Daher bitte ich Sie – gerade auch an die Adresse der Grünen gerichtet –, uns nicht in Selbstreflexion mit Themen zu überschütten. Vielmehr bitten wir Sie um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Koalitionsthema in der heutigen Aktuellen Stunde des Berliner Abgeordnetenhauses.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bundes-, ja europaweit ist ein neues politisches Kapitel aufgeschlagen worden, das Kapitel der Bürgergesellschaft, der Beteiligungsgesellschaft, die das repräsentative parlamentarische System und damit uns alle fordert. Zum Teil ist es ja sogar schon geentert worden. Ob Stuttgart 21, Kastanienallee, Flugrouten, Wasserverträge, Mediaspree oder Occupy – die Zeit der stillen Bürger ist vorbei. Aber es ist nicht der Wutbürger, der sich meldet, sondern der verantwortungsvolle Citoyen in einer freien Bürgergesellschaft, und das ist ein hohes Gut.
Jetzt gilt es – darum geht es, Herr Kollege –, unser demokratisches, rechtsstaatliches und parlamentarisches System zu bewahren und neu auszutarieren, weiterzuentwickeln, Räume zu schaffen, zuzuhören und aufzunehmen. Das ist etwas anderes als die wohlfeile Schelte, die man von mancher Seite gegenüber dem bestehenden System hört. Natürlich gibt es Missbrauch, Missmanagement,
Unfähigkeit. Wer wollte das in Berlin verneinen? – Ich habe hier angefangen, als der Bankenskandal gerade fröhliche Urstände feierte. Die europäische Finanzkrise und ihre Folgen laden zum Zweifeln ein, aber wir haben auch etwas ungemein Wertvolles: unsere Verfassung, die Freiheit und Beteiligung garantiert, ein friedliches Europa. – Dafür haben Menschen gekämpft, dafür sind Menschen gestorben, und das gilt es zu verteidigen.
Noch immer – das muss man heute und in dieser Zeit besonders sagen – sterben Menschen in aller Welt, um Freiheit und Beteiligung zu erlangen. Der verzweifelte Kampf in Homs sollte uns mahnen. Unsere Solidarität gilt der Freiheitsbewegung in Syrien. Wir werden sie nicht allein lassen.
Das Thema neue politische Kultur drängt mit Macht auf die politische Agenda. Es ist gut, dass wir jetzt einen Bundespräsidenten Joachim Gauck bekommen, der einer der unermüdlichsten Vorkämpfer für eine Bürgergesellschaft in Freiheit und Verantwortung ist. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass sich eine Bundeskanzlerin Merkel dazu durchringt, diesen Schritt zu gehen, und ich zolle ihr dafür Achtung und würde mir wünschen, dass öfter mal jemand den Mut aufbringt, eingefahrene politische Rituale für eine gute Sache zu durchbrechen.
Ich finde den Streit um das gaucksche Urheberrecht, der jetzt tobt, eher kleinkariert, wer da wen erpresst oder über den Tisch gezogen hat. Das war das Werk von vielen, und das Ergebnis ist ein gutes Ergebnis.
Es wäre besser gewesen, die ganze Opposition dort einzubeziehen. Natürlich wäre das besser gewesen, ich wage aber zu konstatieren, dass das Ergebnis wohl mit den gleichen Positionen auch jetzt noch das gleiche geblieben wäre.
Gauck wird es uns nicht allen recht machen. Die einen finden, er müsse heiraten – absurde Forderung –, den anderen passt seine Kritik an der Occupy-Bewegung nicht und Dritten seine Äußerungen zu Sarrazin. Das ist politische Kleingärtnerei.
Was zählt, ist sein Lebenswerk, seine Gradlinigkeit, gerade nach Wulff, und der Umstand, dass er uns etwas in dieses neu aufgeschlagene politische Kapitel schreiben kann. Er fordert uns, und allein das zählt.
Ich würde mir wünschen, dass ein Stück neue politische Kultur auch hier im Haus einzieht, dass das Verhältnis von Opposition und Regierung neu austariert wird, dass
man mit mehr Respekt und Anerkennung miteinander umgehen kann und auch mal eingefahrene politische Rituale hinter sich lässt. Ich weiß, Sie denken jetzt: Der hat gut reden da vorn! Der hat es auch nicht immer hinbekommen. – Es stimmt, ich habe das auch nicht immer hinbekommen, und ich habe auch das eine oder andere Mal daneben gehauen und zu Unrecht ausgeteilt. Wem immer ich zu doll auf die Füße getreten bin, den bitte ich jetzt um Verzeihung!
Ich verlasse Sie jetzt. Das ist meine letzte Rede. Ich darf mich bedanken für zehn Jahre gute Zusammenarbeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hier im Haus, ohne die nichts laufen würde, bei den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Fraktionen, ohne die hier im Haus auch nichts liefe, bei den Fraktionsvorsitzenden, mit denen ich zusammengearbeitet habe – Herr Müller, Herr Henkel, Herr Wolf, der andere ist abhandengekommen –, bei den alten und neuen Senatsmitgliedern und beim Regierenden Bürgermeister. Lieber Klaus! Viel Glück! Ein glückliches Händchen für Berlin und vor allen Dingen viel Schwung! Ihnen allen einen herzlichen Dank! Nehmen Sie sich ernst!
Denn wir sehen nicht im Wort eine Gefahr fürs Tun, wohl aber darin, sich nicht durch Reden erst zu belehren, ehe man zur nötigen Tat schreitet.
Deshalb: Mehr Diskurs, mehr direkte Demokratie und ein starkes und selbstbewusstes Parlament für Berlin. – Vielen Dank! Ich wünsche Ihnen allen viel Glück für die Zukunft der Hauptstadt!
Herr Kollege Ratzmann! Auch ich darf Ihnen Danke sagen und wünsche Ihnen für Ihre politische und private Zukunft alles Gute! Bleiben Sie Berlin erhalten!
Herr Präsident! Ich möchte mich als Erstes auch von Volker Ratzmann verabschieden. – Lieber Volker! Im Namen meiner Fraktion wünschen wir dir alles Gute für die neue Aufgabe, viel Erfolg und auch Spaß dabei! Auch wenn wir uns in der Vergangenheit häufiger eine bessere Zusammenarbeit gewünscht hätten, gab es konstruktive Zusammenarbeiten, und dein Weggang wird vermutlich auch die Zusammenarbeit mit den Grünen in Zukunft nicht verbessern. Vielen Dank und alles Gute!
Jetzt komme ich zu unserem Thema der Aktuellen Stunde. Wir möchten gern über das Thema Mindestlohn reden, weil er immer noch aktuell ist, besonders im Land
Berlin, nicht nur, weil hier viele Menschen nicht von ihrer Arbeit leben können und auf Mindestlohn angewiesen sind, sondern auch, weil jetzt die Haushaltsberatungen beginnen und die Frage, ob es in Berlin in Zukunft einen Mindestlohn geben wird, und wenn ja, für wen, immer noch nicht beantwortet ist.
Die CDU ist ihrer Position treu geblieben. Sie war schon immer gegen Mindestlohn und ist in dieser Frage ideologisch verbohrt. Aber Sie, werte Kolleginnen und Kollegen der SPD sind mit der Forderung nach Mindestlohn in den Wahlkampf gezogen. Seit der letzten Plenarsitzung wurde immer wieder über den Mindestlohn geredet. Die Arbeitssenatorin hat ihn zum Thema gemacht.
Im Bundesrat hat das Land Berlin dem Antrag auf einen gesetzlichen Mindestlohn nicht zugestimmt. Die SPD stehe zu einem Mindestlohn, aber aus Koalitionsräson könne sie dem nicht zustimmen, erklärte uns Frau Monteiro. Ich kenne diese Art der Koalitionsräson. Sie kann bitter sein.
Wenige Tage später meldete sich die Arbeitssenatorin Dilek Kolat via „Berliner Zeitung“ zu Wort, und ihre Aussagen klangen anders. Danach ist ein Mindestlohn zumindest für die öffentlich geförderte Beschäftigung nicht mehr vorgesehen. Was wäre es für ein Zeichen, fragt Frau Kolat, wenn Arbeitslose einen Stundenlohn bekommen, den viele Beschäftigte in der freien Wirtschaft nicht mal erhalten. Was ist diese Aussage für ein Zeichen? Solange auf dem ersten Arbeitsmarkt Hungerlöhne gezahlt werden, darf der Mindestlohn auch nicht höher sein. Ist das die neue Position der SPD? Sie reden gern vom Mindestlohn, aber hier, wo Sie ihn gestalten können, wollen Sie den Niedriglohnsektor ausweiten.
Es soll zwar die gleiche Arbeit wie bisher verrichtet werden, aber für viel weniger Geld. Ist das Ihre Position, liebe SPD? Der Sinn eines Mindestlohns ist, dass Menschen davon leben können. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, nun einem Teil der Beschäftigten diese Mindestlohnbedingungen verwehren, weil auf dem freien Markt weniger gezahlt wird, entwerten Sie nicht nur die Arbeit dieser Beschäftigten, Sie stellen den Mindestlohn generell infrage.
Das ist nichts anderes als Täuschung Ihrer Wählerinnen und Wähler. Wir möchten endlich gern von Ihnen wissen: Was verbirgt sich hinter dem ominösen Programm „ÖGB“ oder „Berlin-Arbeit“? Wir möchten gern von Ihnen wissen, zu welchen Bedingungen die Menschen dort arbeiten sollen, und wir möchten wissen, ob Sie tatsächlich planen, die Bürgerarbeit in Berlin für nur 960 Euro umzusetzen. Das wäre nicht nur die Beerdigung des flächendeckenden Mindestlohns, das wäre auch sittenwidrig.
Wenn Sie jetzt sagen, das seien bei Ihrer Planung 7,50 Euro in der Stunde, dann sage ich Ihnen: Bei 30 Stunden Arbeit für 7,50 Euro kommen zehn Stunden Qualifizierung dazu. Das sieht das Bundesprogramm vor, und diese Stunden wollen Sie nicht bezahlen. Das sollten Sie hier auch so sagen.
Es ist Zeit, dass Sie endlich in dieser Frage Position beziehen und erklären, ob der Mindestlohn weiterhin für Sie Grundlage der Berliner Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik ist. Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen. – Danke!
Herr Kollege Lauer! Bevor Sie anfangen, noch ein Hinweis. Meine Damen und Herren! Ich weise darauf hin, dass von der Öffentlichkeitsarbeit unseres Hauses in Vorbereitung der neuen Parlamentsbroschüre Fotos im Plenarsaal aufgenommen werden. Vielen Dank für Ihr Verständnis! – Herr Lauer, Sie haben das Wort!
Vielen lieben Dank! – Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben heute schon viel gehört. Ich finde es übrigens witzig, dass hier der Eindruck erweckt wird, vor dem Abstimmen über die Aktuelle Stunde stünde noch nicht fest, welches Thema genommen wird.
Ich bitte jetzt um gar nichts, ich nenne jetzt hier einige aktuelle Zahlen. Der Bezirk Pankow muss 5 Millionen Euro sparen – das ist ganz komisch, nach Wahlen kommt so etwas immer heraus –, 40 Prozent davon im Bereich Kultur. Das ist schlecht. Da hat man sich gedacht, das spart man bei so Dingen wie einer Stadtbibliothek in Pankow. Ich habe jetzt auch einmal etwas ausgedruckt – Herr Kohlmeier, Ihr Einsatz! –, da gibt es einen Bericht: Vorlage für den Ausschuss für Kultur und Weiterbildung für die Sitzung am Dienstag usw.: – Einsparungen im Haushaltsentwurf. Da gibt es Einsparungen bei der Stadtbibliothek: Streichung von zwei Stellen, darunter: Leitung Stadtbibliothek. – Das ist super, oder? Da spart man die Leitung einer Stadtbibliothek ein. – Drastische Absenkung des Medienetats um zwei Drittel auf 100 000 Euro – das heißt, früher gab es 300 000 Euro für neue Bücher, jetzt nur noch 100 000 Euro. Hier stehen dann auch die möglichen Konsequenzen und Folgen: Fehlende
Fachleitung der Stadtbibliothek – das passiert, wenn man die Leitung entlässt –, keine Möglichkeiten, in 2012 einen eigenen Azubi zu übernehmen, erheblicher Attraktivitätsverlust wegen fehlender Erneuerung im Medienbestand. – Ja, so kann es gehen, wenn man in der Kultur spart. Das ist aber gar nicht schlimm, denn wir geben 270 Millionen Euro für die neue Landes- und Zentralbibliothek auf dem Tempelhofer Feld aus.
Es geht aber noch weiter. Wo wird denn noch gespart? – Genau, bei den Musikschulen. Wir haben ein Musicboard, das soll in Berlin kommen. Wieder ein schönes Leuchtturmprestigeprojekt, zu dem auch Herr Böhning im Kulturausschuss war und darüber berichtet hat – auch an anderer Stelle hat er berichtet. Dafür gibt es aber noch gar kein Konzept. Das soll jetzt erarbeitet und 2013 umgesetzt werden. Für dieses Musicboard, für das es noch kein Konzept gibt, wurden bereits 1 Million Euro im Haushalt blockiert. Aber wir sparen bei den Musikschulen. Was soll da getan werden – Äh – –