Protocol of the Session on March 3, 2016

Kollege Reinhardt eröffnet für seine Fraktion die Beratung und hat jetzt das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Kolleginnen und Kollegen! 70 000 Menschen sind im vergangenen Jahr mehr nach Berlin gekommen, als erwartet worden war. Das bedeutet viele zusätzliche Aufgaben, nicht nur die Unterbringung und Unterstützung, sondern das bedeutet auch Partizipation auf allen Ebenen der Gesellschaft. Für einen angemessenen Selbstwert und Erfüllung im Leben, für Teilhabe an der Gesellschaft und einen angemessenen Lebensstandard ist und bleibt Arbeit immer noch – ich möchte fast „leider“ sagen – ein entscheidendere Aspekt.

Wie es jetzt weitergeht, und wie sich die Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt und auch auf den Sozialstaat auswirkt, das ist in vielen Bereichen noch unklar. Da muss einiges neu justiert werden, aber zu den Auswirkungen der Einwanderung auf Arbeitsmarkt und Sozialstaat lohnt sich auf jeden Fall schon mal ein Blick in die gleichnamige Publikation von Prof. Herbert Brücker von 2013, die man bei „Mediendienst Integration“ herunterladen kann. Allerdings ist da noch vieles im Umbruch. Da müssen wir dranbleiben und schauen, welche Entwicklung es da noch geben wird.

Der Wert von Arbeit für Neuankommende ist übrigens beiderseitig. Die Neuankommenden profitieren davon, die Gesellschaft und die Wirtschaft profitieren ebenfalls davon, und das kann auf vielen Ebenen passieren.

Ich weiß, Sie werden auch sagen, dass der Senat – vor allem der Integrationssenat – an dieser Stelle schon vieles tut und dass die Wichtigkeit dieser Thematik erkannt wurde. Trotzdem reicht das nicht, und gerade angesichts der Dringlichkeit haben wir einige Forderungen erarbeitet, die wir für besonders sinnvoll halten, und wir haben einige Defizite identifiziert, die wir angehen müssen.

Zum einen: Es ist immer noch so, dass viele Geflüchtete, viele Neuankommende nicht in Deutschland arbeiten können. Deswegen wollen wir, dass die vielen Hemmnisse für die Geflüchteten abgeschafft werden. Von der Integrationssenatorin Kolat sind viel Sympathie für diese Forderung zu hören, aber leider tut sich auf der Bundesebene so gut wie gar nichts oder wenig, und zum Teil geht es in die falsche Richtung. Die Aktivitäten Berlins kann man dort leider kaum erkennen.

Wir fordern die Abschaffung des vollständigen Arbeitsverbots während der ersten drei Monate des Aufenthalts nach § 61 Asylgesetz. Menschen müssen von Tag eins der Ankunft in Berlin und in Deutschland arbeiten können.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Wir fordern des Weiteren die Abschaffung der Zustimmungserfordernisse durch die Ausländerbehörde und die Arbeitsagentur zur Aufnahme einer Beschäftigung während der ersten vier Jahre des Aufenthalts nach § 61 Asylgesetz. Wir fordern die Abschaffung der Wohnsitzauflage nach § 60 Asylgesetz sowie die Abschaffung aller Wartezeiten und Einschränkungen für die Möglichkeit des Bezugs von oder Teilnahme an den Leistungen und Maßnahmen, die wir skizziert haben. Ferner fordern wir ein Ende der absolut schädlichen und nicht konstruktiven Diskussion über eventuelle Wohnsitzauflagen für anerkannte Geflüchtete. Auch das darf und soll es nicht geben. Das verhindert Integration und Teilhabe an der Gesellschaft.

[Beifall bei den PIRATEN]

Wenn die Menschen nach Deutschland kommen und wenn sie denn arbeiten dürfen, dann ist es tatsächlich so, dass viele über hohe Qualifikationen und Abschlüsse verfügen, aber dann geht es natürlich darum, auch die Anerkennung dieser Abschlüsse zu bewerkstelligen. Dort ist tatsächlich einiges in den letzten Jahren passiert. Ich erinnere an das von uns gemeinsam verabschiedete Berliner Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz, das BQFG. Leider wurde dieses Gesetz in Berlin als einem der letzten Bundesländer überhaupt verabschiedet. Immerhin wird dort auch viel Gutes geregelt, aber das reicht nicht. Die Anerkennung dauert viel zu lange. Das Personal muss aufgestockt werden, aber wichtig ist auch, dass es

dort keine Gleichbehandlung gibt. Wichtig wäre, die Dauer der Verfahren zur Anerkennung von ausländischen Abschlüssen und Qualifikationen auf drei Monate zu beschränken, und zwar für alle beteiligten und betroffenen Gruppen.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Es ist tatsächlich so, dass nicht alle Flüchtlinge, die hierher kommen, hochqualifiziert sind. Deswegen sollte man gezielte Maßnahmen einführen, mit denen man zur Steigerung der Qualifikation der Flüchtlinge beitragen kann. Unser Antrag fordert auch, dass zum Beispiel junge Geflüchtete, die keinen Schulabschluss haben und gemäß § 42 Schulgesetz nicht mehr regelschulpflichtig sind, trotzdem weiterhin Schulklassen in ausreichender Anzahl besuchen können, damit sie ihren Bildungsweg fortsetzen und einen Schulabschluss erwerben können.

[Beifall bei den PIRATEN]

Deswegen ist es sinnvoll, dass dieser Antrag – neben dem Integrationsausschuss – auch im Bildungsausschuss beraten wird.

Aber klar ist auch: Nicht jeder, der hierher kommt, kommt in den ersten Arbeitsmarkt. Daher sollte auch das Ziel sein, die Geflüchteten für gemeinnützige bzw. dem öffentlichen Interesse dienende Tätigkeiten zu gewinnen. Es ist gut, Angebote zur Betätigung zu schaffen, aber es sollte immer berücksichtigt werden, dass dort kein künstlicher, prekärer Arbeitsmarkt geschaffen wird. Wir fordern daher, dass die Angebote zur Ausweitung der Beschäftigungsangebote zum Einstieg in einen beruflichen Integrationsprozess geschaffen und die bestehenden Angebote ausgeweitet werden. Dazu muss das Land Berlin mit der Regionaldirektion zusammenarbeiten und eigene Programme zur Ausweitung der Beschäftigungsangebote erarbeiten.

Aber es ist auch wichtig zu sagen: Nicht alle Geflüchteten, die hierher kommen, wollen auf dem ersten oder sogenannten zweiten Arbeitsmarkt unterkommen. Viele wollen einfach einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen und ein eigenes Unternehmen gründen, aufbauen und führen. Deswegen wollen wir die Geflüchteten bei der Existenzgründung stärker unterstützen. Dazu wollen wir die Hindernisse für die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit abschaffen, denen Gestattete, Geduldete und Ausländerinnen und Ausländer im Rahmen einer Aufenthaltserlaubnis unterliegen. Den Gestatteten und Geduldeten soll die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit erlaubt werden. Ausländerinnen und Ausländern mit einer Aufenthaltserlaubnis soll die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit ermöglicht werden, ohne eine Erlaubnis gemäß § 21 Abs. 6 Aufenthaltsgesetz speziell beantragen zu müssen. Das eigene wirtschaftliche Vorhaben soll nicht einer Ermessensentscheidung unterzogen werden müssen.

[Beifall bei den PIRATEN]

Immer noch gibt es dort viel zu viele Hürden auf Landes- und Bundesebene, die abgeschafft werden müssen.

Ich bitte Sie, tun Sie das Thema zum einen nicht als unwichtig ab! Ich glaube nicht, dass Sie das tun. Und das McKinsey-Gutachten zum Thema Integration, das in den letzten Wochen hier auch ausreichend diskutiert wurde, zeigt ja, dass die Dringlichkeit seitens des Senats ein Stück weit auch gesehen wird. Aber es zeigt auch, dass dort noch viel Nachholbedarf besteht. Insofern bitte ich Sie zum Zweiten: Bitte tun Sie nicht so, als gäbe es schon ausreichend Unterstützung und Aktivitäten seitens der Landesebene! Vieles muss noch angegangen werden, hier auf Berliner Ebene und eben auch auf Bundesebene.

[Beifall bei den PIRATEN und von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Seien Sie offen für die formulierten Ideen, die wir skizziert haben, die wir auch mit zahlreichen Gruppen und Organisationen diskutiert haben und deren Impulse – seitens der Zivilgesellschaft, Migrantenorganisationen, aber auch der Handwerkskammer – in unsere Vorschläge eingeflossen sind! Seien Sie offen für die skizzierten Ideen! – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Reinhardt! – Die SPD-Fraktion hat die Kollegin Grosse als Rednerin benannt, und ich erteile ihr das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin Grosse!

[Benedikt Lux (GRÜNE): Jetzt mal Klartext!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich auf Ihren Antrag eingehe, lieber Kollege Reinhardt, möchte ich betonen: Ja, es ist eine wichtige Aufgabe, geflüchtete Menschen in Arbeit zu integrieren. Diese Menschen wollen arbeiten. Das hat die Jobbörse gezeigt, die vor wenigen Tagen im Hotel Estrel stattgefunden hat. Dort waren 4 000 Menschen, die sich nach Arbeitsgelegenheiten erkundigt haben. – Das ist für uns Herausforderung und Auftrag zugleich. Nicht allein das Erlernen der deutschen Sprache, sondern die Teilhabe am Erwerbsleben ist ein Fundament für eine gelungene Integration.

Herr Reinhardt! Das, was Sie uns hier in Ihrem Antrag vorgelegt haben, wird zum einen umgesetzt, das haben Sie selbst eigentlich in Ihrer Rede schon gesagt. Und zum anderen wird derzeit in Gesprächen zwischen Bund und Ländern verhandelt und nach Lösungen gesucht.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Was denn?]

Im Einzelnen fordern Sie z. B., dass die Regionaldirektion der Agentur für Arbeit gemeinsam mit dem Senat die

Beschäftigungsangebote für Geflüchtete ausweitet: zum einen das Sonderprogramm Bundesfreiwilligendienst mit Flüchtlingsbezug, die Angebote nach § 5 Asylbewerberleistungsgesetz und zum anderen die Arbeitsgelegenheiten nach § 16d SGB II, die sogenannten Ein-Euro-Jobs. – Zunächst einmal ist die Regionaldirektion weder für das Asylbewerberleistungsgesetz noch den Bundesfreiwilligendienst zuständig. Davon abgesehen sind Arbeitsgelegenheiten und öffentlich geförderte Beschäftigungsmaßnahmen wie diese gerade auch außerhalb der Unterkünfte in der Tat eine gute Möglichkeit – und sie finden ja jetzt auch statt – für Geflüchtete, Berufserfahrung zu sammeln. Genau deshalb ist beides auch gültige Beschlusslage und Teil des Zehn-Punkte-Planes zur Arbeitsmarktintegration, den die Senatorin Dilek Kolat im November bereits vorgelegt hat.

Der Senat hat beschlossen, die Beschäftigungsmöglichkeiten auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes auszubauen und mit einem begleitenden Coaching zu kombinieren. Der Bundesfreiwilligendienst liegt jedoch in der Verantwortung des Bundesfamilienministeriums, und weder die Regionaldirektion noch der Senat können einfach so die Anzahl verfügbarer Plätze für Berlin erhöhen.

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Aber man kann ein eigenes Programm schaffen!]

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat darüber hinaus angekündigt, 100 000 zusätzliche Arbeitsgelegenheiten schaffen zu wollen. Die Gespräche darüber mit dem Bundesfinanzminister laufen auch aktuell. Geflüchtete, die bereits einen Anspruch auf Leistung nach SGB II besitzen, haben außerdem schon nach heutiger Rechtslage grundsätzlich die Möglichkeit, von den Jobcentern in Arbeitsgelegenheiten eingesetzt zu werden.

Ähnlich verhält es sich mit Ihrer Forderung nach fachlich-sozialpädagogischer Begleitung und Sprachkursangeboten. Auch in diesem Bereich gibt es mit dem Berliner Jobcoaching bereits ein umfangreiches Angebot: dass wir mit speziellen Coaches die geflüchteten Menschen individuell begleiten und bei der nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Und wir bauen dies weiter aus – ein kleiner Hinweis: auch das ist Teil des Zehn-Punkte-Plans.

[Elke Breitenbach (LINKE): Das ist jetzt auch ein bisschen schöngeredet!]

Bei der Sprachförderung wiederum bieten die zwölf bezirklichen Volkshochschulen in Berlin seit 2014 zusätzliche Deutschkurse an und ergänzen damit die Integrationskurse.

Weiterhin fordern Sie, in der Integrationsarbeit sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze einzurichten, obwohl es die sowohl in der Bildungsberatung als auch im Landesrahmenprogramm „Integrationslotse“ längst gibt.

(Fabio Reinhardt)

Ihre Forderung, Langzeitarbeitslose nicht aus dem Blick zu verlieren und gleichermaßen zu fördern: Das ist für den Senat und die große Koalition eine absolute Selbstverständlichkeit und wird auch etwa durch die Förderung von FAV bei gemeinnützigen Trägern und das Jobcoaching für Beschäftigte in öffentlich geförderter Beschäftigung sichergestellt.

Junge Geflüchtete, die älter als 16 Jahre und nicht mehr schulpflichtig sind, erhalten anders, als Ihr Antrag es suggeriert, heute schon eine zweijährige Berufsvorbereitung bestehend aus je einem Jahr Willkommensklasse und Berufsqualifizierung.

[Zuruf von den PIRATEN: Quatsch!]

Wir werden den Antrag zur Beratung in den Ausschuss für Integration, berufliche Bildung, Arbeit und Frauen überweisen, und dann haben Sie noch einmal Gelegenheit, Ihren Antrag zu begründen und wir, warum wir das nicht machen, was Sie aufgeschrieben haben. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Die Kollegin Breitenbach hatte noch eine Frage. – Lassen Sie die noch zu, Frau Kollegin Grosse?

Na, dann mal los!

Ja, ich finde, das sollte noch sein.

Ich habe eine Frage zu den Jugendlichen, die keiner Schulpflicht mehr unterliegen und die zweijährige Berufsorientierung haben – was Sie eben gesagt haben. Können Sie noch mal sagen, wo das genau ist und wie das läuft?

[Alexander Spies (PIRATEN): Sehr schön!]

Wo das genau ist und wie das läuft? – Ich denke, das kann die Senatorin wesentlich besser beantworten.

[Lachen bei den GRÜNEN – Benedikt Lux (GRÜNE): Redet sie denn auch noch?]

Gut! – Kollegin Bangert! Ich erteile Ihnen jetzt das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön!