Protocol of the Session on January 28, 2016

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Kollegin Kofbinger, bitte schön, Sie haben das Wort!

Guten Tag! – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist die zweite Lesung eines wichtigen Antrags, wie ich finde, denn es geht um Gewalt, hier im Speziellen um Gewalt gegen Mädchen und Frauen, aber im großen Kontext um Cybergewalt, und die geht jeden an. Wir alle bewegen uns in einem digitalen Raum, und dieser digitale Raum ist nicht zu schützen. Das ist einfach so. Wir wollen ihn auch nicht überwachen lassen, aber wir müssen konsequent und zusammen gegen Gewaltausübung in diesem Raum vorgehen.

Dazu haben wir Ihnen schon vor einiger Zeit einen Antrag vorgelegt, wobei ich sagen muss: Die Beratung ging jetzt praktisch in Lichtgeschwindigkeit vor sich. Normalerweise dauert das alles wesentlich länger. Dafür erst einmal meinen Dank, dass das so schnell abgelehnt wurde; dann können wir uns gleich mit dem nächsten Antrag beschäftigen.

Worum geht es? – Es gab im Oktober 2014 eine Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz in Wiesbaden, und dort haben eben diese Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister verschiedene, wie ich finde, sehr gute Beschlüsse gefasst, die hier sogar noch einmal bestätigt wurden, nämlich Anfang Juni 2015 bei der 25. Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz in Berlin. Nun hätte man nach einer so langen Zeit – jetzt schon weit über ein Jahr – erwartet, dass sich daraus vielleicht auch mal konkrete Politik ergeben würde. Das ist jetzt sozusagen der Schwachpunkt, den wir versucht haben, mit diesem Antrag, den wir im September letzten Jahres gestellt haben, zu heilen. Das ist uns leider in den Beratungen nicht gelungen. Das ist sehr bedauerlich, und deshalb möchte ich noch einmal ganz kurz auf die Punkte eingehen, die uns so besonders wichtig sind und die in diesem Antrag vermerkt sind.

Es geht im Wesentlichen um Bildungs- und Fortbildungsmaßnahmen, Fortbildung zum Beispiel für Polizeibeamtinnen und -beamte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richterinnen und Richter. Wir haben dieses Thema heute interessanterweise schon einmal ganz kurz angetippt, und zwar in der Fragestunde. Da wurde nämlich gesagt, dass die Verfahren gegen Cyberbeleidigungen – wie auch immer –, die es gibt, zum Beispiel auch gegen Journalistinnen und Journalisten, viel zu schnell eingestellt werden. Dazu wurde interessanterweise der Regierende Bürgermeister befragt, der allerdings auch nicht viel dazu sagen konnte, sondern nur, dass er dem nachgeht. Das geht aber alles in genau die gleiche Richtung.

Wir kennen dieses Phänomen auch, wenn es um die Diskussion mit den Flüchtlingsheimen geht. Auch da haben wir das Problem, dass sich eine sogenannte Hate-Speech in diesen digitalen Raum ergießt, die überhaupt nicht mehr aufzuhalten ist, die wirklich schlimmste Beleidigungen beinhaltet. Natürlich müssen Polizistinnen und Polizisten, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte und Richterinnen und Richter hier fortgebildet werden, um das überhaupt zu erkennen und auch ihre Instrumente, die ihnen bereits zur Verfügung stehen, anwenden zu können. Das ist eine ganz wichtige Sache.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Evrim Sommer (LINKE)]

Denn wenn sie immer wieder beleidigen und davonkommen und die, die beleidigen, nie wegen einer Beleidigung belangt werden, werden sie es immer weiter machen, und die Situation wird immer unerträglicher, und das speziell für Frauen und Mädchen, die sich zum Beispiel im Internet, auf den Plattformen, in den sozialen Medien bewegen. Deshalb ist Fortbildung hier ganz dringend notwendig.

Um hier einen Punkt zu setzen und positiv und aktiv hineinzugehen, haben wir Bündnisgrüne ein längeres Eckpunktepapier zur Bildung mit digitalen Medien in Berlin verfasst. Es ist elf Seiten lang, und ich kann es Ihnen gerne zur Verfügung stellen. Da stehen verschiedene Abschnitte drin, die sich mit Cybermobbing, Cybergrooming, Sexting, Cybergewalt im Allgemeinen beschäftigen und die Punkte Inklusion und Geschlechtergerechtigkeit in besonderem Maße aufführen.

Wie gesagt, da wäre Hilfestellung nötig, denn sehr weit gekommen sind Sie nicht, auch nicht bei dem letzten Punkt unseres Antrages, § 1 Abs. 2 des Gewaltschutzgesetzes, wo wir denken, es sollte um ein bekanntes Regelbeispiel der Verfolgung im Internet, mit einer Sperr- und Löschanordnung ergänzt werden. Das ist uns sehr wichtig. Das ist möglich. Das ist keine Hexerei. Ich habe gehört, es wird gerade geprüft. Bitte, prüfen Sie schneller! Es wäre ein sehr wichtiger Bestandteil eines solchen Gewaltschutzgesetzes, dass man das da aufnimmt. Das ist

(Präsident Ralf Wieland)

meine große Bitte an dieser Stelle. Ich möchte sehr intensiv dafür werben.

Ansonsten, wenn Sie Probleme haben, wenden Sie sich an uns.

[Lachen von Dr. Ina Czyborra (SPD)]

Wir sind digital extrem gut aufgestellt. Der Bürgermeister verkündete kürzlich, er habe eine digitale Agenda für Berlin geschaffen. Das stimmt nicht ganz. Er hat zehn Punkte aufgeschrieben, aber auch da wurde das Thema leider vergessen. Wenn Sie dafür sorgen könnten, dass das noch eingefügt wird, wäre schon sehr viel gewonnen. Darüber würde ich mich sehr freuen. Ansonsten denken Sie bitte noch einmal an Köln und an das, was danach im Internet passiert ist. Das ist mir sehr wichtig. Auch im Internet brauche ich immer einen armlang Abstand. Ich muss mir die Leute auch vom Hals halten können. Dafür können wir sorgen. Dafür sind wir Politikerinnen und Politiker zuständig, und wir müssen das jetzt umsetzen, damit Köln nicht noch einmal passiert. Denken Sie daran, das Problem heißt Sexismus. – Danke schön!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für die SPD-Fraktion Frau Dr. Czyborra! – Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Präsident! Verehrte Damen und Herren! Ja, das war eine gute Überleitung, ein guter Anschluss. Seit Jahresbeginn ist eine Menge Bewegung in die Debatte über sexualisierte Gewalt geraten. Ich glaube, dass – im Zuge dieser Auseinandersetzungen muss eine Gesellschaft auch einen Umgang finden – noch einmal etwas besser verstanden worden ist, dass die digitale Gewalt und die Gewalt in der Realität einen engen Zusammenhang haben und gar nicht so ohne Weiteres voneinander zu trennen sind, sondern dass es häufig von dem einen Raum in den anderen Raum überschwappt, dort fortgesetzt wird, die Opfer die gleichen sind, die Täter ähnlich usw. Das wurde auch in den Beschlüssen der Gleichstellungs- und Frauenministerkonferenz ganz gut beschrieben.

Klar ist für uns alle, dass wir keine No-go-Areas für Frauen dulden können, nicht in der Kohlenstoffwelt und nicht im digitalen Raum. Meine Fraktion, und da bin ich ganz besonders dankbar und glücklich, hat am Wochenende auf ihrer Klausurtagung folgenden Satz beschlossen:

Darüber hinaus bedarf es einer umfassenden Strategie gegen sexualisierte Gewalt in der Gesellschaft.

Das war natürlich stark von den Ereignissen in der Silvesternacht geprägt, aber selbstverständlich muss diese Stra

tegie den Bereich des Digitalen umfassen und an dieser Stelle auch mit dem verschmolzen werden, was hier digitale Agenda genannt wird, wo wir sicherlich noch sehr viele Debatten haben werden, auch darüber, wie diese Gesellschaft mit bestimmten Themen umgeht. Die Kanzlerin hat es mal „Neuland“ genannt. Ganz so neu ist es vielleicht nicht mehr, aber es treten doch permanent immer neue Formen im Bereich der Kommunikation auf, die dann Fragen aufwerfen im Zusammenhang auch allgemein mit gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im digitalen Raum.

Fortbildung: Die Frage ist: Wohin? Wir haben hier noch ganz viel zu klären, auch im Strafgesetzbuch. Österreich hat zum 1. Januar 2016 das Strafgesetzbuch geändert.

Strafbar ist

ich finde die Formulierung sehr schön –

die fortgesetzte Belästigung im Wege einer Telekommunikation oder eines Computersystems.

Wird geahndet mit bis zu einem Jahr. Wir brauchen hier mehr rechtliche Klarheit. Da haben die Konferenzen auch zahlreiche Arbeitsaufträge vergeben an das Bundesministerium für Justiz, an die Justizministerkonferenz, an die Innenministerkonferenz. Ich habe es noch einmal recherchiert. Tatsächlich arbeiten dort die Mühlen langsam, aber es ist auch sehr viel zu klären und zu debattieren.

Das Papier der Grünen gucke ich mir natürlich sehr gerne an und hoffe, dass wir im täglichen Handeln in all den Dingen, die wir schon tun, wo über Gewalt geredet wird mit jungen Menschen, der – ich zitiere sie immer wieder gerne – Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage und vielen anderen Dingen, die wir in dem Bereich unterstützen, dass wir dort den Sinn in der Gesellschaft für dieses Problem schärfen und klarmachen, was geht und was nicht geht, wo die Grenze ist und welche katastrophalen Folgen diese Form von Gewalt im Einzelfall für die Betroffenen hat.

Dieser Antrag war uns in dem Sinne zu allgemein und schwammig. Wir haben davon schon vieles im täglichen Handeln in diesem Land, und, wie gesagt, an anderer Stelle brauchen wir eine Schärfung der rechtlichen Grundlagen, um hier weiterzukommen. – Vielen Dank!

[Beifall von Anja Kofbinger (GRÜNE) – Anja Kofbinger (GRÜNE): Wenn keiner klatscht!]

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Für Die Linke hat jetzt Frau Sommer das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Ereignissen in Köln redet jetzt jeder über se

(Anja Kofbinger)

xuelle Gewalt an Frauen, oft jedoch leider in Verbindung mit rassistischen Vorurteilen. Das Thema sexuelle Gewalt ist nun in aller Öffentlichkeit, und ich finde, das ist auch gut so. Gewalt gegen Frauen ist ein wichtiges Thema und ein Problem, das in allen Bereichen der Gesellschaft nach wie vor existiert und nicht erst seit der Silvesternacht in Köln.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Dennoch bleibt es oft nur ein kurzer Aufschrei. Keine Erwähnung finden andere Formen sexueller Gewalt, die tatsächlich omnipräsent sind. Ignoriert werden andere, dunkle und schwer einsehbare Räume. Ich rede hier von der digitalen Welt, die mehr und mehr zu unserer natürlichen Umwelt wird. Menschen verbringen mehr Zeit bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken als auf Bahnhofsvorplätzen. Es gibt jedoch Übereinstimmungen im Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung dieser Form von sexueller Gewalt. Frau Reker, die Oberbürgermeisterin von Köln, rät z. B., sich von gefährlichen öffentlichen Räumen fernzuhalten. Oft wird Opfern von Cybergewalt auch geraten, sie sollen digitale Räume meiden, in denen sie gemobbt oder sexualisiert angegriffen werden. Statt ein Problem zu erkennen und es zu bekämpfen, werden lediglich die potenziellen Opfer aus dem Sichtfeld entfernt, ganz nach der Logik: kein Opfer, kein Verbrechen! Das kann nicht der Weg sein, um sexuelle Gewalt und Cybergewalt zu bekämpfen. Das kann so nicht gelöst werden.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wir Frauenpolitikerinnen sind uns einig, dass Cybergewalt ein immer größer werdendes Problem ist. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Da sind wir uns auch einig. Im Frauenausschuss haben wir lang und breit darüber diskutiert, welche Maßnahmen konkret dafür nötig sind. Was jedoch diese Einsicht nicht untermauert hat, war, dass keine Konsequenz dabei herausgekommen ist. Der Antrag der Grünen, dem wir als Linksfraktion zustimmen, wurde trotz des offensichtlichen Handlungsbedarfs im Frauen- und Rechtsausschuss einfach mal so abgelehnt.

Der Regierende Bürgermeister hat angekündigt, eine digitale Agenda vorzubringen, aber es ist nur eine Ankündigung. Diese zehn Punkte habe ich mir auch angeschaut. Es ist tatsächlich nicht mehr als eine Ankündigung, und wir wissen nach fünf Jahren nur zu gut, dass Ankündigungen der SPD-CDU-Koalition in der Regel keine Folgen haben.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wir kennen Ihren Politikstil inzwischen. Es wird geprüft, Ankündigungen werden gemacht, dann werden Ankündigungen wiederholt, und am Ende passiert nichts.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Noch mal geprüft!]

Das ist sozusagen das Verfahren dieser Regierung. Wir haben mehrfach vorgeschlagen, einen Maßnahmenplan analog zum Aktionsplan gegen häusliche Gewalt aufzulegen. Doch für diese Legislaturperiode können wir wohl die Hoffnung begraben, dass der Senat hier tatsächlich aktiv wird. Er bringt nicht einmal die integrierte Maßnahmenplanung gegen sexuelle Gewalt auf den Weg. Dieser Senat steht für Stillstand auch im Bereich der Frauenpolitik. Die letzten fünf Jahre sind meines Erachtens verschenkte fünf Jahre. Die Aufgabe eines neuen Senats nach den Wahlen wird sein, den Scherbenhaufen dieser SPD-CDU-Regierung aufzukehren, den geschlechterpolitischen Stillstand zu überwinden und endlich wieder die Probleme unserer Stadt anzupacken. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Danke schön! – Für die CDU-Fraktion Frau Vogel, bitte!

Sehr geehrter Präsident! Meine Damen und Herren! Der digitale Raum schafft Möglichkeiten zur Anonymität. Diese Anonymität ermuntert einige zu verbaler Gewalt, psychischen und physischen Bedrohungen, Mobbing, kurz zu all dem, was wir mit dem Begriff Cybergewalt beschreiben. Die Thematik hat insbesondere aus frauenpolitischer Sicht an Bedeutung gewonnen, auch wenn nicht nur Frauen zu Opfern werden. Die Bekämpfung von Cybergewalt ist nicht nur eine Aufgabe der Frauenpolitik, sondern erfordert die Aktivität mehrerer Ressorts. Es ist ein Zeitphänomen, das nur ressortübergreifend gelöst werden kann.

Wie sehen die Möglichkeiten, Angebote und Aktivitäten in Berlin gegenwärtig aus? – Den von Cybergewalt betroffenen Frauen stehen bereits Beratungsstellen zur Seite. Ich denke da an das FRIEDA-Frauenzentrum und an Wildwasser. Diese bieten neben der spezifischen Beratung auch Fortbildungen für Multiplikatoren an.

Die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz bietet Aus- und Fortbildungen sowie Spezialschulungen der juristischen Prüfungsämter und der Justizakademie des Landes Brandenburg für die Länder Berlin und Brandenburg an. Bei den Strafverfolgungsbehörden wurden bereits im vergangenen Doppelhaushalt 50 neue Stellen geschaffen, im Haushalt 2016/17 sind weitere 24 Stellen beschlossen worden, damit unter anderem auch der Bereich Cyberkriminalität verstärkte Aufmerksamkeit erfährt.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hat Maßnahmen zur Förderung der Netz- und Medienkompetenz aufgelegt. Im vergangenen Jahr hat sich die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen

(Evrim Sommer)

während der 25. Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen ganz klar für die Notwendigkeit einer weiteren Prüfung und Umsetzung geeigneter Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen positioniert. Darum trägt die Senatsverwaltung einen von NordrheinWestfalen erarbeiteten Antrag „Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen ist reale Gewalt“ mit. Unter anderem wurde in diesem Antrag das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gebeten, zu prüfen, ob die derzeit geltenden strafrechtlichen Vorschriften ausreichen. Und vielleicht kommen wir ja dann auch zu einer Regelung wie sie in Österreich stattgefunden hat. – Aus diesem Grund bedarf es an dieser Stelle keiner besonderen Initiative des Senates.