Protocol of the Session on November 24, 2016

[Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wollen wir, ja, dürfen wir die zur Schau getragene Frauenverbergung als politisches Statement einer islamistischen Ideologie zulassen, diese öffentliche Werbung und Demonstration gegen Menschenrechte bei uns hoffähig machen? Haben wir nicht die Pflicht, die Freiheitsrechte der Frau zu schützen, auch gegen den sozialen Gruppendruck, der bei fortgesetzter Duldung der Vollverschleierung entsteht? Heute sind es drei, morgen viele, sei es unter Druck, sei es als Kulturkampf. Abgrenzung funktioniert selbstverstärkend durch gruppenimmanentes Sozialdiktat, erzeugt inflationäre Selbstgettoisierung, macht Integration zunichte, bevor sie beginnen könnte.

[Beifall bei der AfD]

Wollen wir – auch zum Entsetzen unserer Kinder, man stelle sich vor, ein schwarzer Sack, ein Sack, der spricht –,

[Heiterkeit bei der AfD]

wollen wir solch ein frauenverachtendes Menschenbild, solch eine entmenschende Geschlechterapartheid auf Berliner Straßen? Und weiß man, wer sich unter diesem Sack versteckt: eine Frau, ein Mann, wer bin ich, und, wenn ja, wie viele, eine Person mit oder ohne Sprengstoffgürtel? Die Duldung der Frauenvermummung wäre auch ein fatales Zeichen an alle Fundamentalisten, dass unser Rechtsstaat zurückweicht vor der ideologischkulturellen Landnahme eines radikalen Islamismus.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Sitzen hier auch Türöffner islamistischer Propaganda? Nach unseren Grundwerten begegnen sich Menschen frei und gleichrangig. Die Vollverschleierung ist das Signal, an unserer freien, offenen Gesellschaft, ihrer Kommunikationskultur nicht teilhaben zu wollen, sich von der Lebensart der „Ungläubigen“ abgrenzen zu wollen. Der Niqab ist die Fahne der Salafisten, die Burka atmet den Geist der Scharia. So wird ein falscher Standard etabliert. Sure 33 empfiehlt den Frauen, ihre Kleider herunterzuziehen, damit sie nicht belästigt werden. Diese Assoziation von Verhüllung und Ehrbarkeit heißt im Umkehrschluss, wer sich nicht so kleidet, ist offenbar die berühmte „ungläubige“ Schlampe, von Männern in einschlägiger Weise zu betrachten, mit allen Kölner Konsequenzen.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Selbst innerislamischer Konsens ist, dass die Freiheit der Religionsausübung durch ein Burkaverbot nicht berührt wird. Und Handlungsfreiheit findet ihre legitime Grenze am höherwertigen Gut der Menschenwürde. Auch überzeugte Nudisten dürfen nicht über den Kudamm flitzen, weil: wider die guten Sitten.

[Heiterkeit bei der AfD]

Laut Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte ist das französische Burkaverbot im öffentlichen Raum eine legitime Maßnahme, die Voraussetzungen des Zusammenlebens zu wahren, welche von der Burka – als einer Barriere zwischen Trägerin und Umwelt – untergraben würden. Höre ich da etwa: „Niemand hat die Absicht, eine Barriere zu errichten.“?

[Beifall von Stefan Franz Kerker (AfD) – Heiterkeit von Andreas Wild (AfD)]

Wir sagen Ihnen: Mister Müller! Tear down this barrier!

[Beifall bei der AfD]

Liebe Abgeordnete! Laut Forsa sind 60 Prozent der Befragten für ein totales Verbot der Vollverschleierung. Verehrte Abgeordnete der künftigen Senatsparteien! Zeigen Sie uns, dass Sie nicht gegen den erklärten Willen von 60 Prozent der Bevölkerung regieren wollen! – Danke sehr!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Vielen Dank! – Dann hat für die SPD die Kollegin Radziwill das Wort.

(Dr. Gottfried Curio)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Zu Beginn einige verfassungsrechtliche Anmerkungen, damit wir wissen, auf welcher Basis wir hier gemeinsam politisch agieren können. Erstens: Es ist ein anerkanntes Grundrecht, dass jeder Mann und jede Frau sein Äußeres am Glauben ausrichten kann, das gilt auch für die Bekleidung. Zweitens: Der Staat kann nicht mit dem Hinweis auf die Gleichberechtigung der Frau das Recht auf freie Religionsausübung absprechen. Drittens: Nirgendwo im Grundgesetz gibt es ein Recht, von fremden Religionsbekundungen im öffentlichen Raum verschont zu bleiben.

[Zuruf von der AfD: Falsch!]

Viertens: Vielmehr lässt sich aus dem Grundgesetz der Grundsatz der friedlichen Koexistenz von Glauben und Weltanschauung ablesen, der den Staat zur Neutralität geradezu verpflichtet. Aber aus dem Grundsatz der Koexistenz lässt sich nicht ein Verbot von religiöser Bekleidung ableiten. Fünftens schließlich: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, ein wichtiges Grundrecht, schließt auch das Recht ein, nicht zu kommunizieren, ob es uns gefällt oder nicht.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat das Vollverschleierungsverbot in Frankreich bestätigt. Mit dem laizistischen Rechtsstaat in Frankreich ist das vereinbar. Auf unseren Rechtsstaat ist dieser laizistische Grundsatz nicht eins zu eins übertragbar und daher nicht vergleichbar. Dazu empfehle ich besonders die Lektüre des Gutachtens des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags.

Der Ersetzungsantrag der CDU-Fraktion ist schon sehr originell. Nicht nur, dass mit gleichlautendem Text ein Antrag in Rheinland-Pfalz eingebracht wurde, sondern die Menschenwürde sei verletzt, steht dort. Aus unserer Sicht ist die Menschenwürde nicht verletzt, wenn Frauen in Ausübung ihrer Religion freiwillig meinen, sich so verschleiern zu müssen.

[Zurufe von der AfD]

Vollverschleierung entspricht nicht unseren Vorstellungen, und wir empfinden es als frauenverachtend. Es gefällt uns nicht. Wir haben uns aber auf der Basis unseres Grundgesetzes zu bewegen. Das gilt für jeden, besonders auch im Parlament. In der über 150-jährigen Geschichte der Sozialdemokratie haben wir immer für Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, sozialen Zusammenhalt, soziale Gerechtigkeit, Frauenrechte, für die Gleichstellung von Mann und Frau und eine weltoffene, emanzipatorische Gesellschaft gekämpft.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Lachen bei der AfD]

Vieles ist erreicht, sonst hätten wir auch dieses Grundgesetz nicht. Vieles ist erreicht auf dem Weg der Verbesse

rung und Umsetzung der Emanzipation, und gerade deshalb brauchen wir solche Anträge nicht.

Man könnte meinen, dass der Antragsteller eine Obsession für Frauenbekleidung hat.

[Heiterkeit und Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Anders erklärt sich nicht, wieso Sie in fünf Landesparlamenten gleichlautende Anträge stellen. Sonst erklärt es sich nicht, warum Sie sich auf Kosten einer winzigen, marginalen Gruppe in einem rund 80-Millionen-Staat Gehör verschaffen wollen, auf Kosten dieser zarten, schmalen Schultern.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Sonst erklärt es sich eben nicht, dass Sie auf Kosten dieser Menschen populistisch Ihr rassistisches Bild vermitteln,

[Ah! von der AfD]

dass Sie gesellschaftspolitisch versuchen zu spalten,

[Pfui! von der AfD – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Genau so ist es!]

dass Sie Ihre rechtspopulistische Vorstellung, Ihr menschenverachtendes Gedankengut hier reinbringen wollen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): 60 Prozent der Bevölkerung!]

Aber ich bleibe dabei: Es muss eine Obsession sein, und ich bin sehr gespannt, was als Nächstes kommt. Vielleicht ein Antrag mit der Obsession zur Männerbekleidung, ein Verbot von Bademode à la Borat?

[Carsten Schatz (LINKE): Oh!]

Die Situation ist aber doch zu ernst, und ich will die letzten Sekunden dafür verwenden, um noch eines mitzuteilen: Vor 55 Jahren wurde zwischen Deutschland und der Türkei das Anwerbeabkommen beschlossen. Viele Menschen mit muslimischem Glauben sind hergekommen und haben dazu beigetragen, dass Deutschland eine sehr reiche, eine weltweit anerkannte Industrienation geworden ist.

Frau Kollegin! Darf ich Sie bitten, zum Ende zu kommen!

Ich komme zum Schluss. – Es ist heute auch wichtig, dieses Jahrestages zu gedenken und diesen Menschen, den vielen Gastarbeitern, für Ihre Lebensleistung in unserer Gesellschaft zu danken. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Dann hat für die CDU-Fraktion der Kollege Dregger das Wort. – Bitte schön!

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich rate zu Gelassenheit und Vernunft bei diesem Thema, denn wir müssen konstatieren, dass es sich nicht um ein Thema handelt, das in seiner Dimension momentan die Grundfesten unseres Landes bedroht. Dennoch ist es ein Thema, das wir nicht verdrängen sollten. Es wird diskutiert in der deutschen Öffentlichkeit, und ich bin der festen Überzeugung, dass diese Diskussion auch in die Parlamente gehört und nicht herausgehalten werden darf, Frau Kollegin Radziwill. Deswegen ist es wichtig, dass wir es hier erörtern und auch in die Ausschüsse überweisen.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Wir müssen uns fragen: Wie kommen wir dazu, das Tragen eines Kleidungsstücks unter bestimmten Umständen verbieten zu wollen? Wen oder was bedroht ein Vollschleier? Wie verträgt sich das mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die den Menschen unseres Landes die größtmögliche persönliche Freiheit gewährt – so weitgehend, wie es kaum anderswo in dieser Welt möglich ist –, Freiheiten, die in unserem Grundgesetz verfassungsrechtlich gewährleistet werden und die wir unter keinen Umständen auf unverhältnismäßige Weise einschränken wollen, denn sie machen den Kern unserer Werteordnung aus, die wir schützen und erhalten wollen? Doch wir müssen uns auch fragen: Dürfen Freiheit und Toleranz zu Beliebigkeit verkommen? Gibt es nicht auch Grundregeln des sittlichen Zusammenlebens, ohne die ein friedliches und angstfreies Zusammenleben nicht möglich ist? Meine Betonung liegt auf „Zusammenleben“. Haben wir nicht Anspruch darauf, unseren verschleierten Mitmenschen zu erkennen und kennenlernen zu können? Sind Vollverschleierungen nicht Ausdruck einer selbstgewählten Abgrenzung? Befördern Vollverschleierungen nicht die Parallelgesellschaften, die dem Zusammenleben eines Landes mit Zuwanderern aus über 190 Staaten entgegenstehen?

[Beifall bei der CDU und der AfD – Beifall von Florian Kluckert (FDP)]

Was veranlasst Frauen, sich bis zur Unkenntlichkeit zu verschleiern? Geschieht dies selbstbestimmt, oder sind sie fremdbestimmt? Sind ihre Menschenwürde, ihre Grundrechte auf freie Entfaltung verletzt? Berauben sie sich nicht der gleichberechtigten Teilnahme am beruflichen und gesellschaftlichen Leben in unserem Land? Oder berauben nicht ihre Männer sie der emanzipierten Wahr