Protocol of the Session on November 16, 2017

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Sie machen hier rund zwei Jahre vor dem entscheidenden Ereignis einen Antrag, und Sie schreiben in diesen Antrag nicht hinein, was Sie geschichtspolitisch eigentlich wollen. Es ist doch eine pure Selbstverständlichkeit, dass Sie sagen, dass es um die Opfer geht. Es geht um die Opfer, die diese Mauer und dieses DDR-Unrecht erlitten haben. Schreiben Sie es doch bitte einfach rein! – Klar, Sie haben was reingeschrieben zu Europa. Das ist der einzige Punkt, wo man sagen könnte, das ist in Ordnung. Aber alles andere fehlt doch. Ich denke, was wir in unserem Antrag formuliert

haben, diese drei Punkte, die ich gerade aufgezählt habe, sind eigentlich Konsens. Das ist in anderen Landtagen auch von den Kolleginnen und Kollegen Ihrer Fraktion mitgetragen worden. Das ist von den Grünen mitgetragen worden, das ist von der CDU und der FDP mitgetragen worden. Das lehnt sich auch ganz eng an die Präambel an, die es beispielsweise in Sachsen zu dem dortigen Beauftragtengesetz gibt. Also das, was wir hier vorschlagen, ist einfach eine Klärung Ihres eigenen Antrags, Frau Dr. West. Wir versuchen Ihnen zu helfen zu präzisieren, was dieses Haus hier eigentlich will und, ich denke, wir alle gemeinsam anstreben wollen. Ich bin eigentlich sehr zuversichtlich, dass wir uns auf diese drei Punkte, die wir von der AfD-Fraktion vorschlagen, einigen können sollten in diesem Haus. Denn wenn das nicht mehr d‘accord ist, was hier drinsteht, dann haben Sie wirklich ein Problem, und zwar mit Ihrem Koalitionspartner.

[Beifall bei der AfD]

Vielen Dank! – Dann hat für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen der Kollege Otto das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir wollen feiern. Wir wollen 30 Jahre feiern. Wir wollen feiern, dass vor 30 Jahren die SED-Diktatur zu Ende war. Wir wollen feiern, dass die Bevölkerung der DDR sich erhoben hat. Wir wollen feiern, dass die Mauer gefallen ist. Und wir wollen feiern, dass wir die Möglichkeit haben, heute und auch in Zukunft in einem demokratischen Parlament für Berlin Politik zu machen. Das ist das, was wir feiern, und da freuen wir uns drauf.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die friedliche Revolution ist ja nicht ohne Vorlauf gewesen. Immer, in der gesamten Zeit der DDR gab es Widerstand, gab es Opposition. Denken Sie an den 17. Juni, oder denken Sie an jene, die sich mit dem Prager Frühling 1968 solidarisiert haben. Da gab es auch in der DDR und in Berlin Menschen, die gesagt haben: Jawoll, das ist ein anderer Weg. Wir wollen Dubcek unterstützen, und wir wollen das auch in der DDR. – Das ist nicht gelungen. Auch die Oppositionsgruppen der Siebziger- und Achtzigerjahre waren nur begrenzt erfolgreich. Sie haben aber zur Meinungsbildung beigetragen, und sie haben dazu beigetragen, dass eben gerade 1989 so viele Menschen auf die Straße gegangen sind und dass gerade 1989 die DDR zu Ende war, die SED-Diktatur zu Ende war und dass letztendlich die Wiedervereinigung möglich wurde. Ich glaube, all das ist etwas, worüber wir uns freuen, und das wollen wir auch in zwei Jahren machen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir haben als Koalition und dankenswerterweise auch in der Regel in der breiteren Mehrheit hier gemeinsam mit CDU und FDP schon verschiedene geschichtspolitisch Anträge im Parlament beschlossen und behandelt und haben uns insbesondere dieses Jahr darum gekümmert, dass wir Rehabilitierung vereinfachen wollen für Leute, die in Haft waren, für Leute, die Nachteile hatten, für Leute, die Unrecht erlitten haben. Wir haben uns hier über die Aufarbeitung in Berlin unterhalten. Die wollen wir evaluieren. Wir wollen nämlich herausfinden, wie eigentlich der Stand in der Wissenschaft, in den Schulen, in den einzelnen Initiativen, die es gibt, ist, was da passiert und was mit den Gedenkorten ist. All das wollen wir evaluieren. Da haben wir viel vor. Das ist, glaube ich, auch sehr angemessen, dass wir das hier regelmäßig in einer ganz breiten Mehrheit von Linkspartei bis FDP beschlossen haben. Über diesen breiten gesellschaftlichen Konsens bin ich sehr froh. Da brauchen wir, glaube ich, von der AfD auch keine Belehrung, worum es hier eigentlich geht.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der LINKEN und der FDP – Zurufe von der AfD]

Dass alle, die diesen Antrag hier gestellt haben, sich zur Freiheit und zum Grundgesetz bekennen, ist überhaupt keine Frage, die hier zu diskutieren wäre.

[Lachen von Gunnar Lindemann (AfD) – Zuruf von Harald Laatsch (AfD)]

Ich will – und das ist ja einer der nächsten Tagesordnungspunkte – vielleicht noch mal kurz was zu den Beauftragten sagen. Ich habe da hinten Herrn Gutzeit gesehen, den langjährigen Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes, der in über 25 Jahren im Auftrag dieses Parlaments Aufarbeitung in Berlin betrieben hat, und dafür kann man dem, glaube ich, gar nicht genug – deshalb sage ich das an dieser Stelle noch mal – danken. – Danke, Herr Gutzeit!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Und wir haben nachher die Wahl – insofern, wenn diese Rederunde danach gewesen wäre, hätte man gratulieren können, kann man nicht – des designierten neuen Beauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur, Herrn Sello, der auch schon da oben sitzt. – Herzlich willkommen, Herr Sello!

Wir haben das Gesetz geändert, wir haben Bewährtes drin gelassen. Was Herr Gutzeit über viele Jahre gemacht hat, dass er nämlich über seinen Haushalt die gesellschaftliche Aufarbeitung gefördert hat, ist, glaube ich, das allerwichtigste, und das wünschen wir mit dem neuen Beauftragten fortzuführen, die gesellschaftliche Aufarbeitung, dass nämlich Leute, Initiativen, Institutionen von unten, die geschichtspolitisch gearbeitet und dafür gesorgt haben, dass die Opposition, die Bürgerbewegung und die fried

(Martin Trefzer)

liche Revolution weitertransportiert werden, dass diese Arbeit finanziert wird, das wünschen wir uns weiter.

Wir wünschen uns auch, dass insbesondere jene, die nachgeboren sind, die jung sind und das alles nicht miterlebt haben, auch etwas über die friedliche Revolution erfahren. Das verbindet sich, glaube ich, 2019, wenn wir dieses 30-jährige Jubiläum feiern, dann ist, glaube ich, eine sehr gute Gelegenheit, eine Offensive in der Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Es geht nicht nur um Berlinerinnen und Berliner, es geht auch um die vielen Tausend Menschen, die gerade in jenem Jahr wegen des Mauerfalls vielleicht in diese Stadt kommen. Also wir haben viel vor, und insofern möchte ich Sie bitten, diesem Antrag hier in großer Mehrheit zuzustimmen, und hoffe, dass wir dann mit dem neuen Beauftragten auch daran gehen können, das alles umzusetzen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Förster jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Gutzeit! Verehrter Herr Sello! Als sechster Redner im Bunde dachte ich bei so einem Thema, wo doch vermeintlich parteiübergreifend Konsens herrschen sollte, nicht mehr viel zur Debatte beitragen zu können bzw. einige Dinge wiederholen zu müssen, weil sie vielleicht wichtig sind. Nach dem Redebeitrag von Herrn Trefzer von der AfD ist es aber, glaube ich, notwendig, noch mal ein paar grundsätzliche Dinge zu sagen.

Wir haben nun wirklich in dieser Legislaturperiode mit immerhin fünf Parteien parteiübergreifend etliche Initiativen und Anträge auf den Weg gebracht, die in unmissverständlicher Klarheit und Deutlichkeit darstellen, dass wir an der Seite der Opfer der SED-Diktatur stehen, uns für die materielle und ideelle Verbesserung einsetzen und deren Anliegen unterstützen und transportieren. Da brauchen wir von Ihnen wirklich keine Nachhilfe in dieser Angelegenheit.

[Beifall von Florian Kluckert (FDP) – Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Trefzer?

Bitte! Die war ja abzusehen.

Lieber Kollege Förster! Mal eine Frage: Warum haben Sie nicht mich und meine Fraktion in dieser Frage angesprochen? Warum ist es Ihnen so wichtig, mit der Linkspartei in dieser Frage übereinzustimmen? Warum sind Sie nicht mal auf mich zugekommen? Wäre ja auch ein kollegiales Verhalten gewesen.

[Beifall bei der AfD]

Herr Trefzer! Die Frage ist ganz einfach zu beantworten: Weil Sie im Gegenfall auch nicht den Austausch suchen. Als es um die Novellierung des Gesetzes für den Landesbeauftragten ging, haben Sie es auch nicht für nötig gehalten, die anderen zu konsultieren, sondern haben uns einen Gesetzentwurf auf den Tisch geknallt, wo einfach stand: Wir wollen den Status quo fortschreiben. – Also wenn Sie die Abstimmung nicht suchen, warum sollen es dann die anderen tun? Das verstehe ich dann auch nicht.

[Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN]

Was mich an diesem Duktus besonders stört, wir müssten hier jedes Mal noch einen Passus einfügen, wo wir an das Leid und an die furchtbaren Geschehnisse an der Berliner Mauer erinnern: Wir wissen ja und die Adressaten des Antrags wissen auch, worum es geht und was aufzuarbeiten ist. Wir müssen doch der Gedenkstätte Berliner Mauer und anderen, die das umzusetzen haben, nicht erklären, was sie zu tun haben und in welche Richtung sie zu argumentieren haben. Das wissen die doch längst. Die machen anerkannte Gedenkstättenpolitik. Die brauchen von Ihnen keine Belehrung.

[Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜNEN]

Ansonsten erinnert mich das wirklich an die Zeit vor 1989, so nach dem Motto: Seid ihr für den Frieden? – Was Sie an SED-Parteitagen immer kritisieren, dass dort irgendwelche Resolutionen verabschiedet werden, das wollen Sie hier in den Antrag einfügen. Da sind ja mittlerweile die Linken weiter als Sie. Das ist schon eine bemerkenswerte Feststellung, die man hier machen muss.

[Beifall bei der FDP und der LINKEN – Zuruf von der AfD: Quatsch!]

Als Letztes noch zu diesem Punkt: Eine Partei, die hier ausdrücklich noch mal – wie Sie als AfD – auf Stacheldraht, Mauerbau und Schießbefehl hinweisen will, aber gleichzeitig, als es um die Flüchtlinge ging, sagte, wir sollten an der Grenze wieder auf Menschen schießen, die hat sich in jeder Hinsicht disqualifiziert, so etwas hier zu fordern.

(Andreas Otto)

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Kommen Sie zum Thema! Unsinn haben wir schon genug von Ihnen gehört!]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage – –

Herr Pazderski! Sie können brüllen, wie Sie wollen, wir sind hier nicht auf dem Kasernenhof, sondern im Parlament. Auch daran müssen Sie sich gewöhnen. Gewöhnen Sie sich daran! Das ist ja unglaublich.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wenn Sie sich ein einziges Mal damit beschäftigt hätten, wie viele Ausstellungen, Aktionen und Veranstaltungen es in dieser Stadt zum Thema SED-Diktatur gibt, wenn Sie einmal zu diesen Veranstaltungen gegangen wären, zu denen der Landesbeauftragte und die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur einladen, dann wären manche der Bemerkungen hier nicht gekommen.

[Zuruf von Harald Laatsch (AfD)]

Ich habe von der AfD noch nicht einen einzigen Antrag gelesen, Straßen nach Maueropfern zu benennen, keinen Vorschlag gesehen, wie man Gedenkstätten weiterentwickelt, keinen einzigen Hinweis erlebt, wie man mit Partnerstädten in Osteuropa umgeht, wie man auf Warschau, Prag und Budapest in dieser Frage zugeht, und Sie stellen sich hier hin und sagen: Andere sollen ihre Aufgaben erledigen. – Das ist mehr als unverschämt, das will ich Ihnen ganz klar sagen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Ich freue mich auf Ihre Anträge!]

Wenn wir über 30 Jahre friedliche Revolution sprechen, dann ist das, glaube ich, auch ein Aufruf an alle, sichtbar deutlich zu machen, dass wir auch für die Zukunft wachsam sein müssen, wenn es um totalitäres Gedankengut geht.

[Gunnar Lindemann (AfD): Richtig! Wir müssen wachsam sein!]

Ob es von links, ob es von rechts, ob es von oben oder unten kommt, ist völlig egal. Wir wollen es nicht. Wir wollen in Berlin eine weltoffene Stadt sein, die sich auch zu ihrer Geschichte bekennt und deutlich macht, dass die Geschichte in Berlin weiter im öffentlichen Bewusstsein ist. Wir brauchen dazu aber nicht die Scharfmacherkultur der AfD, sondern wir haben hier verantwortungsvolle Gedenkstätten und Institutionen, die dieser Aufgabe ge

recht werden können, die es auch wunderbar machen und die in einem beeindruckenden Konsens versuchen, Aufarbeitung zu initiieren und aufzuarbeiten.

[Gunnar Lindemann (AfD): SED-Konsens!]

Es ist überhaupt kein SED-Konsens, denn beim SEDKonsens wären solche Debatten und Diskussionen gar nicht möglich gewesen. Und das ist eben auch der Unterschied, dass man 28 Jahre nach dem Mauerfall eine andere Art von Diskussion führt, auch mit Gremien. Sie sind immer noch in der Vergangenheit, was Ihre Diskussionskultur betrifft,

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]