Protocol of the Session on May 18, 2017

[Zuruf von Frank Zimmermann (SPD)]

Ich nehme mal Bezug auf die Zwischenfrage von dem Kollegen Luthe. In keinem Redebeitrag zum Thema Untersuchungsausschuss gab es jemals einen Widerspruch gegen den Sonderermittler.

[Beifall bei der AfD – Frank Zimmermann (SPD): Och!]

Wir haben ganz deutlich gesagt, dass sich ein Sonderermittler und ein Untersuchungsausschuss nicht gegenseitig ausschließen. Wir haben ganz deutlich gesagt, sowohl der Kollege Luthe als auch ich: Das eine schließt das andere nicht aus. – Dass Sie jetzt versuchen, mit irgendwelchen Mechanismen in irgendeiner Art und Weise den Bereich des Untersuchungsausschusses noch mal zu diskreditieren, halte ich ein Stück weit für Augenwischerei. Das sage ich ganz deutlich.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Zum Thema Untersuchungsausschuss – ich habe das in den vergangenen Reden auch schon gesagt –: Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Untersuchungsausschuss aus partei-, aus wahlkampftaktischen Gründen verhindert wurde. Und wenn Herr Zimmermann und auch Herr Senator Geisel vom Zeitfaktor sprechen: Der Antrag auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses war bereits im Januar gestellt worden. Und wenn Herr Senator Geisel sagt: Wenn wir ihn denn gehabt hätten, wären wir jetzt im Bereich der Konstituierung –, ist das schlichtweg falsch; wir liegen dort fünf Monate zurück. Es hätte also in der Tat stattfinden können, es hätte schon zu Ergebnissen kommen können. Und noch mal: Ein Sonderermittler als unterstützendes Gremium ist keine falsche personelle Konstellation. Es hat sich auch im NSU-Untersuchungsausschuss gezeigt, dass ein Sonderermittler parallel zum Untersuchungsausschuss tätig werden kann.

Als ich gestern vernommen habe, dass es Versäumnisse beim LKA gibt, hatte ich den Gedanken – vielleicht teilen Sie ihn –: Das hat etwas von einem Bauernopfer. Hier könnte – ich formuliere das bewusst im Konjunktiv – ein Szenario gestellt werden, dass die politische Verantwortung, die Leitungsverantwortung, einfach einmal auf einen Beamten heruntergedrückt wird. Das ist ein Eindruck, der sich mir in der Tat aufdrängt.

[Canan Bayram (GRÜNE): Erklären Sie mal!]

Welche Erkenntnisse hatten wir im Nachgang zum Untersuchungsausschuss, und was ist jetzt wirklich alles neu? – Ich erinnere mich: Im Nachgang zum Terroranschlag

wurden wir in die Senatsinnenverwaltung geladen, und es gab eine umfassende Information. Das vollzog sich auch in den nächsten Sitzungen des Innenausschusses. Wir wurden darüber informiert, dass Anis Amri im Rahmen des BTM-Handels involviert war, wir wurden darüber informiert, dass Anis Amri im Rahmen von Rohheitsdelikten straffällig geworden ist, wir wurden auch darüber informiert, dass es eventuelle Mittäter gibt, die bereits nach dem Al-Capone-Prinzip, wie es Senator Geisel erwähnt hat, in Haft sitzen. Daraufhin hatten wir Fragen, berechtigte Fragen nicht nur zu den 14 Aliassen, die immer wieder ans Tageslicht kommen, sondern auch die, warum dort nicht gehandelt worden ist.

Wenn jetzt der Vorwurf kommt, ein Aktenvermerk hätte dazu geführt, dass er nicht in Haft genommen werden konnte, wodurch der Terroranschlag hätte verhindert werden können, dann weise ich darauf hin – auch wenn die mediale Berichterstattung sich darum kaum noch kümmert –: Es ist klar und offensichtlich, dass Anis Amri bereits in Haft war – und zwar in Ravensburg. Er saß bereits in Abschiebehaft! Er hätte auch abgeschoben werden müssen. Woran ist das damals gescheitert? – An fehlenden Dokumenten, an fehlenden Verfahren in der Administration zwischen Tunesien und Deutschland. Dort liegt das eigentliche Problem und nicht in der Frage, wie man ihn in irgendeiner Art und Weise in der Manier von Al-Capone-Delikten hätte dingfest machen können. Nein! Hier in der Gesamtkonstellation liegt der Hase im Pfeffer! Anis Amri hätte nicht hier sein dürfen. Anis Amri hatte 14 unterschiedliche Identitäten. Anis Amri war ein Straftäter. Anis Amri saß in Abschiebehaft. Anis Amri hätte abgeschoben werden müssen, und dann hätte dieser schlimmste Terror, wie wir ihn im Dezember letzten Jahres erlebt haben, verhindert werden können.

[Beifall und Bravo! bei der AfD]

Im Nachgang haben wir die gezielten Fragen im Innenausschuss gestellt – sowohl Herr Luthe als auch ich. Auch hierbei habe ich wieder so einen gewissen faden Beigeschmack. Die Fragen wurden in der Tat gestellt zur Fussilet 33, Verbotsverfahren, organisierte Kriminalität und Mittäterschaft. Es wurde uns im Innenausschuss die Möglichkeit eingeräumt, die Anhörung des Generalbundesanwalts zu erwirken. Fragen haben wir gestellt, Fragen haben wir eingebracht. Aber leider Gottes ist ein Flug storniert worden, und der Generalbundesanwalt war nicht da. Gut, das kann man Ihnen persönlich nicht vorwerfen, das ist eine Sache der Fluggesellschaft. Dass dann aber im Nachgang, der Innenausschuss war am Montag, die Erkenntnis kommt – ich wiederhole, ein bisschen drängt sich mir der Eindruck auf –, dass hier ein wenig abgelenkt werden sollte, um vom ursprünglichen und eigentlichen Problem, das ist nach wie vor die politische Verantwortung, abzulenken. Die politische Verantwortung ist unteilbar.

Hier kommt mein Blick in Richtung CDU. Wenn ich mir die Rede von Herrn Lenz ins Bewusstsein rufe – auch

diese Abwehr- und Ausweichmechanismen –, dann stelle ich fest: Wir haben eine Opposition, die aus zwei Parteien besteht, das sind die FDP und die AfD. Warum ist das so? – Weil wir gerade im Rahmen dieser Aufarbeitung und dieser Schwierigkeiten die Administration Henkel mit in der Verantwortung haben, wir haben die Administration Geisel mit in der Verantwortung, und mittlerweile sind fünf Monate vergangen. Es hätte schon viel mehr ans Tageslicht kommen müssen, als es bis jetzt gekommen ist.

[Beifall bei der AfD]

Herr Senator Geisel! Seien Sie sich sicher, dass Sie in uns, in unserer Fraktion, einen Freund haben, wenn es darum geht, schnelle Aufklärung zu leisten – mit Sicherheit. Seien Sie sich auch sicher, dass wir Ihnen jegliche Unterstützung zukommen lassen, wenn es darum geht, die Ausstattung der Polizei in personeller wie auch materieller Art zu verbessern. Ich möchte aber auch nicht verschweigen, wie Sie die monetäre Gewichtung vorgenommen haben: Sicherheitspaket I – Sie haben es Präventionspaket genannt, ich nenne es Sicherheitspäckchen –, wie hoch war es ausgestattet? – Mit 46 Millionen Euro, im Vergleich zur Radwegekonzeption mit 50 Millionen Euro. Sie haben mittlerweile nachgebessert, das ist gut. Jeder lernt aus seinen Fehlern. Aber nichtsdestotrotz geht es darum, dass wir weiter an der Sicherheit arbeiten. Sie haben vollkommen recht: Die Ausbildung eines Polizeibeamten dauert seine Zeit. Damit wir dort schnellstens andere Möglichkeiten und Lösungsansätze bekommen, bringen wir unsere Anträge ein. Ob es sich dabei um die freiwillige Polizeireserve handelt, den freiwilligen Polizeidienst oder andere Ausbildungsbereiche, das alles sind unsere Vorschläge. Werfen Sie uns also nicht vor, wir würden mit billigem Populismus, wie Sie immer sagen, eine Scheinlösung vorschlagen.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Nein, unsere Vorschläge sind konkret, unsere Vorschläge helfen, unsere Vorschläge würden auch dazu führen, dass wir schneller mehr Polizei auf der Straße hätten.

[Beifall bei der AfD]

Sie sprachen an, dass Sie bis jetzt vier Gefährder abgeschoben haben. Wir haben Gefährder im Umfang des oberen zweistelligen Bereichs. Wir reden von 70 bis 80 Personen Wir werden uns auch noch einmal darüber unterhalten müssen, wie wir dieser Situation Herr werden, wie wir § 58a AufenthG zur Anwendung bringen. Wir haben Sie am Montag darauf angesprochen. Auch daran werden Sie sich messen lassen müssen.

Abschließend möchte ich Ihnen sagen, dass wir nach wie vor ein ganz festes, ein urfestes Vertrauen in die Polizei haben,

[Beifall bei der AfD]

sowohl in das LKA als auch in jeden Beamten oder Angestellten des zentralen Objektschutzes oder in die Polizei

insgesamt. Wenn ein Polizist in seiner Verantwortung als Sachbearbeiter unter einem massiven Druck steht, wenn er massivem medialen Druck ausgesetzt ist, dann können Fehler passieren. Nur wer nicht arbeitet, macht keine Fehler. In diesem Sinne: Wir stehen fest an der Seite der Berliner Polizei! – Ich danke Ihnen!

[Beifall und Bravo! bei der AfD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Taş das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Türkischen gibt es eine Redewendung: Man hat dem Kamel gesagt, dein Rücken ist krumm. Das Kamel hat geantwortet: Was ist denn an mir schon gerade? – Der ganze Skandal Amri erinnert mich an diese Redewendung. Es ist so viel Unglaubliches passiert, man weiß gar nicht, wo man heute anfangen soll. Jedenfalls muss jeder Verschwörungstheoretiker vor Neid erblassen. Aber fangen wir von vorn an.

Eines sollte klar sein: Die Opposition braucht nicht anzufangen, hier ihr Süppchen gegen den Senat zu kochen. Dieser Skandal ist keiner des rot-rot-grünen Senats. Wenn Sie sich Ihre Kalender anschauen, wird Ihnen auffallen, dass dieser Senat am 8. Dezember 2016 die Arbeit aufgenommen hat, und das Attentat am Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 stattfand. Alles, worüber wir heute diskutieren, jede Inkonsequenz, jede Inkompetenz, jede Vertuschung fand unter der Verantwortung des CDU-Innensenators Henkel statt. Genau das sind seine Hinterlassenschaften an Strukturen, aber auch an Personal. Herr Henkel! Ich fordere Sie auf – ich sehe Sie gerade heute hier – Stellung zu nehmen zu Ihrer Politik und dem Versagen der Behörden unter Ihrer Führung.

[Zuruf von Kurt Wansner (CDU)]

Der amtierende Innensenator Geisel, Herr Wansner, hat gezeigt, dass dieser Senat alles unternimmt, um die Hintergründe dieses ungeheuerlichen Vorgangs aufzudecken und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Strafvereitelung und Urkundenfälschung gegen Mitarbeiter des LKA zeigt, dass dieser Senat ungeachtet der Personen und Ämter diese Aufklärung weiter vorantreiben wird. Heute stellt sich jedoch die politische Frage, ob der damalige Innensenator die Polizeibehörde unter Kontrolle hatte oder ob die Behörde es gewohnt ist, politisch nicht überwacht zu werden, sie machen kann, was sie will, sich gar einer politischen Kontrolle verweigern kann.

Ich sagte eingangs, Verschwörungstheoretiker würden vor Neid erblassen. Ja, schauen wir einmal an dieser Stelle noch einmal kurz zurück.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, Herr Präsident, ich gestatte nicht!

Keine Zwischenfragen.

Über Amri war Vieles bekannt – in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Berlin. Über Monate betrügt Anis Amri die Ämter um Sozialleistungen. Er dealt, prügelt sich, prahlt mit Attentatsabsichten und betet in einschlägig bekannten Moscheen salafistischer Prediger. Aber all dies hat für einen Haftbefehl nicht ausgereicht.

Und was war nach dem schrecklichen Attentat? – Die Behörden geben nur die Informationen heraus, die sie anscheinend nicht mehr verbergen können.

[Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Der RBB muss erst Klage einreichen, um Informationen über die Fussilet-Moschee zu erhalten. Bei der Gelegenheit: Meine Anerkennung für den RBB-Reporter Jo Goll, der hier nicht lockergelassen hat.

Es muss erst ein Sonderermittler eingesetzt werden, um alle Hintergründe des behördlichen Versagens aufzudecken. Was Sonderermittler Bruno Jost in der kurzen Zeit bis jetzt aufgedeckt bzw. was Innensenator Geisel gestern bekanntgegeben hat, ist mehr als erschreckend. Dass Menschen in Behörden Fehler unterlaufen, ist menschlich. Dass diese aber – zumindest nach dem jetzigen Kenntnisstand – durch nachträgliche Aktenmanipulation vertuscht werden sollten, ist ungeheuerlich. Wer so handelt, ist kein Deut besser als die, gegen die er ermitteln soll.

[Canan Bayram (GRÜNE): Das finde ich aber jetzt …]

Und ja, es ist auch zu überprüfen, ob andere Themen, die Innensenator Henkel politisch durchsetzen wollte, dazu beigetragen haben, dass Mitarbeiter des LKA von der Überwachung von Amri abgezogen wurden, da sie ansonsten ihre Aufgaben nicht geschafft hätten.

Ich erlaube mir eine erste Zusammenfassung: Politisch verantwortlich ist die Law-and-order-Politik des Innensenators Frank Henkel von der CDU. Offensichtlich hat der Leiter des LKA, Herr Steiof, dem Innenausschuss Unzutreffendes über die Observation erzählt. Und was hat eigentlich Polizeipräsident Kandt bis jetzt getan? Als Polizeipräsident hätte ich mir nach dem 19. Dezember 2016 alle Akten zu Amri bringen lassen. Ich hätte sie selber ausgewertet und von meinen engsten Mitarbeitern

(Karsten Woldeit)

und von meiner Rechtsabteilung auswerten lassen. Dann wäre mir auch aufgefallen, dass es hier zu einer Vertuschung kam, dass offensichtlich nicht richtig ermittelt wurde und die nötigen Schlüsse nicht gezogen wurden.

[Kurt Wansner (CDU): Das hätten Sie doch gar nicht verstanden!]

Dies alles hat Polizeipräsident Kandt offenbar nicht getan, was mindestens fahrlässig ist, oder er hat es nicht erkannt, was nicht für qualitativ gute Arbeit an der Stelle spricht.

[Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Der Berliner Senat und Innensenator Geisel haben mit der Einsetzung von Bruno Jost als Sonderermittler gezeigt, dass sie es ernst meinen. Schon bei seinen Ermittlungen nach dem Mykonos-Attentat von 1992 hat Herr Jost ohne diplomatische oder andere staatstragende Rücksichtnahmen alle Hintergründe aufgedeckt. Davon hat er sich weder von Morddrohungen noch von Interventionen der Bundesregierung aufhalten lassen. Herr Jost hat bereits nach kurzer Zeit Wichtiges zu Tage gebracht. Wir danken ihm an der Stelle bereits jetzt für seine Arbeit!

Viele Fragen sind zu klären, unter anderem wie viele Personen an der Vertuschung beteiligt waren. Handelt es sich nur um individuelle kriminelle Energie, oder haben wir ein strukturelles Problem? Haben höhere Ebenen dieses Verhalten gedeckt? Falls ja, wer? Falls nein, dann hat die höhere Ebene als Kontrolle versagt. Warum gab es nach der Schlägerei am 11. Juli 2016 in der Shisha Bar keinen Haftbefehlt? Wurde eine Richtervorführung veranlasst? Warum war am 29. Juli 2016 und den folgenden Tagen im LKA Berlin niemand erreichbar? Was waren die Ursachen? Gab es zu wenig Personal oder zu viele Fälle? Oder hat das LKA 5 – Staatsschutz – Amri als nicht den größten Fisch im Teich bezeichnet? Was war mit dem LKA 4, unter anderem zum Thema Rauschgift? Was hat das LKA NRW den Berliner Kolleginnen und Kollegen genau mitgeteilt, als sie unglücklich über die Kontrolle am ZOB waren?

Wir als Linksfraktion fordern eine lückenlose Aufklärung aller dieser Umstände. Hierzu ist es notwendig, dass alle bundesweit verfügbaren Akten, insbesondere die beim Generalbundesanwalt und die aus NRW, Herrn Jost so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt werden. Es müssen die notwendigen personellen und strukturellen Maßnahmen ergriffen werden, damit sich solch ein Skandal nicht wiederholen kann. Die Verantwortlichen für dieses Desaster müssen ohne Ansehen der Person und des Amtes zur Rechenschaft gezogen werden. Ich bin sicher, dass Innensenator Geisel alles Notwendige unternehmen wird. Herr Geisel hat dabei die volle Unterstützung meiner Fraktion. Wir erwarten aber auch, dass alles parlamentarisch transparent gestaltet wird.