Das betrifft die Frage: Machen wir das letzte Kitajahr zu einem Pflicht-Kitajahr? – Darüber müssen wir nachdenken, wenn man an bestimmte Kinder und deren Eltern herankommen will. Ich sehe aber keine Notwendigkeit, zwischen dem Angebot an Kindertagesbetreuung und dem Einstieg in die flexible Schuleingangsphase eine neue Struktur einzurichten. Deswegen tut es mir leid: Wir lehnen den Antrag der FDP ab.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin Kühnemann-Grunow! Ich hätte Ihnen das gerne kurz in der Zwischenfrage serviert, aber wir können das auch auf diesem Wege machen: Im Fachausschuss haben wir lange über das Thema gesprochen. Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt, die Argumente ausgetauscht; ich habe auch die Punkte, die Sie ansprachen, dort erklärt. Selbstverständlich wollen wir nicht, dass jemand ewig in der Kita bleibt und danach die Erzieherin heiratet und sich dann zur Ruhe setzt.
Das ist nicht unser Ziel, sondern wir sagen: ein- bis zweimalige Wiederholung. Da wären wir gesprächsbereit gewesen. – Das Interessante an Ihrer Fraktion ist in diesem Punkt, dass Sie über neue Ideen nicht wirklich lange nachdenken. Man hat gesehen, wie wichtig das Thema für die SPD ist, wenn bei der Bildungsdebatte dort fünf Leute sitzen; jetzt sind zwei weitere hereingekommen. Aber es ist wirklich traurig, dass die Partei, die seit 23 Jahren dieses Ressort in Berlin führt, das Thema nicht wichtig nimmt.
Das ist nämlich das große Problem: Die Schule soll sich dann auf die Kinder einstellen – auf jedes einzelne Kind. – Das ist Ihr Ansatz, der aber nicht funktioniert. Das haben alle Bildungsvergleiche gezeigt. Ich gebe Ihnen einmal einen Tipp: Gehen Sie einmal zu Grundschulen in Brennpunktgegenden!
Jeder, mit dem ich gesprochen habe, dem ich die Idee eines verpflichtendes Jahres vor der Schule vorgestellt habe, hat zu mir gesagt: Ja, genau das ist es, was wir brauchen, Herr Fresdorf! Wir brauchen schon vor der Schule Bildung und eine Herstellung von Beschulbarkeit.
Wenn Sie dann diese Schulleiter fragen – jetzt kommt das Interessante an der Geschichte: Mensch, wir haben eine Anhörung im Ausschuss. Wollen Sie nicht kommen? – Dann sagen sie: Um Gottes willen! Das werden wir nicht machen, denn Herr Rackles ist rachsüchtig. – Das ist das Problem, das wir in dieser Stadt haben: Es wird alles nach oben beschönigt. Ja, das ist es doch.
Sie bekommen kein reales Bild in dieser Stadt, in diesem sozialistisch geführten Haus. Das ist das Problem, an dem die Bildung in diesem Land krankt.
Es wird nach oben immer schöner dargestellt. Sie wohnen in einem Elfenbeinturm und bekommen die Probleme nicht mit.
[Beifall bei der FDP und der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Holger Krestel (FDP): So kriegen die Roten nämlich jede Gesellschaft kaputt!]
Lieber Herr Fresdorf! Ich bin froh, dass Sie die Anhörung im Bildungsausschuss angesprochen haben, denn dann müssten Sie sich auch daran erinnern, dass nicht einer der Anzuhörenden der Meinung war, dass die Vorschule die adäquate Antwort wäre – im Gegenteil. Alle haben sich zugunsten der Qualität der Berliner Kita ausgesprochen und vehement appelliert, dass wir eher dafür sorgen müssen, dass wir alle Kinder erreichen, damit sie in die Kita gehen. Andere Bundesländer schreiben es inzwischen ab: Das Berliner Bildungsprogramm sucht im bundesweiten Vergleich seinesgleichen.
[Lachen bei der AfD und bei der FDP – Stefan Franz Kerker (AfD): Das glauben Sie doch selber nicht!]
Ihr Herstellen von Beschulbarkeit: Was ist denn die Aufgabe der ersten Klasse in der Grundphase? – Es ist nämlich genau das: Kinder beschulbar zu machen. Das sind Kinder. Da muss man sitzen lernen. Da geht man in der großen Pause heraus und hat Bewegungsdrang und will rennen. Das ist Schule. – Herr Fresdorf, nicht nur Sie sind in Berlin unterwegs, sondern auch ich spreche mit den Kitaleitungen, ich spreche mit den Grundschulleitungen. Es gibt vielfache Kooperationen zwischen Kita und Grundschulen. Das klappt an vielen Stellen sehr, sehr gut. Das heißt nicht, dass es nicht 4 bis 5 Prozent an Kindern gibt, an die wir besser herankommen müssen. Dass will hier keiner verhehlen. Das ist auch genau unser Ansatz. Lassen Sie uns darüber reden, wie wir an die Kinder herankommen. Wir können gerne darüber sprechen, wie wir die Kita ausrichten müssen, damit wir einen anderen Weg finden, mit dem wir Eltern besser erreichen und die Kinder dort hinbekommen. Aber hier von Beschulbarmachen und von alle-Kinder-sind-gleich zu sprechen – nein! Wir haben Heterogenität. Grundschule ist eine inklusive Schule. Das soll sie auch bleiben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lieber Herr Fresdorf! Liebe FDP! Wir haben Ihren Antrag gedreht und gewendet, das hatte ich Ihnen in der ersten Lesung auch zugesagt, weil wir viel Sympathie für Ihr Anliegen haben, in Berlin eine strukturierte Vorschularbeit einzuführen. Das können Sie im Übrigen auch daran erkennen, dass wir die Abschaffung der Vorschulklassen durch Rot-Rot immer noch für falsch halten. Aber, sehr geehrter Herr Fresdorf, das, was Sie
vorgelegt haben, funktioniert einfach nicht. Sie schreiben es zwar nicht in der Überschrift – warum eigentlich nicht? –, aber Sie wollen eine Schulpflicht ab fünf Jahren, die von der Kita umgesetzt werden soll. Und Sie wollen eine Abschlussprüfung in dieser Kitavorschule. Sehr geehrter Herr Fresdorf, das geht rechtlich einfach nicht. Bei aller Sympathie für Leistungserhebungen: Kitakinder sollten wir hier nicht mit einbeziehen.
Und über das richtige Einschulungsalter haben wir in der letzten Legislaturperiode ausführlich diskutiert. Aber hier gab es bei den Eltern eine klare Tendenz und zwar weg von der Früheinschulung, übrigens mit 5,7 Jahren, wieder hin zu sechs Jahren. Ich sehe also auch keinen wirklichen Rückhalt bei den Eltern für Ihre Forderungen.
Die pädagogischen Kräfte aus den früheren Vorschulklassen und auch die damals genutzten Räume in den Grundschulen sind unwiederbringlich verloren. Deshalb müssen wir mit den Instrumenten arbeiten, die wir aktuell zur Hand haben. Fast 100 Prozent der fünfjährigen Kinder in Berlin besuchen die Kita, die im letzten Jahr übrigens kostenfrei ist. Wir müssen vor allem daran arbeiten, dass das Bildungsprogramm in der Kita besser und verbindlicher umgesetzt wird, damit in der Kita besser die notwendigen Bedingungen für einen erfolgreichen Schulbesuch geschaffen werden.
Wir müssen insbesondere die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchung ernst nehmen. Eben deshalb haben wir sie auf unsere Initiative mit Experten im Bildungsausschuss auch diskutiert. Da sehen wir, dass es grenzwertige und auffällige Befunde bei der Visuomotorik, der Grobmotorik, beim Mengenwissen und bei der sprachlichen Entwicklung bei rund einem Drittel der Kitakinder gibt, überdurchschnittlich übrigens bei arabischstämmigen Kindern, bei denen wir noch mehr dafür tun müssen, dass sie die Kita besuchen und sich dort gut entwickeln.
Aber abschließend komme ich zu einem Punkt, den ich bei dieser Senatsverwaltung wirklich nicht verstehe und auch nicht verstehe, dass die FDP nicht zusammen mit uns hierauf den Fokus legt. Besonders große Probleme mit dem Schulbesuch haben doch die Kinder, die nicht in der Kita waren. Für diese Kinder ist die Förderung eigentlich verbindlich rechtlich geregelt, aber diese wird nicht umgesetzt. Die Kollegin Demirbüken-Wegner hat die Zahlen eben noch einmal erfragt. 3 000 Kinder, die nicht in die Kita gehen, wurden angeschrieben. Nur ein Viertel kam dann zum Test. Die, die getestet wurden, hatten fast zu 100 Prozent die Auflage, eine Sprachförderung zu bekommen. Davon kommt niemand bei der Sprachförderung an. – Herr Fresdorf, darin liegt das eigentliche Problem.
Das ist die eigentliche Baustelle. Wir müssen diese vorgeschriebene verpflichtende Förderung an die Kinder heranbringen. Von diesen Kindern darf uns in Zukunft keines mehr durch das Netz rutschen. Sie brauchen unser Augenmerk. Hier müssen wir den Senat gemeinsam festnageln, dass diese Kinder zum Sprachtest kommen und dass sie bei nachgewiesenen Sprachdefiziten auch einen Kitaplatz und Sprachförderung bekommen. Wenn wir das schaffen, Herr Fresdorf, dann sind wir bei fast 100 Prozent Kitabesuch. Das würde im Großen und Ganzen einer Vorschule entsprechen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte ja nie gedacht, dass ich Frau Bentele zustimme,
aber da haben Sie tatsächlich den Nagel auf den Kopf getroffen, Sie haben auch gleich den Beweis dafür geliefert, dass Zwang und Pflicht nicht dazu führen, dass alle Menschen erreicht werden, und das ist ja genau die verpflichtende Einschulungsuntersuchung, die Sprachstandsfeststellung. Da fragt der Kollege Langenbrinck regelmäßig einmal pro Jahr die Zahlen ab, und wir sehen: Die Einführung des Bußgelds in der letzten Legislaturperiode, das die Eltern dazu bringen sollte, ihr Kind zu der Sprachstandsfeststellung zu bringen, hat keine Auswirkungen gehabt. Es ist eben so, dass bestimmte Familien nicht per Post oder per sonstigen Behördenbriefen erreicht werden, sondern zu denen müssen wir hingehen. Da braucht es eben niedrigschwellige Beratungsangebote in den Kiezen, in den Sozialräumen, an den Familienzentren oder aufsuchende Sozialarbeit oder Lotsinnen, wie auch immer. Da müssen wir tatsächlich darüber nachdenken, wie diese Quote gesenkt werden kann. Wir sind gut dabei, Ideen zu sammeln und das gemeinsam zu entwickeln. Aber wie gesagt: Pflicht und Zwang führen nicht dazu, dass wir alle Menschen erreichen.
Ich bin Herrn Fresdorf dankbar, dass er mir erklärt hat, wie das alles gemeint ist. Die Überschrift ist schön. Das sehen wir alle so. Natürlich wollen wir das auch alles, aber dann fängt der Antrag an, in eine Richtung zu gehen, die das Gegenteil von dem bewirkt, was er vorgibt zu wollen. Nach der Logik dieses Antrags müssen Kinder eigentlich nur eines, nämlich funktionieren, und das nach einer Schablone, die im Antrag „Grundniveau“ genannt wird. Wer nicht reinpasst, soll passend gemacht werden,
und diese Passfähigkeit wird kontrolliert, damit es eine Beschulbarkeit gibt, die dazu führt, dass Bildungsgewinner produziert werden, die dann den sozialen Aufstieg erleben. Merkwürdig, merkwürdig! Wir haben ein anderes Bild von der Kindheit. Dieses Bild wird eher in ein freies, selbstbestimmtes Leben führen.
Der Antrag bleibt diverse Antworten schuldig. Wer soll eigentlich bestimmen, wie diese Beschulbarkeit aussieht? Er sagt nicht, was mit den Kindern passiert, die sich der Kitapflicht entziehen oder die die Prüfung nicht bestehen. Die Kollegin hat auch schon gesagt, dass die wahrscheinlich sitzenbleiben werden. Er sagt auch nicht, wie das Schwänzen in der Kita bestraft werden soll. Ich kann es nicht verstehen: Dieser Antrag ignoriert elementares Wissen um die Individualität jedes Kindes, jedes Menschen. Er ignoriert die Tatsache, dass Kinder auch in ihrer Geschwindigkeit beim Lernen unterschiedlich sind und dass Kinder eben Kinder sind, und das sollen sie auch bleiben.
Er ignoriert, dass Vielfalt auch in der Frühförderung gelebte Realität in unseren Einrichtungen ist und dass sich die Bildungsinstitutionen auf die Kinder einzustellen haben und nicht umgekehrt. Der Antrag ignoriert nicht nur Kinderrechte, sondern auch die Elternrechte, z. B. dass es Elternrecht ist zu entscheiden, ob und in welchem Umfang das Kind in eine Kita geht und wann das Kind in die Schule kommt. Wir haben aus gutem Grund hier sehr flexible Regelungen, und das soll auch so bleiben. Er ignoriert, dass wir ein Bildungsprogramm haben. – Das ist auch schon gesagt worden. – Er ignoriert, dass die Berliner Eltern wissen, dass ein möglichst mehrjähriger Kitabesuch die besten Voraussetzungen bietet nicht nur für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sondern auch für die Entwicklung des Kindes gut ist, und zwar im Sinne von mehr Chancengleichheit. Wenn das nicht so wäre, hätten wir nicht so viele Probleme, für jedes Kind einen guten Kitaplatz bereitzustellen – das haben wir alle mitbekommen – und damit den Rechtsanspruch jedes Kindes zu verwirklichen.