Protocol of the Session on May 18, 2017

Beschulbarkeit beinhaltet einen Kompetenzaufbau in verschiedenen Dimensionen, der in der Regel über die gesamte Kitalaufbahn erworben werden soll. Nun ist im Berliner Bildungsprogramm gut beschrieben, wie der Kompetenzaufbau gestaffelt werden soll. Wir haben aber einen kleinen Hinderungsgrund – wenn wir sagen, wir wollen kein Kind zurücklassen und wir wollen alle Kinder mitnehmen: dass nicht allen Kindern diese Königsdisziplin zugutekommen wird; denn nicht alle Kinder besuchen in dem Jahr vor dem Schuleintritt eine Kindertagesstätte, eine Bildungseinrichtung, die sie fit macht fürs Leben und den Start in eine erfolgreiche Bildungskarriere.

Nun tun sich Freie Demokraten in der Regel schwer, wenn es darum geht, Pflichten zu schaffen für Menschen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. Darum muss man eine Güterabwägung vornehmen und schauen: Ist denn der Eingriff überhaupt dazu geeignet, das Ziel zu erreichen?

Schauen wir uns an, was wir da haben – ich überspitze jetzt mal ganz bewusst: Es gibt Eltern, die sagen: Ich möchte mein Kind so lange wie möglich zu Hause behalten, ich kann mich am besten darum kümmern –, auch wenn sie es vielleicht gar nicht können. Diese Kinder erwerben keine große Sozialkompetenz, wenn sie kein Zusammenwirken mit anderen Kindern haben, wenn die

Eltern dieser Kinder das nicht wirklich ernsthaft betreiben. Und ich habe auf der anderen Seite Kinder, denen ein selbstbestimmtes Leben verbaut wird, weil sie schon einen schweren Start in ihrer Bildungskarriere haben. Also wäge ich ab zwischen dem Elternwillen und der Möglichkeit des Kindes auf ein selbstbestimmtes Leben und eine gute Zukunft. Da kann ich mich nur für die Zukunft des Kindes entscheiden.

[Beifall bei der FDP]

Wir wollen allerdings nicht nur die Pflicht auf ein verbindliches Vorschuljahr in der Kindertagesstätte einführen, wir wollen noch viel mehr. Wir wollen, dass diese Kompetenzen zwingend erworben sind, bevor ein Kind in die Schule kommt. Das ist wichtig, und es ist auch richtig, dass das so gemacht wird. Dieses Vorschuljahr muss erfolgreich absolviert werden, um dann in die Schule zu kommen; denn Sie bauen so viel Frust auf bei diesen kleinen Menschen, die dem Unterricht dann nicht folgen können. Sie verstehen zwar die Worte, aber oft nicht den Inhalt, und haben nicht die Konzentration, dem Unterricht zu folgen.

Wir wollen beste Bildung für unsere Kinder in Berlin. Wir wollen aber eines nicht mit dieser Vorschule, und das ist: kleine Einsteins erzeugen. Wir wollen diese Kernkompetenzen, die ich Ihnen beschrieben habe, vermitteln, und das ist unabdingbar, wenn ich über Bildung in Berlin spreche.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Andreas Wild (AfD)]

Es ist uns auch bewusst, dass wir nicht morgen mit der Einführung dieses Vorschuljahres anfangen können. Wir wissen, in welcher schwierigen Lage wir in den Kindertagesstätten in Berlin sind; wir haben nicht ausreichend Erzieherinnen und Erzieher und müssen da schon kämpfen, einen Regelbetrieb hinzubekommen.

Wir wollen aber diesen Prozess starten und dafür kämpfen, dass die Erzieher entsprechend qualifiziert sind, eine ausgewogene Vorschularbeit zu leisten. Wir möchten ein Konzept erarbeiten lassen mit allen Stakeholdern rings um diesen Prozess Kindererziehung, Kinderbildung. Dazu gehört Schule, dazu gehört Kita, dazu gehören andere Träger der Jugendarbeit. Darum werden wir im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie eine Anhörung zu diesem Thema beantragen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Kühnemann das Wort.

(Vizepräsidentin Cornelia Seibeld)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Fresdorf! Ich muss mich doch wundern. Sie stellen einen Antrag und nennen die Argumente, warum wir diesem Antrag nicht folgen sollten, selbst.

[Beifall bei der SPD]

Sie sprechen die Qualität der Kita an, die hervorragend ist und die Kinder auf die Schule vorbereitet, und Sie sprechen den Elternwillen an, der eigentlich auch nicht durch Vorschriften vorgegeben werden sollte. Aber eins nach dem anderen!

Folgten wir Ihrem Antrag, würde ein Kind erst eingeschult werden, wenn es das von Ihnen geforderte Schulvorbereitungsjahr erfolgreich absolviert hat. Da stellt sich mir die Frage: Was passiert mit Kindern, die das Ziel nicht erreichen? Bleiben sie sitzen? Wie häufig darf so ein Kind sitzen bleiben? Gibt es Kinder, die dann zum Beispiel nie eingeschult werden? Was ist mit den Kindern, die Lernschwierigkeiten haben oder andere Beeinträchtigungen? Aber wer die Wiedereinführung der Vorschule fordert, ist wahrscheinlich auch für die Sonderschule und gegen Inklusion.

[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

Ich gestehe Ihnen zu, dass Sie für alle Kinder beste Bildungschancen wollen. Genau das leistet die frühkindliche Bildung in der Kindertagesstätte. Die AfD fordert in ihrem Änderungsantrag noch ein Konzept für die vorschulische Arbeit in der Kita. Ich kann nur sagen: Die verpflichtende Grundlage für die pädagogische Bildungsarbeit in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ist das Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege. Es ist ausgerichtet an den Entwicklungsbedürfnissen der Altersgruppe 0 bis 6 und verfolgt das Ziel einer umfassenden Persönlichkeitsentwicklung des individuellen Kindes.

Am Montag war gerade der Tag der Kinderbetreuung. Das ist ein wunderbarer Tag, wo man auch mal danke sagen kann. Ich war in meinem Wahlkreis unterwegs, habe verschiedene Kitas besucht und konnte mir einen guten Eindruck von der Bildungsarbeit vor Ort machen. Ich empfehle übrigens jedem, das mal zu tun. Die Kinder werden dort in den Bildungsbereichen Gesundheit, Soziales, kulturelles Leben, Sprachen, Medien, Schriftkultur, Musik, Theater, Mathematik, Natur, Umwelt und Technik spielerisch auf den Unterricht in der Schule vorbereitet. Das Sprachlerntagebuch, dessen Einsatz übrigens verpflichtend ist, und die Durchführung der Sprachstandsfeststellung mit anschließender Förderung sind eine gute Vorbereitung auf den Schulbesuch. Und dann, mit der flexiblen Schuleingangsphase in der Grundschule, die in zwei oder drei Jahren durchlaufen werden kann, wird das Kind im Anschluss gemäß seinen individuellen Voraussetzungen – und darum geht es – gefördert.

Wichtig ist: Die Schule muss sich auf das Kind einstellen. Wir müssen uns von dem Grundgedanken verabschieden, dass Kinder schulreif übergeben werden können. Jedes Kind hat seine individuellen Bedürfnisse und auch eventuell seinen individuellen Förderbedarf.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fresdorf?

Na klar! Bitte schön!

Frau Kühnemann! Warum wollen Sie denn diese Qualität, die Sie so hervorheben, 5 Prozent der Kinder vorenthalten, die keine Kita besuchen?

Darauf komme ich gleich zu sprechen. Das ist wahrscheinlich das, woran Sie sich stören. Die frühkindliche Bildung ist ein freiwilliges Angebot, richtig. Ich dachte immer, dass das F der FDP für „frei“ steht. Vielleicht stoßen Sie sich daran, aber eine Ausweitung der Schulpflicht wäre ein erheblicher Eingriff in das Erziehungs- und Betreuungsrecht der Eltern. Ich kann Sie beruhigen: 95 bis 96 Prozent – haben Sie gerade gesagt – der drei- bis sechsjährigen Kinder besuchen in Berlin die Kita oder eine Kindertagespflege. Es ist auch so, dass die Eltern von dem Nutzen der Kita überzeugt sind.

Wenn Sie sich aber mal angucken, wie viele Eltern ihre Kinder vor einem Schulbesuch zurückstellen lassen, dann ist das auch ein Hinweis. Das ist nämlich ein Hinweis darauf, dass Eltern von einer früheren Einschulung ihres Kindes nicht überzeugt sind.

[Paul Fresdorf (FDP): Die wissen einfach, dass keine vernünftige Vorschularbeit gemacht wird!]

Sie wünschen sich mehr Zeit für Ihre Kinder. – Melden Sie sich einfach noch mal, dann können Sie noch mal drankommen!

Zum Abschluss möchte ich etwas zur Wirkung von Vorklassen sagen, weil das meines Erachtens auch ständig überschätzt wird. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der Besuch einer Vorklasse keine überzeugenden Effekte auf die spätere schulische Leistungsentwicklung hat. Im Gegenteil – und das ist jetzt bemerkenswert –: Sowohl bei Kindern, die keine Kita besucht haben, als auch bei Kindern, die eine Vorklasse besucht haben, waren die kognitiven Voraussetzungen für den Schulbesuch im Durchschnitt deutlich schlechter ausgeprägt als bei den Kindern, die in einer Kita waren. Der Senat von Berlin hat umfangreiche Maßnahmen zur

Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung der frühkindlichen Bildung in den Kitas umgesetzt. Er wird das auch beibehalten. Alle Kinder erhalten ein frühkindliches Bildungsprogramm, das ihren Entwicklungsbedürfnissen entspricht und sie optimal auf den Besuch der Schule vorbereitet.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Wild?

Wenn Sie mal in einer ersten Klasse waren, dann stellen Sie fest, dass die Lehrer da im ersten Jahr damit beschäftigt sind, die Kinder dazu zu bringen, einfach ruhig auf den Stühlen zu sitzen. Das hätten sie schon in der Vorschule lernen können.

[Marianne Burkert-Eulitz (GRÜNE): Mit dem Rohrstock! – Heiterkeit bei den GRÜNEN]

So fällt ein ganzes Jahr weg.

[Beifall bei der AfD]

Da ich selber im Rahmen meines Lehramtsstudiums an Grundschulen hospitieren durfte, weiß ich das. Das ist so, dass Kinder lernen müssen, beschulbar zu sein. Sie müssen lernen zuzuhören. Das ist aber etwas, was nicht an eine gewisse Altersstufe gebunden ist. Das kann mitunter längere oder kürzere Zeit dauern.

[Zuruf von Andreas Wild (AfD)]

Und es ist auch so, dass Grundschule genau darauf ausgerichtet ist und auch Antworten darauf findet. Da wird dann der Unterricht unterbrochen, und dann bekommen die Kinder für ihren Bewegungsdrang auch mal Zeit, sich auszutoben. Das brauchen Kinder auch.

Zum Abschluss: Die Kooperation am Übergang von der Kita in die Grundschule ist rechtlich im Kitaförderungsgesetz und im Schulgesetz verankert und wird durch die Akteurinnen und Akteure – das ist vielleicht auch noch mal wichtig zu erwähnen – beider Bildungsetappen ausgestaltet. Die Notwendigkeit, zwischen dem Angebot an Kindertagesbetreuung und dem Einstieg in die flexible Schuleingangshase eine neue Struktur einzurichten – die AfD spricht jetzt auch noch von Prüfungen, die abgelegt werden müssen, ich kann mich erinnern, dass wir darüber gesprochen haben, dass bestimmte Prüfungen beim

Gymnasium im Übergang von der Mittelstufe zur gymnasialen Oberstufe –

Frau Kollegin! Sie müssen zum Ende kommen!

abgeschafft werden sollen –, hier sollen jetzt wieder Prüfungen eingeführt werden, die die Kinder davon abhalten sollen, eingeschult werden zu können –, das ist aus meiner Sicht sehr schwierig. Es ist außerdem ein Eingriff in das elterliche Erziehungsrecht. Deshalb kann die SPDFraktion diesem Antrag leider nicht folgen. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die CDU-Fraktion hat die Kollegin Bentele das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Fresdorf aus Spandau und von der Freiheitspartei FDP überrascht uns heute mit einer Forderung eines sozialdemokratischen Spandauers, nämlich des Herrn Saleh. Sie wollen für das Jahr vor dem ersten Schuljahr eine Kitapflicht einführen, denn das ist es ja, und keine Schulpflicht im eigentlichen Sinne. Das muss schon irgendwie eine ganz besondere Konstellation in Spandau sein, denn in unseren Reihen ist es vor allem Kai Wegner, der schon seit sehr Langem für die Wiedereinführung der Vorschule eintritt.

[Torsten Schneider (SPD): Heiko, was ist da los in Spandau?]

Wir sind vollkommen bei Ihnen, dass die Vorbereitung auf die Schule besser und auch systematischer werden muss. Bis zur Abschaffung durch Rot-Rot gab es die Vorklassen, die an die Grundschulen angedockt waren, und in denen die Kinder auch von besonders qualifiziertem Personal angeleitet wurden. Mir wurde viel Positives über die Vorklassen berichtet, aber seitdem sind über zehn Jahre ins Land gegangen und die Strukturen sind im Hinblick auf Personal und Räumlichkeiten leider unwiederbringlich verloren gegangen.

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schlüsselburg?

Von Herrn Schlüsselburg? – Ja!

(Melanie Kühnemann)