Viertens: Vom Einkommen einer Vollzeitbeschäftigung muss man leben können. Lassen Sie es mich an der Stelle persönlich sagen: Ich war jahrelang ein Gegner des gesetzlichen Mindestlohns, weil es für mich Sache der Tarifpartner war. Allerdings darf ein Staat keine – ich sage es einmal so – asozialen Löhne zulassen, wenn letztlich im Alter zugezahlt werden muss. Insofern war die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns richtig und ist auch eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns richtig, wobei es ein Stück weit auch immer ein Lohnabstandsgebot zu denjenigen geben muss, die über eine entsprechende Ausbildung, Verantwortung und Qualifikation verfügen.
Der Sozialstaat muss solidarisch sein, er muss finanzierbar sein, und er muss klaren Regeln folgen. Deshalb müssen die Nichteinhaltung von vereinbarten Terminen mit dem Jobcenter, das Nichtbeibringen erforderlicher Unterlagen, die vollständige Verweigerung gegenüber Jobangeboten, das Verheimlichen von Vermögen, falsche Angaben generell, Konsequenzen haben – was auch sonst? Die Abschaffung von Sanktionen wäre unsozial, ungerecht gegenüber jenen, die Sozialleistungen mit ihrer Arbeit hart erarbeiten. Fördern und Fordern ist weiterhin richtig.
Gerade Hilfeempfänger bis 25 Jahre haben die besten Aufstiegschancen, nicht nur mit Blick auf über 800 000 freie Stellen in unserem Land. Berlins Wirtschaft bietet großartige Perspektiven. Wir müssen Menschen ohne Ausbildung oder ohne Arbeit vermitteln. Wir brauchen dringend Fachkräfte. Wer Anstrengungen der Arbeitsagentur nicht durch eigene Anstrengungen begleitet, gehört sanktioniert. Welche Alternativen hat der Senat, um Termineinhaltungen sicherzustellen? Wie wollen Sie auf Betrug reagieren? Trotz sinkender Hartz- IV-Zahlen steigen Jahr für Jahr die Missbrauchszahlen. Die Antwort kann doch nicht lauten, dass die Missbrauchszahlen steigen, und wir schaffen die Sanktionen dagegen ab. Das ist absurd.
Lassen Sie mich letztlich noch ein Zitat der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden und Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, vortragen:
Bei jüngeren Hartz-IV-Empfängern grundsätzlich ganz auf Sanktionen zu verzichten, halte ich für zu kurz gesprungen.
Lassen Sie uns unseren Beitrag leisten, Langzeitarbeitslose in das Berufsleben einzugliedern, jungen Menschen Perspektiven zu bieten. Dazu gehören weder das solidarische Grundeinkommen noch die Abschaffung von Sanktionen. Leistungsmissbrauch gehört eingedämmt, nicht ausgeblendet oder ignoriert. Wir werden das Sachanliegen im Ausschuss konstruktiv begleiten, den hiesigen Antrag jedoch ablehnen. – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Herr Penn! Es mag sein, dass Hartz IV und die Sanktionen für den Arbeitsmarkt und für die Wirtschaft damals, als es eingeführt wurde, eine gut gemeinte Medizin und vielleicht in Teilen erfolgreich war. Ich stelle aber fest, dass diese eine sehr bittere Medizin für die Betroffenen ist. Deshalb heißt es für mich, dass diese bittere Medizin abgesetzt werden muss.
Im Jahr 2017 gab es 637 768 Widersprüche gegen HartzIV-Bescheide und -Sanktionen. 262 000 Widersprüche wurden im Nachhinein als vollkommen oder teilweise berechtigt beschieden. Etwa 80 000 Widersprüche sind als Klagen vor Gericht gelandet und noch nicht entschieden. Diese Zahlen der Bundesagentur für Arbeit zeigen doch, dass in unserem sozialen System etwas schiefläuft. Deshalb müssen wir hier handeln. Deshalb müssen wir eine zeitgemäße Veränderung in diesem ganzen Sozialsystem hinbekommen. Werte Kollegen von der CDU, AfD und FDP: Übrigens sind gegen die 262 000 Fehlentscheide in einem Jahr die 1 200 Asylbescheide, die im Bremer BAMF über einen Zeitraum von vier Jahren womöglich falsch ausgestellt wurden, eine Lappalie. Über die BAMF-Bescheide haben Sie sich sehr aufgeregt. Das sagt doch sehr viel über Ihre sozialen und menschlichen Einstellungen aus, finde ich.
Mit Rot-Rot-Grün arbeiten wir daran, die Gesellschaft sozialer, solidarischer und menschlicher zu gestalten. Wir wollen mit den Änderungen in diesem Bundesrecht Armut wirksamer bekämpfen. Ja, manchmal muss man dicke Bretter bohren. Manchmal muss man auch die Forderungen doppelt, dreifach und mehrfach stellen. Das
Mit diesem vorliegenden Antrag wollen wir das Sanktionssystem verändern und diese negativen Effekte herausholen. Es verschärft Armut in Familien. Es führt zu Frust bei jungen Erwachsenen und kann Obdachlosigkeit verursachen. Das in Zeiten knappen Wohnraums, ist aus meiner Sicht definitiv nicht hinnehmbar. Deswegen ist unsere Forderung, erstens, die Streichung der Sanktionen für unter 25-Jährige richtig und wichtig. Der paternalistische Ansatz, junge Menschen härter zu bestrafen als Menschen über 25 Jahre, war falsch und ist gescheitert. Vielleicht ist es sogar verfassungskonform. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird das wohl darstellen.
Ich brauche keinen Richterspruch, um zu sagen: Weg mit den Sanktionen für junge Erwachsene. Studien verdeutlichen das. Mein Kollege von den Linken hat das ausgeführt.
Zweitens: Den Ausschluss von Sanktionsmöglichkeiten für Bedarfsgemeinschaften mit Kindern und Jugendlichen ist uns wichtig. In Berlin wächst jedes fünfte Kind armutsgefährdet auf. Eine Kürzung der Hartz-IV-Sätze für Eltern hat unmittelbar Auswirkungen auf die Teilhabe der Kinder, wenn kein Geld mehr da ist für Sport, Kultur, Bildung oder, im schlimmsten Fall, auch für Essen. Kinder dürfen keine Krisen ihrer Eltern in der Kindesentwicklung und -entfaltung zu spüren bekommen. Statt Sanktionen brauchen wir eine Kindergrundsicherung, die Armut effektiv bekämpft.
Auch Alleinerziehende müssen wir weiter und besser schützen und unterstützen. Sie sind auch oft davon betroffen. 40 Prozent der Alleinerziehenden beziehen Hartz IV in Berlin und sind auch häufig von Sanktionen betroffen. Durch den Wegfall der Bedarfsprüfung in der Kitabetreuung, den Wegfall der Hortgebühren oder die Beratungsstellen für Alleinerziehende in den Bezirken unterstützen wir als rot-rote-Koalition diese Gruppe. Das ist gut. Wir sagen: Fördern, ja. Bestrafen, nein.
Drittens: Ich komme zur Streichung der Möglichkeiten, die Kosten der Unterkunft zu kürzen. Wohnen ist schon längst zu einer sozialen Frage geworden. Als eine, die regelmäßig in der Bahnhofsmission oder bei Obdachlosentreffs vorbeischaut, kann ich Ihnen versichern, dass wir hier nicht mehr nur von Einzelfällen reden. Wir wollen als Koalition diese Menschen schützen, dass sie ihren Wohnraum nicht verlieren. Deshalb ist es wichtig, die Kosten der Unterkunft eben nicht zu kürzen.
Aus meiner Sicht hat die Agenda 2010 das Land in vielen Teilen nicht gerechter oder sozialer gemacht. Sie wurde damals im Angesicht der Ermahnungen aus Brüssel, die Schuldenquote unter die 3-Prozent-Marke zu senken, parteiübergreifend – damals Rot, Grün, und in den Vermittlungsausschuss hat die CDU eine ganze Menge Verschlimmbesserung reingebracht – auf den Weg gebracht. Ich selbst kritisiere diese Sanktionen und fordere eine sanktionsfreie solidarische Grundsicherung, die den Menschen ihre Würde wiedergibt. Ich sage, da ist es gut, wenn unser Regierender Bürgermeister Michael Müller hier einen Vorschlag unterbreitet, ein solidarisches Grundeinkommen als Pilotprojekt in Berlin umzusetzen. Ich denke, das sind wichtige, gute Wege.
Zum Schluss finde ich einen Aspekt noch ganz wichtig: Ja, wir die SPD, wollen Hartz IV überwinden. Ich denke, wir werden auch ganz viel Zustimmung und Unterstützung von den Ländern bekommen.
Doch es bleibt spannend. In welche Richtung verändert sich die CDU nach Merkel, und wie stehen Sie zu diesem Sozialstaat?
Für Jens Spahn bedeutet Hartz IV keine Armut. Ich schätze, mit Merz entwickelt sich die CDU weiterhin zur Partei der Millionäre. Die SPD macht Politik für viele Millionen in unserem Land.
Das basiert auf unseren Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, und deshalb wollen wir auch Artikel 1 unseres Grundgesetzes gerecht werden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ – Dem wollen wir gerecht werden.
Vielen Dank, Frau Radziwill! – Warum halten Sie es für gerecht, insbesondere auch für sozial gerecht, insbesondere jungen potenziellen Arbeitern und Mitarbeitern in Betrieben, die nötig gesucht werden, Sanktionen zu entziehen, obwohl sie offensichtlich nicht willens oder in der Lage sind, den Verpflichtungen nachzukommen? Kurzum: Finden Sie es wirklich gerechtfertigt, solchen Menschen den Druck zu nehmen, sich an dieser Gesellschaft aktiv zu beteiligen und nicht anderen zur Last zu fallen?