Protocol of the Session on May 18, 2017

Wir als Linksfraktion fordern eine lückenlose Aufklärung aller dieser Umstände. Hierzu ist es notwendig, dass alle bundesweit verfügbaren Akten, insbesondere die beim Generalbundesanwalt und die aus NRW, Herrn Jost so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt werden. Es müssen die notwendigen personellen und strukturellen Maßnahmen ergriffen werden, damit sich solch ein Skandal nicht wiederholen kann. Die Verantwortlichen für dieses Desaster müssen ohne Ansehen der Person und des Amtes zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sicher, dass Innensenator Geisel alles Notwendige unternehmen wird. Herr Geisel hat dabei die volle Unterstützung meiner Fraktion. Wir erwarten aber auch, dass alles parlamentarisch transparent gestaltet wird.

Eins scheint jetzt schon klar zu sein: Dieses Attentat wurde durch das Versagen der Behörden möglich. Das ist

der eigentliche Kern des Skandals. Menschen mussten sterben, weil Behörden ihre Arbeit nicht sauber erledigt haben. Das Parlament und die Öffentlichkeit, vor allem aber die Angehörigen der Opfer haben einen Anspruch auf eine vollständige Aufklärung. Sie haben einen Anspruch auf personelle und strukturelle Konsequenzen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Kurt Wansner (CDU): Thema verfehlt!]

Für eine Zwischenbemerkung hat jetzt der Kollege Evers das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Taş! Nachdem ich die Wortwahl und auch den Ton der Debatte bisher der Ernsthaftigkeit des Themas, mit dem wir uns hier beschäftigen, sehr angemessen fand, drängt sich mir schon die Frage auf, ob Sie sich nicht für das schämen, was Sie gerade dargeboten haben.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass es in den Reihen der Koalition nur peinlich berührte Blicke zur Seite gab und der einzige Zwischenapplaus vom Kollegen Luthe von der FDP kam, mit dem Sie wahrscheinlich viel eint, was die Ernsthaftigkeit und Angemessenheit des Umgangs mit diesem Thema und die Reflexhaftigkeit eines so unter die Gürtellinie gehenden Angriffs in Richtung unseres ehemaligen Innensenators angeht. Ich finde es in jeder Hinsicht unmöglich und vor allem einem angemessenen Umgang mit den Opfern des Anschlags vom Dezember in keiner Weise entsprechend. Insofern fordere ich Sie dringend dazu auf, meine Frage zu beantworten und vorher ernsthaft zu reflektieren, ob diese Vorstellung vom Redepult dieses Hauses aus zum Thema unserer Aktuellen Stunde heute nicht etwas ist, wofür nicht nur Sie, sondern auch Ihre Fraktion sich schämen sollten, wenn sie sich in dieser Frage hinter Sie stellt. Ich fordere alle auf, die sich zu diesem Thema noch zu Wort melden, vorher durchzuatmen und sich noch einmal genau vor Augen zu führen, worum es hier geht.

Der Kollege Lenz hat es in seinem Beitrag gut auf den Punkt gebracht: Nüchternheit und Sachlichkeit sind das Gebot der Stunde. Politischen Klamauk erwarten wir von der FDP. Aber aus den Reihen der Koalition, die mit uns einer Meinung war, dass die Bestellung eines Sonderermittlers genau der richtige Weg ist, mit diesem Thema umzugehen, erwarte ich etwas anderes. Es steht dem Parlament gut zu Gesicht, die Faktenlage zu bewerten, bevor man sich dann im geeigneten Format – sei es in

(Hakan Taş)

einer Sondersitzung des Innenausschusses oder in anderer Weise – damit auseinandersetzt. Das finde ich richtig.

Ich bitte, eine solche Vorstellung im weiteren Verlauf der Debatte zu vermeiden, und würde mich sehr freuen, wenn Sie noch einmal Luft holen, nach vorne gehen und klarstellen würden, ob das aus Ihrer Sicht die richtige Art und Weise des Umgangs auch mit Blick auf die Opfer des Terroranschlags vom Dezember war.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Danke schön! – Keine Wortmeldung von der Linksfraktion! – Dann hat jetzt der Kollege Luthe das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Evers!

[Stefan Evers (CDU): Da kommt Herr Taş!]

Dass ausgerechnet Sie im Zusammenhang mit 13 Toten, 64 teils schwer Verletzten und 150 verschenkten Tagen, gerade bei Ihren sonstigen Beiträgen die Stirn haben, von Klamauk zu sprechen, bei Toten, bei Terror, bei Schwerverletzten in dieser Stadt, ist eine absolute Frechheit. Dafür sollten Sie sich schämen und nicht Herr Taş!

[Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

Ich führe Ihnen noch einmal kurz Ihre Bilanz vor Augen: 15 Prozent mehr Straftaten unter Ihrem Innensenator Henkel in dieser Stadt, 50 Prozent mehr eingestellte Verfahren nach § 170 Strafprozessordnung, die man mal eben weggewischt hat, unter Ihrem Justizsenator Heilmann, eine Verdoppelung der Einstellung der Straftaten nach § 153a Strafprozessordnung unter Ihrem Justizsenator Heilmann – Dinge, die man einfach, weil es nicht opportun erschien, nicht verfolgt hat. Das haben Sie mit dem Recht und der Sicherheit in dieser Stadt fünf Jahre lang gemacht.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Zuruf von der AfD: Bravo! – Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

Kommen wir aber zunächst einmal zu der Überschrift dieser Aktuellen Stunde, gegen die Sie sich als einzige Fraktion im Haus so intensiv gesperrt haben. Der Titel ist falsch, der Titel soll lauten, so wie hier steht: „Neue Erkenntnisse im Fall Amri“. Wir reden hier nicht, lieber Herr Senator Geisel, von neuen Erkenntnissen, und das wissen Sie genauso gut wie ich und wie jeder, der an den Innenausschusssitzungen teilgenommen hat. Wir reden auch nicht von Fragen, die Herr Jost gestellt hat. Wir reden davon – zunächst einmal noch zurückblickend –, ob

dieser Anschlag absehbar war. Das war er nicht, als solcher nicht.

Wir reden aber dann weiter davon, dass es unstreitig Straftäter gibt, und zwar sehr viele – und dazu gehörte auch Herr Amri –, die schlichtweg nicht verfolgt werden und wurden. Und da muss ich die Frage stellen, warum dieses Einschreiten auch jetzt beim LKA, das man da meines Erachtens letztlich tatsächlich, wie der Kollege Woldeit richtig gesagt hat, als Bauernopfer vorschieben will, unterblieben ist. Die Frage ist, ob eine Verantwortung dafür beim LKA liegt, bei den Ausführenden, die Teil eines Systems sind, oder ob die Verantwortung nicht bei denjenigen liegt, die dieses System überhaupt erst eingerichtet und unterhalten haben. Seit Jahren, möchte ich anmerken, ist bekannt – und dafür sind Sie 2011 angetreten –, dass Staatsanwälte in Berlin dringend fehlen, um genau solche Erkenntnisse weiter zu verfolgen.

[Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

Es hat sage und schreibe zwar 15 Prozent mehr Straftaten, aber nur zwei Staatsanwälte – von 300 auf 302 – mehr gegeben in Ihren fünf Jahren Arbeit. Das ist das, was Sie an Verantwortung übernommen haben. Und das ist nichts. Es fehlt nach wie vor daran – und da ist vor allem die gerade deutlich zu sehende große Koalition aus SPD und CDU in der Verantwortung gewesen, und sie besteht ja ganz offensichtlich nach wie vor –,

[Stefan Evers (CDU): Das ist Verantwortung!]

die Beamten bei Justiz, Polizei und Staatsanwaltschaft so auszustatten, wie es erforderlich ist, damit sie ihre Arbeit machen können. Und das haben Sie seit vielen, vielen Jahren nicht gemacht. Deswegen fehlen genau diese Kräfte. Hätten wir sie gehabt, hätte man viel mehr unternehmen können, um das zu verhindern, was passiert ist.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Kommen wir zu dem angesprochenen Thema, wir brauchten doch mal wieder eine Sitzung des Innenausschusses. Wir hatten eine ganze Menge Sitzungen zu dem Thema: des Innenausschusses, des Ausschusses für Verfassungsschutz, des Rechtsausschusses. Wir haben da ganz viele Leute gehört. Nur handelt es sich blöderweise nicht um einen Untersuchungsausschuss. In einem Untersuchungsausschuss hätten wir den interessanten Unterschied gehabt, dass diejenigen, die die Antworten gegeben haben, zu denen ich gleich komme, sich allesamt der uneidlichen Falschaussage schuldig gemacht hätten. So kann man sagen: Ach, da haben wir uns geirrt, haben wir nicht so genau nachgeschaut, ist doch nicht so schlimm! – Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: 150 Tage sind bisher vertan worden, 150 Tage, in denen Herr Kandt, aber genauso Herr Akmann und Herr Geisel diese Fragen hätten stellen können, für die Sie jetzt erst einmal Herrn Jost anfordern mussten, der diese Fragen stellt.

[Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

(Stefan Evers)

Die Fragen sind aber auch nicht neu. Fangen wir an: Am 8. Februar 2017 – Protokoll des Verfassungsschutzausschusses – fragt Herr Luthe, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen der organisierten Rauschgiftkriminalität in dieser Stadt und Herrn Amri und dem Anschlag, Antwort: –

Herr Kollege Luthe! Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, dass die Protokolle des Verfassungsschutzausschusses nicht öffentlich sind.

Doch, die der öffentlichen Sitzung schon.

Das war innerhalb der öffentlichen Sitzung?

Dann ist es okay.

Aber vielen Dank für den Hinweis. – Gibt es nicht, also keine Erkenntnisse.

Machen wir weiter: Am gleichen Tag im Rechtsausschuss die Frage: Gibt es irgendeinen logistischen, finanziellen oder ideellen Zusammenhang zwischen Anis Amri und der organisierten Kriminalität in dieser Stadt, insbesondere im Bereich Rauschgift? – Antwort des Generalstaatsanwalts wiederum: Nein, keine Erkenntnisse.

Machen wir weiter: 6. März, die gleiche Frage noch einmal im Innenausschuss. – Antwort, können Sie sich bereits denken: Nein, keine Erkenntnisse.

Am 20. März habe ich gefragt: Was war über die Vorgeschichte des Amri zum Zeitpunkt möglicher Haftentscheidungen bekannt? Das ist so ziemlich die einzige Frage, die bemerkenswerterweise bis zum heutigen Tage nicht, und zwar überhaupt nicht beantwortet wurde. Wenn Sie erst vor zwei Tagen von dem Problem erfahren haben wollen, dann erklären Sie doch freundlicherweise, Herr Senator, warum ausgerechnet diese Frage nicht beantwortet worden ist. Ist die in Ihrer Organisation durchgerutscht? Haben Sie es gar nicht bemerkt, dass diese Frage gestellt wurde? Oder haben Sie Antworten bekommen, die Sie nicht präsentieren wollten? Das bitte ich Sie klarzustellen.

[Beifall bei der FDP und der AfD]

Ich habe auch gefragt: Weshalb ist zu Amri nicht in einem Ermittlungsverfahren einmal Untersuchungshaft beantragt worden? – Da haben Sie sich als nicht zuständig erachtet und geantwortet: Zur Beantwortung dieser Frage wird an die Generalstaatsanwaltschaft verwiesen.

Insgesamt haben wir jetzt über 150 Tage politische Hütchenspielerei erlebt, ein Imkreiszeigen der Verantwortung und vor allem ein absolutes Negieren der Verantwortung einer parlamentarischen Mehrheit in diesem Haus, vor allem getragen von SPD und CDU, die sich schlichtweg weigern, die Aufgabe zu übernehmen, die der Wähler von uns erwartet und nicht von irgendwem anderen, den man dafür einfliegen lässt. Der Wähler erwartet, dass wir als gewählte Abgeordnete diese Fragen klären. Und dafür ist ein Untersuchungsausschuss da. Der mag vielleicht bei Ihnen ewig dauern, bis er sich konstituiert, mit uns ist das nicht der Fall.

[Beifall bei der FDP und der AfD – Sven Kohlmeier (SPD): Machen Sie ihn doch allein!]

Herr Kollege Luthe! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlüsselburg?

Vielen Dank, Herr Kollege Luthe! – Herr Senator Geisel hat vorhin ausgeführt, dass der Generalstaatsanwaltschaft die frisierte Sachlage, der manipulierte Aktenvermerk sozusagen nicht bekannt war, also der ursprüngliche Aktenvermerk. Stimmen Sie mit mir überein, dass die Fragen, die Sie hier gerade zitiert haben, die Sie dem Senat gestellt haben, schlichtweg deswegen wahrscheinlich nicht anders haben beantwortet werden können, weil die Generalstaatsanwaltschaft und auch die Hausleitung hier offensichtlich durch Vertuschungsgeschichten im LKA getäuscht wurden?

Vielen Dank für die Zwischenfrage, Herr Schlüsselburg. – Nein, tue ich nicht. Das fängt damit an, dass bisher noch die Frage vollständig offen ist, ob und in welcher Form und zu welchem Aktenzeichen – auch da wäre ich für eine klare Stellungnahme des Senats dankbar – es auch zu dem Verfahren wegen gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Handelns mit Rauschgift, insbesondere mit Kokain, nicht vielleicht doch ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft gegeben hat, das bisher auch vergessen worden ist und noch auftauchen wird. Ich bin mir sicher, dass es noch auftaucht, um da deutlich zu werden.

Darüber hinaus war die Frage schließlich an den Senat in Gänze gerichtet. Auch da hätte man, auch wenn man jetzt bequemerweise nur Herrn Kandt und damit die CDU in der Verantwortung sieht, gerade von einem Senator, der sich auf Nachrichtenwesen qua Ausbildung versteht, der genau weiß, wie wichtig es ist, präzise Informationen zu bekommen, erwartet, dass man sich – und das gilt eben nicht nur für Herrn Kandt, wie Herr Taş angesprochen hat, sondern auch für jeden Beteiligten – die Akten mal irgendwann in den letzten 150 Tagen, die seitdem vertrödelt wurden, vorlegen lässt und selbst einmal einen Blick reinwirft. Wenn Herr Jost das innerhalb von einer halben Stunde machen konnte, dann würde das jeder andere auch zumindest in einer Stunde geschafft haben. Offensichtlich blieb diese Stunde Zeit nicht, um in die Akten zu gucken. Das mache ich Ihnen ganz klar zum Vorwurf. Es kann nicht sein, dass Sie diese Aufgabe nicht wahrnehmen, sondern dafür nach Monaten mal jemanden kommen lassen, der es dann macht.

[Beifall bei der FDP und der AfD]