Protocol of the Session on January 24, 2019

[Allgemeiner Beifall]

Dann ist es natürlich richtig, dass wir gerade zu Beginn des Gedenkjahres 30 Jahre friedliche Revolution einerseits in den Blick nehmen, dass wir auch in dieser Stadt immer noch Menschen haben, die auch die Betreuung, die Beratung des Landesbeauftragten benötigen, weil sie selbst eben Opfer oder Gegner der SED-Diktatur waren. Nicht alle Gegner, die eingesperrt waren, sehen sich auch als Opfer. Das muss man auch sagen. Diese Beratung und Betreuung ist wichtig. Sie wird von der Behörde hervorragend geleistet.

Wir müssen uns aber gleichermaßen klarmachen, dass mittlerweile 30 Jahre vergangen und auch zwei Generationen herangewachsen sind, die keine aktive Diktaturerfahrung mehr gemacht haben, denen im besten Fall aus Erzählungen der Familie, wie objektiv oder nichtobjektiv auch immer, DDR-Geschichte vermittelt wird und dieser Landesbeauftragte gleichzeitig in die Zukunft wirken muss und wirkt, damit eben die Erfahrung von SEDDiktatur, aber auch unsere gemeinsame deutsche Geschichte – DDR ist nicht nur der Blick aus der östlichen Richtung, sondern DDR ist auch der Blick aus der westlichen Richtung –, an die nachfolgenden Generationen weitergegeben wird. Noch einmal 30 Jahre weiter wird es kaum noch Zeitzeugen geben. Wir sind dann schon in der Situation, die wir jetzt bei den Opfern des Nationalsozialismus haben, dass wir kaum noch Zeitzeugen haben. Dann wird es auch schwierig, Geschichte authentisch zu vermitteln. Es müssen die Grundlagen gelegt werden, dass Aufarbeitung stattfindet, aber die Ergebnisse der Aufarbeitung und die Erinnerung an die SED-Diktatur wachgehalten werden. Dafür sorgt Herr Sello, aber dafür müssen wir auch alle gemeinsam sorgen. Das ist gerade im Jubiläumsjahr 30 Jahre friedliche Revolution unser aller Aufgabe.

[Beifall]

Es gehört natürlich dazu, dass wir uns darüber im Klaren sind, dass wir uns bei der Vermittlung von Geschichte, bei der Frage der richtigen Darstellung, der Authentizität der Ereignisse klarmachen, dass die entscheidenden Akteure nicht nur die Abgeordneten des Landes Berlin sein können, auch nicht nur die Mitglieder des Senats, sondern dass alle aufgefordert sind, auch die Zivilgesellschaft, sich in dieses Jubiläumsjahr einzubringen, auch entsprechend aktiv Vorschläge zu machen.

Wenn ich dann einen Wunsch an die Bezirke adressieren darf, denn sie sind genauso Bestandteil der Berliner Verwaltung: Gedenken ist nicht nur Aufgabe der Landesebene, Gedenken und gerade Kultur ist in Berlin durch Dezentralität Aufgabe der Bezirke. Ich wünsche mir von allen Bezirken, Ost und West, dass sie in diesem Jahr Veranstaltungen zum Jubiläum machen, dass sie aber

(Andreas Otto)

auch Gedenktafeln einweihen, Straßen nach Opfern der SED-Diktatur benennen und Ähnliches. Denn nur, Erinnerungen im Stadtbild wachzuhalten, wird uns an dieser Stelle weiterbringen. Es sind alle aufgefordert, mitzumachen. Es ist auch Aufgabe der Bezirke, hier ein Zeichen zu setzen.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Ich sage das auch untermalt mit Beispielen aus meinem Heimatbezirk Treptow-Köpenick. Wir haben das beginnend mit den NKWD-Kellern gemacht. Damals reichte es aus – und da beginnt ja auch im Prinzip schon die SEDDiktatur, auch wenn sie damals noch nicht so hieß –, dass ein 16- oder 17-Jähriger unter dem Verdacht stand, er sei ein „Werwolf“ gewesen, um eingesperrt zu werden. Wir haben Erinnerungstafeln an diese Orte stalinistischer Schreckensherrschaft. Wir haben Erinnerungstafeln an den ehemaligen SED- und MfS-Kreisdienststellen. Wir haben aber genauso Gedenkstelen und Straßen, die nach Maueropfern benannt sind, nach Streikführern des 17. Juni oder nach anderen Gegnern der SED-Diktatur. Ich würde mir wünschen, dass das auch in anderen Bezirken Schule macht, denn im Verhältnis zu anderen Epochen der Zeitgeschichte ist gerade dieser Aspekt bisher im Straßenbild und in der öffentlichen Wahrnehmung unterrepräsentiert.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Zum Schluss sei noch darauf hingewiesen, dass wir gerade dieses Gedenkjahr nutzen können, um nach außen zu demonstrieren, dass gerade Deutschland – und Deutschland wird ja in erster Linie von Berlin repräsentiert, jedenfalls in der europäischen und weltweiten Wahrnehmung – vorbildlich dabei ist, seine eigenen Diktaturerfahrungen aufzuarbeiten, und viele Länder, die in ähnlichen Prozessen sind – nicht nur in Osteuropa, sondern auch darüber hinaus –, ihre Diktaturen aufarbeiten und sich mit Fehlern der Vergangenheit auseinandersetzen müssen, schauen genau hin, was wir tun und was wir machen. Da sind Institutionen wie der Landesbeauftragte sicherlich ein gutes Empfehlungsschreiben dafür, dass man so etwas auch exportieren kann. Wenn wir Aufarbeitung weiter so machen wie bisher, dann wird es uns gelingen, dass auch in 30 Jahren die Erinnerung noch wachgehalten wird. Aber wir alle gemeinsam müssen unseren Beitrag dazu leisten. – Herzlichen Dank!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der 24. Tätigkeitsbericht des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist damit vorgelegt und besprochen. Im Namen des Hauses danke ich Ihnen, sehr geehrter Herr Sello, und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich für die geleistete Arbeit.

[Allgemeiner Beifall]

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.1:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 4 A

Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 21. Januar 2019 Drucksache 18/1619

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1522

Zweite Lesung

in Verbindung mit

lfd. Nr. 26 A:

Für ein bewusstes Gedenken!

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vom 21. Januar 2019 Drucksache 18/1620

zum Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 18/1480

Der Dringlichkeit hatten Sie bereits eingangs zugestimmt. – Ich eröffne die zweite Lesung zum Gesetzesantrag auf Drucksache 18/1522 – Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Sonn- und Feiertage. Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung und die Artikel I bis III des Gesetzentwurfes und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Für die gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 A und 26 A stehen den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 7 Minuten zur Verfügung. In der Runde der Fraktionen beginnt die Fraktion Die Linke – hier die Abgeordnete Ines Schmidt. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu dem neu eingeführten Feiertag, dem Frauentag, und zu dem einmaligen Gedenktag am 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Martin Trefzer (AfD)]

Der 8. Mai ist uns wichtig. Er bedeutet das Ende des Völkermords an 6 Millionen Juden, der Verfolgung von Sinti und Roma, der Vernichtung von Sozialisten, Kommunisten und sexuell anders orientierten Menschen in

(Stefan Förster)

Konzentrationslagern. Gerade heute ist es uns wichtig, zu zeigen, dass Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, denn unser Berlin steht für Vielfalt, für Weltoffenheit und für Toleranz.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Tommy Tabor (AfD)]

Nun zu unserem Frauentag: Wir alle wissen, der Feiertag ist richtig und wichtig, reicht aber allein nicht aus, um die Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen. Doch bestärkt er uns darin, den Kampf fortzusetzen. Vor über 100 Jahren, am 19. März 1911, rief die Sozialistin Clara Zetkin ein bis heute lebendiges Symbol für den Kampf der Frauen um gleiche Rechte und Chancen aus – den Frauentag. Der Erfolg dieses ersten Frauentages 1911 übertraf alle Erwartungen. Rund 45 000 Frauen gingen allein in Berlin auf die Straße und forderten das Frauenwahlrecht. Am 19. Januar 1919, also vor 100 Jahren, war es soweit. Es fand die Wahl zur Nationalversammlung statt. Sie war die erste reichsweite Wahl, in der Frauen das Wahlrecht hatten. 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab, 300 Frauen kandidierten, und von 423 Abgeordneten zogen 37 Frauen in die Nationalversammlung ein.

Wie sieht es heute aus? – Hier im Abgeordnetenhaus sitzen 33 Prozent Frauen. Linke und Grüne sind mit 50 Prozent Frauen vertreten. In der SPD gibt es 40 Prozent Frauen. Wie sieht es bei der Opposition aus? – CDU vier Frauen, AfD drei Frauen

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Zwei! – Weitere Zurufe: Zwei!]

Entschuldigung, zwei Frauen! –, FDP zwei Frauen. Das ist ein Niveau wie vor fast 100 Jahren.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Beifall von Dr. Hugh Bronson (AfD)]

Auf der großen, bundespolitischen Bühne sieht es nicht besser aus. Seit Oktober beträgt der Frauenanteil im Bundestag nur noch 31 Prozent. Das liegt auf dem Level der Wahlperiode von 1998. Über alle deutschen Landtage hinweg sind übrigens im Schnitt nur 32 Prozent Frauen in Parlamenten vertreten, auf kommunaler Ebene sind es 25 Prozent, und der Anteil der hauptamtlichen Bürgermeisterinnen liegt bundesweit bei vier Prozent.

Sie kennen die Zahlen alle, und ich merke auch, dass es viele hier im Parlament nicht interessiert. Aber vielleicht erreiche ich Sie mit positiven Beispielen aus den EUPartnerländern. In Schweden besteht das Nationalparlament zu fast 44 Prozent aus Frauen, in Finnland zu 42 Prozent, in Spanien und Frankreich zu 39 Prozent und in Island und Belgien zu 38 Prozent. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens eine starke Tradition der Gleichstellungspolitik, so etwa in den skandinavischen Ländern, und zweitens eine feste gesetzliche Quotenvorgabe für

die Wahllisten und Direktkandidaturen, und das nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien, Griechenland, Irland, Portugal, Slowenien, Spanien und selbst im erzkonservativen Polen!

Es gibt unterschiedliche juristische Meinung zum Paritätsgesetz. Aber wer kennt das nicht? Zwei Juristen, fünf Meinungen! Ich bin keine Juristin. Ich bin Frauenpolitikerin mit Leib und Seele,

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

und ich plädiere für eine verbindliche paritätische Quote für alle Parlamente, Ämter, Gremien auf Landes- und auf Bundesebene, so wie Brandenburg das gerade vormacht.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): So ein Quatsch!]

Das würde in der AfD natürlich echt etwas bewirken – eine paritätische Besetzung.

[Georg Pazderski (AfD): Nein, bei uns müssen Frauen etwas leisten! So einfach ist das! – Weitere Zurufe]

Meinen Sie, dass unsere Frauen bei der Linken nichts leisten? Oder bei der Koalition? Was ist denn mit Ihnen los? Also ehrlich, das ist doch ein Kasper! Also wirklich!