Protocol of the Session on March 3, 2016

Verkehrsplanung per Gesetz – das wäre der falsche Weg.

Herr Gaebler! Jetzt mal ehrlich: Glauben Sie das wirklich?

[Staatssekretär Christian Gaebler: Ja!]

Aha, okay! – Dann hätten Sie Jahre Zeit gehabt, um zu zeigen, dass es auch anders geht. Ich erinnere mich noch – war es in der „Morgenpost“? –, da waren Sie ganz groß: Christian Gaebler – der Fahrradbeauftragte des Senats. Das stand groß in allen Zeitungen, mit einem riesigen Bild. Ich persönlich fand das sehr eindrücklich – das war vor ca. zwei Jahren. Da dachte ich: Mensch! Jetzt muss er etwas bringen, jetzt muss er etwas vorlegen, bei dieser Inszenierung. Aber, Herr Gaebler, jetzt, zwei Jahre später, war nichts, außer der in der Pressemitteilung gewürdigten Einweihung von einem und dann noch einem Fahrradstreifen und jetzt von einer Fahrradabstellanlage. Ich glaube, Sie sollten das Amt schnellstmöglich niederlegen.

Und zweitens: Natürlich geht Verkehrspolitik per Gesetz – ein Beispiel ist das Berliner ÖPNV-Gesetz. Vielleicht lesen Sie das mal! Darin steht ganz konkret etwas zum Thema Verkehrsplanung in der Politik. Wenn Sie das nicht glauben, dann schauen Sie sich doch mal den Bundesverkehrswegeplan an. Auch das ist ein Gesetz, und dort steht zum Beispiel die A 100 drin. Das ist ein Gesetz zur Verkehrsplanung. Die Nebelkerzen, die Sie da gezündet haben, können Sie ganz schnell wieder einstecken.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie wollen sicherlich nicht als Exekutive der Legislative vorschreiben, was wir können und was wir nicht können

als Gesetzgeber. Deswegen wären Sie gut beraten, das noch einmal zu überlegen.

In diesen Tagen wird der Entwurf eines Berliner Fahrradgesetzes bereits breit diskutiert. Ich möchte an dieser Stelle sagen, dass ich das Vorgehen der Initiatoren bemerkenswert finde. Das Fahrradgesetz durchläuft gerade eine Beteiligungsphase, in der sich die Berlinerinnen und Berliner das Gesetz anschauen und kommentieren können, sodass die Initiatoren danach die Stellungnahmen bekommen und auswerten. Das finde ich vorbildhaft. Ich setze mal ein Beispiel dagegen, denn wir schaffen das hier im Parlament nicht immer: Ich erinnere nur an die Staatsverträge, etwa im Rundfunkbereich. Da können wir als Parlamentarier quasi zum Schluss immer nur noch abnicken, was uns von Staatssekretär Böhning bzw. vom Regierenden Bürgermeister vorgelegt wird. Das ist das Gegenteil von Beteiligung.

[Torsten Schneider (SPD): Unerhört!]

Aber gehen wir doch zu den Zielen guter Verkehrspolitik und gleichen diese ab! Wir wissen alle um die Vorteile einer fahrradgerechten Stadt: hohe Aufenthaltsqualität, wenig Lärm, saubere Luft – eine Stadt für die Menschen – zügig, aber entspannt durch die Stadt kommen, kosten- und umweltbewusst. Nachweislich geht es Gewerbe und Einzelhandel besser in Gegenden mit guter Radinfrastruktur, gerade in der wachsenden Stadt und bei den Anforderungen des Klimaschutzes. Und die Fahrradstadt wäre eine sichere Stadt. Sichere Kreuzungen sind das Stichwort. Aktuell gibt es im Monatstakt Verkehrstote. Die Berlinerinnen und Berliner zu schützen, ist aber unsere Aufgabe, insbesondere die des Verkehrssenators. Da reicht kein Onlinedialog: Nach den Wünschen der Berliner fragen, aber dann nichts tun, das führt zu Frustration, und das wiederum führt zu Recht zu Volksbegehren. – Den Moritzplatz haben wir jetzt sicherer. Aber was ist das für eine dünne Bilanz? Vor über zwei Jahren haben Sie gefragt und danach nicht einen Finger für die Umsetzung gekrümmt. Das muss sich ändern!

Nächstes Thema: Wir haben als Fraktion für Sie ein Fahrradstraßennetz konzipiert und es Ihnen quasi auf die Türschwelle gelegt. Sie haben das ohne ein echtes Argument hier im Parlament abgelehnt. Einige Bezirke sind da weiter: Sie greifen das auf und kämpfen dann einen einsamen Kampf gegen die Verkehrslenkung in Berlin; aber mitunter eben auch erfolgreich wie jüngst der Bezirk Steglitz-Zehlendorf.

[Beifall bei den GRÜNEN – Lachen von Torsten Schneider (SPD): Fahrradbezirk!]

Sie sollten die Bezirke unterstützen und ihnen keine Steine in den Weg legen! Ich würde mich freuen, wenn das Volksbegehren den Gedanken eines Fahrradstraßennetzes aufgreift.

Nun wird überall geschrieben: Die Ziele des Volksbegehrens werden ambitioniert sein; Stichwort Radschnellwe

ge. – Aber ich sage Ihnen, gerade Radschnellverbindungen haben enormes Potenzial, können den ÖPNV entlasten und damit auch den Autoverkehr. Damit Radschnellwege aber sinnvoll sind, brauchen wir nicht nur ein Prestigeprojekt, sondern tangentiale Verbindungen von außen nach innen.

[Torsten Schneider (SPD): Genau!]

Leider hat der Senat auch hierzu nichts vorzuweisen und sich in Sachen Onlinedialog gerade die Finger verbrannt. Deswegen haben wir das jetzt übernommen: Unter fahrradnetz-berlin.de können Sie ab heute Vorschläge für Radschnellverbindungen machen. Wir werden das auswerten. Unser Ziel ist es, wie beim Fahrradstraßennetz einen breiten Vorschlag vorzulegen. Wir laden Sie ein, hier mitzuarbeiten.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Denn es reicht nicht, ein paar schöne Bilder von blau eingefärbten ehemaligen Bahnstrecken zu machen.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Herr Senator Heilmann ist gerade nicht da. Es war schön, dass er das in die Zeitung gebracht hat. Aber wenn danach nichts folgt, dann reicht das nicht.

[Torsten Schneider (SPD): Aber das, was ihr da macht, reicht?]

Aber ich nehme Ihre Bemühungen wahr. Vor Jahren hat die grüne Jugend mal formuliert, die CDU wäre die dunkle Seite der Macht. Wenn Sie jetzt auf die helle Seite rübermachen wollen, immer ran! Aber, wie gesagt, das mit den Fähnchen reicht nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Sie könnten etwas tun als CDU: Thema Fahrradstaffel. Wo sind eigentlich die 200 Polizistinnen und Polizisten, die Herr Henkel seit vier Jahren versprochen hat? Ich habe da den Überblick verloren. Die wären bei der Fahrradstaffel doch supersinnvoll aufgehoben – und dann noch auf die ganze Stadt verteilt, statt alle nur in der Rigaer Straße, das wäre doch mal was! Und wenn sie dann noch Falschparker abschleppen würden, dann wäre ich schon fast glücklich.

[Torsten Schneider (SPD): Abschleppen mit dem Fahrrad oder was?]

Abschleppen lassen würden!

Warum geht das alles nicht? Es liegt nicht nur am fehlenden Personal, sondern eben auch am fehlenden Willen. Bei Straßenbauprojekten ist alles möglich, da schaffen Sie es in den Haushaltsberatungen mal eben, zwei Stellen mehr zu beschließen. Aber bei kleinteiligen Projekten tun Sie sich schwer. Wenn der Senat unbedingt ein Großprojekt haben will, dann machen Sie doch ein Großprojekt daraus!

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Friederici?

Ich habe nur noch 60 Sekunden und habe noch Wesentliches zu sagen. Aber vielleicht kriegen wir es dann hin.

[Torsten Schneider (SPD): Ja, aber dann würde es vielleicht etwas unterhaltsamer!]

Ich bin mir nicht sicher, ob das angesichts anderer Großprojekte so schlau ist, wenn man das jetzt zum Großprojekt ausrufen würde. Andere Städte schaffen das aber: London, Paris – die nehmen 500 Millionen in fünf Jahren in die Hand und sagen: So kriegen wir das hin! – Hier in Berlin schaffen wir es noch nicht mal, ein Leihfahrradsystem auszuschreiben. Seit über anderthalb Jahren steht das aus. Das ist ziemlich unfassbar!

Jetzt noch mal kurz zur Realität: Im Innenstadtbereich wird ungefähr genauso viel Rad gefahren wie Auto. Es gibt doppelt so viele Räder wie Autos. Trotzdem hat das Auto rund 19-mal mehr Platz als das Rad, wie letztes Jahr eine Studie herausfand. Stellen Sie sich mal vor, wir würden das einfach umdrehen! Das wollen Sie sich natürlich nicht vorstellen bei der SPD und bei der CDU, und das ist genau der Unterschied: Sie wollen keine fahrradgerechte Stadt!

[Ole Kreins (SPD): Oh!]

Wenn Sie sich an dem Begriff stören, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der CDU, dann nehmen Sie bitte einen anderen! – Aber Klartext: Wir haben aktuell die autogerechte Stadt. Sie wollen keine Änderung. Wie würden Sie eine solche Politik nennen? Und wie sollen die Zehntausenden Berlinerinnen und Berliner, die durch Ihre Politik jeden Tag gefährdet werden, darauf reagieren? Ich bin gespannt auf Ihre Antworten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Kreins das Wort.

[Martin Delius (PIRATEN): „Aber es fahren doch alle so viel Fahrrad“, kommt jetzt!]

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gelbhaar! Hier kommt schon mit der Anmeldung des Titels dieser Aktuellen Stunde ein falscher Zungenschlag in die Debatte,

[Antje Kapek (GRÜNE): Nein! – Benedikt Lux (GRÜNE): Warum waren Sie dann dafür?]

denn ich hatte erstens nach Ihrer Rede das Gefühl, Sie waren genauso überrascht über diese Rederunde wie ich.

[Heiterkeit bei Torsten Schneider (SPD)]

Und zweitens: Sie nehmen die Realität nicht wahr. Denn dass Sie die richtigen Weichenstellungen zum Umweltverbund in der Stadt nicht sehen, wundert mich doch sehr. Im Januar haben wir darüber gesprochen, dass 3,1 Milliarden Euro für die Beschaffung von Zügen und rollendem Material bei der BVG ermöglicht werden – Aktuelle Stunde! Im Dezember hatten wir den Abschluss unserer Haushaltsberatungen. Da sind die Mittel für die Radwege, die Radinfrastruktur, das Fahrradverleihsystem, aber auch Mittel für U-Bahn und S-Bahn deutlich erhöht worden. Für das Jahr 2016 stehen damit 15,3 Millionen Euro für den Radwegebau zur Verfügung. Auch S-Bahn und BVG erhalten Rekordsummen. S-Bahn und BVG bieten dichtere Takte an, sie weiten ihr Angebot in der wachsenden Stadt aus. Das alles ist die Verkehrswende, von der Sie sprechen. Die BVG vermeldet jährlich neue Fahrgastrekorde. Und im vergangenen Jahr 2015 erreichte uns die Zahl: 11,8 Millionen Euro sind tatsächlich für den Radverkehr ausgegeben worden. Ich kann mich an kein derartig hohes Volumen für den Radwegebau in diesem Haus erinnern. Und damit erreichen wir 2017 endlich die Zielmarke von 5 Euro pro Jahr und Einwohner – gleichwohl es mittlerweile auch wieder neue Zielmarken gibt wie die des nationalen Radwegeplans, die dann doppelt so hoch sind. Aber auch die werden dann irgendwann erreicht.

Sie haben das Fahrradverleihsystem angesprochen. Im letzten Verkehrsausschuss hat Staatssekretär Gaebler, unser vorderster Fahrradbeauftragter, mitgeteilt, dass das Vergabeverfahren kurz vor dem Abschluss steht

[Martin Delius (PIRATEN): Der Oberradler!]

und dass wir deutlich mehr Leistung bekommen werden als wir tatsächlich bisher für das System geplant haben und auch deutlich mehr als wir bisher im Fahrradverleihsystem hatten.

Ich will Ihnen noch eine frohe Kunde des Umweltverbundes mitteilen: 30 Prozent der Wege werden zu Fuß zurückgelegt. Also wenn Sie den Umweltverbund, das Rad, die Fußverkehre und den ÖPNV nicht sehen, dann ist das – Entschuldigung! – Realitätsverweigerung! Und mit einer sich der Realität verweigernden Opposition kann man beim besten Willen keine Politik machen.

Ich möchte hier noch mal an den Modal Split erinnern: Bei 13 Prozent liegt der Radverkehr, bei 27 Prozent der ÖPNV, und Kfz- und Fußverkehr liegen ungefähr bei 30 Prozent – je nachdem, 2011, das sind die letzten Zahlen gewesen. Daran können Sie sich auch orientieren.

[Heidi Kosche (GRÜNE): 2011! Aktuell!]

Sie vergleichen Berlin heute mal nicht mit Kopenhagen, aber mit Paris und London. Dann sagen Sie doch, wie hoch der Anteil des Radverkehrs dort ist! Der liegt bei 2 bis 3 Prozent. Also wenn Sie in Berlin Zustände haben wollen wie in Paris, dann müssen Sie tatsächlich nichts tun. Aber wir machen Politik und deswegen auch eine erfolgreiche Verkehrsstrategie.