Er nimmt, und damit zitiere ich gerne Carolin Emcke, weder die Sorgen der Menschen ernst noch nimmt er die Menschen selbst ernst.
Da ich gerade von Sicherheits- und Innenpolitik spreche, möchte ich doch noch ein paar Worte speziell in Richtung der CDU-Fraktion richten, die vorhin deutlich gemacht hat, dass das mal ihr Lieblingsthema war. – Herr Graf! Ich muss an der Stelle anmerken, dass ich über Ihre Rede ein bisschen verwundert bin. Sie haben mit so einer Wonne die eigenen Ergebnisse Ihrer Innenpolitik der letzten fünf Jahre auseinandergenommen, dass man sich schon fragt, ob Sie mit größter Sehnsucht in die Opposition zurückgelangt sind und sich jetzt darüber freuen, jetzt auf dieser Bank zu sitzen.
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von Ülker Radziwill (SPD) und Sven Rissmann (CDU)]
Nach all dem, was zwischen Oktober und heute passiert ist, sollte man eigentlich auch glauben, Sie hätten Ihren eigenen ehemaligen Innensenator bereits genug abgestraft. Aber nein! Da wird er heute von Ihnen direkt noch mal voller Genuss zur Schau gestellt.
Eins, ich habe es vorhin schon mal gesagt, sollte Ihnen klar sein: Was wir in den letzten 35 Tagen getan haben, auch nach dem Attentat am Breitscheidplatz, war vor allem, die Scherben aufzusammeln, die Sie in den letzten fünf Jahren produziert haben. Die Turnhallen, das LAGeSo, die Bürgerämter habe ich bereits angesprochen, aber auch innenpolitisch haben Sie nichts als Luftschlösser gebaut. Deshalb zitiere ich mit Dank an Frau Bluhm gerne noch einmal die 1 060 Stellen, die Sie vielleicht geschaffen haben mögen, die bis heute aber nicht besetzt sind.
Auch sind bis heute 1 500 Beamte dauerkrank, und das unter anderem wegen der schlechten Arbeitsbedingungen bei der Berliner Polizei, die auch in Ihre Verantwortung in Ihrer Amtszeit fällt. Der Senat hat auf seiner Klausur beschlossen, 45 Millionen Euro in die Hand zu nehmen, um genau diesen Missstand Ihrer Politik endlich auszuräumen.
Auch die Kriminalitätsrate ist unter einem Frank Henkel gestiegen. Über die Skandale wollen wir gar nicht reden – V-Leute, Rockerbanden; es gab noch einige mehr. Vor allem aber ist es ein starkes Stück, uns vorzuwerfen, wir hätten den Anschlag nicht verhindert, obwohl die Ermittlungen voll und ganz in die Verantwortung Ihrer Amtszeit fallen.
Kurzum: Sie sind alles in allem mit Ihrer Politik gescheitert, und genau deshalb, Herr Graf, wurde Ihre Partei am 18. September abgewählt.
Berlin ist eine vielfältige, moderne und auch offene Stadt. Das ist aber leider kein Selbstläufer. Wie wir auch heute hier sehen, muss man das jeden Tag aufs Neue verteidigen. Verteidigen gegen Menschen, die Gegner dieser Weltoffenheit sind. Deshalb appelliere ich noch einmal an alle, besonnen und rational Wege aufzuzeigen, wie man das Risiko eines Anschlags maximal minimieren kann. – Ich weiß nicht, wo er gerade ist, aber: Herr Pazderski! Den Eindruck zu vermitteln, man könnte einen Anschlag vollständig ausschließen, bedeutet tatsächlich, den Menschen Sand in die Augen zu streuen.
Eine vollkommene Garantie kann kein Mensch abgeben. Was wir können, ist, uns gemeinsam maximal zu bemühen, solche Risiken auszuschließen, und genau das tun wir gemeinsam.
Das tun wir nicht nur mit den nötigen Maßnahmen, sondern wir tun das gemeinsam mit der Botschaft, die der Präsident heute Morgen verlesen hat – Mut zur Freiheit. Sicherheit und Freiheit sind zwei Seiten derselben Medaille, die sich gegenseitig bedingen.
Sicherheit soll Freiheit ermöglichen. Sicherheit soll Freiheit nicht beschränken, denn Freiheit ist ein hohes Gut, eines der höchsten Güter, die wir in unserer liberalen und demokratischen Gesellschaft haben. Wir Grüne werden dieses Gut ebenso verteidigen wie hoffentlich auch alle anderen,
[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Sebastian Czaja (FDP): Sie bevormunden doch alle!]
gegen Menschen, die aufgrund anderer Weltanschauung unsere Freiheit angreifen, aber auch gegen reflexhafte Abwehrhaltungen, die versuchen, die Berliner in ein Sicherheitskorsett zu zwängen, das sie ebenfalls in ihrer Freiheit einschränkt. Ich sage es in aller Deutlichkeit: Die, die versuchen, hier Hass zu säen, die spornen uns nur noch mehr an.
Gerade in der Hauptstadt Deutschlands muss man sich noch einmal ganz genau überlegen, was es bedeutet, wenn es um die Einschränkung von Bürgerrechten und Freiheit geht, und wie es vielleicht auch in unserer jüngeren Geschichte aussah. Wer sich ernsthaft, wie heute ja auch angeregt, mit den Folgen der deutsch-deutschen Geschichte bis in die heutige Zeit beschäftigen will, kann die Augen nicht davor verschließen, dass unter anderem die Opfer des DDR-Regimes für Freiheit und gegen eine Überwachung durch den Staat gekämpft haben. Viele dieser Menschen haben sogar ihr Leben im Kampf für Freiheit und gegen Überwachung gelassen.
[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP) – Oliver Friederici (CDU): Das sagen Sie mal Herrn Wolf! – Heiterkeit bei der CDU]
Genau dieser Kampf um Freiheit und das konsequente Eintreten für Bürgerrechte ist einer der Gründe gewesen, warum sich meine Partei überhaupt gegründet hat.
Deshalb wehren wir uns auch gegen jede Form der Effekthascherei, die lediglich versucht, über Pseudolö
sungen den Anschein von vermeintlicher Sicherheit zu suggerieren. Was wir stattdessen brauchen, ist eine sachliche Analyse der geeigneten Maßnahmen, um Taten wie am Breitscheidplatz zu verhindern. Deshalb gilt für uns: Jede Maßnahme, die in Grundrechte eingreift, muss sorgfältig abgewogen, muss zwingend erforderlich, verhältnismäßig und von Nutzen sein. Sprich: Sie muss effektiv mehr Sicherheit bringen und nicht nur das Gefühl von Sicherheit, Herr Graf.
Das am Dienstag beschlossene Sicherheitspaket des Senats, aber auch unser rot-rot-grüner Koalitionsvertrag führen genau die Instrumente auf, die wir jetzt brauchen, um für mehr Sicherheit zu sorgen, ohne dabei Grundrechte einzuschränken. Diese Sorgfalt und Demut vor unseren freiheitlichen Grundwerten, lehrt uns u. a. die Geschichte dieser Stadt.
Und ja, das zeigt auch die Debatte um Andrej Holm. Denn jenseits der Frage, wie glaubwürdig der Staatssekretär in seiner persönlichen Vergangenheit das eine getan oder gelassen hat, zeigt die Debatte um ihn als Person vor allem, dass wir zwei wesentliche gesellschaftliche Debatten führen müssen. Die eine ist die Frage des Umgangs mit den Folgen des DDR-Unrechtsstaats. 26 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sind wir ganz offensichtlich – das zeigen die letzten Wochen – an einem Punkt angekommen, wo wir uns einer Bewertung stellen müssen. Vielleicht kann das Ergebnis sein, dass wir ab hier einen Aussöhnungsprozess starten. Ob das möglich ist oder nicht, das muss jeder einzelne in diesem Dialog für sich bewerten. Aber dass wir einen Dialog brauchen, das steht, glaube ich, nicht zur Debatte. Wir werden auf jeden Fall diesen Dialog aktiv befördern.
Und ich sage Ihnen auch schon mal eines, selbst wenn es mit den Koalitionspartnern noch nicht abgestimmt ist: Ich persönlich
habe sehr großes Interesse daran, auch noch einen Antrag in dieses Haus einzubringen, wo wir die Benennung eines Ehrenrats beantragen, um uns alle noch mal überprüfen zu lassen.
Da bin ich mal gespannt, wer von den Personen, die heute am allerlautesten Heuchler geschrien haben, vielleicht selbst nicht immer eine glasklare Vergangenheit hat.
Ich finde aber, dass wir diese Debatte vor allem nicht am Einzelfall Holm, sondern in einer Allgemeingültigkeit für
und vor allem mit allen Betroffenen führen sollten. Ein erster Schritt – und der Kultursenator hat diesen bereits angekündigt – ist sicherlich die Errichtung eines Campus der Demokratie, ist die Sicherung der Räume für die Robert-Havemann-Gesellschaft und die Verlängerung der Landeszentrale für die Aufarbeitung der Stasi-Diktatur.
Entschuldigung, Frau Kapek! – Ich bitte Sie, verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Geräuschpegel ist sehr hoch. Frau Kapek hat im Moment allein das Wort.