Protocol of the Session on September 28, 2017

Führerschein. Das sind Kunden, die Sie dann für immer verloren haben. Wenn Sie – aber das können Sozialdemokraten natürlich nicht – etwas wirtschaftlich denken wollten,

[Heiterkeit bei der FDP]

müssten Sie doch vor allem versuchen, wenn Sie den Umweltverbund hier in Berlin haben wollen, dass Sie noch mehr Kunden bekommen. Das kriegen Sie entweder durch neu zugereiste Menschen, die herziehen, durch Menschen, die bisher Auto fahren, oder durch neue Kunden. Und die können Sie doch stimulieren, indem Sie ihnen ein attraktives Tarifangebot machen. Da geht doch der FDP-Antrag genau in die richtige Richtung. Ich weiß gar nicht, warum Sie als Koalition dagegen sind.

[Beifall von Christian Goiny (CDU) – Beifall bei der FDP]

Mich wundert das auch vor einem anderen Aspekt: Bei der vergangenen Bundestagswahl gab es einen Kandidaten, der immer „Martin, Martin!“ gerufen werden wollte, aus Würselen oder wo auch immer der herkam, man wird bald nicht mehr von ihm reden, auch Sie als Sozialdemokraten nicht, ich sage es nur, der hat immer gesagt: das Mantra soziale Gerechtigkeit, vorne, hinten, oben, unten, überall soziale Gerechtigkeit. – Nun gut, die Sozialdemokraten sind damit bitter gescheitert. Sie haben bei der Bundestagswahl das schlechteste Nachkriegsergebnis mit um die 20 Prozent erreicht, dicht gefolgt von der AfD. Wenn man die soziale Gerechtigkeit ernst nimmt, muss man sie mit praktischem Politikhandeln unterfüttern. Das ist ein Beispiel für soziale Gerechtigkeit,

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Schülern, die 15 sind und dann Erwachsenentickets zahlen sollen, die Möglichkeit zu eröffnen, weiterhin günstig zu fahren, sie vielleicht später zum ÖPNV zu bekommen und ihnen aber in diesem Zeitraum, bis sie das Geld verdienen, eine gewisse soziale Abfederung zu gewähren – das ist soziale Gerechtigkeit, und das gibt es eben bei der SPD heutzutage nicht mehr.

[Beifall und Bravo! bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Harald Wolf das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Friederici! Diesen flammenden Appell für soziale Gerechtigkeit im Tarifsystem des öffentlichen Personennahverkehrs hätte ich mir in der Zeit gewünscht, als Sie verantwortlicher verkehrspolitischer Sprecher Ihrer Fraktion während Ihrer Regierungszeit waren. Nichts haben wir davon gehört.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Danny Freymark (CDU): Können Sie jetzt machen!]

Insofern rate ich an dieser Stelle etwas zur Mäßigung, zumindest zur Einhaltung der notwendigen Schamfrist oder Karenzzeit, damit Sie dann wieder so auffahren können.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Als Erstes: Sozial gerecht ist erst mal das, was wir als Angebot im Rahmen des Schüler-Abos haben. Das ist ein extrem gutes Angebot, das obendrein durch die Regelung des Geschwistertickets noch mal deutlich günstiger wird, plus der Tatsache, dass wir ein ermäßigtes Schülerticket im Rahmen des Abos für diejenigen haben, die einen Berlin-Pass und deshalb den Anspruch auf Ermäßigung haben. Deshalb sagen wir, wir haben an dieser Stelle schon eine ganze Menge für soziale Gerechtigkeit getan und bereits ein attraktives Angebot für Schülerinnen und Schüler im öffentlichen Personennahverkehr im Bestand.

Wir sind gerne bereit, die Frage zu diskutieren, ob es sinnvoll ist, die ermäßigte Kinderkarte – darum handelt es sich nämlich, das ist keine ermäßigte Schülerkarte, Herr Schopf hat es dargestellt, sondern eine ermäßigte Kinderkarte, wie es sie auch in anderen Verkehrsverbünden gibt – auf diejenigen auszudehnen, die älter als 15 Jahre sind und einen Schülerausweis haben. Das werden wir in einer übergreifenden Arbeitsgruppe diskutieren, in einer Kommission, die sich das gesamte Tarifsystem im öffentlichen Personennahverkehr vornimmt.

Wir haben noch eine Reihe von anderen Themen, über die wir reden müssen, z. B. die Frage, welches Angebot wir für Rentnerinnen und Rentner mit niedrigem Einkommen und geringem Mobilitätsbedürfnis haben, die vielleicht einmal pro Woche die Enkel besuchen wollen und einen Arztbesuch machen. Müssen wir für die einen verbilligten Einzelfahrschein anbieten? All diese Themen müssen wir in diesem Rahmen diskutieren. Deshalb wird es ein Gesamtkomplex sein, und deshalb kommt Ihr Antrag an dieser Stelle zu früh. Wir werden das im Rahmen der Gesamtabwägung in der Kommission behandeln und gucken, dass wir da zu einer Entscheidung kommen, entweder in die eine oder andere Richtung, aber es handelt sich beim Tarifsystem um ein Gesamtsystem, und da werden wir Prioritäten setzen.

Herr Friederici! Keine Sorge, wir werden dafür sorgen, dass der öffentliche Personennahverkehr auch über attraktive, günstige Tarife gefördert wird, wir mehr Fahrgäste bekommen und damit die Straßen für Ihre Autofahrer frei werden.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Tino Schopf (SPD)]

(Oliver Friederici)

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat Herr Lindemann jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Liebe Gäste! Liebe Kollegen von der FDP! Der Antrag der FDP lautet: „Ermäßigungstarif der Bildungsrealität anpassen“. Dafür möchte die FDP Einzelfahrkarten mit einem neuen Schülertarif einführen. Hört sich erst einmal gut an! Bei näherem Hinsehen stellen sich dennoch einige Fragen – nur um kurze Beispiele anzuführen –: Welche Schüler? Schüler der allgemeinbildenden Schulen? Schüler der Berufsschulen? Schüler am Abendkolleg? Volkshochschüler? Bei Wegfall der Altersgrenze von 15 Jahren: Wo soll in Zukunft eine Grenze gezogen werden? Sie sehen, viele Dinge wurden bei dem Antrag der FDP-Fraktion nicht zu Ende gedacht.

Wir reden hier auch nicht über sensationell neue Entdeckungen zur Entlastung der Schüler. Ermäßigte Einzelfahrkarten für Kinder und Jugendliche gibt es nämlich schon seit mehr als 40 Jahren.

Und welche Bildungsrealität meint die FDP? Was wird mit dem Begriff Bildungsrealität definiert? Meint die FDP die steigende Schulabstinenz oder ein speziell ermäßigtes Schülereinzelticket, wenn das Auto der Eltern mal defekt ist? Zur Bildungsrealität gehört nach unserer Auffassung, dass Kinder regelmäßig zur Schule gehen, und hierfür gibt es derzeit besonders ermäßigte Schülermonatskarten. Es bedarf nicht für jede Einzelfahrt eines separaten Einzeltickets. Der Tarifdschungel im ÖPNV ist jetzt schon im höchsten Maße unübersichtlich. Viele Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt haben Probleme, sich dort durchzuwühlen.

Im Sinne einer familienfreundlichen und bürgernahen Politik sollten wir doch bitte nicht darüber nachdenken, wie wir den bereits angesprochenen Tarifdschungel noch undurchdringlicher gestalten können, sondern: Wie können Familien entlastet werden? Heißt: Lieber über eine kostenlose Schülerfahrkarte für alle Schüler an den allgemeinbildenden Schulen in Berlin nachdenken. Konkret würde dies eine Entlastung von mindestens 275 Euro jährlich für jedes Kind bedeuten.

[Beifall bei der AfD]

Das würde ganz besonders finanzschwachen sowie kinderreichen Familien erheblich helfen. Jedes vierte Kind ist von Armut bedroht. Das sind Fakten, die uns beschäftigen sollten. In die von den rot-rot-grünen Landesregierungen für nächstes Jahr geplanten Gesprächsrunden zur Neugestaltung des VBB-Tarifs werden wir uns als AfDFraktion natürlich gerne mit unseren Ideen einbringen

[Zuruf von den GRÜNEN: Lieber nicht!]

und sehen der Einladung hierzu mit Freude entgegen. Bei diesen Gesprächen kann man natürlich auch über Modifizierungen der Kinderfahrkarten reden. Ein kostenloses Schülerticket für alle Berliner Schüler würde ermäßigte Kinder- oder Schülereinzelfahrkarten überflüssig machen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Gelbhaar das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP schlägt vor, den Ermäßigungstarif beim Kinderticket hier auszuweiten. Das ist ein Punkt, über den man reden kann und reden sollte, und zwar im Rahmen der Arbeitsgruppe Tarife, das ist von Harald Wolf schon angesprochen worden, weil es nicht die einzige Frage ist, die im Tarifsystem einer Besprechung würdig und lohnenswert ist, sondern eben nur ein Aspekt.

Ich finde es aber merkwürdig, wenn der Kollege Friederici nach fünf Jahren Regierungsbeteiligung die Einzelfrage Ermäßigungstarif Kinderticket zu der Frage sozialer Gerechtigkeit erhebt oder wenn der Sound von der FDP in die ähnliche Richtung geht.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Fresdorf?

Ich habe ja noch kaum ein Wort gesagt, ich glaube, das ist an der Stelle ein bisschen merkwürdig.

[Stefan Förster (FDP): Das ist im Bundestag auch so! – Sebastian Czaja (FDP): Wollen Sie oder wollen Sie nicht?]

Also nein, ganz klares Nein. Sie können das gerne noch einmal später probieren, aber an der Stelle ist es einfach nur merkwürdig.

[Sebastian Czaja (FDP): Ist doch die Abschlussrede!]

Jetzt weiter zu der Frage des ermäßigten Kindertickets. Das gibt es bis jetzt bis einschließlich des 14. Lebensjahres, und danach versucht jetzt die FDP, den Punkt zu machen, aus dem Kinderticket ein Schülerticket zu machen. Das ist nicht verkehrt, das zu denken, auf jeden Fall kann man das in den Raum stellen, aber – und das hat der Kollege Wolf schon ausgeführt – wenn wir uns den Tarifen insgesamt nähern, dann haben wir in Berlin über 70 Tarife zu betrachten, und da ist das eine Detailfrage.

Die werden wir nicht rausziehen, wenn unser Ansatz hier ist, uns das insgesamt anzuschauen.

Wenn wir als Bündnis 90/Die Grünen sagen, wir können uns auch grundsätzlich beim Schülerticket etwas ganz anderes vorstellen z. B. das kostenlos zu machen, dann entfällt diese Frage völlig. Sie sehen, diese tariffairen Wirkungen sind viel übergreifender als hier bei dieser Spezialfrage.

[Sebastian Czaja (FDP): Aber Sie sehen doch gar nicht durch!]

Herr Fresdorf hätte jetzt noch einmal eine Zwischenfrage.

Bitte schön!

Vielen Dank, Kollege Gelbhaar! Sie sind jetzt schon der dritte Redner der Koalitionsfraktion, der sagt, dass er sich in einer größeren Arbeitsgruppe zusammensetzen möchte, um dieses ganze Tarifsystem zu überarbeiten. Wann können wir denn damit rechnen, dass die Ergebnisse vorliegen? Wird das schneller gehen als die Gründung der Gesellschaft zur Schulbausanierung? Oder können wir die Hoffnung haben, dass wir das in den nächsten Wochen oder Monaten noch erleben?

[Canan Bayram (GRÜNE): Diese Frage hätte man sich sparen können, also echt!]

Ob Sie das erleben, weiß ich nicht, ich hoffe es. Ich glaube, dass wir da auf einem guten Weg sind. Ich sage Ihnen aber eins, weshalb ich da völlig entspannt bin: Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass es diese Arbeitsgruppe Tarife geben soll. Wir haben weiter festgeschrieben, dass es bis zum Ergebnis dieser Arbeitsgruppe Tarife keine Tariferhöhungen geben wird.

[Beifall bei den GRÜNEN – Canan Bayram (GRÜNE): So ist es!]

Ich finde, das ist mehr Sozialpolitik, als die FDP in den letzten 15 Jahren hingekriegt hat.

[Heiterkeit von Anja Kofbinger (GRÜNE) – Sebastian Czaja (FDP): Es ist nichts passiert an Sozialpolitik!]

Ich kann es gern noch einmal wiederholen: als die FDP in den letzten 15 Jahren, weil wir in den letzten fünf Jahren, und das sei Ihnen noch einmal gesagt, weil Sie da nicht hier im Hause waren, jedes Jahr eine Tariferhöhung hatten, teilweise sogar zwei Mal im Jahr.

[Sebastian Czaja (FDP): Das haben wir gemerkt!]