „Call in the Members“ zwischen 5 und 30 Minuten Zeit, ihre Plenarsaalplätze einzunehmen. Dagegen ist das hier Raketengeschwindigkeit.
In Kanada und in anderen Commonwealthstaaten wird dieses Procedere von mehrminütigem Glockengeläut im gesamten Gebäude begleitet.
[Heiterkeit bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP – Holger Krestel (FDP): Die werden schon wissen, warum!]